Melchior Schedler
DIE LEIDEN DER WUNDERTÄTER
Roman
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation
hatte fast tausend Jahre bestanden als es
unter dem Ansturm der Truppen Napoleon Bonapartes zerbrach.
Sein letzter Kaiser verkündete das Ende des Imperiums
in einer Proklamation, in die er die Worte einflocht
WIR allzeit Mehrer des Reiches.
Seine Reichsfürsten im Westen
hatten sich dem Allbezwinger bereits unterworfen und
wurden dafür mit neuen Territorien von Napoleons Gnaden belohnt.
So auch der bairische Kurfürst, ehedem
als Graf von Birkenfeld Söldner
in der französischen Armee,
der sich im Winter 1806 selbst zum König machte.
Zum Grünen Baum
Durchbohrte Hunnen strudeln neben ihnen her, die Reisigen Etzels, rö-mische Legionäre mit eingedellten Helmen auf den moosigen Schädeln, Janitscharen aus irgend einem Feldzug der Türken den sie schon damals nicht verstanden, denn Janitscharen, der türkischen Sprache nicht mächtig, haben niemals irgend etwas verstanden ; paukend, blasend, die Schellen-bäume schlagend waren sie dem Heerhaufen voraus marschiert wie es die Order verlangte, in ihre riesigen Tubahörner blasen sollten sie und die mannshohen Schellenbäume rühren und die Kesselpauken schlagen auf dass die Feinde sich entsetzten und Reißaus nähmen schon vor der Schlacht, und die Janitscharen marschierten, die Janitscharen bliesen, die Janitscharen rührten die Schellenbäume, aber die Schlacht war weit von ihnen fortgerückt, der Heerhaufe der der Janitscharenkapelle hinterher marschierte war längst schon abgeschwenkt, die Befehle des osmanischen Generals verfehlte sie denn sie waren ja des Türkischen nicht mächtig, aber die Janitscharen marschierten weiter, trommelten, bliesen, schellen-baumten, marschierten stracks hinein in die Donau, ertranken nicht vor lauter Pflichtgefühl, marschierten nur langsamer nun voran, aber dass sie gegen die Strömung ankämpfen mussten nunmehr machte ihnen das Lärmen nicht leichter, die Strömung schob sie dahin wie Rollkiesel, die Schellenbäume hallten nicht mehr, Tang umschleierte die messingnen Klingeplatten, die Pauken dröhnten nicht mehr, denn Aale laichten in ihnen, die Tuben erschreckten nur noch die Weißfische, glagolitische und orthodoxe Märtyrer, an Holzkreuze gefesselt mischten sich zwischen sie sowie Ketzer, mit Steinkreuzen um die Hälse, die sich noch immer begeiferten, die Gesichter entstellt von Bigotterie, Grundschwämmen und Medusen ; die Fußknochen calvinistischer Prediger, die die Habsburger hatten ertränken lassen, verhakten sich im Strudel von Grein, aber die Strömung trieb ihre übrigen Leiber fort stromabwärts, überwachsen von Schwimmfarnen, und zerrte sie in die Länge bis hinunter zur Stadt Budapest –
„Gestehe, ha, Verworfener !“ schreit Kunterkasten.
Er weiß nichts von der Donau und was auf ihr oder in ihr schwimmt. Noch nicht. Kunterkasten schreit den an, der ihm am nächsten steht. Es trifft einen Holzstoß, aufgetürmt aus Erlenscheitern. Schwarzgrau, freudlos, saftlos, dafür gut dreimal mannshoch. Engbrüstig würde man ihn nennen, wenn er ein Mensch wäre. Ein Jammerkerlchen. Trotzdem tut ihm Kunterkasten noch einmal die Ehre des Angebrülltwerdens an:
„Gestehe, ha ! Verworfener !“
Als ob der Holzstoß etwas zu gestehen hätte. Aber Kunterkasten geht es um die Kraft seiner Stimme, wenn er schon dumm und abgehängt hier herum hocken muss. Und was hat er, Kunterkasten doch für eine Kraft in seiner Stimme. Die Kraft der Jugend. Aufbrausend, hell, in der Mittellage eines sehnigen Tenors, jungmännisch gestützt.
„Gestehe, ha ! Verworfener, mir und aller Welt …“
Diesmal versucht er sich an den nächsten beiden Holzstößen. Buche und Tanne. Aber die lassen es sich nicht anmerken dass sie angeschrien wor-den sind mit einer kraftvollen Tenorstimme. Kunterkastens kraftvoller junger Tenor kann nicht einmal die Krähen zum Auffliegen bewegen, die sich auf den verschneiten Holzstößen niedergelassen haben. Die Krähen missachten ihn, ebenso wie die Holzstapel unter ihnen. Alle Welt missachtet Kunterkasten.
„Gestehe, ha…“ Jetzt grummelt er den Satz nur noch in sich hinein, um ihn endlich zu verschlucken.
Kunterkasten, das war ihm schon in seiner Jugendheimat bewusst ge-wesen, Kunterkasten hört sich an nach schwerer Eiche und nicht nach fieseliger Erle oder Fichte, und das noch dazu mit Eisenschloss dran an den eichenen Bohlenbrettern. Kunterkasten hört sich nach schwerem Möbel an, das sich nur vom Platz regt, wenn ein paar kräftige Nachbarn mit zupacken.
Niederdeutsche Nachbarn, in einem niederdeutschen Kaff und satt protestantisch. Aber Kunterkasten war nun einmal dreideibeleins sein verdammter Familienname. Mit Christian Asmus Fürchtegott davor. Ge-nau so schweren eichenen Namensklötzen, ein wenig aufgehellt nur von einem luftigen Felix als Viertnamen von einem Onkel mütterlicherseits und Zweitpaten, der gleich nach dem Tauffest nie mehr von sich hatte hören lassen. Glücklicher Felix der ! Wachtelkönig der, der dem protes-tantischen Nest glücklich entronnen war.
Kummerkasten wurde Christian Asmus Fürchtegott Felix schon in der Sonntagsschule gehänselt, der Anmutung eines Felix ungeachtet. Zuvör-derst vom Schulmeister : „Kummerkasten, halts Maul und rezitier uns den Klopstock !“
Und Christian Asmus Fürchtegott Felix rezitierte den Klopstock, rezitierte den Messias, sagte den Werther her, und zu Weihnachten den Matthias Claudius, er hatte das edelste Stimmchen von allen Sonntags-schülern, er hatte die edelste Aussprache, darin doch ein wenig ein Felix, ohne peinsames S-s-t, der Erblast seiner Gegend. Und dennoch blieb er nach jeder Rezitation stets der Kummerkasten und voller Kummer, auch ohne den Makel des S-s-t. Fühlte sich in einen Kasten eingesperrt, die Truhe seiner pfarrhäuslichen Herkunft, in der seine Talente rumpelten, und keiner wollte sie herausfordern.
„Gestehe, ha ! Verworfener, mir und aller Welt das Unmaß deiner Untat ein !“ brüllt Kunterkasten.
Er bringt schöne Reibelaute zustande, befindet er, darum wünscht er sich es wären mehr R in diesem Satz und mehr Zuhörer an diesem öden Ort hier, an den das Wort des Prinzipales mich verbannt. So hält er sich
( indem er sie aufplustert ) für die Entwürdigung schadlos, dass er auf das prinzipale Gepäck aufpassen muss. Kummerkasten er, dummlackiger Schlappenschammes, gerade gut genug bei der Kofferherde herumzu-dumpfen.
„Kunterkasten“ hatte Propodonsky gedröhnt “es ist an ihm, unser Gut zu hüten. Zum einen, er ist der Jüngste. Zum andren, er kann sich damit allfälligen Respekt erwerben. Und Verdienste, hoho !“
Hat gelacht und ihm auf die Schulter gehauen dabei. Allfälligen Respekt hat der Prinzipal im Mund geführt, allfälligen Respekt für ihn, Kunterkummerkasten ! Und ließ dabei nicht entfernt so wohlklingende Rei-belaute hören wie er. Kunterkasten.
„Denn meine Equipe“, hatte Propodonsky gedröhnt, „begibt sich auf eine Mission de la plus haut importance.“
Zu einem Flüsterauftrag von allerhöchster Wichtigkeit und allervertrau-lichster Wertigkeit. Und da hockt Kunterkasten nun also, als Jüngster allein gelassen und abgemeiert, auf fremden Kisten mit fremdem Plunder und fremde Schneeflocken fallen auf ihn in einer fremden Stadt.
Es ist der zweite Januar 1806. Und die fremde Stadt heißt München.
Zur selben Stunde sitzt die Demoiselle Pfrenhuber Herrn Seitz gegen-über, einem hochmögenden Mann der Stadt. Sie sitzt nicht aus eigenem Antrieb hier, auch sie ist von Probodonsky vergattert.
„Er soll ein Aug haben für junges Blut weiblicher Species, dieser gewisse Seitz“ hat er ihr mitgegeben, und : “er hat Sitz im Magistrat. Sieh zu, was du bei dem herausschlägst.“
Und die Demoiselle sieht zu.
“Sie werden Beglückung erfahren“ sagt sie ihr angelerntes Sprüchlein auf. “Sie werden originale Römer erleben können. Aber auch Griechen ! Die Helden des klassischen Altertums. So ein tête a tête widerfährt einem nur selten. Wenn überhaupt. Mit den ganzen Fürstlichkeiten in ein und dem-selben Raum, die einem sonst nur im Geschichtsbuch gegen-übertreten. Sie werden den Atem von Marcus Julius Cäsar spüren, zum Greifen nah und da Sie ja Sitz haben im hohen Magistrat...“
Herr Seitz ist Uhrmacher von Profession, und Uhrenhändler aus Lei-denschaft.
„Seit das neue Jahrhundert angebrochen ist, Demoiselle, werden immer mehr Uhren gekauft.“
Und dabei umschlingt er sie mit Blicken. Ihr blanker Hals, fruchtflei-schig und günstig einsehbar fast bis zum Schlüsselbein ( er reckt sich : ja wahrlich bis zum Schlüsselbein und durchaus noch tiefer ), jetzt im Ja-nuar bereits frühlingsrosa getönt. Herr Seitz schluckt. Von seiner Gemah-lin ist er selbst im Sommer nur Hochgeschlossenes gewöhnt.
„Und erst recht seit Neujahr, faktisch seit heute also, da wollen die Leute auf einmal ihre Zeit aufs Gerade bringen und wissen was es ge-schlagen hat. Immerhin ist seine Majestät der Kaiser Napoleon in der Stadt und wir sind den zweiten Tag Königreich“.
Königreich, das wäre das Stichwort gewesen für die Demoiselle Pfrenhuber. Mit Königinnen kann sie mannigfaltig dienen, sie führt Du-tzende im Gepäck ihres zugegeben schmalen Geistes, aber Majestäten eben doch. Heinriche und Ludolfe, aber auch einen Orontes, Kron-prätendent, und sogar eine Königin von Pontus. Was die alle im Munde führen, kann Demoiselle Pfrenhuber auswendig. Aber als sie sich eben anschickt, einen königlichen Sermon zu Gehör zu bringen, schreit Ma-dame Seitz aus dem Laden herüber, dass sie die Kundschaft allein nicht mehr verkraftet und dass der Herr Hochwürden Hocheder auf dem Weg in den Seitzschen Laden ist, Pfarrherr zu Mariä Himmelfahrt, in Betreff, dass er den magren Stundenschlag seiner bisherigen Turmuhr nicht mehr zeitgemäß findet und ersetzen will durch eine Mechanik, zu der er den Rat von Meister Seitz erhofft.
„Zeitgemäß ! Da hören Sie’s“ freut sich Herr Seitz.“Es ist eine allum-fassende Uhrenbegeisterung ausgebrochen seitdem der Herr Bonaparte unsrer Stadt die Ehre gibt. Eine glückhafte Epoche, Demoiselle, eine glückhafte Epoche für die Zeitmessung.“
Und dabei saugt sein Blick sich fest an der Demoiselle Frühlingshals. Herr Seitz verkostet die Vorausschau auf den Mai bereits jetzt vor Hei-ligdreikönig. Und die Demoiselle spürt seinen Atem warm an diesem ihrem Hals, als habe der Uhrmacher das Federwerk seiner frisch geölten Erotik neu aufgezogen, und sie versucht ihn mit weiteren Beseligungen zu locken :
„Sie werden, wie gesagt, Beglückung erfahren …“
Wodurch, dafür ist der Uhrmacher Seitz im Augenblick ertaubt, denn er hat an der Demoiselle etwas entdeckt was er an den Damen in seinem Laden noch nie wahrnehmen durfte : aufgepudertes Wangenrot und dane-ben einen aufgeklebten Leberfleck, schwarzviolett. Demoiselle Pfren-huber registriert mit ihrem berufseigenen Sinn für Widerhalle, dass er da-bei ist, die Umdrehungen seines erotischen Federwerks zu beschleunigen und versucht es sogleich zu nutzen :
“Beglückung, ich verspreche da nicht zuviel, im Kreise schöner und leidenschaftlicher Römerinnen. Als ob die wiederauferstanden wären exklusiv nur für Sie, ich spreche speziell von der Göttin Juno und der schö-nen Helena und Aphrodite, die ist noch schöner. Weil, sonst wäre es nie zum trojanischen Krieg gekommen infolge von dem Urteil, Sie wissen schon, des schönen Prinzen Paris.“
Die Gattin Seitz stürmt herein und hats aufgeschnappt.
„Aus dem Haus, ausg‘schamtes Weibsbild, und zwar dalli ! Meinem Alois einen solchen Antrag machen am helllichten Tag ! O heilige Jungfrau steh uns bei…“
Und spritzt Weihwasser aus dem Behältnis am Türrahmen, über dem die heilige Jungfrau Wache hält, in Zinn gegossen, auf die Demoiselle. Ihr mitten ins Gesicht. Und zur Sicherheit auch in weiten Schwüngen über den entweihten Uhrmacherladen. Wenn die Demoiselle Pfrenhuber draußen auf der Straße steht, ist es nicht nur Weihwasser, das ihr über die Backen rinnt, es sind auch eigene Tränen.
Zur selben Stunde hat Sylvester Schuff, ein anderer von Propodonskys Abgesandten, schon viele Stunden im Hofgarten ausgeharrt. Frierend, umstanden von frierenden Bäumen, allesamt so grämlich als wären sie bereits zu Scheiten zersägt wie jene die Kunterkasten angebrüllt hat. Bis endlich der Herr aus der Residenz geeilt kam, auf den Schuff es abge-sehen hat. Und der wäre um ein Haar an ihm vorbei weiter geeilt, wenn nicht unversehens aus Schuffs grauem Pelerinenmantel ein blauer Vogel geflattert wäre, ein paar Runden um Schuff gedreht hätte, und sogar eine Melodie dabei gepfiffen. Um unversehens wieder in Schuffs linkem Ärmel zu verschwinden. Der eilige Herr ist baff stehen geblieben und war nun Schuffs Anliegen ausgesetzt.
Wie, Festivitäten aus Anlass der Krönung unseres Kurfürsten zum König ? Bewahre, nicht einmal eine Krönung, gibt der Herr Bescheid mit ausgedünnt verlegenem Lächeln und lauert dabei, ob der blaue Vogel nicht wieder hervorschießt aus einem von Schuffs Ärmeln.
Nicht einmal eine feierliche Proklamation habe es gegeben, dass das Kurfürstentum nach dreihundert Jahren zum Königtum avanciert ist. Nur eine unfeierliche Bekanntmachung, verunstaltet durch barsches Böller-geschieße. Und das auch noch mit viel zu wenig Kanonen. Langweilig das, sterbenslangweilig, klagen die Augen des Herrn. Von derlei wie Stil und Angemessenheit erst gar nicht zu reden. Würde der Kanzleiratsmund klagen, aber der ist amtlich versiegelt. Paraden, Feuerwerke, Redouten seien nun einmal nicht nach der Facon des Landesvaters. Dieses Spar-nickels, der sich gestern zum König aufgeworfen hat auf Kommando des Kaisers Napoleon in dreister Missachtung des anderen, rechtmäßigen Kaisers in Wien. Auf französische Kommandos, da allein hört er halt drauf, seitdem er Regimentscommandeur war in Strasbourg. Aber am Ende flattert dafür das Vögelchen noch einmal. Pfeift es auch, so blau wie grade eben ?
Der Blick des Amtsmenschen zickzackt über Schuff : vielleicht kommt es diesmal ja zur Abwechslung unter dem Mantelsaum heraus, zwischen den Beinen des Fremden hindurch ?
Es kommt nicht, fürs erste.
Der Amtsmensch überbrückt die Zeit, indem er lamentiert über diese Spingflut von neuen Gesetzen, Verordnungen, Vorschriften, in denen sei-nesgleichen ertrinkt. Ob mans ihm denn nicht ins Gesicht geschrieben sieht ? Geschrieben, à propos, geschrieben : nie hat es so viel zu schrei-ben gegeben seit Beamtengedenken. Die Festsäle leer, die Comptoirs überfüllt ! Lass das blaue Vögelchen noch einmal fliegen für mich, Unbe-kannter, flehen die Augen. Warum hälts du’s zurück, wo es allumher griesgramgrau ist.
Versteh schon, du willst nicht mehr flattern, blauer Wintervogel. Ist dir auch nicht zu verdenken. Aber da der Amtsmensch nun schon einmal bei Schuff stehen geblieben ist, und ihn irgendein Oberkanzlist aus den Fenstern der Residenz vielleicht dabei beobachtet hat ( neue Verord-nungen gebären neue Denunzianten ) und seinem Oberoberkanzlisten meldet dass der da unten teure Dienstzeit verplempert, indem er auf blaue Vögel wartet obwohl doch Napoleon in der Stadt ist, vollführt der Amtsmensch eine abwehrende Geste ( die sichtbar sein soll bis hinauf in den zweiten Stock ) als sei Schuff ein Bittsteller, den es abschlägig zu bescheiden gilt. Und Schuff ist ja in der Tat ein Bittsteller, auch wenns der beamtete Herr noch gar nicht gemerkt hat.
„Zu Ihrer Kenntnis, Monsieur Fremdling, wir werden regiert von ei-nem Premierminister, der einzig und allein aus zusammengefaltetem Ak-ten besteht. Bleich wie Schimmel und pinnig wie ein Mottenschwarm. An so einem prallen sämtliche schönen Künste ab und sogar der neue König dient ihm bloß als Korrekturbleistift für seine Paragraphen.“
Und der blaue Vogel ? Wo doch gerade ein Kanzlist dankbar wäre für Wunder. Der Herr eilt weiter. Schuff presst in seiner Tasche den Vogel zusammen, dass die Drähte knacken.
„Scheißkerl“.
Zur selben Stunde ist Lucille de Brée an der Frisur einer noblen Dame tätig. In einem noblen Boudoir.
„Das ist aber wahrhaft eine commode surprise dass sie mir geschickt worden ist“ gluckert die Dame.
„Sie ist gewiss die Überraschung für meinen Geburtstag nächstens. Von meinem Herrn Gemahl, oder hat er verfügt dass das geheim bleiben soll, mein Gustl ?“
Lucille de Brée, bürgerlich Madame Propodonsky, lächelt in sich hi-nein und damit auch die Dame an, die ihr aus dem breiten Toilettespiegel entgegen lächelt und schweigt sich aus.
„Es ist ja so eine elendigliche Misère mit den Dienstboten neuerdings. Meine Zofe, wie ein eigenes Kind gehalten vierzehn Jahr lang, hat Knall auf Fall gekündigt. Adieu auf Nimmerwiedersehen, und die Stiege hi-nunter. Weil sie eintreten tut, hat sie noch heraufgerufen, in ein privates Coiffeurgeschäft zwei Gassen weiter !“
O perverse Jetztzeit ! Auf den Kopf gestelltes Universum, in dem je-der Hergelaufene sich jetzt schon Eleganz kaufen kann, für drei schäbige Sechser, zwischen einer Fleischhauerei links und einem Bäckerladen rechts. Madame Krethi und Mademoiselle Plethi lassen sich die Coiffüre legen in einem parterren Ladengeschäft ! Statt sie sich individuell zu-richten zu lassen nach eingehendem Studium der ehrwürden personnage je für deren ehrwürden Kopf, und das immer im Blick auf das Vorbild der Damen bei Hof.
Freilich, die genannte Zofe habe weitaus nicht derart geschickte Hände gehabt bei der Erstellung einer standesgemäßen Frisur, und überhaupt diese Hände – puh ! Bauernhände ! Aus Schrobenhausen war sie gebür-tig, da war nichts andres zu erwarten. Aber wen nimmts Wunder, heut-zutage ist ja überall Schrobenhausen, wenn schon der König ein Rosskerl ist, abgemustert aus französischen Diensten und nicht einmal mehr aus Schrobenhausen sondern aus einem x-beliebigen Dorf da hinten in der vorderen Pfalz.
„Birkenfeld soll das heißen, Birkenfeld !“
Das klingt doch ewig und und drei Tage nach Torfstich, auch wenn er sich Max der Erste Joseph jetzt nennen lässt als wär er einer von der hiesigen alteingesessenen Hautevolée.
„Wünschen Madame die Schläfenlocken eingerollt à la francaise oder à l’italienne ?“ fragt Lucille de Brée.
„Wie sie sich auskennt, nein, wie sie sich auskennt ! Mach sie zu wie sie will, sie hat einen sonderlichen Esprit für das was mir steht.“
Und wenn die neue Zofe en passent Römerdramen erwähnt habe und solcherne Haupt- und Staatsaktionen vorhin – der Birkenfelder, der Dorf-dragoner, der weiß gewisslich nicht einmal wer auch nur der Cäsar Au-gustus war, nicht zu reden vom Kaiser Charlemagne. Der kennt nur den einen und einzigen Cäsar Napoleon, der ihm die Krone verschafft hat. Die er sich aber nicht einmal aufsetzen traut, damit wenigstens sein Na-poleon ihn ernst nimmt als gekrönten Oberhengst. Dabei gibt es eine Krone, leibhaftig meiner Seel, eigens geschmiedet von gleich zwei Pari-ser Juwelieren, zwei weil sein Schädel über die Maßen voluminös is halt ein Roßschädel. Über und über gesprenkelt mit Diamanten, Smaragden, Rubinen und Perlen, fuderweise wie Bachkieseln aus allen bairischen Flüssen. Und dazu einen Krönungsornat, sie hats mit eigenen Augen gesehn drüben in der Residenz.
Der aber jetzt deppert in der Garderobe hängt in all seiner Glorie. Wie ein Kostüm für eine antike Tragödie die nicht aufgeführt werden kann weil der Hauptdarsteller Brechdurchfall gekriegt hat und sich auf dem Abtritt eingesperrt hat. Und das werte Publikum ist geneppt in seinem niht gestillten Schönheitsdurst.
Blamabel das, bla-ma-bel !
„Da wundert man sich ja nur dass es noch nicht königliche Order ist dass man sich Rossäpfel in die Frisur schmiert. Das Königtum ist nagel-neu, und schon riechts allenhalben nach Pferdestall. Adieu, Madame Pompadour, adieu Contessa Almaviva, adieu Armida und Cleopatra, wie ich sie einmal gegeben habe in der Opera von diesem, wie heißt er doch gleich wieder, Ditters von Dittersdorf, vierzehn Vorhänge waren das min-deste nach jeder Arie, vierzehn Vorhänge ! “
Als ihr Gatte noch Hofintendant war unterm vorigen Kurfürsten selig.
„Aber jetzt ist das Theater geschlossen und der Gustl nach Bamberg umrangiert in diese neuen besetzten Gebiete droben im Fränkischen. Zu den gleichen Bezügen, das schon, aber zur Gartendirektion. Man höre, zur Gartendirektion !“
Sie wirft eine Frisierbürste auf sich selbst, auf ihr Spiegelbild, wie um ihren Gustl zu rächen. Und erblickt ihr Gesicht unter der frisch voll-endeten Coiffüre.
„Parbleu ! Sie hat ja eine Königin Rodelinda aus mir herausgezaubert ! Sie hat die Frisierkunst im kleinen Finger. Ich würde à nouveau vierzehn Vorhänge kriegen mit dieser Coiffure, ich brauchte nicht amal eine ein-zige Note singen“.
Und Madame weist der Haarkünstlerin als Entlohnung die Dach-kammer an. Oben neben dem Schornstein.
„Die ist gewärmt sogar im Winter, wenn der Kamin im Parterre eh be-heizt wird. Was dann freilich auch zu Ihrem Aufgabengebiet zählt, ich mein das Ofenschüren“.
Dass die Haarkünstlerin keine Zofe ist, sondern die Prinzipalin Pro-podonsky wird die Madame nie erfahren, denn die Prinzipalin hat sich still die Stiege hinunter davongeschlichen.
Wie auch schon die vorige Zofe.
Zur selben Stunde wird im Hoftheater gesungen, auch wenn es ge-schlossen ist. Ein hohes F erhebt sich in den Schnürboden, ein dreigestri-chenes Gis, ein H, und danach ist der Himmel offen und nur noch die Cherubim und Seraphim können mit Fug in die Coda einfallen. Der Hof-kapellmeister kommt gerannt um zu sehen welche Primadonna da singt. Aber es kann keine Primadonna sein, der Cantus wechselt doch in eine Kirchentonart ! Sie singt phrygisch. Phrygisch !
Der Hofkapellmeister hat es nur einmal gehört, als er in San Giovanni im Lateran war, und wahr-haftig, die unsichtbare Stimme singt Palestrina. Der Hofkapellmeister schaufelt sich zwischen und unter den Leinwand-hängern durch, den pensionierten Panoramen früherer Opern : Armida, Orpheus und Eurydike, Don Giovanni, und aus jedem regnet Staub auf ihn herab, altehrwürdiger Bühnenstaub.
Zwischen dem Felsprospekt für den Idomeneo und dem Gartenprospekt zu Le nozze de Figaro steht ein verschlissener Mensch. Er weiß es nicht, noch nicht, dass der Verschlissene Strönebald ist, einer von Propo-donskys Leuten. Angesetzt auf ihn, den Hofkapellmeister.
„Wer hat da gesungen ?“
„Das Fis wah ziemlich unsaubeh.Was Wundeh in dieser staubigen At-mosphähe.“
„Wenn ich diese edle Kehle zur Verfügung hätte, ich würde Händel stracks hier wieder aufführen, il divino !“
„Dann tun Sie‘s doch.“
„Was erlaubst du dir, Kerl.“
„Bedanke mich füh den Kehl“ lächelt Strönebald und läßt den Hof-kapellmeister eine kurze Kadenz hören, so dass der von Theaterstaub um-raucht ins Husten kommt.
„Sie haben gesungen - ?“
„Ich. Johann Heinhich Sthönebald mit Namen. Die Ehhe ist ganz mei-nehseits. Ich wähe andehs nicht vohgelassen wohden. “
„Aber derlei meistert doch nur ein Kastrat !“
„Ich bin ein Kasthat.“
Der Hofkapellmeister hat Tränen in den Augen, als erscheine ihm die Madonna persönlich, im Strahlenkranz, und sänge für ihn eine Arie von Vivaldi.
„O miracolo, miracolo…dass Sie überlebt haben…Maestro…“
„Ich bin kein Päpahat in Spihitus. Ich habe meine Stimme vehsiegelt in meinem Hals und bestheite mein Auskommen als Hahfenist.“
Seine Noten, bricht es aus dem Kapellmeister heraus, oh wenn er doch seine Noten bei sich hätte und einem wie ihm, einem mit einer Wunder-stimme vorweisen könnte was er komponiert hat, vorauskomponiert für die Krönung : großes Orchester, ja ! und Doppelchor, üppig Bläser, sogar Glockenspiel !
Und hätte er einen Sopran gehabt wie den des Mösjö Strönebald, er hätte, er wäre, er würde in die Musikgeschichte eingegangen sein oder zumindest in die nächste Ausgabe der Allgemeinen Musicalischen Zei-tung zu Leipzig, und keine Rede wäre danach mehr von der Missa solemnis dieses Beethoven.
Was aber war schlussendlich Polyhymnias Beitrag zum gestrigen Er-eignis ? Dieser Krönung, die keine war ? Ein Trommelwirbel, exekutiert von der nächstbesten Wachmannschaft. E basta. Una incoronazine secco, eine trockene Krönung, welche Schande für alle Kunstausübenden. Das setzt diesem Pferdestall-Königtum die Krone auf.
Eine Krone aus Rossäpfeln.
In diesem Augenblick werden die Leinwände zwischen ihnen hochge-zogen. Es fällt kein Staub mehr, denn ihren Staub nehmen die Hänger mit in den Bühnenhimmel des Schnürbodens.Und die beiden stehen unge-schützt auf der leeren schummrigen Bühne.
Aus dem Zuschauerraum, ebenso schummrig, wird gebrüllt : “Zivilisten haben die requirierte Lokalität tout de suite zu verlassen !“
„Der meint uns“ zischelt der Hofkapellmeister. Und derjenige der ge-brüllt hat, steht nun im Licht. Einer in Uniform, seine silbernen Tressen glänzen im Geflacker der Armleuchter, die zwei Reihen Knaben in mili-tärisch akkurater Formation hereintragen, ungehindert durch das rotbe-samtete Gestühl des Parterres, denn das ist abgebaut und seitlich weg-gestapelt worden. Wenn die beiden vordersten Bübchen die Bühne er-stiegen haben, zieht eines seinen Degen, fuchtelt dem Kapellmeister vor dem Jabot und schreit „Abgang, messieurs, Abgang !“
Und läßt seinen Degen lachend aber bedrohlich durch die Luft sausen. Die andern Kadettchen machens ihm nach.
„Ich muss um Pardon bitten für den Bankert,“ tuschelt der Hofkapell-meister und zieht Strönebald mit sich fort „vor kurzem hat er noch einen von den drei Knaben gesungen in der Zauberflöte.“
Attention wird gerufen, sergeantenartig wird gerufen, Aufstellung, Grundstellung wird gerufen, richt euch, Rapiere in exposition, wird’s bald, das gilt auch für den Bengel da hinten wird gerufen und die Bühne profanisiert zum Fechtboden für die Kadetten.
„Dabei haben wir eigentlich gar keine Kadetten ! Aber der Bonaparte verlangt bereits Truppen von uns für seinen nächsten Feldzug und wartet nebenan in der Residenz drauf, dass er sie gleich mitnehmen kann.“
Der Kapellmeister breitet die Arme aus, als winke er dem Orchester ab, das er nicht mehr hat.
„Wenn einer von den Saububen hört dass Sie ein Kastrat sind sticht er Sie mittendurch und gibt noch frech heraus es wär zu Übungszwecken und Sie sein Sandsack“.
Zur selben Stunde ist Christian Justus Amadé Langebehn bereits im Palais Holnstein vorstellig geworden und im Palais Piosasque de Non, beim Vorstand der Gilde zum Guten Hirten, bei der Gesellschaft Polyhymnia und den Logen vom Goldenen Zirkel und von der Silbernen Kelle, bei der kurfürstlich privilegierten Societé des Chausseurs und bei den kurfürstlich privilegierten Thaliafreunden.
Vergebens, fruchtlos, für die Katz. Er hat mannigfach Witze angehört über heiße Rossäpfel, die ihn nicht gewärmt haben. Denn es ist Propo-donsky, der heute in seinem, Langebehns Mantel mit dem Pelzkragen unterwegs ist. Nach den Witzen über die Rossäpfel und in sie verknotet hat Langebehn Klagen über sich ergehen lassen vom plebejisch Schmucklosen des neuen Regimes, über ausgesperrte Künste und unge-beten einmarschierte Gesetze, durch die Bank abgefasst auf französisch und im Korporalston, Klagen über dragonerisches Banausentum und dazwischen eingestreut immer wieder über Rossäpfel.
„Und haben Sie den schon gehört : wenn der Premierminister ausrei-tet, er hat zwar keinen Hintern zum Aufsitzen, hahaha, weil er besteht reinweg bloss aus Paragraphenpapier, hahaha – aber er reitet trotzdem aus, er muss ja seine Schreibfeder Gassi führen hahahahaha – ?“
Christian Justus Amadé Langebehn ist der Hals kratzig geworden von der vielen höflichen Mitlacherei, seine ausgekühlte Stimme droht ihm an, dass sie ihn alsbald verlassen wird. Langebehn drängt es ins Warme, hinter ein doppelflügeliges Portal hinter dem ihn diesmal kein Türsteher erwartet, sondern Weihrauchgeruch. Er schiebt sich in etwas, das ihn an-genehm an einen Ohrensessel erinnert, ungebeiztes Holz zwar, aber unter den gegebenen Umständen fast wohnlich. Langebehn zieht seine Glied-maßen an sich, umklammert sie mit seinen gelb behandschuhten Händen. Diese Handschuhe hat er seinem Prinzipal nicht überlassen, so sehr der auch gequakelt hat von einem imposant hochherrschaftlichen Erscheinungsbild anlässlich seiner besonderen Mission, bei der gerade rindsgelbe Handschuhe mit hochgenähten Raupen auf dem Handrücken unver-zichtbar seien.
Vergebens gequakelt, Propodonsky. In diesen zehn Lederfutteralchen seiner Handschuhe steckt zehnmal die Seele ihres Herrn, der sein impo-sant herrschaftliches Erscheinungsbild nicht weggibt als wäre er irgend-ein Kostümverleiher. Langebehn umarmt seine Beine, und die Beine schmiegen sich in die Arme.
Enger zu mir, mes amis !
Er liebt sie, er verehrt sie, er wärmt sie, weil sie Christian Justus Amadé Langebehns Gliedmaßen sind. Sein dritter Vorname ist gekeltert aus amare deus, was sich von Gottesliebe herleitet. Der Gott, der geliebt ge-hört ist der Gott in Jünglingsgestalt, ist Christian Justus Amadé Lange-behn.
Mit der Reife seiner dreiundvierzig Jahre hat er an das Kunstwerk seiner Personalité sorgsamer den Meißel gesetzt hat als mancher nach-gewachsene Jüngling wie etwa dieser Kunterkasten. Kunterkasten ! Lan-gebehn muss über den Namen kichern selbst in dieser kirchenkalten Um-gebung, und fällt in einen gnädigen Schlummer.
„Quelle surprise ! Ein Pfarrkind, das sich erleichtern möchte !“
Es ist eine Stimme, die aus nächster Nähe in Langewehns Ohr pustet und ihn aus dem Kälteschlaf reißt.
„Es finden sich nur noch spärlich Beichtkinder ein heutzutage. Den wenigen aber kann ich mich mit auserlesener Liebe zuwenden“ haucht ihm die Stimme warm ins Ohr. Die Steifheit seiner Glieder hindert Lan-gebehn daran sich davon zu machen. Er wälzt sich nur um die eigene Achse, zu einem ovalen Gitter im dunklen Holz, gegen das sich ein rund-liches Bäckchengesicht drückt. Freilich, mit seiner Drehung hat Lange-behn auch etwas von der wieder gewonnenen Wärme seines Körpers frei-gegeben, und das steigt dem Priester in die Nase.
„Was schleppst du da ein, mein Sohn ! „
„Wie meinen ?“
„Den pestilenzialischen Gestank des Hurenhauses.“
„Mein Parfüm ist in Grasse destilliert, Departement Alpes-Maritime“.
„Erleichtere deine Seele um die Sünden die sich um dieses Parfüm ranken.“
„Darum ranken sich keine Sünden, sondern ein guter Verdienst. Da-zumal. Gekauft hab ich es in Paris“.
„Paris, der Bauchnabel des Antichristen. Da köpfen sie sogar ihre Könige“.
„A la bonne heure. Bei der von Marie Antoinette war ich sogar in Person mit dabei. Sie hat sich unter allem Niveau präsentiert, unsäglich.“
„Das ist Todsünde !“
„Nicht für mich. Ich bin als Protestant auf die Welt gekommen und immer noch protestlerisch. Jetzt bin ich beim Jakobiner angelangt, Pfaff.“
Der Beichtvater bekreuzigt sich entsetzt, aber nach dem zweiten Kreuzzeichen hält er inne.
„Komm zu mir in die Sakristei.“
Auf Langebehns gelb bekleideten Händen liegt plötzlich eine andere Hand, gekrochen aus dem kleinen Durchschlupf, aus dem das Beichtkind sonst den Beichtzettel empfängt. Eine Pranke in einem grob gestrickten Fingerhandschuh.
„Es ist geheizt in der Sakristei, spürt du’s ? Der rechte Rahmen um dir die Absolution zu erteilen über die Mauern der Konfessionen hinweg, mein schöner Sohn.“
„Komm näher mit dem Ohr, Priesterchen.“
Und als es geschieht, stößt Langebehn ihm die Zunge so tief in die Ohr-muschel wie er irgend kann. Der Beichtvater grunzt wie ein Eber, den eine Schrotkugel getroffen hat. Aber dann stößt er seine Zunge durchs Gitter zurück, auf Langebehn. Und bleibt mit der Spitze im Ornamen-tengezacke des Gitters hängen. Langebehn schlägt mit der Faust darauf.
Seinen Abgang will er mit dem Zuschlagen der Kirchentür krönen. So kräftig dass es die Angeln aus der Mauer reißen soll. Aber der Türflügel schleicht und schleicht, ein von Rost vergichteter Veteran der Kirche, schleicht so griesgrämig dem Mittelpfosten, zu dass Langebehn seine An-kunft dort nicht abwartet und flieht.
Diesmal wieder vor der Kälte.
Zur selben Stunde steht der dicke Käpernick erhöht und hat viele Leu-te vor sich und eine Versammlung von Hirschgeweihen an der Wand hin-ter sich. Käpernick ist der letzte den Propodonsky ausgesandt hat, und auch er hat sein Sprüchlein hergesagt von der Beglückung die man erfährt wenn man alte Römer vor sich hat, je edler desto beglückter wird man sein, aber der Wirt hat ihm entgegen gelacht meine Gäste wollen doch keine Römer, die wollen Spassetln und Blutwürst und hat ihn schon hinausweisen wollen, weil Käpernick sich nicht anschickte eine Zeche zu machen.
Aber als Käpernick schon in der Tür war, hat einer von den Schank-kellnern auf Käpernick gedeutet.
“Schau Wirt, der hatscht davon wie a beleidigte Spinatwachtel.“
Und der Wirt hat dem Käpernick nachgerufen, er soll zurück kommen und noch einmal hatschen wie eine beleidigte Spinatwachtel, und schon sind drei andere Schankkellner drum herum gestanden. Und wie sie ihm zugerufen haben jetzt hatschen wie eine beleidigte Leghenne, ist er gehatscht wie eine beleidigte Leghenne und nun sind auch Gäste aufmerksam geworden, Gäste wollen ja Spassetln und nicht bloß Blutwürste. Und schon hat der ebene Bretterboden nicht mehr genügt, aufn Tisch steigen soll er damits alle sehen ! und Käpernick ist auf den Tisch ge-klettert und hat sich aufgeführt dabei wie ein Gockel der stottert, ist herumgetorkelt wie ein besoffene Dame die ihren Reifrock verliert, hat sich aber behände verwandelt in einen Stier mit gesenkten Hörnern und einem Schluckauf.
Sodass Kellner wie Gäste zurückgewichen sind. Und nun steht Käpernick schon seit zwei geschlagenen Stunden nicht mehr bloß auf einem Tisch, sondern auf dem Podium, wo sonst die Musikanten auf-spielen, röhrt auf Zuruf, blökt auf Zuruf, macht den Gaudiburschen auf Zuruf und die Gäste des Goldenen Hirschen können sich nicht sattsehen.
„No amal ! Dös soll er no amal machen !“
Zur selben Stunde schreit Kunterkasten schon lange keinen Holzstapel mehr an. Schuff kommt zurück. Von weitem ist ihm schon anzusehen, dass er nicht mit heiterer Botschaft unterwegs ist. Langebehn kurz da-nach, genauso einsilbig. Die Demoiselle, noch einsilbiger. Zuletzt Lucille de Brée und gleich darauf Käpernick. Er schwankt gehörig und strengt sich an, es die anderen nicht merken zu lassen. Aber die blicken eh unter sich. Mit den Lauten aus seinem Schlund tut sich Käpernick schon schwerer, denn er ist nicht nur getränkt, er ist auch üppig gespeist worden. Er muss sich die halbe Faust in den Mund rammen, damit ihm keine Aufstoßer entweichen und den anderen nicht die seligmachende Botschaft von Blutwürsten mit Sauerkraut überbringen. Die aber für sie eine unselige Botschaft wäre, denn er sieht ihnen an : außer ihm ist niemand verköstigt worden.
Kunterkasten ist der einzige, dem Strönebald eine Anrede wert ist : „Fheund, ich hatte ehwartet du legst wenigstens noch einen Sack um mei-ne Hahfe. Sie ist empfindlich wie eine Fhau“.
Und umarmt seine Harfe, wie eine Frau. Strönebald ist der einzige, der ein vertrautes Wesen bei sich hat, an das er sich schmiegen kann.
“Ein Gad minus, und sie zahlt es mih heim mit vehstimmten Saiten bis in den Sommeh hinein.“
Die anderen drehen sich um sich selber, stampfen, führen bizarre Tän-ze auf ohne das ihnen tänzerisch zumut ist, wuchten mit den Armen aus nach unsichtbaren Gegnern, treten nach unsichtbaren Hunden, um sich Wärme in die Leiber zu pumpen. Als einer in einem hochnoblen Mantel mit Pelzkragen zu ihnen tritt, ist der Frier-Tanz plötzlich zu Ende. Nicht weil sie nun bereit echauffiert genug wären, sondern weil es ihr Prinzipal ist, der sich so stumm unter sie geschlichen ist. Vor ihren Mündern tanzt der Dampf und umwabert den Prinzipal wie Gottvater mit Wölkchen.
Der Prinzipal hatte von Langebehn den Überzieher gefordert. Habe er doch einen Auftritt beim Unterhofzeremonienmeister, da stehe und falle fast alles mit einer Kostümierung comme il faut, und Langebehn hatte sich doch aus vermögender Familie heraus Propodonskys Compagnie angeschlossen. Woran der Pelzkragen erinnert sowie das Geheimfach auf Höhe der Leber, das sicher eingenäht noch immer ein Restchen Verfügungskapital enthält.
Von dem freilich der Prinzipal nichts ahnt, der sich nun so finster aus dem Mantel schält, dass keiner seiner Untergebenen nachzufragen wagt, ob er vom Unterhofzeremonienmeister etwa eine weniger bitteren Be-scheid mitbrächte als sie selber.
Kaum sind die Arme des Prinzipals an der kalten Luft, hämmert er damit verzweifelt gegen seinen Rumpf, als müsse er die Nachricht die er bekannt zu geben hat, unter Qualen aus sich herausprügeln.
Hier in dieser Stadt ist kein Plätzchen für Schauspielkunst mehr frei, hämmert er, ohne warm zu werden. Überall Truppen,aber keine Schau-spieltruppen, sondern Kampftruppen, und dazwischen Pferdeäpfel Pfedeäpfel Pferdeäpfel. Seine, Propodonskys Truppe, die unter dem Oberbefehl der Kunst steht, wird darum schleunigst flussabwärts weiterreisen, hämmert er.
Nein, kein Rückzug.
Ein Vormarsch. Auf Wien, Kapitale der Künste und des Hochge-schmacks. In Wien ist der Hof noch intakt, in voller Pracht und Blüte. Der Kaiser ist noch immer der Kaiser. Und wer will noch Kaiser sehen, Augustus und Heliogabal und Karl den Großen, seinesgleichen, wenn nicht eben der Kaiser ?
„Des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ hustet er vor sich hin und es klingt fast wie eine Verwünschung.
„Und das seit tausend Jahren.“
„In Wien freilich erst seit gut sechshundert Jahren“ merkt Langebehn süffisant an, nun wieder in der schützenden Wärme seines Pelzbekrag-ten.
“Das enthebt uns freilich nicht der Frage : wie gelangt man dort hin ?“
Der Prinzipal schluckt eine weitere Verwünschung hinunter, die dies-mal dem Verlust des Pelzmantels gilt und dem, der darin steckt, reckt aber dann einen Arm aus zu einer grandiosen Geste. Und lenkt damit aller Blicke auf ein Ungetüm aus zusammengefügten Fichtenstämmen, das unten im Fluss vertäut ist und an dem die Strömung reißt.
„Das ist ein Fahrzeug, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf -“
es ist an Langebehn auszudrücken, was alle denken, wenn auch weni-ger poliert, was aber nur er laut zu sagen wagt „- welches zum Transport von Vieh dient.“
Ein Drittel seiner Fläche ist schon voller Bauholz und frisch gezimmerter Bauernschränke.
„Das ist ein Ordinarifloß.“
Kein Floß etwa, das ordinär wäre, vulgo gewöhnlich. Vielmehr ein Floß das einen festen Fahrplan einhält. Nicht auf die Viertelstunde genau, aber auf den halben Tag genau. Im Winter sehr selten verkehrend, eigentlich gar nicht, deswegen heißt es beherzt zugreifen auf diese occasion. Dass das Ablegen dieser occasion damit zusammenhängt, dass flussabwärts ein französisches Armeekorps auf Schlachtvieh wartet, das gleichfalls mit diesem Floß reist, das tut der Prinzipal tunlichst nicht kund.
Wie die Herrschaften sich bitte vorstellten dass man sonst reisen soll ? Ob die hochvehrten pp Mitglieder gar Equipagen wünschten zur Beför-derung nach Wien, etwa gar vierspännig ? Und alles auf seine, Propo-donskys Vorauskasse ?
Da hat er sich in ein Thema hineingepoltert, das zu beschweigen ihm bis heute Morgen gelungen war. Bis Käpernick bei der Frühsuppe wie an allen Morgen die Gefährten flüsternd gefragt hat, ob er auf der Gasse singen solle, zur Drehleier und seinen Hut vor sich hinstellen.
Heute morgen aber hat ers überlaut gefragt, hinein in des Prinzipals harthörige Ohren. Jetzt spitzt Strönebald die Lippen, um Käpernicks Frage noch einmal zu stellen. Die Offerte aus dem Hoftheater hat ihn seines Wertes bewusst gemacht, wenns auch nur ein Wert im Elysium vergangener und verpönter Gesangskunst war.
Der Prinzipal weicht diesmal nicht aus auf ungenannt bleiben wol-lende Gönner, bewisperte Kammerherren in der Hofkanzlei oder gar den eigentlich längst überfälligen Ruf nach Weimar. Er murmelt es zwar, aber er murmelt es wie einer, der selber nicht glauben kann, was er verlautbart. Es gebe da gewisse, nun ja, Kirchenkreise, die für das Salär, nun ja, gerade stünden. Und dieses sei mit drei Gulden nicht eben gering. Drei Gulden pro Person bis in die Kaiserstadt ! Zu entrichten im voraus. Wie-teres möge man, ich bitte die Herrschaften um die Gnade fürs erste nicht aus ihm herausfragen.
Mit der Kirche also hat er getechtelmechtelt, ach Gottchen, wer ist denn schon noch Kirche heutzutage. Hat der Prinzipal gar mit dem Erzbischof soupiert, wispert es unter den Komödianten, und derweil uns Leibeigene von Pontius zu Pilatus gehetzt? Und wenn schon, ach Gottchen, ein Erzbischof, wars der von Salzburg, oder gleich der von Wien ? Oder gleich der päpstliche Nuntius, oder bloß ( grinst Käpernick ) ein Diakonchen, welches für die Obdachlosen-Speisung zu sorgen hat ?
„Auf die Reise also, con brio !“
Die Einschiffung freilich wird erst unmittelbar vor der Abfahrt morgen früh möglich sein. Die Compagnie faucht wie mit einer Stimme.
„Ja, wer sind wir denn !“
Patience, patience, die Nacht wird man in der Herberge dort an der Floßlände verbringen. Alle wenden sich nach der Herberge um.
„In Frankreich nennt man derlei Etablissements neuerdings Hotels“, weiß Langebehn, „man richtet sie in Adelspalais ein, die in den Besitz des Volkes übergegangen sind.“
Jeder versteht, sie kennen ihren Langebehn. Der möchte ganze Gebäu-de freigeräumt kriegen als Schonraum für sich und seine übergroße Anima. Anspruchsvoll wie nur ein Jakobiner.
Langebehn ist ein Jakobiner.
“Ich betone Adelspalais !“
Die Herberge die ihm und den andren stattdessen zugedacht ist, steht so abgekanzelt zwischen hohen Holzstapeln, als fürchte sie dass die Stämme auf sie einprügeln.
„Ein Objekt nur für allerschlichteste Ansprüche“ tut Langebehn seine Einschätzung kund, im stillen Einverständnis mit den Kollegen.
„Genau genommen für solche, denen überhaupt keine Ansprüche mehr erlaubt sind. Die Erniedrigten und Beleidigten. Les Miserables“.
Die Schauspieler-Compagnie des Directeurs Propodonsky wird ihre letzte Nacht in der königlichen Haupt- und Residenzstadt München in der Flößerherberge zum Grünen Baum verbringen. Die Mitglieder sind in Propodonskys Hand, sie sind in den Pass des Prinzipals amtlich mit ein-getragen und ein Pass ist ein papierener Juwelenschatz in diesen Zeiten der sich so jäh wie unberechenbar verschiebenden Militärgrenzen. Und wenn der Prinzipal ihnen nun befiehlt, das Gepäck ins Wirthaus zu tragen, sind sie alle botmäßig. Auch Langebehn. Seine Sottisen waren nur eine Leihgebühr, die er für die unbedankte Überlassung seines Mantels einkassieren musste, hat diese Kostümierung dem Prinzipal doch ersicht-lich Gewinn erbracht.
„Frisch frisch, die Herrschaften !“
Wenn Propodonsky seinen heroischen Bariton einsetzt ist er der Löwe in der Hammelherde nicht nur seiner Stimmkraft wegen. Jüngst hat er über Schuff, den Intriganten und sanftesten Menschen der Compagnie zwei Tage Stubenarrest verhängt, weil der einen Satz eingefügt hatte der nicht im Textbuch stand, und Schuff hatte zudem den Wachposten vor der Stubentür bezahlen müssen. Schuff steht dafür noch in der Kreide. Alle in der Truppe wissen, dass die Prinzipalin über diese Schuld mit Zins und Zinsenzins weiterhin Buch führt bis der Delinquent sie abbe-zahlt hat.
Alle greifen sich nun einen Brocken der Propdonskyschen Fracht. Der Prinzipal den Leinensack mit den Textbüchern, Madame Prinzipalin de Brée und die Demoiselle Pfrenhuber den Spanholzkoffer mit den Pe-rücken und Kostümen für die Damen, Langebehn den Schrankkoffer mit den Kostümen für die Herren, Kunterkasten und Käpernick die Truhe mit den Requisiten, in der mehr Kronen verwahrt sind als Europa Könige hat und Strönebald lädt auf das Wägelchen, auf dem seine Harfe steht den Leinenkoffer mit den Schminktöpfen.
Wenn sie sich in der Herberge jeweils ihrer Last entledigt haben bewerfen sie sie mit Sätzen, als sei das Gepäck eine Person:
“Der Gattin Schmerz erkenne du und ihre Sorgen/du der du selber sorglos bist“.
Die Sätze sind auswendig gelernt und memoriert, jetzt aber werden sie geschleudert als sollte jedes einzelne Wort den Prinzipal ins Gesicht treffen.
„Tyrann erkenne: zählbar mögen sie geworden sein / die Tage da du das SSzepter schwingst über diese deine Bürger“.
Und der Prinzipal kann nicht einmal Strafen verhängen wegen In-sub-ordination, frischt die Compagnie doch nur sein Rollen-Repertoire auf.
Das Repertoire des Prinzipals.
„O Harm und Plagen allzu zahlreich / wann mündet ihr in einen strahl-’nden Tag !“
Wenn sich die Satzstücke sich zu einem Ganzen vereinigen, ergeben sie die Tragödie in fünf Akten König Timotheus‘ Erhöhung oder Der Brudermord zu Kolonos. Tragödie in fünf Abtheilungen aus dem Franzö-sischen des Marquis de Laconte.
Wenn die Schauspielcompagnie in Wien gelandet sein wird, soll sie dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vorge-führt werden. Dargestellt durch die Demoiselle Isabelle Beatrice Pfrenhu- ber, die jugendliche Liebhaberin. Christian Justus Amadé Langebehn, den jugendlichen Liebhaber und Helden. Madame Lucille Adrienne de Brée, Erfüllerin des restlichen weiblichen Faches von der Salondame über die Tragödin bis zur Heldenmutter. Joseph Maria Sylvester Schuff, Charak-terrollen-Träger und namentlich Intriganten. Johann Heinrich Strönebald, den Souffleur der auf seiner Harfe sämtliche Geräuscheffekte entstehen zu lassen weiß, die ein Bühnenspektakel braucht. Caspar Ignaz Franz Kä-pernick, den Beleibten und Inhaber des komischen Fachs mit dem Hang zum Derben.
Und Christian Asmus Fürchtegott Felix Kunterkasten, den Neuling in der Truppe mit der Antwartschaft auf die Partie des zweiten jugendlichen Helden, einstweilen aber in der für alle hilfreichen Position des Akteurs den man bald hier bald da einsetzt, genannt grande utilité.
Und alle diese angeleitet von Philipp August Theophil Propodonsky, schwerem Helden, histrio primus und rex leonorum, wie er sich selber nennt, sowie princeps spectaculorum, wie er sich gerne nennen hört.
Porpora
„Auf gehts ! De Ochsn kemman z‘erscht dro.“
Rindergebrüll, Treibergebrüll von der Floßlände herauf. Propodonsky hat am Ofen in der Wirtsstube übernachtet, seine Gelenke kommen ihm so grob behobelt vor wie es die Bank unter ihm ist. Auch zwei Jutesäcke, die er zwischen sich und der grausamen Bank ausgebreitet hatte, konnten nichts ausrichten gegen dieses nächtliche Behobeltwerden. Zwei borstige Ungeheuer, für Rüben bestimmt statt für einen Heldendarsteller, hochmö-genden, nun aber behobelten Prinzipal. Von dem sich in dieser Nacht die Götter des Theaters, die das Schöne Wahre und Gute verwalten gänzlich abwandten. So dass der histrio primus und rex leonorum gezwungen war, aufs unwürdigste durch die Flösserherberge zu schleichen auf der Suche nach einem weicheren Bettzeug. Die ersten Hähne krähten bereits, als er in der Remise hinterm Haus endlich fündig wurde. Die Beute an sich gerafft, hatte ers aber dann reglos durchzustehen, dass eine Küchenmagd und ein Flößer ihre Wollust befriedigten just hinter der einzigen Tür, die er unverriegelt wusste.
Zugedeckt ( aber das musste er sich mehr aus der Ferne ausmalen als dass ers warm genossen hätte, weil die Magd noch einem zweiten und dritten Flößer liebesdienstlich war ) zugedeckt hatte er sich shleßlich mit Eigenem, den Kostümen der Herren Franz Moor, Richard III., Polonius und dem eines Intriganten aus einem Drama von Gottsched, dessen Titel er im Wegschlummern gesucht aber nicht mehr erinnerte. Was solls auch, es ist ja Schuffs Fach.
Schuff, der das Intrigantenfach in seiner Truppe versieht, hat Propo-donsky im ersten Stock unterkommen lassen, zusammen mit Käpernick, Strönebald und dem jungen Kunterkasten. Pompöse Nachtruhe sollten sie halten dürfen da droben, verglichen mit der seinen. Einen Treueschlaf, der sie ihm verpflichtet, denn er wird ihre Treue brauchen auf der wie-teren Reise. Lediglich Langebehn, die Primadonna aus Selbsternanntem, hat sich selbst eine eigene Kammer spendiert.
Dafür musste er auf des Prinzipals Geheiß die Requisiten als Schlafgäste mit aufnehmen. Ausgerechnet Langebehn der Schubiack, grätzt Propodonsky in sich hinein, hat sein Nachtlager mit einem Dutzend Kö-nigen und Kaisern teilen dürfen, zumindest mit deren Herrscher-Insignien.
Und neben seinem Nachtgeschirr die Reichskleinodien.
„Her mitm Viech !“ brüllts draußen, und das Vieh brüllt dawider. Ein verbrüllter Morgen, ein vergrämter Aufbruch, und der Prinzipal beginnt die Reise zum Kaiserhof von einer Ofenbank aus, die gebeizt ist mit dem Afterschweiß von Flößerhintern die generationenlang darauf gehockt ha-ben und dabei ihren Harn nicht halten konnten, und der nun grausam in des Prinzipals Schlaf dämpfte. Gott sei vor, dass seine Compagnie erfährt wie wenig prinzipalhaft dieser Schlaf war, also stantepede hinunter zur Lände.
Propodonsky muss der erste sein auf dem Floß, vor der Truppe. Immer im Einsatz, immer der Patron, immer der Sorgvater seiner Läm-merschar. Und wie lohnts ihm die Mimen-Meute ? Sie mault und muckst und krittelt, jeder für sich ein Großherzog mit werweißwas für ausladend stukkierten Ansprüchen. Und hat doch nur die weißgott geringe Pflicht zu erbringen, das Pflichtlein, sich zu verkleiden und einen Text laut her-zusagen mit dessen Abfassung sich lange vorher ein anderer geplagt hat. Während der Prinzipal noch viel länger vorher mit seiner unfehlbaren Göttervaternase die Dramen und Komödien zu erwittern hatte, die einem die Huld geneigter Gönner einbringen. Die seine Mimenmeute dann durch ein Loch im Vorhang betrachtet und dabei hämt :
“Hélas ! Und vor denen zwingt man uns schon wieder zu spielen. Wer sind wir denn…“
Wer ist er denn. Wie er da am Kai steht, an der Floßlände, zwischen groben Holzkerlen und Fahrensleuten. Er ernennt, mürrisch kontrapunk-tisch, diesen Moment zu einem der großen Auftritte seiner Laufbahn. Be-deutender Prinzipal an der Spitze einer undankbaren Compagnie im hi-storischen Moment seiner Einschiffung mit dem Ziel Kaiserhof ! Fatal, dass niemand zur Stelle ist um ihm über die linke Schulter zu spucken nach Bühnenart und ihm bon courage zu wünschen.
„Öha !“
Ein Schrei wie von einem Ochsen. Viel zu breit unten im Zwerchfell angelegt, befindet Propodonsky. Von einem Urkerl mit einer urlangen Stange, daran zwei brutale schmiedeeiserne Haken. Einer kurz, einer zum Fürchten lang. Der Urkerl stößt ihm die Stange quer vor die Brust.
„Schleich di und Platz g‘macht fürs Vieh !“
Und räumt den Prinzipal mit seiner Stange beiseite, als wär der selber ein Stück Vieh. Verwehrt dem Prinzeps der Komödianten und Tragöden den Auftritt auf einer noch unerprobten Bühne. Die Stange mit den Eisen-haken erzwingt anderen den Vortritt, Kleindarstellern, ungehobeltem Plebs, der auf Kuhrücken einprügelt. Die auf die eingeprügelt wird, die Rinder, gelüstets gar nicht nach der Bühne, die dem Prinzipal Propo-donsky verwehrt wird. Und so setzt es weiteres Prügeln, das Hornvieh murrt, wie Propodonsky es kennt von seiner eigenen Herde, das Hornvieh wird gescheucht mit Ochsenfieseln wie Propodonsky sie sich ein übers andere mal gewünscht hat wenn seine Schauspieler störrisch waren. Propodonsky gerät zwischen gehetzte Rinderleiber, wird eingekeilt von Rinderbäuchen wie von Mahlsteinen. Die Wasserfälle die ihn nässen, sind der Lefzenschaum der Rinder, ihre Hörner richten sich geradewegs auf seinen Bauch, seinen Rücken, seinen Hintern. Wenn er beiseite zu springen versucht, sausen Ochsenziemer auf ihn nieder, seine Beine verhaken sich mit strauchelnden Rinderbeinen. Er strauchelt selbst, das Hornvieh trampelt über ihn weg, muht Empörung dass da ein Men-schentrottel zappelt und dabei brüllt wie das Vieh selber. Wenn es end-lich zum Stehen kommt, ist der Prinzipal zum Liegen gekommen. Auf einer weichen Unterlage, wie sie ihm heut Nacht gefehlt hat. Einem Bett aus Kuhfladen.
Eine Horde Ziegen galoppiert aufs Floß, dem Gemecker nach mit hohem Vergnügen, schwebt doch über ihr eine Harfe. Strönebald stemmt sie sich mit beiden Armen über den Kopf, seine Füße werden von den Ziegen vorangetrieben wie von einem Wildbach. Als sich die Herde vor ihm über die Richtung nicht einigen kann, die eingeschlagen werden soll, verlassen Strönebald seine Kräfte, sein Instrument donnert auf die Zie-genrücken und dröhnt vielstimmig und vielsaitig.
Bedächtiger schon der Auftritt von Kunterkasten und Käpernick. Sie haben die Requisitentruhe zu schleppen, bedrängt von einer Schar Schweine, die ihre Schnauzen gegen das Kistenholz puffen als seien sie gelüstig auf die Kronen, Diademe und Trinkpokale von der Tafel Cäsars und Prosperos, die darin scheppern. Perlen vor die Säue, an diesem Mor-gen wirds Wirklichkeit.
Schuff, die Demoiselle und die Prinzipalin mit den Kostümen der Acteurs müssen mehrfach eiligst ausweichen Sakra Leit, gebts doch Obacht, weil Bierfässer herangeschafft werden, in bunter Reihe mit Tuchballen, Bauholz, Getreidesäcken, Bündeln aus Dachschindeln. Da-zwischen räumen Floßknechte mit ihren Hakenstangen Raum frei für abgezählte fünf Weinfässer, die von je zwei französischen Grenadieren sorgsam herbeigetragen werden statt ordinär gerollt und bewacht von einem dritten Grenadier mit aufgepflanztem Bajonett.
Langebehn lässt den Rassel an sich vorbei. Er ist einer der letzten die sich einstellen. Die hin- und her wogende Szenerie zu so früher Stunde geht über sein Fassungsvermögen. Langebehn ist krass fehlbesetzt auf diesem Floß, und er setzt all seine Schauspielkunst daran dass man ihm seine Verstimmung weithin wirksam ansieht. Wie kann man ihm, dem Abendmenschen, der sein Gewerbe bei künstlicher Beleuchtung ausübt, einen Auftritt im Morgendunst zumuten. Wer bin ich denn mäkeln noch die weißen Luftsäulchen, die aus seinen Nasenlöchern stieben und sich nach kurzem Weg als Schaum auf seinem Pelzkragen niederlassen. Wa-rum hat mans verabsäumt vor Langebehn Teppiche auszulegen über die tumben Rindenstämme ? Ist doch die seinem Fach zugeordnete Gangart das Voranstürmen mit weit voreinander geworfenen Füßen. Der Schau-spieler soll auch im gemeinen Leben bedenken, daß er öffentlich zur Kunst-schau steht hat der Zeus des Theaters in Weimar als Gesetz erlassen. Wie aber soll ein Langebehn öffentlich zur Kunstschau stehen auf einem barba-rischen Fichtenrost den Propodonsky ihm da unterschieben will ?
Wo wo wo hat er sich nur wieder verkrochen, der fehlbesetzteste aller Prinzipale ?
Das Ensemble schart sich um Langebehn, weil er zum Leuchtturm auch ihres Unmuts geworden ist, rutschend, schlingernd, stolpernd wie er. Der gemischte Chor des Ensembles leistet Langebehn die Respon-sorien : wo wo wo, vervielfacht die Anklage des ersten Helden und Lieb-habers : wo nur wo wo ist der Prinzipal !
Langebehn genießt das Aufsehen, das er angestoßen hat. Sein langer Hals vor dem hohen dunklen aufgestellten Pelzkragen windet sich in An-klage, sein Adamsapfel schnellt auf und nieder vor Empörung. Die Floß-knechte haben Gelegenheit, den erlesenen Zorn eines Herrn von Stand zu bestaunen, den man heimtückisch ins falsche Logis gelockt hat. Die kalte Wut der Kollegen erwärmt ihn, aber die Stimmführung darf er ihnen nicht überlassen, er muss Solist bleiben, das Widrige überwinden, das Niedrige als niedrig brandmarken. Muss über den Kuhfladen dort sprin-gen, und sich dabei, um nicht auf dem vereisten Holz blamabel auszurutschen, an einem Ziegenhorn festhalten. Um sich den Coup nicht zu verhageln, elegant und wie beiläufigig.
Um aber der Ziege, der dabei der Part nur der Überrumpelten zuge-dacht ist, keine ablenkende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen ( der Kollegenschaft, die sein Publikum ist ) muss Langebehn zügig weiter vo-ran eilen. Wissend dass die Kollegen hinter ihm her tapsen werden.
Diese Herdentapser, und alle werden, seinem Beispiel folgend, sich am Horn der Ziege festhalten. Was ihnen nur misslingen kann, denn die Ziege ist gewarnt. Der Griff der Kollegen wird ins Leere gehen, sie werden längelang hinschlagen. Welchen wohl triffts zuerst ? vergewissert Langebehn sich aus den Augenwinkeln, voranstürmend.
Käpernick triffts. Dem gönnt ers. Darum umso heldischer voran !
Voran ist die Richtung des Helden. Die Empörung des Helden ist Vor-wärtsstoßen. Das Erobern der Anhöhe, des Podestes auf dem der Thron aufgebaut ist, des Felsen von dem aus der Held seinen Monolog richten wird an das Volk, das unten versammelt ist.
Aber Langebehn bietet sich keine Anhöhe, kein Podest mit darauf war-tendem Thron, kein Felsen. Und als Volk ist nur Hornvieh da, das ihn anglotzt ihn an wie ihn gestern die Heiligen in der Kirche angeglotzt haben. Alors, so muss es halt diese Hütte tun, der Bretterkasten in der Floßmitte. Geradewegs auf sie zu, der Held muss vorwärts stoßen, immer vorwärts, über Stapelholz per Flankensprung hinwegsetzen mit weißen dramatischen Hauchwolken vorm Mund.
Und heldisch bei der Hütte ankommen. Noch mehr Hauchwolken ausstoßen. Mit beiden die Tür aufreißen. Das Kabuff als Reisequartier in Besitz nehmen. Hauchwolken ausstoßen, die Tür hinter sich zuschlagen.
Aber die Hütte ist verschlossen.
Wie denn was denn, man öffne ! Ein kleines Räuchlein ringelt sich unter dem Giebel der Hütte hervor. Da drinnen ist geheizt. Für ihn doch, Christian Justus Amadé Langebehn, ersten Held und ersten Liebhaber, hat dort drinnen geheizt zu sein und sonst niemand. Sein Adamsapfel schnellt auf und nieder. Langebehn, nun wieder von den Kollegen um-standen, einem zweifelhaften Publikum, kommt die Erkenntnis, dass sein bis hierhin gezeigter Heldengestus verschwendet war. In spontaner Wut reißt er sich einen Handschuh von der Linken und drischt auf die Hütte ein wie mit einer Peitsche. Strafe ihr, Nichtswürdiger !
Die Kollegen grummeln Beifälliges, aber Langebehn weiß dem Grum-meln vorerst keinen Offensivdrall mehr zu geben. Kraftlos sinkt seine Rechte, die den Handschuh hält, auf den niedrigen Giebel der Hütte. Gerade lang genug, um auf ein arglistiges Extempore nicht gefasst zu sein. Ein Pferd, ein Ackergaul ganz offensichtlich, schnappt den Hand-schuh und zerkaut ihn gemächlich und mit genießerischen Grinsen. Lan-gebehn ballt die andre Hand zur Faust und fuchtelt dem Gaul damit vor den Nüstern.
Verworfene Bestie !
Keiner der Kollegen lacht. Nicht einmal Schadenfreunde. Ein ungutes Omen. Sechs Tage, Schuff hat sich unterdessen umgehört, sechs volle Tage werden das mindeste sein um Wien zu erreichen.
„Sechs Tage !“ echauffieren sich die Damen.
Und Strönebald, der Souffleur der den Schauspielern den Text zuzu-flüstern hat, hat seine flüstergewohnten Ohren aufgesperrt und vernommen, es könnten auch gut und gerne ( einen, möchtsein plötzlichen Eis-gang noch gar nicht mit eingerechnet ) an die neun bis zwölf Tage wer-den, die sie zuzubringen haben werden unter offenem Himmel, und den Unbilden des Winters ausgesetzt.
„Zwölf Tage !“ kreischt nun das gesamte Ensemble, sogar Kunter-kasten hört sich mitkreischen. Wer sind wir denn, und wo ist der Prin-zipal, der verlangt das wir zwölf Tage Winterleiden auf uns nehmen ? Für ihn, den Prinzipal. Wer sind wir denn, sind wir denn sein Vieh, solches wie es um uns herumsteht und uns wiederkäuend anstiert und über dem der Prinzipal den Ochsenfiesel tanzen lässt ?
Das Pferd das Langebehns Handschuh gefressen hat, schnaubt mit einem bauerndummen, bauernfrohen, bauerngierigen Gesicht nun auch noch nach dem andren Handschuh. Langebehn wendet sich ab. Der Gaul hat ihm den Auftritt verdorben und heimst auch noch Lacher ein. Schon steht Publikum bereit und freut sich auf die Fortsetzung.
Tod dir, du Mähre ! Grausamen Tod. Da erlöst ihn der Prinzipal. Aus-gerechnet. Propodonsky pflügt sich sich mit entschlossenen Fäusten zwischen den Rindern hindurch, Bahn dem Heldenvater ! als ein zweiter Moses durchs Rote Meer. Die aufsteigende Sonne unterstützt ihn vorteil-haft, setzt sich durch gegen die Morgenschleier, gewährt ihm gold-farbene Schlaglichter über seinem aufmunternden Mienenspiel : willkom-men auf dem Wasser alle zusammen, frohgestimmt der Aufbruch, frohge-stimmt zum Kaiserhof ! Und ob die Kinderchen schon gehört haben dass man den Kapitän, sprich den Floßmeister dass man den den Trittfürg nennt in der Fachsprache wie sie auf einem solchen Gefährt gebräuchlich ist. Und das hintere Ende des Floßes, das Achterdeck gewissermaßen, das nennt sich in eben dieser Fachsprache schlicht am Arsch.
Er muss es alleine belachen.
Und, à propos, was man da um die Hütte gestapelt sehe an Bauholz und Baumaterialien und Heuballen als zuzügliches Frachtgut, das nenne sich Oblast, man sei halt in keinster Weise allein hier an Bord, auch Holzverkäufer und Zimmerer und Melker wimmelten herum, die diese Oblast zu bewirtschaften haben, just das aber schafft doch hochwillkommnes anregendes buntes Allerlei, gell.
Und ( noch ein à propos ) an Bord, ist hier nicht am Platz, Hochsee-sprache das, Ozeanjargon, wie sie unsereinem als Theatervolk und erfahrenen Fahrensleuten geläufig ist aus Shakespeare, man erinnere sich. Der Sturm, erster Akt erste Szene.
„Auch wir, meine Kinder, erleben ja hier den ersten Akt und die erste Szene eines neuen Stücks.“
Und ob denn nun niemand wissen will was ein Gestöhr ist ?
Niemand will es wissen.
Strönebald, der Flüsterer macht sich zum Sprecher der anderen, die schweigen und murmelt dem Prinzipal die allfällige Frage nach der Hütte ins Ohr. Dem einzigen Obdach soweit man sehe hier, nun ja, an Bord. Und wann der verehrte Prinzipal sie endlich aufschließen lasse, schon im Hinblick auf seine, Strönebalds Harfe. Die Primadonna mit den kälte-empfindlichen Saiten, das Orchester der Gruppe, das die dramatischen Stimmungen ihres Repertoires auszumalen hat, wenn das geschriebene Wort versagt.
Propodonsky wählt eine andere Tonart jetzt. Vertraulich. Die Tonart dessen, der der aus einer geheimen Kabinettssitzung kommt ( Lessing, Emilia Galotti, Schiller, Kabale und Liebe ) : regrettable äußerst regret-table, aber dieser Verschlag ist exklusivst reservé, wie der Prinzipal hat vernehmen müssen. Weiteres Insistieren würde nur führen zur ( er greift sich an den Hals, richtet den Blick zum Himmel ) Verweisung vom Floß.
Er hats vom Trittfürg directement, auch dieser gehorcht nur strengen Anordnungen. Trägt jeder von beiden doch Verantwortung für seine Fracht : der Trittfürg für Holz und Vieh, der Prinzipal fürs Komödian-tenvölkchen.
Welch gelungene Melange ! Eine Nachbarschaft die ( er breitet seine Arme aus als wollte er seine ganze Truppe auf einmal umarmen, wieder tut ihm die aufgehende Sonne den Gefallen und illuminiert im Gegenlicht seine Gestik ) eine Nachbarschaft die wechselseitige Beglückung verspricht. Die Künstlerschar erhält Gelegenheit sich unters schlichte Volk zu mischen, das sonst von ihm ferngehalten wird durch Bühnenrampen und Saaldiener. Mit Landleuten in Tuchfühlung, die schweres Tagwerk verrichten ! Obendrein in frischer Luft, fernab dieser verräu-cherten Spelunken hinter den Komödienhäusern, urwüchsige Naturlaute im Ohr aus Gänsesteigen, stimmlich überragt von Ochsengebrüll ( jaja, eine Herausforderung das an die eigene Stimmkraft ! ) und in diesem Sin-ne wünsche er rundum anregendes Dahingleiten. Umgeben von munter buntbemalten Bauernschränken, Bauernhühnersteigen, Bauerngänsen, Bauernschweinen, Bauernschafen, Bauern.
„Ordinari, das hat auch den wohlbedachten Sinn, dass hier alle gleich sind.“
Sylvester Schuff gerät in ein Revier, das Ziegen besetzt halten. Er wird vom regierenden Bock daraus vertrieben mit einem Ingrimm, als wolle Schuff seine Ziegen bespringen. An Strönebalds Harfe schubbern sich Kuhbäuche, das ergibt düstere Töne, die die Kühe überraschen, und sie versuchen es gleich noch einmal.
Käpernick und Kunterkasten wuchten den Kostümkoffer auf roh be-hobeltes Bauholz, in ein Revier, das ihnen vorerst niemand streitig macht. Darauf auch noch die Requisitenkiste, dann setzen sie sich zuoberst. Ein guter Aussichtspunkt um den Prinzipal zu beobachten, den schweren Helden, rex leonorum, umbrandet von Nutzvieh.
„Ochse zwischen Ochsen.“
„Die sollen ihm ansehen, seine Traumrolle ist der Herkules, bloß das Stück dazu hat ihm bis jetzt dazu gefehlt.“
„Der ist imstand und schwatzt den Ochsen die Hörner ab. Dann spielt er ihnen den Herkules mit ihren eigenem Kopfschmuck vor“.
Schuff hat sich zu Strönebald gesetzt.
„Von wegen alle ordinari und gleich bei gleich. Der Vorzugsreisende da in der Hütte ist bestimmt nicht Ordinari.“
„Der ist dermaßen crème de la crème dass er sich nicht einmal unseren Blicken aussetzt.“
Ingrimm wallt auf. Die Hütte wird, darauf ist nicht schwer zu kommen, exterritoriales Terrain unter dem napoleonischen Adler sein. Das En-semble spinnt einen Verdachtsfaden von der verschlossenen Hütte hin zu dem französischen Grenadier, der die Weinfässer bewacht, und zurück. Besatzungsprivileg, gallische Okkupantenwillkür.
Wer sind wir denn.
Und warum legt der Prinzipal sich schon wieder nicht ins Zeug für seine Schutzbefohlenen ? Man blickt feindselig zu dem Grenadier hinü-ber. Dem einzigen Franzmann an Bord. Aber der hält sich auf der ande-ren Seite des Floßes, an seine Fässer gelehnt und läßt keinerlei Dienst-bereitschaft für die Hütte erkennen.
„O heiliger Sankt Nikolaus und unsre liebe Frau – „
Der Floßmeister und seine Flößer sind an die vorderen fünf Ruder getreten und haben die Hüte gezogen. Sämtliches Bauernvolk tut es ihnen nach.
„ Halt deine Hände über uns auf unsrer Reis und – „
Es ist nicht zu verstehen über was alles noch Hände gehalten werden sollen, sie verstehen sich selbst nicht, sie haben das Gebet schon oft ge-sprochen und es dabei zerleiert, und die Zerleierungen sind zum Gebet selbst geronnen, abgeleistet unter andeutungsweisen Verneigungen ihrer schwerfälligen Leiber. Die Heiligen, die sie um Schutz anflehen, werden sich schon das für sie Bestimmte herauskramen.
„Du Herr, fahr uns voran,
Du bester Steuermann !“
Die Flößer sind in einen brummeligen Singsang verfallen. In den Pran-ken des einen und anderen pendelt ein Rosenkranz.
„Unsereins brächte das nicht über die Lippen“ schauderts Schuff.
„Von uns wird jede Silbe klar und deutlich erwartet bis in die hinterste Reihe, auch wenn der Text noch so mies ist.“
„Führ uns nach dieser Zeit
In Port der Ewigkeit !
Lass dieses saure Salz der Erden
Uns dort zu lauter Zucker werden.
Und unser ewigs Seelengut
Nimms Herr in deine Hut.“
„Das ist das pure Mittelalter“ empört sich Langebehn.
“Geschlagene zwölf Jahre nach dem Sieg der Großen Revolution .“
Mit von hier bis Wien in d‘ Wie t /und gemahn uns Jungfrau allzeit an die Ewigkeit kommt das Beten ans Ende, indem es sich noch einmal auf-rappelt hat fast zur Verständlichkeit.
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen.“
Alle bekreuzigen sich, auch die mitreisenden Bauersleute, und setzen ihre Hüte wieder auf.
„Manndern allsamt an die Ruder !“ ruft der Floßmeister und bläst in sein Stierhorn.
„Manndern alle am Ruder“ rufts von vorne und von den hinteren Ru-dern, vom Arsch, zurück.
Als allerletzter Passagier steigt eine Bauersfrau zu, die mühsam zu schleppen hat an ihrem Gepäck, einem truhenlangen Kasten, mit Segeltuch bespannt. Ohne dass sie einer dazu aufgefordert hätte, lässt sie sich an der abgelegensten Stelle des Floßes nieder, hinter einem Stapel Bal-ken.
Die Taue die es am Ufer hielten, werden auf das Floß gezogen. Je fünf Flößer stemmen es mit ihren Rudern an der Längseite von der Kaimauer fort, lenken es mit den nun hochkant gestellten Ruderblättern an der Längseite gegenüber in die Mitte des Stromes, vollführen eine über-raschende Volldrehung in der Flussmitte, so dass der Arsch nun vorne liegt und die Frontseite den Arsch bildet. Eine Gischtwelle ergießt sich auf Madame de Brée, ertränkt sie nicht, reißt sie nicht in den Strom, aber sie schreit auf als ob.
“Sollen wir aufgeben und ersaufen ?“ schreit sie. “Habt ihr Schiffer euch in den Kopf gesetzt dass wir alle untergehen ? “
„ Öha !“ entfährt es dem Floßmeister.
„Pardon“ mischt sich Propodonsky ein, „aber die passende Replik wäre gewesen 'Hol die Pest dieses Geheule' ! Die sind lauter als das Wetter und als unsre Pflicht. Das ist Der Sturm, erster Akt, erste Szene.“
„Mir ham koan Sturm.“
„ Meine Gattin zitiert aus einem Drama von Shakespeare.“
„Zuchtl“ befindet der Floßmeister und schiebt sich Kautabak zwischen die Zähne.
Gleichmütig nehmen die Rinder und die Bauernpassagiere es hin, dass die Stämme unter ihnen nun in Unruhe sind. Nur die Schafe und die Schauspieler führen sich auf, als wollten sie sich zurück ans Ufer retten und als wärs ein Schrecknis, dass das Floß nun Fahrt aufnimmt.
Zunehmend Fahrt aufnimmt. Aber Schafe wie Schauspieler versuchens nicht mit dem sicheren Hinsetzen oder Niederlegen. Käpernick hakt die anderen unter, die Demoiselle sich bei Schuff, Langebehn bei der Prinzipalin und die bei Kunterkasten, und so kreiseln sie über die rum-pelnden Hölzer. Unter grellem Kreischen. Die anderen auf dem Floß, Bauern wie Vieh, schauen stumm zu.
„Alles Zuchtln“ befindet der Floßmeister und pumpt den Kautabak un-ter seiner Zunge.
„Ein gänzlich neues Plaisir„ wirft sich Propodonsky für die Seinen ins Zeug.
„Es ist eine Wonne wie quicklebendig meine Kinderchen das Aben-teuer eines neuen Bühnenbodens bestehn.“
Von Stehen kann keine Rede sein, alle Untergehakten hat es gerade auf die Hintern gehauen.
„Öha“ kommentiert der Floßmeister, braune Bläschen auf der Unter-lippe.
„Der erste Nasenstüber. Auch Herkules hat sich erst steigern müssen.“
Der Prinzipal ist auf seinen breit gestellten Beinen geblieben.
„Anfangs Rückschläge und Lehrlingsarbeit. Der nemäische Löwe, Sie werden sich erinnern. Aber dann gegen das Finale zu hat er das Himmelsgewölbe geschultert.“
Er hebt die Arme, als traute er sich das Himmelschultern selber zu, und weiß es zu schätzen, dass die Morgensonne ihn dabei angemessen ins
Licht setzt.
„Das Himmelsgewölbe ist für uns der Kaiserhof, dem Sie uns dankens-werterweise entgegen schippern.“
Er läßt dem Floßmeister eine Pause, damit der die erhoffte Replik sagen kann Sakra, zum Kaiserhof, echt wahr ?! Aber der Floßmeister sagt nichts dergleichen, schon gar nicht Bewunderndes. Er ist ganz bei seinem Kautabak, räumt den Priem von der linken Backe in die rechte ; schwarze Rinnsale laufen ihm hinunter zum Kinn. Also setzt der Prin-zipal nach, seine Truppe habe allerhöchste Privilegien genossen am Hofe des Fürsten zu Leiningen. Bis Leiningen, weitgerühmter Musenhof, Lustgarten der Künste, arglistig trockengelegt worden sei.
„Diese leidigen Arrondierungen, Sie wissen ja. Durch den Geschwind-marschfeldherrn Bonaparte.“
Dennoch aber, der Prinzipal und seine Comapgnie haben danach Nancy und Strasbourg erobert. Nicht wie Napoleon mit Kavallerie, sondern mit den Überzeugungskünsten der Schauspielerei. Großen Empfindungen. Zutiefst brennendem Schmerz, der Qual und Erlösung edler Seelen. Und dem Triumph des verzeihenden Humors.
„Ich sage nur Marivaux, Racine, Corneille. Und Beaumarchais ! Beaumarchais spielen wir im Schlaf.“
„Und ich sag : die erste Sandbank“ der Floßmeister.
Der Winter war halt nicht schneeig genug, aber wenn das Schmelzwasser kommt, ist es erst recht ein Gefrett.
„Und immer wieder Kotzebue. In Metz sechs Vorstellungen en suite.“
Wenn die Sandbank umfludert ist und bei diesem Manöver das Ensemble schon wieder auf seine Hinterteile gefallen, bleibt es diesmal da-rauf sitzen. Schweigend wie nun auch die Schafe.
Hoch oben auf der Uferböschung erscheint eine Abteilung französischer Kavallerie. Der Floßmeister spuckt eine braune Ladung ins Was-ser, über Kunterkasten hinweg. Finsteres Schweigen auf dem Floß, von Vieh wie Mensch.
Langebehn zählt ab und gibt bekannt :“Das ist eine escadron“.
Was für Kostüme, durchfährt es Madame de Brée, was für Farben. Wenn sie so etwas in ihrem Fundus hätte. Der Grenadier, der die Wein-fässer bewacht, salutiert. Auch Kunterkasten salutiert, und damit es da oben am Steilufer auch wahrgenommen wird, ruft er : “ Vive la France !“
Als der vorausreitende Offizier sich nicht umdreht, reicht er mit voller Stimmstärke nach „Vive l’empereur !“
Die Franzosen, grußlos, werden unsichtbar hinter den Weiden der Ufer-böschung. Langebehn grinst. Auch die anderen grinsen. Kunterkasten versinkt sein Name als Kummerkasten im Fluss, der unter ihm rumpelt. Am liebsten würde er gleich selbst mit versinken.
Seine Kollegen, die Gesichter alle von ihm abgewandt, haben die Wärme der Rinder für sich entdeckt und legen, Schuff voran, ihre Arme über deren Lenden. Das Ofenhitzige der Schweine ist noch angenehmer, findet Käpernick und stülpt sich über eine Sau, die ihn willkommen zu heißen scheint. Er grunzt, indem er ihre Mundart zu treffen versucht, vertrauensselig zurück. Er hat Glück gehabt mit der Mundart wie mit der Wirtin, Sau und Komiker kuscheln sich zufrieden aneinander.
Einer mit einer Geißel verscheucht die Schauspieler.
„Was fallt eich ei, auf sowas kommen aa bloß Stadtleut !“
Als seien die vierbeinigen Öfen die feinen Herrschaften und die Komö-dianten das Vieh. Seine gesamte Rinderfracht hat der mit der Geißel vor der Verladung vom Heiligen Leonhard segnen lassen und damit ver-sichert gegen Maul- und Klauenseuche, gegen Milzbrand, und von der Heiligen Notburga no amal extrig gegen Überfressung und danach noch vom Heiligen Antonius dem Einsiedler, als Schutzherrn der Viehhändler. Und vom Sankt Sylvester sowieso, weil der ist als Patron für die Land-wirtschaft insgesamt zuständig.
Und nun flacken sich da mirnichtsdirnichts Wildfremde drauf.
„Wenn Stadtleut sich am Geweihten vergreifen werd der ganze Segen am End unwirksam“.
Denn Stadtleut, das weiß man, sind allemal Atheisten. Frage nicht, was das reingschmeckte Gschwerl dem Viech alles anhängt. An womöglich französischen Seuchen, Siechtümern und Eiterflüssen.
„Paxvobiscum drauf, und Amen.“
Aber als er auf die Demoiselle Pfrenhuber und die Prinzipalin de Brée trifft, die sich hinter der Hütte zwischen den Schafen eingerichtet haben, ist seine Wut verschwunden. Die Damen haben sich gar zu dekorativ ge-bettet, sie sind eine Zierde für die Schafe. Der Wüterich zieht seinen grünen Zylinder.
„Meine Verehrung.“
Damit ist das Füllhorn seiner Wortmächtigkeit freilich schon geleert. Madame Propodonsky erwägt, ob sie sich mit einem Satz aus einer Schäferkomödie revanchieren und ihm als kokette Hirtin kommen soll, da drängt sich die Jüngere mit ihrer Frage vor :
„Können Sie uns aufklären, guter Mann, wer da solch ein Privileg ge-nießt dass er in der Hütte reisen darf ?“
Die verfügt zwar nur nur über eine kleine Luke, aber die verglast ! Ob das nicht allzuviel Luxus sei, unter diesen doch recht eingeschränkten Verhältnissen. Und hinter dem Glas auch noch ein Vorhang, der die Sicht versperrt.
„Wo doch Vorhänge ein Vorrecht von uns sind, ich meine beim Theater.“
Kicherkicher. Der Schwadroneur mit der Geißel ist, beim Stichwort Theater, mit einem Mal verlegen, pfumpft etwas in sich hinein von einer gottgesegneten Reise, die er den schönen Damen wünscht und schon ist er davon. Die Prinzipalin lobt sich, dass sie ihm zuliebe ( sie wollte ihn schon als bukolischen Hirten einsortieren ) keine Stelle aus einer comédie pastorale aus ihrem Gedächtnis heraufgeholt hat.
„Holzbock !“
„Knödel.“
„Keiler.“
„Erbsensack.“
Jeder fällt noch ein böses Etikett für den Grünzylindrigen ein, dabei will jede doch nur in dem warmen Verschlag dort sitzen. Die Schmählust würde ihnen da drin zerschmelzen wie Schminke über einem Teller mit dampfender Suppe. Unter dem First der Hütte dringt ein dichteres Räuchlein hervor. Es ist also nachgeheizt worden.
Auch die reisenden Landleute müssen es sehen, aber keinen scheints danach zu gelüsten diese Wärmekabine für sich zu beanspruchen. Soweit die Theaterleute wahrnehmen, sind sie alle wohlversorgt mit Decken, wie sie eigentlich für Pferde bestimmt sind, und mit lebendwarmen Schafen, zwischen denen sie ihr Lager aufgeschlagen haben. Nur die Schauspieler sind nicht gerüstet für die Fahrt durch die Kälte.
Ja wer sind wir denn.
Und Kunterkasten ist schon wieder eingeteilt das Gepäck zu hüten. Er hockt auf dem Schrankkoffer, auf den schwarz aufschabloniert ist HABILLEMENT/ COSTÜME de la COMPAGNIE PORPORA PROPODONSKY / DE BRÉE / PFRENHUBER/ KÄPERNICK / SCHUFF / LAN-GEBEHN.
Kunterkasten.
Sein Name ist nur mit Kreide hinzugefügt, von ihm selbst. Kunter-kasten, der Letzte, der Hinterling. Wie oft schon hatte er seine ange-borene Benamsung ändern wollen, zuerst ins Italienische hin zu Cun-nocasso, mit einem verwegenen Carlo davor. Neuerdings freilich und der Zeitmode gerecht hatte er mit dem Französischen kokettiert. Councard klänge doch recht gefällig, mit einem Fréderic oder wagemutigen Em-manuel davor. Weil die französische Sprache aber unter seinen Lands-leuten, noch neuerdingslicher, hässliche Entzweiungen hervorruft, hatte er zum letzten beschlossen, seinen Namen ins Niederländische zu neutralisieren. Jan Cooncaas. Was sich sanft melancholisch anhört, elegisch sogar mit so vielen Vokalen und zugleich irgendwie geheimnisvoll ge-sanglich. Seiner seelischen Disposition entsprechend, und wie ein eigens für gefertigtes Anzug. Jan Cooncaas. Ein Anzug in tiefblau. Ein individuelles vétement wie Langebehn Pelzkragen, um den ihn die ganze Compagnie beneidete wie Langebehn beneidet wird.
Wieder eine Sandbank. Dem Floßmeister tropft inzwischen die Soße, von schwarz zu braun verdünnt, auch auf den lodenen Umhang.
„Da nüber, Manndern ! Da hats ein Rinnen !“
Die Ruderer triften das Floß in tieferes Gewässer, es legt sich auf der einen Seite hoch, in der Mittn halten hab i gsagt ! Die Strömung sucht sich ihre Gräben wie es ihr passt. Im Nu ist einer davon gespült, und na-cha Servus drei Quartl.
Die Bauersleute sitzen wie festgeleimt, die Tiere sind sicher eingezäunt. Alle bewahren ihren Korpus vorm Schlingern, gar Ersaufen, nur die Schauspieler nicht. Und die Schafe. Beide, einträchtig in der Verwirrtheit, purzeln blökend durcheinander.
Am Hochufer ein Trupp königlich bairischer Infanterie. Man hätte sie nicht bemerkt in ihren verblichenen Monturen, wenn nicht einer der Floß-knechte auf sie gedeutet hätte und geschrien :
„Dö schaugts o, de traun si no umananderkaschperln“.
Links rechts links rechts/ hinterm Hauptmann stinkts recht skandieren die anderen Floßknechte. Dem Floßmeister ist anzusehen, dass ihm dies-mal sein hingebungsvoll auf der Zunge bereiteter Tabaksud zu scha-de ist zum Ausspucken.
„Schaamts euch net, andauernd besiegt werden, Lattirln !“
Die Franzosen haben Rösser, wird hinauf geschmäht, und sie nur Vor-derlader mit denen man gerade mal eine Semmel erschießen kann. Sofern die nicht schlauer ist als wie die bairische Armee und vorher davon rollt. Und weil die da oben per pedes so mühselig vorankommen und sie auf dem Wasser so behende, singen die Flößer :
“Mei Vater is a Schiffsmo
mit eam is a Gfrett
er fahrt gern am Wasser
aber saufn mag ers net“.
Die da droben dürfen ja nicht einmal singen. Singen wie ein freier Schiffsmann, bloß allerweil marschee machen, marschee marschee, o mei o mei ! Die Flößer entkorken ihre Lederflaschen, denn einen gesunden Schluck nehmen dürfen die Armeepinsel ja schon gar nicht, und recken sie foppend zu ihnen hoch : auf euer besonderes Unwohl, Versager !
„ Und de Schiffsleit am Wasser
de stehn an Strauß aus
bei da Nacht geht’s zum Dirndl
beim Tag ins Wirtshaus.“
Singts ihnen bloß nix vom Dirndl, wird gehämt, von denen hat doch noch keiner eins von weitem gesehen ! Und wieder wird geprostet.
„As Fahrn aufm Wasser
is gfährli beim Wind
und s’Schlafn beim Dirndl
wann der Bauer reikimmt.“
Die nächste Sandbank rettet die Infantristen vor dem nächsten Spottgesang. Ohne ein Lachen, ohne Gegenspott ziehen sie auf dem Uferweg weiter und werden in der Ferne selber zu kleinen Schottersteinen.
Wie der Holzbaukasten seiner Kindheit, fantasiert sich Kunterkasten, muss das Floß aus der Vogelschau aussehen. Jedes Element wohl sortiert und in seinem je ihm zukommenden Fach. Kuh bei Kühen, Schaf bei Schafen, Schrank bei Schränken, Wein bei Wein, und die Zimmerleute in einem Karee mit den Flößerknechten beim Kartenspiel. Napoleon hat gerade Glücksspiele verboten, aber bis das Gesetz auch sie erreicht hier, karteln sie noch ein letztes Mal mit Floßknecht-Einsatz um ihr Leben.
Eine Katze schlängelt sich von einem zum andern, als machte sie den Kiebitz. Schließlich kriecht sie ihrem Herrn unter die Weste, um ihm zu hintertragen welches Blatt sie bei diesem und jenem gesehen hat.
Hinter jedem Flößer liegt seine Hakenstange, von seinem Sitzplatz aus kann er sie jederzeit greifen. Weil sie alle gleich aussehen, hat jede einen Namen ( der immer der der Liebsten ist ) und ihre eigene Markierung, als Zinken ins Holz geschnitzt. Und dem heiligen Nikolaus von Myra sind sie ohnehin alle zusammen geweiht worden, denn der vertritt die Flößer im Himmel.
Wie die Katze streicht auch einer mit einem Bauchladen umher, kibietzt aber nicht bei den Karten, sondern verkauft welche.
Der Tandler Kajetan bin i, ja so mir Gott helfe stellt er sich bei jedem vor. Bei jedem mehrfach, damit man nicht vergisst dass ein wohl as-sortiertes Warenhaus mitreist, und zählt jedem ungebeten auf was sein unerschöpfliches Sortiment alles enthält. Kerzen und Talglichter und zu-gehörige Schwefelhölzer, Mausefallen, Nadeln und zugehörigen Faden. Für Junggesellen auch Schweinkram von einer Delikatess wia net amal in Wien erhältlich in einem unteren Schubfach des Holzkastens, den er vor die Brust geschnallt hat. Jeder nennt ihn den Jasomirgott nach irgend-einem heiligen Herzog, dabei ist Kajetans Erkennungs-Floskel an ihm haften geblieben aus der Zeit als er noch Devotionalienhändler war und er sich bemühte im Jargon der Frommen mitzufrömmeln : ja so mir Gott helfe ( „dass i a guats G’schäft mach“ ).
Aber gerade bei den frommen Artikeln herrscht eine schmerzliche baisse neuerdings, pfundweise hat der Jasomirgott Wachstöcke ein-schmelzen müssen. Bei Pfeifenköpfen aber in Gestalt einer Büste des Napoleon, da ist hausse. Napoleon als Schnupftabaksdose, Napoleon zu Pferd als Kammgriff, Jasomirgott kann damit dienen, auch mit Borten, in die Napoleons Initialen eingewoben sind benebst Halstüchern, auf welchen der Kaiser sogar im Duo erscheint mit seiner Gattin, der Kai-serin Josephine. Für die Landgänge endlich hält Jasomirgott Schuhwichse bereit, für die Schlampigen Sicherheitsnadeln, für die Vergesslichen Notizbüchlein Und für alle kleine Steingutflaschen mit Zwetschgen-schnaps, gegen den Frost. Und für die exquisite Minorität der Musikjünger Okarinas und Maultrommeln.
Strönebald wird ein Kunde für diese Sektion des Kajetanschen Magazins werden, wenn erst davon erfährt. Strönebald hat hinter der Hütte bei den Ziegen für seine Harfe, die von den Ziegen schon beim Einsteigen willkommen geheißen wurde, ein Verwahreckchen gefunden. Wer seine Geliebte, die Harfe liebt, wird auch von Strönebald geliebt, über die Ziegenstinke riecht er hinweg. Die auch den Vorteil hat, dass Langebehn sein Reservat meiden wird.
Nicht so Schuff, Kunterkasten und Käpernick. Käpernicks pilzartiger Riecher sitzt viel zu weit oben, fast zwischen den Augen, seine Backen sind viel zu dampfnudlig, seine Lippen viel zu fleischig und die Zähnchen dahinter viel zu hamsterartig, um den Ziegen nicht zu gefallen. Er beginnt sogleich einen angeregten Dialog mit Strönebalds Nachbarn, versetzt sie mit Drolerien im Ziegendialekt so in Erstaunen, so dass sie lange überlegen müssen, um ihm passend herauszugeben.
Kunterkasten holt den Zettel hervor, den er in der Haupt- und Residenzstadt zum Drucker hätte tragen sollen.
Die hochwohlgerühmte Compagnie der Schauspielgesellschaft PORPORA verstattet sich anläßlich der Krönung seiner Majestät Maximilians des Ersten Joseph darzubieten zum Erstenmal KÖNIG TIMOTHEUS ERHÖHUNG oder DER TRIUMPH DER TUGEND ÜBER DIE KABALEN DER VERWANDTSCHAFT. Tragödie in fünf Abtheilungen aus dem Französischen des Marquis de Laconte. Die Kostüme sind neuestens cou-turiert, die in die Handlung eingeschlossene Musik ist von Herrn Ströne-bald. Anfang um 6 Uhr. Ende nach 9 Uhr.
„Darf ich euch auch noch vorlesen, als Souvenir aus einer nie eingetretenen Zukunft, welche Rollen die Herren da beinahe gespielt hätten ?“
„Streich lieber durch, was erstunken und erlogen ist“ kichert Käpernick, und die Ziegen kichern mit ihm, anfeuernd. Kunterkasten bekommt von Strönebald, dem Souffleur, dessen Souffleurstift.
Hochwohlgerühmte Compagnie ?
Die letzte Vorstellung, Goethes Laune des Verliebten in Ulm, war zum Kinkerlitzchen in der Etappe geworden und hatte abgebrochen werden müssen, weil die Zuschauer zu einem anderen Spektakel übergelaufen waren. Draußen vor der Stadt legte gerade die österreichische Armee Napoleon ihre Waffen zu Füßen und mitsamt ihrer zweihundert Geschü-tze, ohne dass eine erkennbare Schlacht vorausgegangen wäre.
„Gegen Suizid kannste nich anspielen“ knurrt Schuff.
Und danach hat kein Publikum die hochwohlgerühmte Compagnie mehr sehen wollen.
„Streich das raus mit der hochwohlgerühmten Compagnie, Kunter-kasten.“
Und die Schauspielgesellschaft PORPORA ?
Das Subjekt heißt immer noch Propodonsky. Nur weil er einmal in Parma aufgetreten sein will, versteift er sich auf einen lombardischen Großvater. Angemaßt und Larifari wie alles an ihm. Zumal Italien längst kein Markt mehr für Schauspielkunst ist in diesen Zeiten. Umbruch hier, Umbruch da, was bleibt denn bitte noch von Italien, wenn Napoleons Schwager König von Neapel ist. Französische Komödien will man dort sehen, französisch wie überall.
„Streich das raus mit dem Porpora, Kunterkasten.“
Und Krönung Seiner Majestät ?
Vom Spielplan abgesetzt schon vor der allerersten Stellprobe. Dieser französische Kürassier da, Edelstatist früher schon mal bei den Franzo-sen, ist per Zettel am Hintereingang als König besetzt worden.
„Fehlbesetzt versteht sich.“
Und per Aushang auf, versteht sich, französisch.
„Streich das raus, Kunterkasten.“
„Wenn französisch à la mode ist, dann kann ja wenigstens stehen blei-ben aus dem Französischen des Marquis de Laconte“.
„Wie ich noch bei Heuselschen Truppe war, in Gotha, da haben wir alle zwei Tage ein neues Stück gespielt. Und hier immer bloß Laconte, La-conte, Laconte.“
Dass die Hühner kichern, das Stück ist doch von keinem anderen als von ihm selber. Dem gefälschten Porpora mit dem aufgeschminkten ita-lienischen Großvater.
„So stülpt er uns alle nach und nach um in lauter kleine Propodonskys.“
Aber was heißt von ihm, diesem achtneuntel Analphabeten. Abgezapft von einem anderen ! Soweit er sichs hat merken können mit seinem er-barmungswürdigen Textgedächtnis.
„Von wem fragt ihr noch ? Von Racine.“
Immerhin ! Hofdichter beim Sonnenkönig. Jaja eben der, da soll er mal in einer Dienerrolle ausgeholfen haben, wars Phädra ? Oder wars Atha-lie ? Von Käpernick aus wars der dritte Römer von links mit einem ein-zigen Satz so vom Kaliber Wehe weh der gute Herr davongeritten ist er soeben.
Jedenfalls wars in Koblenz.
„Koblenz, wo nimmst das denn her, in Koblenz, da hats doch nie eine feste Bühne gegeben !“
Aber alle heiligen Eide doch wars Koblenz, Käpernick verwettet zwei Drittel seiner ewigen Seligkeit, und ob es da eine feste Bühne gegeben hat ! Seinerzeit als die Adelsflüchtlinge aus Frankreich alle da kampiert haben, ein zweites Versailles, geflohen vor Robespierre und der Revolu-tion, mit ihrem ganzen Tross, Köchen, Mätressen, Schauspielern. Längst wieder auseinandergestoben alle, und von Napoleon in vier Himmels-richtungen verjagt. Und die Köche ? Übergelaufen zu denen die die superbsten Zutaten geboten haben.
Immer zum Sieger, wie die Mätressen. Und erst die Schauspieler ! Propòdois soll er sich genannt haben damals, mit einem accent aigu auf dem seinem zweiten O.
„Propodoaaaaaaaah !“
„Nochmal. Alle zusammen.“
„Propodoaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah – „
„Klingt als ob Jupiter einen Schluckauf hat“.
Aber den Ziegen hats gefallen. Bliebe noch, merkt Kunterkasten an, den Stift in der Hand Die Kostüme sind neuestens couturiert.
„Seitdem ich die Klamotten rumschleppe hat die Prinzipalin noch kei-nen einzigen neuen Knopf angenäht.“
„O Grünling was pfnufelst du da naseweis daher“ stippst ihn Käper-nick an die Oberlippe.
„Die Prinzipalin näht nur deshalb keinen Knopf an, damit der Wind freie Bahn hat zum Pfeifen durch die leeren Löcher, und unsere Eleven fortpustet in die große Karrieren zu Iffland in Berlin und Goethe in Weimar.“
Bleibt ad ultimo die in die Handlung eingeschlossene Musik ist von Herrn Strönebald.
„Streichs auch“ flüstert Strönebald, wie er immer flüstert.
“Ich habs zusammengestohlen vom Mozaht, vom Haydn, vom Gluck. Wie ich einmal eine F-Duh-Kavatine gespielt hab in deh Vohstellung, fällt mih auf : das hab ich doch ehst gehstehn aufgeschnappt wie’s ein Fuhknecht gepfiffen hat“ lacht er, und alle lachen mit. Käpernick am lautesten, weil er den bauchspeckigsten Resonanzboden hat, und seine Freundinnen die Ziegen stimmen mit ein.
Seine Lache hat Käpernick so durchgeschüttelt, dass er sich auf der Stelle hintenraus erleichtern muss. Zwischen zwei Baumstämmen hin-durch. Das Mahl gestern war zu reichlich, um damit fürder noch die chri-stliche Seefahrt zu belasten wie er sich bei den Kollegen entschuldigt. Damit hat er sich, als öffentliche Scheißer, demaskiert als heimlicher Fresser, der seine Kollegen hinterging als er gestern ein Publikum hatte und sie schon wieder keins.
„Schaut mich nicht so an, Freunde, als hätt ichs euch auf die Nase gemacht. Der Fluss nimmts doch dankbar mit. Mit Kusshand !“
Das köstliche Sauerkraut mit Blutwürsten aus dem Goldenen Hirschen. Bloß zum Abwischen hat er nichts. Doch, er hat. Kunterkasten reicht ihm den Programmzettel, auf dem er eben noch herumgestrichen hat. Käper-nick stopft ihn, nachdem das Blatt zwischen seinen Hinterbacken Dienst getan hat, zwischen die Stämme als allerletztes Dokument der Premiere von König Timotheus‘ Erhöhung aus der Feder des Marquis Laconte bei den Krönungsfeierlichkeiten seiner Majestät des Birkenfelder Pferdeäpf-lers. Die Wellen nehmens an sich, wie Käpernick es geweissagt, und fortgespült ist die hochwohlgerühmte Compagnie der Schauspielgesell-schaft PORPORA.
„Die Fische reißen sich schon darum“ ruft Käpernick, als er sich die Hose zuknöpft.
„Aber nur wegen meinem Beitrag. Nicht wegen dem von Propòdois.“
„Propodoaaaaaaaas !“
„Alle zusammen.“
„Propodoaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah – „
Diesmal kichern die Ziegen nicht mit, sie ducken sich unter einem Schneeschauer, der Tiere und Menschen ohrfeigt.
„Wenn wir nicht alle an der Kälte draufgehen“ prophetet Schuff, “werden uns Ziegenfelle wachsen, bis wir in Wien ankommen und der Kaiser wird uns für Satyrn halten.“
Dann verschließt der Schnee auch ihm den Mund. Käpernick findet Gefallen an der Rolle des Satyrs, die Schuff da erfunden hat. Für ihn, Käpernick, wen sonst. Er schließt genießerisch die Augen, lässt sich vom Schnee verwöhnen, indes die Kollegen sich mürrisch grummelnd be-decken und insgeheim ihren Prinzipal für den Niederschlag anklagen. Und schon werden ihm die Schneeflocken, die auf seine Ohren nieder-fallen, zu weichen Fellkringeln. Warum nicht Fell, zum Satyr gehört die Behaarung. Stirnseits schneit es ihm nicht aufs Gesicht, dabei sitzt gar keine Mütze mit breitem Schirm auf seinem Schädel. Er tastet mit den Händen, mit geschlossenen Augen wegen des Schnees und findet dass ihm Hörner gewachsen sind. Er ist es zufrieden, zur Rolle des Satyrs gehört dass er mit einem Gehörn imponiert.
Einem stattlichen Exemplar, dabei leicht wie der Schnee, und Käper-nick wird grüßend nonchalant daran tippen, wenn er auf die Hofburg zu schreitet, wo der Kaiser ihn erwartet. Dem hat er fünf Fässer Wein zu überbringen. Ob dieser Kältegrade nicht eben in der in Temperiertheit wie der Kenner seinen Roten liebt, aber wer weiß ob der der Kaiser ein Kenner ist. Der soll ihm dankbar sein dass sie nicht schon leergetrunken sind, obwohl sie so verführerisch nah bei ihm lagern.
Als der Schnee dichter fällt, als Käpernick endlich in der Hofburg ist, steht kein Kaiser bereit, keine einzige Schranze, die er auf seine Hörner nehmen könnte. Dafür kommen Erzherzoginnen die Treppe heruntergestoben, minderjährig und zu allen Aventuren aufgelegt. Sie kraulen ihm die Wirbel- und Zwirbelwolle um seine Hörner herum, sie kraulen ihm den Wanst, er möge sie doch bitte aufsitzen lassen auf seine Fässer, sie reiten den Wein warm für den Kaiser und für den Gott Pan.
Und für Käpernick, den Wanst.
Und so ergibt es sich dass Käpernick als einziger auf dem Floß vor sich hin kichert, während gleich neben ihm, der Wein in den Fässern gluckert, von dem Grenadier bewacht, und gegen die Fassdauben schlägt.
„Was werden die Luderchens den guten Roten durchschütteln…“
Indessen die Gesichter der anderen ins Gottsjämmerliche spielen ( der Schauspieler ) oder ins Gottergebene ( der Flößer und Tiere ) während sie allesamt gleichermaßen von einer Schneedecke zugeschlemmt werden. Und sie in eine gleichmäßige Landschaft verwandelt, weiß in weiß, mit sanften Erhebungen, sanften Tälern und dem Satteldach der Hütte in der Floßmitte.
Aus dem ein Rauch kräuselt, dem die Flocken nichts anhaben können.
Als beim ersten Halt in Freising das Floß gegen die Uferböschung rummst, bricht der Schnee in Leisten ab von den Hügeln und Kanten der weißen Landschaft, die er aufs Floß gerieselt hat und darunter werden wieder Schränke, Balken und Gesichter von Tier und Mensch erkennbar.
Neue Oblast rumpelt auf das Floß. Maurer mit Kalkbottichen und Armierungseisen steigen zu, und wer schon auf dem Floß ist, hat gefälligst Platz zu machen.
„Zammrucken, Leit, aa de Gwamperten !“
Was muss, wird geschimpft, der Floßmeister jedes Gesox zusteigen lassen, Das drückt uns und das Floß doch bloß nieder ins Wasser, wird geschimpft, und wir kommen nicht vom Fleck. Bei jeder Sandbank riskieren wir das Auflaufen, die Ladung verrutscht, und die Ochsen rutschen ins Wasser, und reißen uns mit. Jeder denkt bloß an sein Vieh, schimpfen die Maurer. Jeder denkt bloß an seinen Kalk, schimpfen die Viehleute. Und keiner denkt an unser Holz, schimpfen die Holzleute.
Vor dem Frühjahr fahren keine Flöße mehr, schimpfen alle, aber der Bonaparte schert sich nicht um Winter oder Sommer, der schert sich bloß um Sieg und Eroberung. Und von wegen gleich zu gleich ! schimpfen die Schauspieler, nun noch enger eingezwängt zwischen Gütern und Krea-turen von minderer Gattung als sie selbst, wer sind wir denn und wo ist nur wieder unser Prinzipal.
Eingeschneit und eingeebnet ist der, zu einem Teil der weißen Landschaft geworden, aus deren Mitte das Räuchlein quillt und sich zu einem frechen Schwänzchen verdichtet, das hinter dem Floß her über die Wellen ringelt. Und Schuff, der unbeschimpft bleibt, weil er der Dünnste von allen ist und niemand Platz wegnimmt, Schuff drückt sich an geflochtene Bienenkörbe, die neu aufs Floß gebracht worden sind. Er hört darin die schlafenden Völker vibrieren und wünscht sich hineinkriechen zu dürfen zwischen die Waben und im Warmen weiter zu reisen.
Abend in der Herberge.
Im Stall unten ist das Vieh versammelt, die vollen Euter drücken. Darüber auf der Tenne versammelt der Prinzipal seine Compagnie. Lautmächtiger als die Schauspieler es könnten tun die Kühe kund dass sie ihre Geduld zu Ende ist und sie gemolken werden wollen.
„Wir waren stehen geblieben im zweiten Akt, siebenter Auftritt.“
Tavitius hat die Zurücksetzung durch seinen Bruder Timotheus noch immer nicht überwunden. Die Melkeimer klappern aus dem Stall herauf. Tavatius plant einen Rachefeldzug gegen das Kastell des Timotheus. Die Melker liefern sich, unter den Kuhbäuchen hervorbrüllend, Wortgefechte mit den Ziegenleuten, die ihre Herde zwischen den Kühen übernachten lassen wollen.
„Die Römer Schuff, Langebehn, Käpernick in Position !“
Denn Tavitius will seine Reisigen einschwören zu unbedingtem Gehor-sam in dem Bruderkrieg, den er entfesselt hat. Der Grenadier, der den Wein zu bewachen hat und die Hüter der Kalkbottiche zanken sich um einen Unterschlupf, in dem der Nachtfrost ihren jeweiligen Fässern nichts anhaben kann. Der zweite und der dritte Römer nehmen Aufstellung, Heu an den Beinkleidern, die Mäntel wie Togen um sich geworfen, nicht der römischen Mode sondern der Kälte wegen, die Fäuste aber gehorsam an hölzernen Schwertern. Die Schafe, wie die Ziegen aus dem überfüllten Kuhstall verwiesen, drängeln auf die Tenne und blöken gepeinigt, weil die Ziegen dort bereits Quartier bezogen haben und es mit ihren spitzen Hörnern verteidigen.
Der erste Römer aber, dessen Auftritt befohlen ist, sitzt abseits, die Verweigerung in Person.
„Herr Langebehn !“
Die Floßknechte haben sich am Fluß schadlos gehalten für die Plagen, die der ihnen bereitet hat und mit ihren Käschern Schlei-hen, Barben und Rotaugen aus ihm herausgeholt. Schuff kann sei-nen Text noch immer nicht und bekommt von Strönebald Halbsatz um Halbsatz zugereicht, Schafe und Ziegen sind geschwinder und fallen ihm hohnmeckernd ins Wort. Die Innereien der Fische werden herausgerissen, nur die Schleihen widersetzen sich auch noch, als sie schon in Streifen geschnitten sind und springen in der gefetteten Pfanne. Wofür sie von den Flößern mit einem Gelächter belohnt werden, das zu einer Kirchweihbelustigung passen würde, und das Schmalz in den Pfannen knallert fette Begleitmusik dazu.
Der Bratenduft zieht zu den Schauspielern, die Fressfreude der glücklichen Angler wird überlaut, die Münder der Schauspieler werden schmal vor Entbehrung. Die meisten von ihnen hatten nur einen Brotkanten zur Vesper, allein Käpernick hegt noch seine selige Erinnerung an Blutwurst und Kraut.
„Herr Langebehn mit freundlichem Ersuchen !“
Einer von den Flößern, der mit der Katze, füttert seine Freundin mit Fischhäppchen und nicht bloß mit abgenagten Gräten. Für die Geheimnisse, wird geblödelt, die sie ihrem Herrn beim Kartenspiel verraten hat.
Ein Schwall von Gaudium und Männerspaß, in den hinein Propodonsky kommandiert :
„Herr Langebehn, Ihr Auftritt !“
Langebehn sitzt, seine Gestalt ins Profil zum Prinzipal gerückt und mit durchgedrücktem Kreuz, wie ein antiker Potentat im selbstgewählten Exil. Den Pelzkragen seines Mantels, den er ges-tern Propodonsky überlassen musste, hat er hochgestülpt bis über die Ohren. Wie ein Schutzwall umgibt er ihn und soll gleichzeitig den Prinzipal ( wortlos aber verachtungsvoll ) daran gemahnen wer von ihnen Erster Held ist, eroe assoluto, und wer Zweitbese-tzung, die sich in fremder Garderobe auf Betteltour begeben muss.
„Herr Langebehn, auf Position !“
Strönebald, der Souffleur, wirft leise Langebehn seinen ersten Satz als Köder zu wie der Flößer seiner Katze die Fischbröckchen zuwirft.
„Dies nimmeh lass ich zu dass deh eigne Bhuder…“
Strönebald ist Langebehn zugetan, weil dessen Name kein R enthält, denn Strönebald kann keins aussprechen. Aber Langebehn lässt sich nicht ködern. Er zieht seinen Mantel noch enger um sich und umschlingt ihn wie einen Heimgekehrten, der erniedrigt wur-de als er mit Propodonksy fremdgehen musste. Der den Saum auch noch durch den Schneematsch geschleift hat, denn Langebehn der Erste Held überragt Propodonsky den Schweren Helden um fast zwei Köpfe.
Ja wer bin ich denn.
Die Flößer sind noch nicht aufmerksam geworden, dass sich da ein Drama anbahnt. Sie vergnügen sich noch mit Gröberem. Bei denen, die im Kartenspiel verloren haben, muss die Katze sich ihre Fischhäppchen erst noch verdienen. Sie werden in die Luft geschlenzt, die Katze hat gehörig danach zu hüpfen, und wird mit Applaus belohnt.
Ein weiterer Schwall von Gaudium und Männerspaß.
Kajetan Jasomirgott ist an dem Grenadier gescheitert, dem er Schweinebilder andrehen wollte, vorderseits als Andachtsbildchen bedruckt, und wird dafür von den Flößern ausgelacht. Wieder Gaudium, wieder Männerspaß, Langebehn zuckt zusammen wie unter Rutenhieben. Der Grenadier hat selber schweinige Bilderchen in seinem Tornister stecken, dazu noch in Aquarellfarben ausgemalt, und Kajetan kann nur Schwarzweißes bieten.
Nun macht er sich an die Maurer mit den Kalkbottichen heran mit unverfänglich Nützlichem, Bartwichse und Rosenkränzen. Aus Klosterbeständen, enteignet, darum zu einem Freundschaftspreis.
„Herr Langebehn…“
Der Prinzipal setzt nicht, wie sonst auf der Probe, herrscherlich seine Löwenstimme ein. Er scheut den stimmlichen Wettkampf mit dem Hornvieh, auch wenn das jetzt leergemolken ist und sich gemächlich mit Heu vollfrisst. Aber auch sein sanftes Brummeln beim Mampfen übersteigt Propodonkskys Volumen immer noch bei weitem. Der rex leonorum verlegt sich auf den Ton des treusorgenden Vaters.
„Kinderchen – „
Kinderchen ! Ja wer sind wir denn.
„Kinderchen, bedenkt: der Kaiser wird vor uns sitzen in der er-sten Reihe und darf allererste Akkuratesse erwarten.“
Was dieses neu geschneiderte Königlein von Baiern ver-schmäht hat, dieser emporkömmlerische Debütant, das wird Seine Apostolische Majestät im Faltenwurf seiner vielhundertjährigen Dynastie allergnädigst zu genießen geruhen. Und zu belohnen wis-sen.Welche Erhöhung für jeden einzelnen in dieser Truppe !
Aber Langebehn ist nicht ein Einzelner in dieser Truppe, er ist der Einzelne überall und schlechthin. Er lässt sich nicht anmerken, ob er dem Sermon seines Prinzipals Eintritt in seine elfenbeiner-nen Ohren gewährt hat. Er lässt seinen verbliebenen Handschuh dicht vor seinen Augen tanzen und lächelt ihn bittertraurig an. Er und der verwitwete Handschuh, sie sind nun beide einsam auf sich selbst gestellt, erniedrigt und versprengt, schiffbrüchige Edle zwi-schen Kroppzeug.
Die Aufmerksamkeit der Flößer ist geweckt, sie recken die Hälse. Eine Gaudi steht ins Haus, zum Verdauen und vor dem Einschlafen. Noch ein Schluck Obstschnaps, und sie geraten in die Stimmung, die Kontrahenten anzufeuern wie beim Raufen auf dem Dorfanger.
Propodonsky, in der Haltung des sorglichen, nun tief besorgten Hausvaters, spürt wieder festen Boden unter sich. Ein Stöhnen noch, mit einem Über-die-Stirn-Streichen fortgeschickt, und mit der selben Hand, weit ausgestreckt, weist er dorthin wo niemand steht. Ins Leere, ins Dunkle, weit von Langebehn entfernt und zieht dabei eine so finstere Grimasse, dass die Flößer erschrocken verstummen und niemand mehr anfordern. Sie sind froh, dass Propodonsky es mit dem Unhold aufnimmt, der dort im Dunklen lauert.
„Dies nimmer lass ich zu dass der eigne Bruder treulos wird /
und im Rücken…im Rücken…“ donnert Propodonsky. Aber er kommt nicht weit mit dem Gedonner, denn es gar nicht sein eige-ner Text. Es ist der von Langebehn. Da kommt Kunterkasten ihm zu Hilfe. Zumindest der Rolle. Denn Kunterkasten hat Lan-gebehns Rolle seit langem intus.
„Dies nimmer lass ich zu“ ruft Kunterkasten „dass der eigne Bruder treulos wird / und im Rücken seines eignen Bluts -“
Wenn der Erste Held schmollt, rückt der Zweite Held auf.
„- seines eignen Bluts / seinen Arm dem Feinde leiht / ja gar zum Blutsverräter wird“
Und so fort im Dahinfließen des Dramentextes, der wie zigfach aufgewärmte Suppe tröpfelt. Aber Käpernick patscht trotzdem vor Vergnügen die dicken Hände ineinander, als höre er ihn zum ersten Mal. Er hegt nun einmal eine heiße Liebe zum Theater, das nicht einstudiert ist.
Da springt Langebehn auf von seinem Schmollplatz ( auch nicht einstudiert ), treibt Kunterkasten mit einem Hieb seines Hand-schuhs von der Szene ( schon gar nicht einstudiert ) und ist wieder der Erste Held :
„- seinen Arm dem Feinde leiht / ja gar zum Blutsverräter wird wofür die Rache ihn verfolgen wird / all jene elenden Tage lang / die er noch über diese Erde kriecht.“
Tableau. Langebehn steht triumphierend, den Kopf weit zurück geworfen und reckt als Siegesfackel seinen Handschuh hoch.
„Warum wippst du mit dem Oberkörper auf und nieder“, fragt der stille Schuff den nun ebenso stillen Kunterkasten, der sich sel-ber verübelt wie schnell er sich bei Langebehns Auftritt wieder brav zurück ins Heu gesetzt hat. .
„Ich wippe nicht“ zischt Kunterkasten.
Seine Wut richtet sich nun gegen Schuff. Wo Kunterkasten steht oder sitzt oder wippt, ist jedermann schnurz. Wo Langebehn steht, wird hingeschaut. Auch wenn er nur steht. Den Stehenden gibt. Auf dem Theater, auf dem Floß, im Heu. Langebehn braucht keine Kulisse, wo er ist, da ist Bühne
Auch die Flößer sind andächtig geworden, liegen ausgestreckt im Heu, auf ihre verschränkten Arme gestützt. Sie sind enttäuscht, dass der Hahnenkampf nicht zu einer Prügelei geführt hat. Aber gebannt sind sie trotzdem, es mag ja ein noch viel hahnenhafteres Vergnügen anstehen. Als der Ziegenbock von der einen Tennen-seite zur anderen wechseln will weil er dort im Heu trockenen Klee erschnuppert hat, fangen sie ihn ab. Sie wollen freie Sicht auf ihren Helden Langebehn. Erst als Propodonsky mit seinem Satz dran ist, geben sie den Bock wieder frei.
„Wenn der Prinzipal dran ist, wippst du jedenfalls nicht“ flü-stert Schuff.
Wieder richtet sich Kunterkastens Wut gegen Schuff. Er versetzt ihm sogar einen Fausthieb, aber der hat ohnehin seinen Auftritt.
„Hinter den Bergen, so ist zu vermelden / sammelt sich schon des übelsinn’gen Bruders Heer.“
Schuff kann seinen Text. Das verdutzt ihn selber so, dass er ihn einen Moment lang gleich wieder vergisst. Und darüber kichern muss. Bei diesem winzigen Extempore waren seine Atemwege unbewacht und zu weit offen und haben Heustaub hereingelassen. Schuff muss von tief unten herauf husten. Propodonsky, der mit dem nächsten Satz dran ist, hat plötzlich auch er Heustaub im Rachen, als hätte Schuff ihm den da hineingehustet. Er versucht ihn wegzuräuspern, aber er erreicht damit nur ein Rasseln wie von Erbsen in einem Sieb ( das Sieb ist sein Kopf ) und schon kann sich auch die Prinzipalin, die prustend mit ihrem Husten gekämpft hat, nicht mehr zurück halten.
Und bringt damit das ganze Orchester zum Einsatz. Käpernick als Tuba, Schuff als Dudelsack, die Demoiselle als Violine, Lan-gebehn und Kunterkasten als Trompeten, und alle verstimmt. Der Ziegenbock nimmt als erster die Herausforderung an, in dieser Kakophonie mitzukeckern und mitzuhusten und weckt damit seine Ziegen. Die, nun schon gewohnt, mit den Schauspielern im Zwie-gespräch zu sein, warum nicht auch im Zwiegehuste, machen die Kühe unten im Stall rebellisch. Der Wirt kommt herein gestürmt, im langen Nachtgewand.
„Ein Ramasuri is des als wanns brenna daad !“
Das Gesicht rotblau wie eine Ochsenzunge.
„Meine Gäste wolln schlafen und ham dafür zahlt. Wann koa Ruah net eitritt auf der Stell, schmeiß i des Schauspielergschwerl naus.“
Und die Stall- Laternen sammelt er auch gleich ein, damit de Schlawiner nicht auch noch einen Brand stiften.
Wie Vögel, denen man eine Decke über den Käfig gehängt hat, sind die Schlawiner ins Dunkel verbannt und mit einem Mal schweigsam. Das herrscherliche Gebrüll, das ihr Prinzipal ausnahmsweise nicht hören ließ, fehlt ihnen wie Kindern das unterlassene Nachtgebet.
Und die Aussicht, strafweise draußen in der Kälte zu stehen, hat den Heustaub aus ihren Rachen fortgeputzt. Halme stechen die Darsteller der antiken Helden wie Pfeile, verhutzelte Blätter kriechen zwischen ihnen Hemd und Kragen, richten Juckendes an in den Knie-kehlen. Tief hinten hört man die Bauersfrau mit dem Segeltuchkasten leise eine Litanei singen.
Von ihr in den Schlaf gesungen, sieht Demoiselle Pfrenhuber den Kaiser sitzt vor sich sitzen, in einer Duftwolke von getrockneten Wiesenblumen. Er, zu dem alle aufschauen müssen, schaut nun zur Demoiselle auf. Seine Apostolische Majestät, allzeit Mehrer des Reiches, König von Böhmen, Herzog von Triest und Cattaro und der Windischen Mark, Grosswojwode von Serbien, sie alle sitzen vor ihr, der Fürst der Fürsten, der gute Kaiser Franz der Zweite, vor dem Pfrenhuberfräulein auf goldenem Sessel, und die Lichter aus der Rampenleiste beleuchten von unten her seine Augäpfel so dass sie glitzern wie Christbaumkugeln.
„Wann doch meine Gattin auch was von Ihrer Hoheit hätt, Mademoiselle Isabelle Beatrice“ spricht er zu ihr von da unten, “aber man muss sich halt als Kaiser wegen dene tausend dynastischen Rücksichterln verehelichen und nicht nach der Libido.“
Demoiselle Pfrenhuber, die sich im Schlaf um und um wendet, hat ein Kostüm aus Grashalmen an, durchsichtig, es ranken sich eigentlich nur ein paar Zweige Schafgarbe um ihre nackte Unterpartie herum, und
des Kaisers Auge ruht wohlgefällig darauf. Er dabei die Lippen auf ihren Fingern.
„Libido ! Jessusmaria, was für Wörter das Fräulein so herausholt aus einem Kaiser…“
Und nestelt aus dem dürren Halmen eine blaue Akelei hervor, mit frischen saftigen Blüten, und steckt sie ihr ins Haar.
„Meine Verehrung, meine Schöne, meine Verehrung Ihrer Kunst…“
Und nun küsst ihr der Kaiser schon den Hals. Dabei weiß Demoiselle Pfrenhuber gar nicht was Libido ist.
Sie hat das Wort erst heute abend von Langebehn gehört, der Prinzipal konnte mal wieder seine Libido nicht bezähmen, hat Langebehn über sie hinweg geknurrt, sie nicht angesehen dabei aber alle haben gewusst was er meint. Wenn sie aufgewacht ist, findet sich die Akelei wirklich in ihrem Haar. Ausgedörrt wie alles andre Heu. An der Akelei ist Goldbronze dran, und an den anderen vertrockneten Wiesenblumen ist keine dran.
Goldbronze, die an ihren Fingern haften bleibt wie der Staub von Schmetterlingsflügeln.
Die Glocken sind nach Rom geflogen
Zweiter Tag.
Kunterkasten liegt vorne auf den Stämmen, bäuchlings. Wenn das Floß einen Kiel hätte, wäre Kunterkasten jetzt der Kiel, und wenn es ein Segler wäre, wäre er der Klüverbaum. Am liebsten möchte er sich mit der Rolle der Galionsfigur besetzen. Die hat die Nase am verwegensten allen voraus über dem Kielwasser, weit vor den Propodonskys und Langebehns.
Die Beine dem Floß zu, Gesicht und Schultern dem Wasser zu. Kunterkasten lässt es genüsslich über sich ergehen, dass ihm der Strom seine kalten Gischtwellen wie mit vollen Händen ins Gesicht schüttet, die sogleich, zu Eiskristallen verwandelt, an Kunterkastens Augenbrauen, Haaren und Ohren hängen bleiben und als sein Ohr- und Haarschmuck mit ihm weiter reisen.
Die Wintertaufe seiner Kindheit kommt ihm wieder in den Sinn, als man sich den ersten frisch gefallenen Schnee gegenseitig ins Gesicht reiben musste, bis man blind davon war Fang mich doch fang mich doch / lahmer alter Zausel und der heiße Schmerz des Eiskalten erzeugte ein bittersüßes Glücksgefühl, ein Winterspüren, wie mans den Sommer über immer vergessen hatte und auch vergessen musste. Vergessen wie die Gier darauf dass einem Ohr und Nase abfroren, kriegst mich nicht / kriegst mich nicht / lahmer alter Zausel.
Aufbruch, Kunterkasten ! Der Kummerkasten ist zugenagelt, jetzt wird der Kunterbuntkasten aufgemacht. Du bist auf Wikingerfahrt, du bist Magallan und Erik der Rote in einer Person. Kunterkasten ge-nießt die Vorstellung, er sei der Vordersteven, der tief ins Wasser reicht und an dem die Gischt sich teilt. Die Beine dem Floß zu, Gesicht und Schultern dem Wasser, sieht Kunterkasten sein Gesicht nicht gespiegelt. Das Wasser ist zu trüb, aber er sieht sich nur als Schattenriss auf den Wellen. In den Schattenriss setzt er den Senner und den Hüterbuben ein, die Schiller gleich auftreten lassen wird.
Das Flusswasser wirft sich von unten gegen die Stämme, auf denen er liegt, es schmatzt am Holz, es gurgelt durch die Lücken fast bis zu ihm herauf. Er umarmt die Stämme wie die Hälse von Pferden die ihn ins Unbekannte tragen sollen. Ich will kein Kummerkasten sein, ich will mich ins Neue tragen lassen, die Galionsfigur meines ur-eigenen Geschicks.
Das Wasser das sich an den Schnittflächen der Stämme bricht und ihm ins Gesicht spritzt, wäscht ihm das Bisherige ab, er leckt es mit kalter Zunge, es schmeckt nicht wie Wasser aus einem Brunnen, es schmeckt moosig, streng, nach Muscheln vielleicht und nach ausge-waschner Erde. Es erzählt von den Zuflüssen und Quellen, von de-nen es hierher geschickt worden ist. Kunterkasten verweilt bei dem Gedanken, ob wohl jeder Wasserlauf, der in diesen Strom hinein-gemengt wurde, mit seinem ihm eigenen Temperament darin weiter strömt, eigene Farbe behält, eigenes Temperament, seinen eigenen Schlick und seine eigenen Fischlarven und er bedauert, dass Schiller seinen Tell nicht auf einem Floß spielen lässt. Er streckt eine Hand ins Wasser, weit voraus, wie einen kraftvollen schnellen Fisch.
Sie sieht ihm so fremd aus, als wäre sie ein Lachs.
Bis er sich selber aus dem Tagtraum reißt und sich fein päda-gogisch darüber belehrt, dass so ein vierschrötiges Floß viel zu bie-der ist als Attribut für Kunterkasten in der Rolle des großen Einzel-nen und Seefahrers. Der große Einzelne im Ensemble, das flatternde Blondhaar in der Brise, ist mit Langebehn bereits besetzt. Gehörig fehlbesetzt. Du bist zweite Besetzung, Kunterkasten, im Fach flat-terndes Blondhaar.
Sei die erste Besetzung, Kunterkasten, in deinem ureigenen Stück !
Das er immer und überall mit sich herumschleppt in seiner Sehn-suchtslade. Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern. Und das Floß bietet eben die richtigen Fantasiebohlen für dieses sein Sehn-suchtsstück. Rechteckig und rechtschaffen, aus Tannenholz gefügt und mit Kühen auf dem Buckel, mit niederem Volk besetzt, ein re-publikanisches Fahrzeug. Eine Fähre der Plebejer.
Kunterkasten liegt also mitten drin in seinem Wilhelm Tell. Erster Aufzug, erste Szene. Ehe noch die Handlung begonnen hat, alles ist noch arglos und treuherzig, wie die Kühe die darin auftreten, wie die Tannen, wie das Wasser aus dem Alpengebirge.
Unter den Füßen ein neblichtes Meer / erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr.
Einer beugt sich über ihn.
„Früher, da wars net aso staad am Mittag, junger Herr.“
Der mit dem grünen Zylinder.
„Da war um dö Zeit Glockenklang in der Luft, von alle Himmels-richtungen her.“
Der mit dem grünen Zylinder ist ein klobiger Mensch in einem klobigen Mantel, eine Geißel in der Hand. Wenn er bei Schiller auf der Besetzungsliste stünde, dann am ehesten in der Rolle des Senn-buben.
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt hätte Kunterkasten dann zu ihm zu sagen und ihm zu schmeicheln wie schön der Kuh das Band zu Halse steht. Und der Klobige mit dem grünen Hut hätte zu erwidern das weiß sie auch, dass sie den Reihen führt / und nahm ich ihr’s sie hörte auf zu fressen.
Kuhglocken, der Kuhreigen, die Harmonie der Natur, wie buch-stabengetreu sich alles hier fügt zu einer rotbäckigen Dramaturgie des Volksspektakels. Aber weil der grüne Klobige bejammert, dass die Glocken eben nicht mehr klingen, ist die Harmonie futsch, und Schil-lers Anfangsszene perdu.
Da hast du die barsche Realität, Kunterkasten, und nicht dein Verklärungstheater.
„De Glocken ham seit Urzeiten einander Grüßgott g‘sagt an de Grenzen von dene Klosterländer. Gott zum Gruß, ich bin die Abtei Altaich. Jubilate, ich bin das Geläut von Osterhofen. Gelobt sei der Allmächtige. Wir sind die Sechsstimmigen von Mallersdorf, von Weltenburg, von Benediktbeuern, von…von ..von…Ein jedes Kloster hat ein Netz gewoben übers Land. Die Engel ham sich, hat man immer g’sagt, sich draufg’setzt auf das Netz und ham Wache g’hal-ten übers ganze Land.“
Er hebt seine Geißel hoch wie ein Tambour seinen Stab zum Ein-satz, aber da ist keine Kapelle.
„Hören Sie’s ? Rundumadum Silentium ! Nix als als wie ein ungutes Schweigen.“
Er nimmt den grünen Zylinder ab, als stünde er an einem offenen Grab.
“Mir ham jetz de Mitten vom Tag, wo man si niederhockt zur Mahlzeit. Aber was is das für ein Mahlzeit, frag ich Sie, wo der Geist des Herrgotts nicht schwebt über der Suppen und wo einem die Heiligen nicht zuschaun beim Essen, wo der Herrgott doch alles hat wachsen lassen was aufm Teller liegt. Und dafür g’hört ihm ein Dank erzeigt eben durch de Stimmen von de Glockn.“
Gewiss, auch ehedem wars Brauch dass die Himmelsstimme aus Erz geschwiegen hat. Aber nur ein einziges Mal im Kirchenjahr.
„Weil da san de Glocken nach Rom g’flogen vom Karfreitag bis zum Ostersonntag. Von der Stund an, wo die Juden unsern Herrn Jesus gekreuzigt haben, bis zu seiner Auferstehung. Die erzenen Riesen san g‘schwebt durch die Lüfte wia de Zugvögel. Und wo sans hingeschwebt ? Dorten hin wo der Petrus amal der erste Papst g’we-sen ist.“
Was mögen die Glocken in Rom getrieben haben, flicht Kunter-kasten sich den Fantasie-Strang weiter. Haben sie dem Evangelisten Paulus etwa zu Füßen gesessen, schweigend zugeschaut, wie er den Römerbrief zu Papier bringt? Oder haben sie ein Bad genommen in der Fontana di Trevi ? Und wie erging es der Stadt Rom, die überfallen wurde vom tausendfachen Geläute, ohne Rücksicht auf das Gehör der Bewohner, und in welche Sommerfrische sind derweil die einheimischen Glocken ausgewichen ?
„Das is Volksfrömmigkeit, junger Herr, da drüber macht man keine Spassettln.“
Am Ostersonntag aber, freut sich der grüne Zylinder, hingen sie alle wieder dienstbereit in ihrem jeweiligen Turm.
„Und niamals net hat sich eine einzige verflogen.“
Kunterkasten juckts, ob sich nicht doch ein paar beim Hin- oder Herfliegen in irgendwelchen Ästen verfingen und dort auf eigene Faust ihr Geläut erschallen ließen, schon weil die wurmigen Äpfel beim Herunterfallen ihnen einen Ton abgelistet haben, wenn der Klöppel schon schweigen musste.
Kunterkasten erfreut die Vorstellung, es wäre ihm als Jungen eine Glocke in den Pflaumenbaum gesegelt, eine Glocke für ihn allein. Und er hätte sie in Schwingung versetzt, dass die Pflaumen nur so geprasselt wären, hätte den Werktag zum Sonntag ausgerufen und nicht zur Schule gemusst.
Glockenhalber.
„Vollzählig haben sie sich wieder eingefunden in ihren Türmen. Damits haben verkünden können mit frischen Stimmen Er ist wahr-haft auferstanden ! Re-su-re-xit ! Re-su-reeee-xit !“
Der Erlöser nämlich. Gottsohn, unser aller Jesusbruder. Der Grün-zylindrige singt und dirigiert sich selbst mit seiner Geißel. Es hallt weit durch die Stille.
„Eine Stille zum Grausen.“
Sie haben dem Himmel das Maul verstopft. Die Freimaurer in der Kanzlei des neuen Königs.
„Das Schweigen is das das wo vor allem Anfang gewesen ist, bevor no Gottvater eingegriffen hat und die Welt erschaffen. Wo das Buch Genesis davon redet : darinnen schlich Satan herum und – „
Er unterbricht sich. Das Floß überholt ein anderes, auf dem Rinder stehen. Der grüne Klobige pfeift auf zwei Fingern hinüber.
„A krenk in sajne bejner !“
Ob das Kirchenlatein sei, und er ein geistlicher Herr, will Kunterkasten wissen, trotz seinem grünem Filzzylinder.
Zu viel Ehre, grinst der. Oh oh oh, was man alles zutraut ! Dabei verbringt er bloß Vieh von hierhin nach dorthin, aber in der Mitte seines Wesens ist er ein Menschenfreund. Er, gestatten, Johann Baptist Gmeinwieser. Ein Name, der wie auch sein Vieh quasi mit vier Haxen auf ehrlichem Boden steht. Denn ohne den Johann Baptist wär der Herr Jesus nicht getauft worden seinerzeit im Jordan, oder ? Das sind die vorderen beiden Haxen. Und auf dem Anger, der Gemeinwiese, die wo das Gemeingut aller ist, da steht Ochs bei Schaf doch auch auf treu behütetem Grund, oder ?
Das sind die hinteren zwei Haxen. Und Gott der Herr, der es geschaffen, schaut nieder auf Ochs und Schaf der niedergeschaut hat auf die Taufe seines Sohnes durch den Johannes Baptist seinerzeit und gesagt was ich geschaffen hab ist in guter Hand.
Somit ist Johann Baptist Gmeinwieser geradeheraus die gute Hand schlechthin.
„Paxvobiscum drauf, und Amen.“
Und streckt Kunterkasten seine Hand hin. Kunterkastens Rechte verschwindet in ihr. Er befürchtet einen Händedruck wie von zwei Mahlsteinen, aber der Patron der Kühe drückt nicht zu. Seine Pran-ken wärmen nur Kunterkastens Finger, und der möchte sie ewig da-rin versorgt lassen. Der Gmeinwieser Johann Baptist, zu Diensten, ist Schutz und Schirm für alles was vierbeinig ist hier auf dem Floß.
„Wer keinen Glauben im Leib hat, frissts weg wie nix, das Vier-beinige, vom Maul bis zur Schwanzquasten, gesotten, gepökelt und gebraten, stößt auf davon und widmet ihm kein Gedenken weiters. In den Magen gestopft und vergessen. Vergessen, junger Herr ! Aber ist nicht auch der Leib des Herrn im Magen versenkt worden, und man gedenkt seiner, oder ?„
Gmeinwiesers oder ? wirkt bedrohlich auf Kunterkasten, als wer-de er zu einer Sturmtruppe der Gutkämpfer berufen. Aber er will noch nicht ins Drama hineingezogen werden. Er möchte sich noch in den ersten Akt einkuscheln, Wilhelm Tell, erste Szene. Wo die Stim-mung noch arglos und treuherzig ist, wie die Kühe, wie die Tannen, wie das Wasser unter ihm, das unternehmungslustig aus dem Gebirge herausgurgelt. Wenn der Grünzylindrige der Senner sein soll, wer wird die anderen Rollen übernehmen aus dem Ensemble der Althergebrachten und Biederleute, die das Floß bevölkern ? Wer auf dem Floß ist Stauffacher, Attinghausen, das Volk von Uri, Gessler, und wer wird Wilhelm Tell sein ?
Langebehn springt über Kunterkasten weg. Wahrhaftig, er springt, und gestern noch hat ers von sich gewiesen, sich auf den Stämmen auch nur zu bewegen.
„Voilà, der Erste Held überwindet allen Widrigkeiten und schafft dabei neue Eleganz!“ lobt Langebehn sich selbst. „Während der Nachwuchs es sich faul sein lässt.“
Und davon ist er, mit der von ihm selbst gerühmten Eleganz von Stamm zu Stamm federnd.
„Ihr Herr Mitreisender da… „
Gmeinwieser schaut ihm finster hinterher.
„Langebehn, der Primus in unserer Compagnie. Wie Sie bemerkt haben werden.“
Da ist Langebehn schon wieder zurück. Es gefällt ihm, über Kun-terkasten ein weiteres hinwegzuspringen.
Kunterkasten, den Unflat.
„Weißt du auch an wen dein neuer Freund sein Schlachtvieh ver-kauft, flussabwärts ?“ faucht er Kunterkasten ins Ohr und kniet ihm einen Augenblick lang auf den Schultern dabei.
“An die Grande Armee deines Bonaparte“.
Kunterkastens Bonaparte. Als ginge es auf Kunterkastens Kerbholz dass eine Armee Proviant braucht. Der grüne Kloben hat nicht ge-hört, was über ihn hintertragen wurde und sagt angewidert :
„Ihr Herr Mitreisender tut sich die Handnägel schleifen wie wenn es Schneiden wären von einem Federmesser.“
„Das nennt man Maniküre.“
„KommenS mir mit keine fremdländische Ausdrück net. So einem der wo sich die Nägel schleift dem geht ein Christenmensch besser aus dem Weg.“
„Er hängt heraus, er ist bekennender Jakobiner.“
„Jakobiner !“
Gmeinwieser bekreuzigt sich.
„Ich schließe seine Seele ein ins Gebet. Und die Ihrige gleich mit, junger Herr.“
Kunterkasten setzt sich aufrecht. Ein drittes Mal soll Langebehn nicht über ihn hinweg springen können. Er betrachtet seine Hand, die er ins Wasser gehalten hat. Riecht sie fremd ? Hat sich etwas an ihr angesetzt, Fischiges, Gallertiges, Moosiges ?
„Da könnenS schnobern soviel’S wollen“ weiß Gmeinwieser „das ist ein erzkatholisches Wasser.“
Rein wie das im Taufbecken, auch wenn noch so viele Menschen das was ihnen hinten raus geht da hineingeleitet haben. Das Wasser hat einen gesunden Kreislauf, scheidet das Üble aus, bleibt rein von Ewigkeit zu Ewigkeit. Reine Seele, reines Wasser, eins im andern.
„Wie selbigsmal im Jordan, wo die Jünger auch hineingebrunzt haben und trotzdem hat der Herr Jesus sich taufen lassen damit vom Johannes Baptist. Oder grad deswegen. Vom Johann Baptist alle-mal.“
Und dann fragt er Kunterkasten endlich, wohin die Herrschaften denn unterwegs seien.
„Nach Wien. Der Prinzipal baut darauf, dass wir vor dem Kaiser auftreten.“
Gmeinwieser pfeift durch die Zähne, als böte man ihm ein Kalb mit drei Beinen und ohne Kopf.
„Wer auf Wien fährt, der gibt sich allen Anfechtungen preis. Zumal aufm Wasser.“
Und eben wars doch noch katholisch.
„Der Rhein, junger Herr, der ist katholisch. Weil er hinunter strömen tut in das heilige Köln. Gradlinig strömt er dahin, weil er auf immer-währender Wallfahrt is. Aber die Donau…“
Sein Element ist die Erde und der feste Grund, bekennt der Grün-zylindrige, die rechte Pranke auf dem Herzen. Auf welchem Element er genauso unbeirrbar steht wie seine Schutzbefohlenen, wenn auch mit bloß zwei Beinen. Aber ihnen zuliebe steht er innerlich auf vier Haxen, zumindest wenn er betet. Für sich und fürs Vieh.
Hingegen das Wasser, alle Schutzgeister stehts uns bei, das sucht eins doch nur auf wo Gott der Herr keinen anderen Weg hat erstehen lassen. Weil im Wasser rumort Unruhe. Gewalten die wo vor der Schöpfung schon da gewesen sind, Springfluten, Wirbel, Untiefen, Ungeheuer.
Mit einem Wort der Leviathan.
Er dreht seine Linke warnend hin und her, hoch erhoben, als wollte er jemand eine Watschn verabreichen. Die Donau nimmt die rechtgläubige Isar in sich auf, wie man bald erleben wird, aber die Donau ist eine hin-terkünftige Herbergsmutter, vom Schwäbischen angesudelt. Schon fromm, schon jesusgläubig, aber was ist das für eine Frömmigkeit ! Eine protestantische. Vom rechten Weg abgeirrt. Und und nimmt sich trotz-dem heraus den von Gott gegrabenen Flusslauf hinunterzufließen.
„O heiligs Herrgöttle“ macht Gmeinwieser die Schwaben nach “gell du lassscht mi fei scho des Sechsfache verrrrdiene von dem wasssch du dene Paptisssschtn gäwe duasch. Du kriagsssch au drei Kreuzerle ab, per saldo. Eber erssscht am Jüngssschten Tag, gelle. Bis da hi muasssch du mrr brav Zinse zahle.“
Ja, scheiß doch drauf !
Der hat Talent im Mimischen, findet Kunterkasten, man sollte ihn besetzen als Naturburschen in der Compagnie. Aber Gmeinwieser lässt alle Spaßigkeit fahren als er beschreibt, welche horriblen Fluten sich do-nauabwärts in die Donau ergießen werden : slawische, ungarische, katzel-macherische, tschuschische.
Und befiehlt sich selbst Schweigen mit abwärts deutender Pranke, erspart dem jungen unschuldigen Herrn das Ausmalen alter Pestilenzen und neuer Saunickeleien. Holt ein Gebetbuch heraus und murmelt Für-bittliches an die Adresse des Viehheiligen Leonhard zugunsten sei-ner Schutzbefohlenen, auf dass sie die Fährnisse der Wasserreise überstehen möchten, um unbeschadet dort zu landen wo es ihnen von Gottes Ratschluss bestimmt ist : in den Mägen hungriger Christen-menschen, auf dass diese sich an ihnen kräftigten.
Und bekreuzigt sich, für jede Kuh extra. Die letzte Geste ( unterm Kinn für den heiligen Geist ) verwandelt sich in eine Zeigegeste :
„Da schauenS !“
Ein Floß überholt sie eiligst. Vorangetrieben durch die Ruder-schläge von Soldaten.
„Da verschleppen sie’s.“
Kunterkasten versteht nicht.
„Die Glocken die‘s g‘stohlen haben aus de Klosterkirchen.“
Jetzt erkennt Kunterkasten, dass in der Mitte des Floßes drei Ge-schützrohre festgezurrt sind, die Läufe flussaufwärts gerichtet. Ihre Mündungen starren wie offene Mäuler zu ihnen herüber.
„Mit dem dem Erz, das wo zum Lobe Gottes hat erschallen sollen, schießen sie die letzten Gläubigen übern Haufen. Da hilft nur zum Himmel flehen dass wir verschont bleiben.“
Und sucht in seinem Büchlein, das seine Pranken ihm dicht vor die Augen halten, nach einem passenden Gebet. Das ist nun doch wieder Wilhelm Tell, denkt Kunterkasten, erster Akt, erste Szene. Die Böse-wichter sind benannt, aber noch nicht in Person aufgetreten. Und Gmeinwiesers Gebete werden dafür sorgen, dass es dabei bleibt.
„Mögest oh allerheiligste Jungfrau“, Kunterkasten hat etwas Passendes gefunden, „deine Kindlein beschirmen unter deinem Schutzmantel vor Krieg und Kriegesnot…“
Seine Geißel, die er hinten im Gürtel stecken hat, damit ihm die Hände freibleiben für Büchlein und Bekreuzigungen, hüpft dazu munter hin und her. Zu jeder seiner Fürbitten steuert sie einen Schlenkerer bei. Erhöre uns o Gottesmutter in der Tiefe, wipp-wipp, erbarme dich unser o heiuligste Jungfrau, wippwipp, errette uns vor Pest und Brand, wippwipp.
Dünner Schneefall.
Langebehn schlägt indigniert die Flocken fort wie Schmeiß-fliegen, als ekle er sich davor dass sie auf ihm Platz nehmen oder gar auf seinem Pelzkragen. Als sie es dennoch tun und ihn ihre Übermacht erkennen lassen, beginnt er auf dem Floß umher zu stür-men, als könnten sie ihn dann nicht mehr erhaschen. Käpernick hat sich wieder in seinen Schlaf zurückgezogen, nah dem Gluckern der Weinfässer und grinst in sich hinein. Schuff fängt jede einzelne Flocke mit der Hand auf, als suche er nach dem Unterschied zwischen der einen und den anderen hunderttausend. Propodonsky, in sich ruhend und herrscherlich, ganz rex leonorum, straft den Schnee mit Missachtung, räuspert sich aber in einem fort, als wollte er ihnen eine Rezitation gewähren, wenn sich nur erst ausreichend viele auf ihm versammeln. Und die Demoiselle lässt sie in ihren Mund rieseln, der aber nicht der Flocken wegen offen steht, sondern weil sie bestaunt, mit welcher Kunstfertigkeit die Flößer mit ihren Käschern Fische aus dem Wasser holen.
Jeder ist für sich und allein. Keiner der Komödianten gibt sich mehr mit den anderen ab. Sie meiden sich, so eng sie sich auch ge-stern noch zusammengedrängt haben in der ungewohnten Fremde des Ordinarifloßes. Wäre das noch geräumiger, die am weitesten ent-fernten Kanten wären von ihnen besetzt, jeder wünscht sich mög-lichst viele Baumstämme und Kühe zwischen sich und den Kollegen. Bis Wien hinunter, überschlägt Kunterkasten, wird man für jeden Schauspieler noch je ein eigenes Floß brauchen.
Eine Schauspielergesellschaft, die nicht auftreten darf, verfällt zu-erst in Trübsinn, dann in Mordlust, schließlich in den zweiten Akt von Shakespeares Titus Andronicus und damit dem Schindanger.
Nur Strönebald meistert die Untätigkeit auf seine Weise. Strönebald hat immer sein eigenes Ensemble um sich und engagiert diesen und jenen mit dazu, der seinen Weg kreuzt. Ein Endchen Draht etwa, das, zu einem Bogen gedreht, ein zirpiges Geräusch hergibt, wie es noch nicht einmal seine Harfe hören lässt. Einen Blechnapf, der ein Sperlingsgezwitscher zum Besten geben mag und wenn nicht, findet er als Helm Verwendung, der Langebehn oder der Prinzipal als Krie-ger deckelt. Einen Röhrenknochen von einem Hammel, der ein Szepter vorstellen darf, wenn Strönebald ihn mit Silberfarbe bemalt oder eine Flöte, wenn er das Mark herausklopft und ihn mit Löchern ver-sieht.
Nur zu den Kuhfladen, überreichlich auf dem Floß, ist Strönebald noch nichts eingefallen, das sie befähigte, in das Arsenal seiner Geräuscherzeuger aufgenommen zu werden. Vorerst, gesammelt und getrocknet, wärmen sie ihm angenehm die Füße während er die Maultrommel examiniert, die er von Kajetan Jasomirgott gegen einen Bund Sicherheitsnadeln eingetauscht hat. Ihr Stimmchen reicht nicht einmal aus, um die Ziegen um ihn her mit den Ohren wackeln zu lassen. Wenn er sie aber in ihre Einzelteile zerlegt, wird sie viel-leicht als Anhängsel einer Okarina oder einer Kindertröte glücklich werden.
Strönebald erregen solche Okulationen. Wie an Obstbäumen schneidet er an stummdummen Dingen herum, die nicht ahnen dass sie Töne in sich tragen, um ihnen mit fremden Zutaten das Klingen aufzupropfen. Strönebald der Leise, der Flüsterer, der Souffleur Flü-sterer, ist ein Alchimist der Klangkunst. In ihm rumort bei all seiner Stummheit der Ehrgeiz, ein Musikinstrument zu ertüfteln wie man noch keins gehört hat und er ist selbst gespannt darauf, ob es ein Ge-blasenes, ein Betastetes oder ein Gezupftes sein wird.
Käpernick, nach seinem Schläfchen am rechten Rand des Floßes, den Blick auf die verschneiten Weiden oberhalb des flachen Ufers gerichtet, treibt nun seine Stimme auf die Weide. Er gewährt ihr der-art über das Floß hin Auslauf, dass sogar das Hornvieh respektvoll verstummt.
„Aaaaaaaaaliiiiii-la-o-oh-oh-oooooooh !“
Die Kühe fragen sich, ob da ein Stier nach ihnen ruft, dessen Be-kanntschaft sie noch nicht gemacht haben, dabei sind es nur die Kräftigungsübungen, die Käpernick seinen Stimmbändern auferlegt.
„Huiiiiiilihhhh-huiiiiiiiiiii-oooooooooooooooooh!“
Das Ooooooooooooooooooh so abgrundtief, als riefe der Wasser-mann aus dem Fluss herauf. Landvolk und Tiere ängstigen sich. Ein anderes Donnergrollen antwortet ihm von der Kajüte her. Langebehn hat sich auf ihr Dach gestützt und memoriert einen seiner Monologe, als gelte er der Hütte als Standpauke dafür, dass sie sich dem Ersten Helden nicht geöffnet hat.
„O niederes Gewürm das mein Gemüt erzürnt erzüüüüüüü er-züüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüü – „
Wieder hat das Landvolk Grund sich zu ängstigen. Die Prinzipalin weiß, Langebehn shreit sich auf diese, höchst Langebehnsche Weise den Groll gegen den Prinzipal von der Seele, weil der sich in der Hütte eingeschlossen hat. Und das nicht solo, züngelt ihr Verdacht weiter, sondern mit ihrer Tochter.
„Das mein Gemüt erzürnt sodass ich Rache Raaaaaaaaaaaaaache Raaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa – „
Aber der Prinzipal könnte, so flüstert nun bereits ein weiterer Verdacht, seinen Ersten Helden auch eigens an der Hütte postiert haben, damit sein flammendes Rezitat die Demoiselle erhitze. Sie schwärmt ja eh unver-hohlen für Langebehn, verwöhnt ihn mit Bussis in der Garderobe, und nun profitiert ihr Gatte von der jugendlichen Stimmbefeuerung durch seinen Ersten Helden. Wenn das man nicht tief ins Perversiche schlägt ! Der eine schmettert, der andere rammelt, und das Ensemble tut als sehe und höre es nichts.
„Raaaaaaaaaaaacheeeeeeee – „
Als sich die Prinzipalin Eifersuchtstränen aus den Augen wischt, sieht sie die Demoiselle und Propodonsky weit entfernt voneinander sitzen. Den Prinzipal bei den Ochsen, die Demoiselle bei den Weinfässern des Grenadiers. Und das Räuchlein, das aus der Hütte steigt, erscheint ihr nun wie eine Zunge die ihr herausgestreckt wird. Sie schneuzt sich und gibt, unberuhigt, ihren Verdächten Urlaub : tretet nicht ab, ich brauche euch bestimmt wieder im nächsten Akt.
Als Kunterkasten an ihr vorbeikommt ( auf der Suche nach einem Platz, an dem Langebehn nicht über ihn hinwegspringen kann ) erfährt er nichts davon. Sondern über Schuff von der Bauersfrau, die seit der Abfahrt in München unverwandt hinter dem Balkenstapel kauert.
„Die ist in einemfort am Beten und Frommeliedersingen.“
„Weil sie, sagt Gmeinwieser, auf Wallfahrt ist.“
„Wallfahrt, Wallfahrt ! Schau dir doch das Behältnis an das sie dabei hat. Red mir doch nicht ein das wär ein Koffer. Da ist Segel-tuch drum herum, das ist so eine Art Stall, zum Zuschnüren, und manchmal quiekt da irgendwas drin. Und jetzt sag mir, auf welche Wallfahrt bitte nimmt man Ferkel mit ?“
Andere durchhecheln tut gut, es lindert die Eifersucht. Der Erzeu-ger dieser Eifersucht, histrio primus rex leonorum, sitzt am linken Rand des Floßes und hält seine große Ansprache des Thimotheus aus dem dritten Akt an das vorbeigleitende Ufer. Pumpt dazwischen har-ten Winterschleim aus seinen Lungen herauf und verabschiedet ihn, indem er ihn, mit zur Rinne gerollter Zunge, weit auf den Fluß hi-naus katapultiert.
Zuerst gegen den Fahrtwind und als der ihn auf zurückschleudert ja wer bin ich denn, gegen den Wind. Dann setzt er wieder an, immer an der selben Stelle, Seite siebenunddreißig, vierte Zeile von oben und läßt es tief aus dem Zwerchfell heraus rollen :
„Dem Sturm und den Elementen preisgegeben ärrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr äääääääärrrrrr trrrrrrr ätrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr… „
Die Landleute sind dreifach verschreckt. Durch die Stimmen von Käpernick, Langebehn und Propodonsky. Und auch in dem Ferkel-ställchen der Wallfahrerin ist etwas verschreckt und angstquiekt mit schrillem Stimmchen. Die Prinzipalin de Brée erklimmt den Balken-stapel, hinter dem die Wallfahrerin sich eingerichtet hat und will erspähen welches Tier da gequält wird, beoachtet aber wie die Bauersfrau in das Behältnis greift, ohne ihr Gebet zu unterbrechen.
Unter dem Segeltuch wird es augenblicklich still.
Die Demoiselle sitzt noch immer allein, den Finger im Rollenbuch, starrt über den Fluss hin und bewegt murmelnd die Lippen. Nach jedem Satz den sie murmelt, kommt ihr ein hysterisches Gelächter aus.
„Wie immer“ weiß Schuff „wenn sie gerade wieder vom Prinzipal besprungen worden ist.“
“Vorhin hab ich sie beobachtet, wie sie sich stundenlang die Härchen ausgezupft hat vom Kinn. Sie neigt zum Damenbart, und das in ihrem Alter.“
„Den Prinzipal kitzelts offenbar nicht.“
Aber Langebehn. Der wehklagt über die Tortur für seine sensiblen Lippen. Seine Rollenpflicht ist es, die Demoiselle auf der Bühne zu küssen.
„So betrachtet wünsch ich ihr die Stoppeln vom Prinzipal ans Kinn.“
Schuff, den sein Fach mit dem Etikett des Intriganten beklebt hat, trägt solche Erzählchen mit sich herum wie er seine Papiervögelchen he-rumträgt. Er lässt sie hervorhuschen, Erzählhen wie Vögelchen, mal giftgelb, mal hoffnungsblau, mal schmeichelgrün, unter der abgeschab-ten, aber weiträumigen Pelerine seines ebenso abgeschabten Mantels, sei-nes einzigen Kleidungsstückes und zugleich einzigen Kostüms. In dem er grau auf die Bühne weht mit flatternden Pelerinenrändern, die ihn aussehen lassen wie eine windzersauste Morchel.
Auf den ersten Blick erkennbar als Unheilsbringer, Unheilverkünder, Unheilausstreuer.
Dabei möchte Schuff, der Scheue und Schüchterne, blaue Hoff-nungsvögelchen hervorzaubern unter seiner Pelerine zur Erbauung nicht bloß seiner Kollegen, sondern der ganzen Menschheit. Und mit der dünnsten Stimme von allen ist er auch noch geschlagen, eben mit der einer zerzausten Morchel.
„Sauhamml vareckta !“
Jetzt ist es an den Theaterleuten sich zu ängstigen. Ein Streit kocht über, der Zuschauer ist in unvorteilhafter Lage, denn der Streit wird hinter aneinandergerückten Schränken ausgetragen.
„Ausananda !“
Nur daran, welcher Schrank jeweils umzukippen droht ist zu auszu-machen, wo die Streithähne am Werk sind.
„Den stich i nieda !“
Ein Messer fährt ins Schrankholz. Der Händler dessen Ware geschlitzt wurde, brüllt lauter als beide Streithanseln zusammen. Das Messer wird herausgezogen unter anerkennendem Gelächter und überlagert das Jam-mergeschrei des Händlers.
„Hast du gesehen“ flüstert Käpernick voller Anerkennung, „sooo lang war die Schneide“ und deutet mit Daumen und Zeigefinger.
“Die zeigen Konsquenz, diese Viechskerle, wo wir bloß matte Vokale hüpfen lassen“.
Der Messerwerfer ist unter johlendem Gelächter zu einer Buße ver-urteilt worden. Er wird sie hörbar in Trinkbarem zu entrichten haben. Und dazu braucht es eine zünftige Vesper. Körbe mit Brot, Räucher-wurst und Griebenschmalz erscheinen wo eben noch Kampf war. Als auch Eier hervorgeholt werden, nimmt Kajetan eins zur Hand und fragt wie viele Legehennen denn hier auf dem Floß mitführen.
„Ah derwischt !“ wird gepflaumt „der Tandler tauschts aus gegen a Stopfei.“
Aber Kajetan greift es auf mit ernster Miene. Wenn das Rindfleisch alles an die Franzosen geht ( der Gmeinwieser sei ein Garant dafür ) wirds es nur noch hölzerne Eier zu fressen geben.
„Wo net gar, an de Franzosen verkafft der Haderlump !“
Aber das beirrt Kajetan nicht, auch er schaut nicht hin an wen er ver-kauft, geschmeidiges Gschäftsgebaren heißt ma das, ein Louisdor im Beutel ist im willkommener als ein Pfund alter Bamberger Pfennige, und hat plötzlich einen Faden in der Hand an dem ein goldner Fingerring hängt.
„Der Tandler will uns a Zauberstückl vorführn.“
Die Münder der Essenden sind aufgesperrt. Aber Kajetan will nicht zaubern, sondern herausfinden in welchem Ei ein Hahn steckt und in welchem eine Henne. Überlebenswichtig in Kriegszeiten wie sie auf uns zukommen.
Quer schwingt der Ring bei männlichen Biberln, längs bei weiblichen, und wers nicht weiß, frisst seine Legehennen schon vorzeitig weg und ist nur noch von lauter Gockeln umgeben, die in ihrer Blödheit kein einziges Ei beisteuern, aber den Sonnenaufgang ankündigen.
Die Stunde des Feindes.
„Weil, der Franzos ist ein ganz ein schneller und marschiert in der Nacht und kommt grad z‘recht damit er dem Gockel den Hals umdreht.“
Alle schauen zu dem französischen Grenadier, der die Weinfässer bewacht. Aber der spielt gleichmütig Karten mit den Maurern, die die Kalkbottiche bewachen. Seine Muskete hält er dabei zwischen den Knien.
„Der verstellt si bloß. Der hat Order dass er uns hinters Licht führt, wann der Angriff is.“
Ein brünstiger Schafbock hat sich losgerissen und ist in die falsche Herde eingebrochen. Langebehn, der dort vor dem hereinbrechenden Schneetreiben Schutz gesucht hatte, flüchtet angewidert. Hinter ihm her, mit aufgestelltem Schweif, die Katze des Floßknechts. Im Revier Gmeinwiesers kalbt eine Kuh, Gmeinwieser und ein Knecht zerren das Kalb heraus. Nur Käpernick schaut zu, und Kunterkasten ist besorgt, ob Käpernicks Appetit nicht bereits an dem Frischgeborenen Maß nimmt. Als Gmeinwieser sich eben das Blut von der Kalbs-geburt abwischt, wird er ein weiteres Mal des Floßes ansichtig, das sie am Vormittag überholt hat.
Nun liegt es still am Ufer, um noch mehr Rinder aufzunehmen. Gmeinwieser reißt seinen Ochsenfiesel aus dem Gürtel, der so fromm bei den Gebeten gehüpft ist und droht hinüber :
„Kenig fun die ganowim !“
Am Griff das Blut des Kalbes.
„Pardon, wie meinen ?“
„Auf dem Wasser sind wir in Satans Hand, hab ich doch scho g‘sagt. Und ausgeliefert dem Bösen wia in einer Nussschale“.
Das Schneetreiben versammelt Käpernick, Schuff und Kunterkasten hinter dem Schrank, in den das Messer gefahren ist.
„Habt ihr gehört – „Schuff lässt wieder eins von seinen Erzählchen flattern- „der Langebehn hat ein Kohlebecken verlangt für sich al-lein. Was sag ich gefordert - befohlen !“
Der, von dem die Rede ist, wischt wieder an ihnen vorbei, indig-niert die Schneeflocken von sich fort pustend. Die Katze, die an sei-nem Pelzkragen Gefallen gefunden hat, sitzt auf seiner Schulter.
„Aber der Floßmeister hat nur seinen Kautabak umgeräumt von einer Backentasche in die andere und es verweigert. Was dem Herrn Schauspieler da einfällt, hat der Floßmeister gesagt, Feuer anzünden auf einem Fahrzeug was aus nichts anderem besteht als aus Holz !“
Aber Langebehn und ihr kennt ihn, Langebehn hat insistiert : aus der Hütte da, monsieur Capitain de vaissseau, stiege doch auch Rauch auf ohne Unterlass Und der Floßmeister hat ausgespuckt in hohem Bogen - “
„Und ?“
„Abgang. Vorhang. Ende des Dialogs.“
„Und das unserem Ersten Helden und Liebhaber.“
Gmeinwieser hat zugehört.
„Der Sparifankerl der wo sich die Krallen schärft, der halts net aus ohne sein Feuer.“
Weil er die heimische Höllenglut missen muss solange er auf Erden wandelt.
„Mit einer Miezekatze am Hals ?“spöttelt Käpernick.
Die Katze hat sich in Langebehns hochgestülpten Pelzkragen ein-gerichtet und reibt sich schnurrend an seinem Kinn. Gmeinwieser stößt seine Geißel hoch, damit man seine Rede beachte. Auch hinter dem Judas her, lautet sie, schlich ständig eine Katze, und wenn der Judas nicht des Teufels war, ist Johann Baptist Gmeinwieser ein Strohhaufen. Katzen sind des Teufels, wie man sehen kann beim Letzten Abendmahl, wie es in den Kirchen aufgemalt ist. Da lauert die Katze, um den Happen zu stibitzen den der Herr Jesus als Weihopfer hochhält, um zu unterbinden dass die allerheiligste Eucharistie eingesetzt wird.
Wenn einem Unbekannten eine Katze nachläuft tuts not dass man prüft ob er nicht einen Bocksfuß hat.
Die Katze leckt Langebehns Hand, die nackt und ohne Handschuh ist. Eine Dreistigkeit wie er sie niemand zugesteht. Seine behand-schuhte Hand packt die Katze im Genick und schleudert sie weit hinaus in den Fluss. Ihr Herr, der kein Auge von ihr gelassen hatte, fischt sie mit dem Käscher aus dem Wasser und reibt sie trocken. Sein Zorn, mit kindlichen Mitleidsbekundungen untermischt, schart die anderen Flößer um ihn. Heimzahlen, das g’hört hoamzahlt, dem Falott dem miserabligen, aber an den Hochgewachsenen den sie auf der Tenne bewundert haben, traut sich keiner heran. Nicht einmal mit Schmähworten ; sie kennen seine Stimmgewalt und fürchten dass er zurückschreit. Aber das Heimzahlenwollen frißt umso heftiger in allen. Den Platzhirschen hier auf dem Floß. Die Schmach der Katze trifft jeden von ihnen.
Das Floß macht ruhige Fahrt und braucht nur einen einzigen Ru-derer, der es auf Kurs hält. Also haben sie Muße, ihre Rache zu begrübeln. Sie mustern aus den Augenwinkeln Kandidaten unter dem Komödiantengschwerl durch, bemurmeln die Risiken, und einigen sich endlich auf das kommodeste Opfer.
Strönebald.
Den Stillen mit der Fistelstimme. Ist der nicht überhaupt ein Weibs-bild, das sich verkleidet hat ? Und vollziehen, nüchtern und wie ne-benbei, die Flößertaufe an ihm. Zuerst wird dem Täufling rückwärts ein Bottich Wasser über den Kopf gegossen aus einem Blechhafen. Dann hinein mit dem Kopf in den Fluß. Dreimal, im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.
Was ist dabei, Wassertaufe an einem Neuling ist ein alter Brauch in der Flößerei, was gilts da ob es Sommer oder Winter ist und das Was-ser eisig. Eisig doch höchstens für etepetete Stadterer, die sich sogar das Wasser zum Barbieren vorher aufwärmen. Und ob der da über-haupt einer ist, der sich barbieren braucht, das wird sich zeigen, wenn man ihm das Hemd aufreißt.
In die Isar mit ihm wie die Katze, er ist selber eine Katze.
Es ist Käpernick, der Strönebald rettet. Er drängt sich zwischen die Flößer, den Finger zum Himmel gerichtet, und salbadert, der Herr da oben sehe ja recht gerne bei Taufen zu, sintemalen in Flusswasser, erwarte jedoch dass man die Zeremonie mit Gebetlein verziere. Wel-ches denn gleich, welches denn gleich fragt er, nun den Finger auf dem Mund, und holt mit der anderen Hand sein Andachtsbuch aus der Rocktasche.
Er hat weder Tasche noch frommes Büchlein, aber den Flößern geht bei Käpernicks Paxvobiscum drauf und Amen auf, dass Käper-nick den Johann Baptist Gmeinwieser nachmacht. Und schon erntet er Lacher, wie er seine Finger beschleckt und im Leeren blättert, das rechte Gebetlein zelebriert mit zum Himmel und zurück rollenden Augen. Mit nicht enden wollenden Bekreuzigungen weit über die Nase nach oben und nach unten bis zwischen die Schenkel, und die Flößer weiden sich daran. Als Käpernick sich aus den Augenwinkeln heraus vergewissert hat, dass nur noch der Besitzer der Katze Strö-nebald im Genick festhält, stopft er sich einen Batzen Kautabak in den Mund.
Er hat gar keinen Kautabak zur Hand, aber er rammt ihn sich grämlich zwischen die Zähne, knorzend wie der Floßmeister. Die Flößer bejubeln das Spottbild ihres Herrn und rufen nach seinem Sabber wie das Opernpublikum nach der Wiederholung einer Arie. Den Sabber lässt Käpernick nun so schmatzig fließen, dass er bis zu den Knien hinunter rinnt und ein jeder könnte beschwören, er sei noch schwarzbrauner als das Original.
Als einer verlangt, nun solle er auch noch den Kollegen mit dem Pelzkragen auftreten lassen den Gischpel den pomadigen und Käper-nick gerade den Pelzkragen hochschlägt, den er gar nicht hat, geht eine Erschütterung durch das Floß. Die Flößer werden auf Käpernick geschleudert, alle zusammen auf die Ziegen, die auf die Schafe, die gegen die Rinder und unter dem Gewirr vieler Beine hindurch kriecht Strönebald davon.
„A Sandbank !“
Das Signalhorn des Floßmeisters ruft Käpernicks Zuschauer an ihre Ruder, aber sie richten nichts aus. Das Floß bleibt schief und dumm auf das tückische kiesige Hindernis gekantet. Was festgezurrt ist, blieb leidlich an seinem Platz, die Geflügelställe, die Schafe in ihren Pfer-chen, Möbel, Bauholz, die Weinfässer des französischen Grenadiers. Aber das Hornvieh rutscht auf den glatten Stämmen abwärts, dem Wasser zu, drückt sich durch sein eigenes Gewicht hinunter vom Floß und schon stehen ein paar Kühe zu ihrer Verwunderung auf dem Schotter des Ufers und trotten ins verschneite Land hinein, denn der Fluß leistet sich hier keine Böschung.
„Mariaundjosef !“ Gmeinwieser ist außer sich. „Haltsas do auf , alle Mann !“
Die Sandbank lauert hier seit Menschengedenken, jeder der hier flößt kennt sie, hat ihre Tücke gelernt vom Großvater und Urgroßvater her, und wann sie wieviel Zoll aus dem Wasser ragt, wann es hier ein Rinnen hat und wann nicht. Die Sandbank ist schon lange keine hinterkünftige Tücke mehr, sondern eine berechenbare, auch wenn sie selber gemächlich flussabwärts wandert. Und im Winter, darauf kann man fest rechnen, ist es beiderseits brunntief.
Trotzdem ist das Floß aufgelaufen. Unehre für den Floßmeister, Schimpf für die Flößer, die abgelenkt waren durch Käpernicks Pos-senreißereien.
Ehe er die Rachegelüste der Flößer, die eben noch Strönebald tref-fen sollten, auf sich selber umgelenkt sieht, gibt Käpernick den Eifrigen, stürzt mit anderen ans Ufer und nimmt die Verfolgung der Gmeinwieserschen Kühe auf. Langebehn, vom allgemeinen Getümmel unberührt, hat einen Logenplatz auf einem Holzstoß erklommen und begleitet den Aufgalopp der Plebejer mit ironischem Applaus. Der Holzstoß, auf dem er steht, ist auf dem gestrandeten Floß zur höchsten Erhebung geworden, die Hütte weit nach unten ins Schiefe geraten, und Langebehn der Gipfel.
„Hoj! Endlich Auslauf !“ lacht Käpernick, als auch Kunterkasten nehmen ihm rennt.
„Endlich wieder mouvement nach so viel Gehocke ! Hoj hoj hoj !“
Als ob er die Rinder anfeuern wollte. Und die lassen sich anfeuern, auch sie haben wenig mouvement auf dem Floß gehabt, wie die Schauspieler, verfallen aus gemächlichem Trab in Galopp, als forder-ten sie ihre Verfolger zu einem Fangespiel auf, laufen über die verschneite Ebene in die Weite hinein auf der Suche nach frischem Gras, weil sie das Heu leid sind das ihnen Gmeinwieser Tag für Tag auftischt. Aber die Schneelandschaft tischt ihnen auch nichts Grünes auf.
Kunterkasten und Käpernick verlieren sich aus den Augen, das Fan-gespiel gewinnen die Kühe. Von denen zwei einen Bauernhof erreicht haben, in dem man sich über den unverhofften Besuch freut. Die Stalltür wird gastfreundlich aufgetan, der Stall ist leer, die Ver-pflegungsoffiziere Bonapartes haben das Vieh fortgetrieben. Lachend schiebt der Bauer die Neuankömmlinge durch die Tür. Die Gast-freundlichkeit endet, als Kunterkasten hinterhergehechelt kommt um die Kühe einzufordern, die gar nicht sein eigen sind.
„Schleich di !“
Vor dem Argument einer gezückten Mistgabel um weitere Altruis-men verlegen, trottet Kunterkasten allein und ohne Fang zurück. Allein durch einen Auenwald. Da hat er, wenn schon kein keine arretierte Kuh, wieder die Unschuld des Wilhelm Tell, erster Akt erste Szene, wenn auch eingeschneit.
Natur, Kunterkasten, die niemandem hörig ist, nicht dem Gessler, nicht dem Kuhfürsten Gmeinwieser, und schon gar nicht dem Propodonsky. Einsamkeit, die nur dir gehört, Christian Asmus Fürchtegott Felix.
Er bleibt stehen und hört seinen Lungen zu, die in der Kälte fauchend arbeiten. Er holt sich so viel Luft herein wie seine Lunge aufnehmen kann und spült damit seine ganze Person durch. Als er ein noch jüngerer Junge war als jetzt, hat er seine Stimmkraft an der des Herrn Pastors gemessen, seinem Vater; der beim Predigen über das ganze Kirchenschiff gebot. Danach hat er sich am Herrn Friedens-richter gemessen, vor dem sogar die Körner des Streusandes leiser rieselten, wenn er sie von seinem frisch geschriebenen Urteil blies, um es dann mit Stentorstimme zu verlesen. Schließlich hat sich Kunterkasten am Nachtwächter gemessen, der schon kein Herr mehr für ihn war, aber von der gewaltigsten Stimmkraft, denn er allein durf-te in die Schlafensstille hinein rufen durfte, und das ganze eng um-mauerte Gemeinwesen war sein Echo.
Aber die Stimme, die in seinem eigenen Thorax heranwuchs, traute Kunterkasten sich nicht frei zu lassen. Aus lauter Bänglichkeit, die Schafsherde seines Pastorvaters, all die Klüterjans und Lüttjohanns und Jensens, könnten Anstoß an ihr nehmen.
„ Ischa Sünne, Pastors Jüngster krawalliert !“
Hier in dem fremden Wald, weit weg von seiner Vaterstadt, getraut Kunterkasten sich endlich zu krawallieren, weil nur Krähen da sind und keine Lüttjohanns.
„Uuuuuuuaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah !“
Die Krähen erweisen ihm die Ehre und fliegen allesamt auf. Als sie wieder Platz genommen haben, schweigen sie still und äugen zu ihm herunter. Erwartungsvoll in ihren schwarzen Talaren, schwarz wie der seines Vaters. Über sein uuuuuu-aaaaaaaaaaah hinaus aber fällt Kunterkasten nichts Eigenes mehr ein, und er will diesem schwarzen Pastorenkränzchen doch was Würdiges bieten, wenn sie ihn schon selber würdigen und hoch fliegen, nur seiner Stimmkraft wegen.
Und was wäre würdiger als sein Wilhelm Tell.
„Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber !““
Und wieder fliegen die Krähen alle hoch.
„Der Tyrann ist fort, der Tag der Freiheit ist erschienen !“
Napoleon setzt Armeen in Bewegung, Christian Asmus Fürchtegott Felix Kunterkasten einen Schwarm Krähen. Dabei soll Napoleon sich gar nicht verständlich machen können vor einer Runde die größer ist als zehn Mann, so wenig weit trägt seine Stimme, obwohl alle andern zu schwei-gen haben.Kunterkastens Krähenpublikum dagegen feuert ihn nun laut-hals an, krächzt nach einem da capo:
„So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern
Dieses Forts der Tyrannei -“,
Die Krähen bleiben in der Luft, so begeistert sind sie. Sie ahmen ihn nach, sie übersetzten seinen Schiller in die Krähensprache.
„ - und herrlich ist’s erfüllt,
was wir am Rütli schworen, Eidgenossen !“
Kunterkasten wälzt sich vor Freude im Schnee und verabreicht sich selber die Wintertaufe.
Käpernick hat drei Kühe zurück zu bringen auf das Floß, das die Knechte unterdessen wieder von der Sandbank heruntergehebelt ha-ben. Gmeinwieser aber beklagt, es fehlten immer noch mehr als dop-pelt so viele aus seiner Herde. Er kann sogar ihre Namen hersagen wie Namen von verstorbenen Anverwandten und lamentiert, er habe vor Antritt der Reise jeder sieben geweihte Weihrauchkörner in den After geschoben. Das erbringt, wie das christkatholische Landvolk weiß, siebenfaches Milchgeben. Ein vom Herrgott gewährter Überfluß, den andere nun höchst unchristlich abschöpfen.
Die Pest ihnen ins Gedärm.
„Paxvobiscum drauf und Amen.“
Bloß bekreuzigen traut er sich diesmal nicht, weil die Floßknechte grinsen weil er nicht entfernt mit Käpernicks Parodie seiner selbst mithalten kann. Der Floßmeister, der sein eigenes Parodiertwerden sehr wohl vermerkt hat, bläst ins Signalhorn. Als die Flößer auf ihre Posten flitzen, erspäht Strönebald mit dem kundigen Blick des Inspi-zienten der verantwortlich dafür ist dass bei Beginn der Vorstellung alle auf ihren Plätzen sind : zwei Knechte von denen die ihn wässern wollten sind nicht mehr dabei.
Wenn das Floß mit vielen Stunden Verspätung anlegt, schaukelt das andere, zu dem Gmeinwieser seine Verwünschungen hinübergerufen hat, bereits an der Lände. Das Vieh das darauf gestanden hat, hört man im Stall der Herberge muhen, als wollte es sich über die Zuspät-kömmlinge belustigen. Nur für zwei Gmeinwiesersche Kühe findet sich noch Platz. Awek fun dann jiid schreibt Gmeinwieser mit Kreide an die Stalltür.
In der Herberge findet Gmeinwieser die beste Kammer besetzt. Awek schreibt er auch hier an die Tür, kommt aber nur bis zum k, weil der Floßmeister mit einem Mal neben ihm steht und wissen will, was er da ausgerechnet an seine, des Trittförgs Kammer zu schmieren habe, Heilig-dreikönig mit seinem CMB sei doch längst ummi.
Aber nicht der Tag des Heiligen Severin, weiß Gmeinwieser, der sei pfeigrad heit, wia’sa si so trifft. Ein heiligmäßiger Mönch der an der Do-nau die sie ja nun bald erreichen werden die Christen bewahrt hat vor der Vernichtung, wie sie auch ihnen drohe, wenn der Gmeinwieser nicht sorglich Verbindung hält zu den Herrschaften da droben im Himmel.
„Und dass no mehra Küah abhanden kemman auf widerchristliche Art und Weis.“
Und malt das Awek zu einem Awe Sankt Severin um, und über das Geschriebene noch einen Abtsstab mit Heiligenschein, damit die An-rufung auch erhört werden möge.
„Paxvobiscum drauf, und Amen“.
Käpernick und Kunterkasten hatten weidlich gesunden Auslauf beim Kuhfang, ein Tag der weiten Geländegewinne. Für die anderen von der Copagnie war es ein Tag des Verhockens und des Trübsinns. Niemand hat ihnen wie gewohnt einen Probenplan an die Garderobentür geheftet. So haben sie lethargisch und schlotternd vor sich hingedämmert. Auf rohen Stämmen, an Hühnerkäfige gelehnt, dem Schneefall preisgegeben. Auf dem aufgelaufenen Floß, dann auf dem wieder fahrenden Floß. Und nun endet auch dieser Tag für sie als Versandgut zwischen Versandgut, Kisten und Warenballen, zwischen Bienenkörben und eingesalzenen Dörrfischen die ihre Auktion erwarten.
Der Prinzipal hat die Schauspieler ins Stapelhaus neben der Flößerher-berge beordert. Herunterkommen lässt man uns, verkommen lässt man uns. Tagsüber Seenot und am Abend auch noch Theaterprobe. Letzthin, im Heu, konnte man sich immerhin noch leidlich warmhalten, aber hier in diesem Warenlager starren einen nur Sauerkrautfässer und Kalkbot-tiche an, mit vernagelter Kälte. Fühllos für die Leiden der Wundertäter wird gegrummelt und geniest, und frage nicht was man sich da alles zuzieht in solcher Nachbarschaft ! In solch erniedrigenden Nachbar-schaft, wird geniest, in solch beleidigender Nachbarschaft, einem Stoff-ballen gleichgesetzt und wie ein Dörrfisch gehandelt.
Ja wer sind wir denn.
Dabei gehen in ihren Rachen Influenzen um, drohen alsbald die gesamte Künstlerphysis zu überwältigen, im heißen Schüttelfieber nieder zu wer-fen. Und es ist nicht einmal mal mehr Stroh da so wie gestern immerhin noch, als Siechenlager. Wie soll eins da vor dem Kaiser auftreten, ver-rotzt und von Keuchhusten geschüttelt, die Bronchien verstopft mit Schleim ?
Trost und Zuwendung, maunzen die Damen, komme allein von Gmeinwieser, der guten Hand Er hat ihnen großzügig Decken über-lassen. Gewiss, für Pferde eigentlich bestimmt, warum nicht für Pferde, zutiefst landwirtschaftliche Utensilien, aber wie sehr halten sie warm ! Richtig kreatürlich fühlt man sich da drunter reingekuschelt, richtig kreatürlich, allein die warmherzige Geste lässt die Temperatur unter sol-che einem gewalkten Überzieh schon steigen.
Und wer selber warmen Herzens ist, wird mit unter das rossig duf-tende Dach mit aufgenommen, Strönebald bei der Prinzipalin, Schuff bei der Demoiselle. Nur Langebehn, seinen Pelzkragen um sich ge-schlagen wie eine Ritterrüstung, schnaubt vielsagend durch die Nase und bleibt abseits.
„Dem sind Menschen schon igitt“ grinst Käpernick, „und wie dann erst Pferde.“
Auch hält Gmeinwieser, beteuern die Damen, unfehlbare Mittel ge-gen alle Beschwerden bereit. Kräuteressenzen, Salben nach vielhun-dertjährigen Nonnenrezepten, veredelt mit dem Schweiß der Heiligen Clara von Eichstätt. Quacksalbereien fürs Vieh, wird von den anderen in der Compagnie geniest, sind wir nun schon dermaßen verochst dass wir destillierte Gülle gurgeln müssen ?
„Muuuuuuh“ertönt es hinten, von Käpernick.
Gmeinwieser, ereifern sih die Damen, schaut zutiefst in eine jede Seele, und erkennt jeden Morbus in derselben. Und just dieser ullumfassend Gutherzige, Tier- wie Menschenfreund, muss nun zur Nachtzeit ruhlos durchs Dorf ziehen und die Bauern anbetteln um ein Nachtasyl für seine Kühe, weil diese Herberge ihm keine gewährt ! Wie vormals Maria mit ihrem ähnlich gearteten Joseph.
“Heiligabend“ mokiert sich Langebehn. „ist doch schon seit vier-zehn Tagen passé“.
Herein Propodonsky. Verspätet zu der Probe, die er selbst befoh-len hat. Statt einer Rechtfertigung stehen ihm tiefe Falten auf der Stirn als Feldzeichen seiner väterlichen Fürsorglichkeit.
„Wir sollen ihm doch bloß alle ansehen, er war klammheimlich an der Poststation“ zischt Käpernick.
„Er selber wohl. Aber die gewisse Botschaft aus Wien war noch klammheimlicher und ist gar nicht erst zum Rendezvouz erschienen“ zischt Schuff.
Wie als accompagniato zu seiner Kummerlast lässt Propodonsky sein gewaltiges Prinzipals- und Löwenräuspern hören, als wollte er allen Heustaub aus seinen Lungen schleudern, den er bei der letzten Probe auf der Tenne eingeatmet hat.
„Höret und sehet ich wie leide um euch, bedeutet diese Insze-nierung“ übersetzt Käpernick. Aber beim nächsten Halt ist die Botschaft vom Kaiserhof da und wer dann noch Häme übt der soll an dem Heuhusten ersticken, den ich heute noch selbst übernehme als Schmerzensmann für die undankbare Kinderschar.
„Wih wahen im zweiten Akt stehengeblieben, siebenteh Auftitt“ meldet Strönebald, diensteifrig wie immer.
„Die Römer Schuff, Langebehn, Käpernick in Position !“
„Die Courtine geht auseinander…“ ruft Propodonsky, breitet die Arme aus und eröffnet damit die Probe, indem er zwei Vorhanghälften teilt. In seinen Händen ist das Theater auch dort, wo gar kein Theater ist, sondern ein Lagerschuppen. Die Kinderchen sollen den Vorhang rauschen hören und sich auf die Bühne versetzt fühlen, mitten ins Stück.
In dem es Tavitius noch immer nicht gelungen ist seine Abtrünnigen-Armee einzuschwören auf den Kampf gegen König Timotheus. Eine Faust auf den Holzschwertern, die Römerkostüme um sich geschlungen wegen der Kälte, rücken diese Abtrünnigen zusammen und erheben die Hände zum Schwur. Eng gedrängt Mann bei Mann, denn sie stehen in einem felsigen Hohlweg, flackerig beleuchtet von der mitverschworenen Sibylle Nuphtia, der Pythia der Sabinerberge, dargestellt von Madame de Brée. Nuphtia hat dieses dunkelmännerische Treffen in mondloser Nacht angestiftet, sie ist die Hüterin estruskischer Mysterien, ihr Orakel ist viel gefragt und gefürchtet, sie darf darum eine Fackel halten, dargestellt von einem Regenschirm.
„Bei diesem Fackelscheine soll geschmiedet werden hier / der Bund der Rache auf dass verschlungen werd der tyrann‘sche Bruder“
Den Satz hat Käpernick.
„An diesen fels’gen Wänden roh / soll widerhalln der Rache wildes Lied / das gegen den verräterischen Bruder wir – „
Den Satz hat Schuff. Aber er bringt ihn nicht zu Ende, denn das Schup-pentor wird aufgestoßen und Floßknechte schleppen die Weinfässer des Grenadiers herein. Der Grenadier, wortlos, deutet auf den Platz, auf dem sie abgestellt werden sollen, den Verschwörern vor die Füße, denen es ohnehin schon eng genug ist in ihrem Hohlweg.
Der Grenadier erkennt nicht dass die eine Streitmacht sind, er sieht nur Stecken und keine Schwerter, sein Säbel dagegen ist aus Stahl. Hierher die Fässer also, par ici ! Die Fässer werden unter Ächzen auf den Lehm-boden gerummst, zwischen die Verschwörer.
Ist es vollbracht reiben sich die Floßknechte die Genicke und setzen sich auf die Fässer. Sie haben, nach einer zünftigen Abendmahlzeit, ihren warmen Platz drüben im Heuschober verlassen, nun freuen sie sich auf die Fortsetzung der Komödienkaspereien von gestern. Sie haben satt ge-schafft heute, haben das Floß von der Sandbank herunter gehebelt und sind im kalten Wasser gewatet dabei, mit den Komödianten als Zuschau-ern.
Jetzt ist es an den Flößern zuzuschauen. Versteht sich, de Komödianten san im debet werden sie von Kajetan unterstützt, der erfolgreich Kräu-terschnäpse feilbietet, denn während des Flößens lässt der Meister Schar-fes nicht zu. Der Grenadier hat sich auf einem seiner Fässer niederge-lassen, so nah an den Schauspielern, dass die sich an seinen Knien reiben.
Käpernick versucht, sich die Lagenbezeichnungen einzuprägen, die auf den Fässern eingebrannt sind. Hat er da nicht erspäht Pommard und Vol-nay ? Die Muskete zwischen den Knien, klopft der Grenadier seine Pfeife an seiner Stiefelsohle leer. Langebehn nimmt missvergnügt zur Kenntnis, dass auch der Grenadier, ein Mannschaftsgrad ! an seinem Uniform-mantel einen Pelzkragen trägt. Zudem militärkorrekt gebürstet, während Langebehns Pelz heute bei der Havarie mit feuchtlehmigem Sand ange-saut worden ist.
Vermaledeiter Sand, vermaledeiter Fluß !
Überhaupt, vermaledeite Natur. Langebehn. hasst sie wegen ihres gna-denlos grellen Lichts, das seine Falten ausleichtet. Wegen der Zügel-losigkeit, wie darin allzu viele Kreaturen durcheinanderwuseln, durch-einanderkrakeelen, durcheinanderkoitieren. Ohne jede Inszenierung ! Langebehn liebt das Grieselgrau stickiger Theatergebäude und ihr Halb-dunkel, das seine Züge vorteilhaft umschleiert. Unbeschadet dessen dass er es eigentlich verachtet.
Denn seine Stimme kommt dort zum Flackern, sie behauptet sich in dem ungelüfteten Staubflirren wie keine andere. Das knapp bemessene Rampenlicht gehört allein ihm.
„An diesen fels’gen Wänden roh….roh…roh -“ müht sich Schuff, anders als gestern in der Scheune dämpft kein gnädiges Heu das Getöse
der anderen Gäste, Vieh und Mensch “-soll widerhalln der Rache wildes Lied / das gegen den verräterischen Bruder wir wollen singen.“
Wir wollen singen ist Langebehns Stichwort. In diesem Lagerschuppen, eigentlich einem Verbannungsort ( er hasst ihn dafür ) genießt er das Halbdunkel, das ihn ans richtige Theater erinnert. Er spürt dass er voller Enthusiasmus ist, auf der Höhe seiner Kraft, die anderen wissen es nur noch nicht. Er weiß, dass sie sich innerlich fragen wie mag er wohl heute gestimmt sein ?
Jeden Probentag, jeden Aufführungstag fragen sie sich das. Sollen sie sich das fragen.
“ An diesen fels’gen Wänden roh“ hustet Schuff “ soll widerhalln der Rache wildes Lied / das gegen den verräterischen Bruder wir wollen singen.“
Sein Stichwort. Nun wird er hervorbrechen dass ihnen angst und bange wird, diesen Ochsenhäschern, die beim Rennen ihr bisschen Atemorgan überanstrengt haben, und er wird seine Stimmkraft wie ein Schwert in die Bataille werfen.
„In seinem Blut soll baden wer dem Gehassten sich verkauft.“
Der Grenadier hat seine Pfeife gestopft und entzündet sie in aller Andacht. Er zerbricht drei, vier Schwefelhölzchen dabei.
„Wer je gefühlt was Rache sei – „
Der Tabak hat Feuer gefangen, der Grenadier stößt wohlig den Rauch aus.
„ - der stimme ein in diesen meinen Schrei nach Blut. / Und mags das eigne sein welches ich zu vernichten trachte !“
Erst jetzt, da der rauchende Grenadier Muße hat, die Verschwörer und ihre Schwerter zu betrachten, fällt ihm auf wie laienhaft die sich anstel-len. Contre tous les règlements ! Er zieht seinen Säbel und zeigt den Mimen, wie ein rechter Soldat säbelt.
Von Langebehns Sätzen nicht inkommodiert, er versteht sie nicht.
„Größer macht es mich und göttergleicher / wenn ich nicht achte
dass diese Kreatur aus demselben Mutterschoß gekrochen“.
Niemand achtet mehr auf Langebehn. Alle auf den Grenadier, denn der hat mit einem Wutschrei unter den Verschwörern Käpernick entdeckt. Seinen Kartenspielkumpan, der schon sechsmal gegen ihn verloren hat und jedesmal das Spielgeld schuldig geblieben ist.
Nun droht er ihm mit hoch erhobenem Säbel.
„Gille infernal !“
Viterbo ist eingekesselt, schildert Langebehn indessen, Volterra hat sich auf des Timotheus Seite geschlagen, beklagt Langebehn, und Kunter-kasten spricht seinen Text mit, er kann ihn auswendig und geläufiger als die Erstbesetzung Christian Justus Amadé, der stets beleidigt ist, weil kein Säulenkapitell aus dem Boden wächst, damit er seinen Arm darauf stützen kann.
Und was für ein butteriges Anlaut-S ! Sieg ! Sturm ! Sisypus ! ohne dass der Prinzipal einschritte. Kunterkasten, gerüstet mit seinem ange-borenen, aber gezähmten niederdeutschen Ssssst hat da ganz anderes Rüstzeug lagern. Männlicheres ! Kunstgeschmiedetes !
Wurfmesser der Phonetik.
„Du wiegst schon wieder mit dem Oberkörper“ zischt Schuff.
Kunterkasten wünscht Langebehn ein großes Haus, mindestens acht Ränge. Und die Zuschauer allesamt gekauft. Von Kunterkasten. Stumm und reglos sitzen sie, Butterbrote kauend, und wenn Kunter-kasten, die Hand an der Schläfe, geendet hat und seine gemeißelte Halsmuskulatur mit seitlich gelegtem Kopf dem Publikum entgegen reckt, steht das Publikum auf und geht nach Hause. Tonlos.
Bloß dass der letzte der den Saal verlässt, noch einen hallenden Furz tut.
Vor Ostia ist indessen eine Flotte der Karthager gelandet, meldet Schuff, bereit, die Übermacht der Feinde zu verstärken. Bedrängnis von allen Seiten. Romulus und Remus in ihrem wehrhaften Rom stehen Schulter an Schulter mit Timotheus, bereit das ererbte Reich der Väter an sich zu raffen / blutbesudelt und mit gier’gen Fäusten. Bereit auch, den Bruder zum König Strohmann zu machen, der Rom botmäßig ist und Langebehn versklaven.
Die Flößer sind empört.
„Auf der Galeere soll ich enden / oder im Steinbruch gar um zu hauen Quadern für des Bruders Denkmal ?“
„Schlags alle nieda !“ bollern die Flößer.
Kajetans Obstler heizt sie auf zu raubeiniger Parteinahme. Nicht länger herum stehen und große Reden schwingen soll ihr Held von gestern abend. Fort mit den Holzschwertern, her mit Flößerstangen.
„Aufg’rammt g’hört dass’s grad so schewat !“
Zwischen Langebehn und den Flößern ist nicht einmal eine Rampe, die ihn vor ihrem Eingreifen schützt und ihren Schnapsfahnen. Es bedenke der Schauspieler hat Goethe als Bühnengesetz erlassen, dass er nicht allein die Natur nachahmen, sondern sie idealistisch vorstellen solle, und er also in seiner Darstellung das Wahre mit dem Schönen zu vereinen habe.
Wie soll Langebehn diesen Kloben idealistisch kommen. Langebehn geht ab.
Nur Käpernick ruht in sich.
„Pommard und Volnay“ flüstert er mit den Kollegen „wisst ihr überhaupt was das bedeutet ? Ich schlage vor, wir geben dem Franzmann in seinem Misstrauen recht und bohren seine Fässer an.“
Langebehns Abgang blieb ein kurzer Abgang, gerade einmal heraus aus dem Gegehe der Wein fässer hinaus, dann versperrten Propodonskys Kostüm- und Requisitenkisten ihm eine weitere Flucht. Die Flößer nehmens übel auf. Wo sie doch zu ihrem Helden gehalten haben und ihn unterstützt gegen den abgefeimten Bruder, der zu feige ist sich blicken zu lassen. Der Jakobiner hat sich vor dem niedrigen Volk verdrückt ! Maulheld Christian Justus Amadé vor den Unmündigen, die es aus ihrem Knechtsdasein zu befreien gilt.
Wenn jetzt nicht Wilhelm Tell, vierter Akt, geboten ist, wann denn. Nostra res agitur. In Kunterkastens Lungen ist noch die frische Luft des Waldnachmittags, und auf seiner Zunge warten die schneidenden S-Laute. Er drängt sich vor die anderen.
„Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber !
Brecht das Gerüste ! Sprengt die Bogen !„
Die Flößer wissen nicht, dass das aus einem ganz anderen Stück hergeholt ist. Ihnen gefällt der junge Kerl, der sich da einsetzt und nicht mit einem Holzschwert fuchtelt, sondern nur mit zuverlässig geballten Fäusten.
„Reißt die Mauern ein ! Kein Stein bleib auf dem andern.
Der Tyrann ist fort, der Tag der Freiheit ist erschienen.“
Sie haben ihn heute bei der Bergung des Viehs gesehen, sie sind auf seiner Seite, welche auch immer das sein mag. Die Feinde sind zahlreich, sie habens vernommen, sie ziehen ihre Hirschfänger aus den ledernen Hosen und strecken sie ihm hin.
„Du wiegst ja gar nicht mehr den Oberkörper“ flüstert Schuff.
Herein Gmeinwieser, er hat alle seine Kühe untergebracht, alle ! Zu guten Händen so wie er selber eine ist, obwohl er hinausgedrängt worden ist in die Nachtkältn, man weiß ja warum und von wem. Aber die Floßknechte wollens nicht hören, sie wollen den Bruderkampf mit entscheiden, jetzt wo der junge Bursch das Heft an sich gerissen hat, und er mit ihren Messern ausgerüstet ist.
Aber Gmeinwieser will die Spielführung nicht den Komödianten überlassen, er lädt die Floßknechte zum Umtrunk ein, drüben im Wirtshaus, wega der Errettung von meine Küah aus Seenot. Zu einem Umtrunk lässt sich kein Flößer lang bitten, aber sie wollen ihn hier im Lagerschuppen verabreicht haben, und dazu soll sich nun endlich Weib-lichkeit blicken lassen.
„Des schöne Deandl wollma sehng !“
Die Demoiselle Pfrenhuber.
„Recht hoda, net owei bloß Mannsbilder !“
Die Forderung wird mit Zungenschnalzen und Pfeifen auf den Fin-gern untermauert. Gmeinwieser hat seine Geißel zum Schnalzen.
„Nacha verlang i –„er verschafft sich Gehör, indem er seine Geißel so dicht über ihnen knallen lässt dass alle die Köpfe einziehen „– dass derjenige nackert vor uns eine Komedi aufführt von dem man net woaß is er a Manderl oder is er a Weiberl.“
Strönebald ! Gejohle.
Der Prinzipal tut Unerwartetes. Stumm. Zunächst schaut noch keiner hin, als er einen grauen Packen Stoff auseinanderfaltet. Er lässt sich Zeit dabei, vielleicht hat er auch schon damit begonnen als Langebehn flühtete. In dem Grau des Stoffes, den er auseinander nestelt, scheinen Farben auf, Vorhangfalten aus blauem Samt erscheinen, die gar keine Falten und kein Samt, mit Leimfarbe auf Leinwand gemalt und der trotzdem pludrige Falten wirft, lasziv wie das Negligée einer Kurtisane. Eine pathetisch goldene Bordüre schmückt ihn an der Unterkante, viele goldene Quasten baumeln von ihm herab an dicken goldenen Kordeln und werfen violette Schatten.
In der Mitte ist der blaue Vorhang gerafft, auseinandergezogen so wie Propodonsky vorhin die unsichtbare Courtine auseinandergezogen hat, und man erblickt einen Hügel, auf dem sich, von Pinien und Olivenbäu-men umstanden wie von einer Ehrenwache, in vornehmer Zentralper-spektive ein Rundbau erhebt. Viele schlanke Säulen haben sein Dach zu tragen, das wie ein Kronreifen aussieht und die Säulen werfen dabei elegante Schlagschatten auf die weiße Mauer. Im Hintergrund, in blau-mattem Dunst, lässt sich der Vesuv bestaunen. Der mit einem kleinen klassischen Räuchlein zu erkennen gibt dass er ein rechtschaffener Vulkan ist comme il faut.
Von dem man aber weiter nichts zu befürchten hat, denn es herrscht Sonntag, bukolischer Nachmittag, Götter-Nachmittag. Zwei Gestalten in Togen stehen in gestenlosem Gespräch, je ein Bein locker auf den Tempelstufen. Sie stehen dermaßen in der Mitte des Arrangements, dass sie jedermann dazu erziehen eine ebenso antikische Haltung einzu-nehmen wie sie.
Der Prinzipal hängt den Prospekt zwischen zwei Balken auf, so dass ihn nun alle betrachten können. Und so wie vorhin zunächst niemand wahrnahm, dass er dieses Wunderwerk entfaltet, so nimmt zunächst niemand wahr dass der Prinzipal vor sich hin murmelt. Er steht vor den beiden gemalten Gestalten als wäre er der gemalte Dritte, und die es sehen, zischen sich gegenseitig nieder.
„Seids do staad da hinten !“
Der Prinzipal murmelt die Rolle des Timotheus vor sich hin und sein Bekümmernis über den bastardischen Bruder. Selbst die Schauspieler die den Text oft genug gehört haben, rücken näher als gebe der Prinzipal zum erstenmal das Geheimnis preis, dass Timotheus sein Volk ohne Gewalt und einen Schwertstreich befreien will von Barbarei und Aberglauben, den hexerischen Finsterlingen und der Blutrache, und seine Untertanen hineinführen in die große sittigende Ordnung der weisen Herrschaft.
Das ist die Huldigung an den Kaiser, der in der ersten Reihe sitzen wird. Und der Prinzipal wird zwischen den Rampenlichtern knien, die Majestät vor der Majestät.
„Du wiegst schon wieder mit dem Oberkörper“ flüstert Schuff Kunterkasten zu.
Regensburg
Ein Theatergerücht ist keine Botschaft des lebendigen Tages. Ein The-atergerücht hat lange im Alptraumdusel dahingedämmert, zwischen geflickten Kostümen, vor Schwitze speckigen Helmen aus Pappe, in Blechnäpfen mit ranzigem Abschminkfett, in Haarteilen in denen zu-sammen mit dem Theatergerücht die Milben hausen. Um dann zu erwa-chen, ohne Anlass und ohne Stichwort, eine Fledermaus der Zwietracht nach dem Verglimmen des Lichtes der Vernunft. Alt und stinkig, aber neu aufgeschminkt und kostümiert. Hast du auch schon gehört ringel-nattert es sich durch die Umkleidekämmerchen, was ich da hab hören müssen dass da ganz bestimmte Personen die Namen darf niemals wer erfahren es pestilenzt gen Himmel, vor lauter Nasezuhalten kommt man gar nicht dazu es wiederzugeben Ehrenwort drauf dass es diese Gar-derobe hier in drei Ewigkeiten nicht verlässt.
Ein Theatergerücht weht stets zur unzeitigsten Unzeit herein. Wenn eine Probe beglückend verlaufen ist, wenn der Prinzipal sich im Einver-ständnis mit seiner Truppe wähnt, wenn schon nach dem zweiten Auftritt der erste Applaus im Parkett aufrauscht, wenn die Journale die Auffüh-rung preisen und den Vorverkäufern die Billetts ausgehen.
Ja wer sind wir denn.
Wer das Theatergerücht weiterträgt, schwört zugleich dass er ihm zu-tiefst misstraut, dass er es nur unter zugespitztestem Vorbehalt weiter-tuschelt, auf dass er wegen dieser Schwäre in seiner Mundhöhle nicht Schaden nehme an seiner Seele sowie Leib und Leben.
Ein Theatergerücht hat keinen Verfasser, dessen Name auf dem Um-schlagblatt vermerkt wäre wie der Schillers auf der Braut von Messina oder Kotzebues auf seinen Jüngsten Kindern meiner Laune. Die Fratze des Theatergerüchts ist grauschimmelig und grell überschminkt zugleich, sein Inhalt giftdurchsäuert wie Knollenblättersuppe und kein Zauber-kräutlein ist gegen es gewachsen unterm Bühnenhimmel. Ist es schon 1779 erfunden worden, in der Kaschemme hinterm Comödienhaus zu Merseburg ? Oder hat es erst 1751 ein Kulissenschieber in Greitz-Lo-benstein ausgespuckt, als der aus der Versenkung drei übergewichtige Heroinen hochkurbeln musste ? Ist es mit den Milben aus der Perücke ge-rieselt, die ein verdrossener Mime 1802 sich vom Kopf riss, ehe er um-sattelte auf die gewerbsmäßige Destillation von Kräuteressig ?
Auf der Fahrt auf Vilshofen zu weht es wieder einmal herbei.
„Hast du gehört, es hat eben doch eine Aufführung stattgefunden im Hoftheater.“
Wie ist das Gerücht aufs Floß gelangt ? Wer von den Viehtreibern, Bauern, Floßknechten weiß von einem Theater, gar einem Hoftheater ? Und doch gerinnt es zur Gewissheit : es ist da ein Stück über die Hofbüh-ne gegangen, die doch angeblich verschlossen gewesen sein soll.
Angeblich. Ja wer sind wir denn.
Langebehn, zwischen den Schränken, weiß auch schon wer ihnen den Auftritt vermasselt hat. Der Prinzipal. Langebehns Handschuh peitscht die andere, nackte Hand. Schuff, zwischen den Ziegen, weiß : der Prinzipal hat die nichtsahnenden Schutzbefohlenen auf das Floß ge-trieben, damit sie um Himmelswillen nicht auftreten. Vor Napoleon, dem Siegreichen, dem Spendablen, dem Freigebigen und seinem aus Paris herbeigeeilten Hofstaat. Empört sich Strönebald, zwischen den Schafen.
Dem Hofstaat ! Ja wer sind wir denn.
Propodonsky lässt sie eiskalt die eisige Isar hinunter fahren, während sich andere auf der Bühne der Residenzstadt großtun dürfen mit ihrem, hast du schon gehört ? der Propodonskyschen Truppe ureigenstem Stück. Welches ureigenste Stück wars denn nur gleich, weggewischt der Name, was spielt er schon für eine Rolle wenn sie es nicht selber haben spielen dürfen, so wie sie‘s so erfolgreich zur Uraufführung gebracht haben in Düsseldorf, du erinnerst dich doch, oder wars Osnabrück, jedenfalls wars die Premiere, die Ohren klingen ihnen noch vom Beifall, siebzehn Vor-hänge, und der Rang hat getobt, Käpernick hat es in Serie gespielt, Lan-gebehn sollte daraufhin nach Weimar verpflichtet werden, Schuff wurden Chrysanthemen vor die Füße geworfen bei offenem Vorhang, oder wa-rens Aurikeln ?
Alle die sich noch gestern aus dem Wege gegangen sind, bilden auf einmal wieder ein Ensemble, eine Gemeinschaft, der das Recht zuge-kommen wäre auf der Bühne des Hoftheaters vor Bonaparte aufzutreten. Sogar die la Brée klinkt sich mit ein. Das Ensemble soll nicht wähnen, dass sie ihrem Prinzipalsmänne treutramplig durch dick und dünn blinden Gehorsam hält. Die Brée erinnert sich wehmütig, dass das Stück nament-lich im dritten Akt Dialogstellen von einer Innigkeit enthält, die die Damen im Parkett zu Tränen gerührt hat, nein : gerührt hätte, wenn nicht…
Wer sind wir denn.
Propodonsky wird, so verlangt es das Strafrecht der Umkleidekabuffs, vor kein Tribunal gestellt. Es wird ihm keine Verteidigung zuteil, nur ein Urteil, gegen das eine Berufung unmöglich ist : Gehasstwerden, ver-schärft durch Angeschwiegenwerden, in erster und letzter Instanz.
Die Geschworenen ziehen sich in ihre Innenkämmerlein zurück und wüten dort so gnadenlos wie stumm gegen den princeps spectoculorum, noch mehr aber gegen sich selbst. Stiekum stiekum den Bach runter solls gehen mit uns abwärts Stufe um Stufe Welle um Welle ins Abwasser in den Abtritt ins Ochsische läßt er uns triften in den Strudel des Verges-senwerdens zwischen Kuhdörfern links und Kuhdörfern rechts zwischen Mistheim und Wiederkäuerhausen man sagt uns ja nicht einmal mehr was der nächste Halt stromabwärts für einen Namen hat wenn er denn überhaupt einen hat -
Ja wer sind wir denn.
Wer sind wir denn, dass wir uns selber kundig machen müssen, wo wir nächstens anlanden. Eine dieser Ansiedlungen da stromabwärts, hast du gehört, das soll Regensburg sein.
Regensburg, die freie Reichsstadt ?
„Regensburg, Bischofssitz, sag ich doch.“
„Und Sitz vom immerwährenden Reichstag.“
„Aber geht mir doch weg mitm Reichstag. Reichstag ist doch passé. Hast du nicht gehört der Reichstag gotthabihnselig ist auseinandergejagt von der Faust des Bonaparte.“
„Des Bonaparte, vor dem wir in München nicht haben auftreten dürfen“.
Ja das ist ein Prinzipal, dieser Napoleon, von ganz andrem Schrot und Korn als der unsrige, der legt grande force an den Tag der schafft freie Bahn für Kavallerie wie für Künstler, bei dem sind die von der Kavallerie die Künstler, der scheucht den gichtigen Reichstag zum Bühnenausgang hinaus, der erschafft neue Stücke, neue Kostüme, neue Rollen !
„Und modelt sogar Regensburg um in ein Fürstentum.“
Diesmal ist das Theatergerücht nicht aus ranzigem Abschminkfett und milbenverseuchten Perücken hervorgekrochen, es ist gar kein Theaterge-rücht mehr, es ist nicht einmal ein Gerücht.
Ein Holzhändler hat mit einem Holzkunden geschachert, es ging um etliche Kommoden, um Preis und Preisnachlass, ungebeizt, aus Zirbel-holz, aber die Schubladen mit zu vielen Astlöchern. Fand der Kunde. Und als der Händler schon dabei war runterzugehen eben wegen der Astlöcher ging’s en passent um einen gewissen Mössjöh von Dallberg oder so ähnlich, der von Bonaparte jüngst zum Herrn über Regensburg eingesetzt worden ist.
„Etwa gar der Dalberg aus dem Pfälzischen ?“
Eben der. Vordem aber hat er ein ganz anderes Amt innegehabt, und was den Preisnachlass für die Kommoden angeht, Astlöcher hin Ast-löcher her, mehr als vier Kreuzer sind der Ruin. Der Ruin des Holz-händlers.
Und damit war der Disput zu Ende und das Geschäft perfekt.
Aber Schuff hats, wozu bekleidet er das Amt des Intriganten und He-rumhörers, in die Ohren gekriegt, und man erlebt nun das Theatermi-rakel, wie ein Allerweltsgerede umkostümiert wird zum Theatergerücht.
„Habt ihr gehört, der neue Fürst von Regensburg, das ist der Dalberg.“
Der Freiherr von Dalberg ?
Der Reichsfreiherr von Dalberg, Schuff hat es aus allererster Quelle, der weiland Directeur des Nationaltheaters war zu Mannheim am Rhein. Käpernick hat es zuverlässig erlauscht, unser Dalberg trägt die Fürsten-krone von Regensburg an der Donau.
Anderer Fluss. Andere Stadt. Gleicher Dalberg.
Und Langebehn weiß, es wird sein Nationaltheater sein, das durch ihn, Langebehn zur teutschen Musterbühne reifen darf. Dalberg, eben gefür-stet, hat zu Regensburg ein neues Theater erstehen lassen, dafür verbürgt sich nun auch Lucille de Brée mit allen Schwurfingern, die sie je in ihren Rollen hochgestreckt hat, eine fürstlichere Bühne als die vorige, und die Theaterwelt schaut erwartungsvoll darauf, von Berlin wie von Weimar her.
Nun ist es keine Fama mehr, nun ist es auch aus dem Mund der Prinzi-palin gekommen, nun ist es beglaubigt, mit dem Amts- und Glaubwür-digkeitssiegel des Reichstags, was verschlägts dass der eben grade aus-einandergejagt worden ist.
Auseinandergejagt sein soll ! Denn womöglich sitzt er ja, wenn der Prinzipal das nicht auch noch hintertrieben hat, nach wie vor in Regens-burg, im noch leeren Theater, auf roten Polstersesseln und wartet drauf, dass wir es seiner Bestimmung zuführen.
Als Fürstentheater.
Plötzlich lachen sich die eben noch dumpftristen Mimen wieder ins Gesicht, rotwangig nicht vom Frost sondern von Zuversicht. Und der Hoffnung, die in München so grausam beschnitten wurde, wachsen neue Arme und Beine und sogar Flügel.
„Ich war, das kann Dalberg nicht vergessen haben, als Spiegelberg besetzt damals in der Uraufführung.“
Jeder in der Compagnie weiß, welche Uraufführung gemeint ist.
Dreizehnter Januar 1782 ! Der Zuschauerraum ein Irrenhaus ! Gerollte Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Schreie ! Wildfremde fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, der Ohnmacht nahe, zu den Ausgängen.
Haben es so die Gazetten berichtet oder haben die nur wiedergegeben, was Propodonsky, der Augenzeuge ihnen souffliert hat ?
Und nun wiederum berichtet. Denn Propodonsky hat sich selbst begnadigt von der Strafe des Angeschwiegen- und Gehasstwerdens. Sein Instinkt für dramatische Zuspitzungen treibt ihn in die Mitte seines Ensembles und er zitiert auswendig, was seinerzeit in den Journalen. Von ihm verbürgt, denn es war Propodonsky, der es den Rezensenten in die Feder diktiert hat. Eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht. Und Propodonsky mittendrin im Auge des Orkans. Histrio primus. Rex leonorum. Damals wie heute.
Und wie er den dünnen Schiller Fritz, den Verschreckten, den Neuling im dramatischen Gewerbe, den zwischen den Kulissen Schlotternden väterlich aufgerichtet hat und daneben seine Rolle gemeistert.
„Dalberg hat mir daraufhin den Don Carlos versprochen“ gibt er der Nachwelt zu Protokoll, auch wenn diesmal keiner von der Journaille mit-schreibt.
„Ich bin es gewesen, der dem Schiller den Carlos in die Kielfeder diktiert hat.“
Diesem bübchenhaften Militärchirurgus aus dem Schwäbischen, der ohne Dispens seines Herzogs herüber geirrlichtert war ins Pfälzische, Ar-rest drohte ihm und Schreibverbot, aber nun ward ihm Refugium und Halt :
„Ich war es, aber das muss unter uns bleiben – „ Propodonskys Stimme fällt in eine Versenkung, und alle folgen ihr „- ich bin es gewesen der Schiller von der Prosa zu den Jamben gebracht hat ! Ich habe das Metrum gestampft, und er hat mitgeschrieben. Ich habe auf der Bühne gestanden, und er hatte sein Pult in der zweiten Reihe Parkett stehen“.
„Uraufgeführt wurde das Stück dann allerdings erst vor zwei Jahren“ erlaubt sich Langebehn süffisant als Fußnote.
„Man höre und staune in Weimar“.
Als hätte er in seinem Pelzkragenmantel einen Schauspielführer ste-cken.
“Und in der Titelrolle war besetzt ein gewisser – „
Diese zweite Fußnote zu beenden ist Langebehn nicht gegönnt, denn Strönebald greift auf einmal furios in seine Harfe. Er macht die Sturm-glocken hörbar, wie sie damals in Mannheim erklungen sind bei der Plünderung des Klosters im dritten Akt.
Flammen züngeln, Raubgut poltert, und der Prinzipal, hinter dem Lärmschleier aus Bühneneffekten, den der getreue Strönebald auf seinen Darmsaiten vor ihm aufzieht, kann in Ruhe nach dem Text des Spiegel-berg gründeln um damit zu belegen, dass er damals mit dabei war.
„Pfui ! Pfui über …“
„Pfui ! Pfui übeh das schlappe Kastatenjahhundet !“
Strönebald kommt es hart an, ausgerechnet diesen Satz zu soufflieren, aber für seinen Meister meistert er ihn.
„Pfui über das schlappe Kastratenjahrhundert ! Die Kraft seiner Lenden ist versiegen gegangen und nun muss Bierhefe den Menschen fortpflan-zen helfen.“
Was war er doch für ein Spiegelberg, spiegelt Propodonsky sich selber vor, und was für ein Franz Moor, erinnert Schuff sich beseligt. Und was Käpernick für ein praller Schufterle und zugleich ein anrührend aus-gehungerter alter Moor. Beide treten ja nicht zusammen auf, so konnte er sich ohne Hast von beleibt auf hungerleiderisch umkleiden. Und Lan-gebehn stand als Karl Moor turmhoch über den Mannheimer Darstel-lungslakaien, wenn er einmal beiseite lässt dass er dazumal erst ein Grün-ling weit vor dem Stimmbruch und Konistorialratssohn im Braun-schwei-gischen war. Und Dalberg hat in der ersten Kulissengasse gestanden, bibbrig schwitzend wie seine Mimen, hat sie freundschaftlich zum Auf-tritt hinausgeschoben und nach ihrem Abgang in die Arme geschlossen. Einzigartig warst du, merveilleux, du bist der Stützpfeiler des ganzen Abends.
Ja, da waren wir noch wer.
„Was soll uns Wien, wenn Dalberg in Regensburg auf uns wartet !“
An diesem Tag gibt es keine Sandbänke und keinen Schnee. Vorweg-genommener Vorfrühling zieht in die Gemüter ein. Das Unheil nimmt seinen Lauf.
„Wir kemman aber net über Regensburg“
Der Floßmeister schmatzt seinen Tabak.
„Die Weltenburger Enge, Regensburg vorgelagert, ist aber von einzig-artiger landschaftlicher Schönheit“ belehrt ihn Langebehn, als hätte er in seinem Pelzkragenmantel auch noch einen Reiseführer stecken.
„Die Felsen tragen ausdrucksstarke Gesichter dort in der Felsen-schlucht. Schon die Römer haben darin ein gutes Omen gesehen für glückhaftes Neubeginnen.“
Und die Römer sind immerhin feste Posten im Repertoire der Propodonskyschen Truppe.
Nirgendwo, weiß dagegen der Floßmeister, sind so viele Flößer ertrun-ken wie in der Weltenburger Enge. Die Strudel dort gehören zu den heim-tückischsten im ganzen Flusslauf.
„Mit mir an Bord sind Sie gegen jede Unbill gewappnet“ weiß nun wieder Langebehn.
Kautabak. Der braune Speichel rinnt. Der Floßmeister brummelt etwas was Langebehn besser nicht versteht.
„Wie kommen Sie drauf, wir kommen über Regensburg“ schaltet Gmeinwieser sich ein. „Schaun Ihnen doch doch de Landkartn an.“
„Der da“ - Langebehn meint den Floßmeister - “fährt doch gar nicht nach einer Karte!“
Mit der Muttermilch eingesogen hats so ein Flößermeister, wie die Route geht. Ererbt vom Vater und Großvater her. Aber wer ist denn ein Langebehn, dass er sich vom niederen Volk belehren lässt.
„Es geht nicht um irgendwelche Altvordere. Es geht um meine Karrie-re ! Sie bringen uns ohne Verzug nach Regensburg, oder – „
Nach dem hochgezwirbelten oder verzichtet Langebehn darauf die Spannung weiter ins Drohende zu treiben. Nur der Handschuh, den das Pferd ihm nicht weggefressen hat, peitscht dicht vor dem Gesicht des Floßmeisters in Langebehns andere, bloße Hand. Er steht, findet Lange-behn, als eindrucksvolle Verkörperung heldischen Forderns vor dem ver-stockten Landmann, das Hellocker seines Mantels trefflich umrahmt vom eisblauen Winterhimmel.
Egmont in Grönland.
Der Floßmeister vermeidet es, zu dem weit Größeren hinauf zu schau-en. Von der unterschiedlich verteilten Schönheit gar nicht zu reden.
„Sag eam“ knautscht der Floßmeister Gmeinwieser zwischen Tabak-bissen zu, als wäre der Schauspieler gar nicht vorhanden „wann er si net vazupft, nacha fallt er ins Wasser und koana is weit und breit der wo‘n derrettet.“
Für Langebehn war der Auftritt ohnehin zu Ende. Darstellerische Satis-faktion ist von dem zu kurz gewachsenen Tabaklutscher mit seiner dürf-tigen Phonetik ohnehin nicht gewärtigen. Langebehn geht federnd ab, federnd wie die Kriegsleute im Wallenstein und zieht sich in seine pro-visorische Garderobe zurück. Mit einem der Möbelhändler ist er handels-eins geworden, dass ihm ein Bauernschrank als Logis zur Verfügung steht.
„Des is fei oaner“ warnt Gmeinwieser den Floßmeister “der is mitm Satanas persönlich speziell.“
Das ist einer der sich die Klauen schärft in aller Öffentlichkeit. So einem widerständig sein heißt ein Verhängnis heraufbeschwören, das sich über jedermann ergießen kann und nicht bloß den ahnungslosen christ-katholischen Schiffer, und auf einmal fährt das Floss eben doch flussauf-und bergwärts, vom Sparifankerl kichernd umgesteuert, und die Misch-poche, die komödiantische landet pfeigrad dorten an, wo sie sich hin-wünscht.
Eben in Regensburg.
Der Flossmeister hat heute so viel geredet und seinen Tabak darüber vernachlässigt, dass er sich weitere Gegenreden spart. Er belässt es bei einem Lachen, von dem der Tabaksud dem Viehhändler auf die Wange spritzt. Der achtets nicht, so wie der Sankt Sebastian den Flitzepfeilen keinen Blick geschenkt hat, die in seinen heiligen Corpus gesaust sind. Weil ein Gottesstreiter sich in Demut übt und im Verzeihen. Also schweigt Gmeinwieser von dem Votivbild das er jüngst gesehen hat. Der Schiffer der es gestiftet hat und sich drauf abbilden ließ, war wider Willen den Fluss bergauf getrieben worden samt seiner Fracht, sechs Krautfässern und zwei Hammeln. Erst ein Stoßgebet zum Heiligen Nikolaus hat die Strömung wieder umgedreht. Aber das Wasser blieb auch danach noch bedrohlich verfärbt ins widernatürlich Schwarzgrüne.
„Ich schließ dich ein in meine Fürbitte“ verspricht Gmeinwieser dem
Floßmeister.
„Damit der Fluss net schwarzgrün wird und der Leibhaftige bergwärts fahrt mit dir.“
„Weihrauchseppl, bigotter“ knurrt der Floßmeister.
Gmeinwieser wird einen Rosenkranz beten mit dem letzten, so scheints ihm, gläubigen Christenmenschen auf diesem gottlosen Gefährt. Der Bauersfrau, die den eckigen Segeltuchsack mit sich führt. Vier Kinder sind ihr weggestorben, ihr Mann ist letzthin vom Schlagfluss gerührt worden, wie ein Brett liegt er daheim auf ihrem Hof.
Nun ist sie auf Winter-Wallfahrt. Denn wann sonst hat ein Bauersleut schon Zeit für eine Reise als eben im Winter, wenn Acker und Weidevieh nicht versorgt werden müssen, um an dem berühmten Gnadenort isarabwärts die Allerheiligste Jungfrau um Beistand anzuflehen. Der Sinn aller Gottesfürchtigen im Land ist auf diesen Gnadenort ausgerichtet, ein jeder will einmal im Leben dort vor der Jungfrau gekniet haben.
Bei der Landbevölkerung, auch wenn die in der Stadt drüber spotten, ist die allerheiligste Jungfrau ins alltägliche Gebet eingeschlossen. Und die Landbevölkerung ist es doch, die all die neumodischen Reformen auf ihrem Buckel zu schleppen hat und zu bezahlen und sich neuerdings mit neumodischen Nadeln stechen lassen muss gegen Krankheiten, die es auf dem Dorf gar nicht gibt. Und dabei trotzdem den Freigeistern in der Stadt den Roggen liefern muss, Butter, Speck und Eier. Die Passionsspiele hat die Regierung allbereits überall verboten, die Klöster aufgehoben, die Kirchenschätze beschlagnahmt, die Evangelischen hereingelassen, bald wird sie auch noch das Wallfahrten unter Strafe stellen, und danach den Kirchenbesuch überhaupt.
Tempus non erit amplius, von nun an wird keine Zeit mehr sein, sagen Johannes der Evangelist und der Gmeinwieser Johann Baptist mit einer Stimme, die Apokalypse ist hinter uns her und der Höllenrachen aufgesperrt.
„Wir fahren bei Deggendorf in die Donau hinein, gell Meister“.
Die Demoiselle und Lucille de Brée stehen vor dem Floßmeister. Seit-dem sie bei ihm auf dem Floß sind, hat er noch nicht die Ehre gehabt, von den Damen der Compagnie angesprochen zu werden. Die eine hält die andere um die Taille gefasst, um das Schwanken des Floßes abzufangen.
„Und wieviel Meilen bitte liegt dieses Deggendorf entfernt von Regens-burg ?“
„Circa neunahalb“ sagt der Floßmeister, galant für seine Verhältnisse, weil er nicht weiß dass er Mutter und Tochter vor sich hat.
„Aber das ist doch keine Distanz, Herr Kapitän, wo man groß was her-machen müsste drüber.“
„Wenn die Donau schon einmal so am Dahinfließen ist, kann man sich das doch zunutze machen und auf ihr noch ein bisschen weiter hoch fahren.“
Der Floßmeister unterbricht sogar sein Tabakkauen, weil er meint sein Geschmatze verhindere, dass er die besondere Logik der Damen er- schmeckt.
„Ein Fluss, eine Reise, gell.“
„An der Donau ist doch auch Wien gelegen, was unser Reiseziel eigentlich ja ist. Regensburg wäre dann nur ein minimales Abstecherlein, quasi.“
„Husch eine Fingerspitze weit um die Ecke.“
Die Damen haben propere Gesichtchen, wie der Floßmeister sie an seinem aus rohen Stämmen gefügten Arbeitsplatz noch nicht gesehen hat. Ihre Münder und Wangen leuchten pudrig in einer Rosenfarbe wie er sie noch seltener gesehen hat. Und aufgeklebte Leberflecke, schwarzlila und bei beiden wohlgezielt an der gleichen Stelle hat er überhaupt nach gar nie gesehen.
„Wir bewundern Sie die ganze Reisezeit lang ja schon. Wie Sie die Ge-schicke dieses Schiffes in der Gewalt haben, Sie und ihre Mannen...“
Und wie die Damen sich ausdrücken ! Beider Blicke mit weiten Pupil-len auf seinem Gesicht festgesogen, von dem er sich jetzt eben wünscht, es säße höher oben und wäre nicht gar so üppig verziert mit Rinnsalen aus Tabakschleim.
„Das setzt eine herkulische Energie voraus, wie man sie auf dem fes-ten Land lange nach suchen muss.“
Da gibt’s kein Vertun, die Damen haben ein Aug auf ihn. Er weiß nicht, was gockeln ist, aber dass er jetzt gockeln muss, ist gewiss.
„Mit a paar Ross als Vorspann gangerts scho.“
Mit einigen vorgespannten Pferden ließe es sich wohl bewerkstelligen.
„Parbleu ! Wenn Sie das sagen, ein Herkules der Gewässer…“
Wenn die Damen ausreichend Pferde beibrächten, würde auch er seinen Teil beisteuern und sie bergwärts kutschieren dass‘s bloß so spritzt, um ihnen zu gefallen. Die Damen gicksen irritiert. Und genüsslich betrachtet der Floßmeister, was von ihren hochgeschnürten Brüsten zu sehen oder doch zu erahnen ist.
Wieviele Pferde da denn wohl benötigt würden?
„A grade Zahl rechnet ma auf jedn Fall. Oawei zwoa und zwoa, übern Daumen g’rechnet, auf jeder Seitn.“
Je zwei und zwei, streng symmetrisch. Und dabei hüpfen seine Augen vom Busen der einen zum Busen der andren, ebenfalls streng sym-metrisch.
„Sie veranschlagen also summa summarum vier Stück ?“
Als könnte Strönebald beliebig viele aus seiner Requisitenkiste hervor kramen. Von wegen vier, grinst der Floßmeister, bei der Größe seines Floßes sind zwölf auf jedem Ufer grade angemessen. Zwei weitere für die Vorreiter nicht gerechnet, wiederum streng symmetrisch.
An dieser Stelle möchte die Demoiselle einen ohnmachtsnahen Seuf-zer aus sich herauslassen und abgehen. Aber die Prinzipalin, die schon viele aussichtslose Dispute zu ihrem Vorteil entschieden hat, mit Fuhr-leuten, Grenzwächtern, Steuervögten, Zöllnern, Zensurbeamten und Ofenheizern während ihr Propodonsky längst zur Tür hinaus war – Lu-cille de Brée gibt nicht auf.
„Seine Durchlaucht der Fürst Dalberg erwartet uns mit allerhöchster Ungeduld. Durchlaucht wird sich bei Ihnen erkenntlich zeigen. Fürstlich versteht sich. Nicht zu reden von der Ehre für Sie, wenn Sie ihm uns vor die Tore expedieren. Mit ihren kraftstrotzenden Ruderern in seinen fürstlichen Hafen.“
Kitzeln täts den Floßmeister schon. Sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater sind ein Flößerleben lang talwärts gefahren, niemals berg-wärts, wenn sie auch bis Belgrad gefahren sind und noch weiter hinunter dem Schwarzen Meer zu. Was für eine Herausforderung, einmal den verwegenen Kerl heraus zu kehren der auf alle Strömung scheißt, wenn zwei so gescheckte und geschleckte Theaterzeisige ihn anhimmeln als wäre er der wundertätige Antonius von Padua. Ohne dem sein Keusch-theitsgelöbnis, versteht sich. Keine große Kunst also, den Damen nun hoch und heilig Versprechungen daher zu flunkern, keine davon zu halten und abzuwarten, was die Weibsbilder ihrerseits einlösen.
Vorweg und à conto.
„Wir wären auch alle zusammen behilflich.“
Und sie vollführen weit ausholende Ruderbewegungen dazu.
“ Aus vollen Leibeskräften, drei…. vier…. !“
Worüber sie selber lachen müssen.
Im Floßmeister besiegt die Verwegenheit den Griesgram des ewigen Tabakbeißers. Und ob er die beiden wupsigen Vögeleinchen an den Rudern sehen möchte ! Gnadenlos möchte er sie scheuchen. Aus vollen Leibeskräften. Ihren und seinen. Drei, vier, fünf, sieben, zehn …
„Vor allem Käpernick gibt einen baumstarken Ruderer ab“ brüstet sich die Demoiselle, als brauche der Floßmeister seine nautischen Hoffnun-gen nicht allein auf die beiden Damen zu beschränken, und zeigt mit ausgestrecktem Finger hinüber auf den schwergewichtigen Kollegen.
“Unser Käpernick ist ein veritabler Herkules.“
Der dicke Derbleckhansel, der den Floßmeister nachgemacht hat zum Gaudium seiner Flößer. Den dienen sie ihm an, statt sich selbst ! Der Floßmeister hat seine Grobheit unter Verschluss halten wollen, aus-nahmsweise, im Umgang mit kapriziösen Flatterlieserln ist er nicht recht firm. Jetzt holt ihn seine Grobheit wieder ein, und er spuckt knapp an ich-nen vorbei eine Ladung Tabaksud ins Wasser.
„Zuchtln.“
„Vergenung, aber wir haben Sie nicht verstanden, Herr Kapitän.“
Grimmig abwinkend lässt er sie stehen.
„Mitm Gottseibeiuns derfts bergwärts fahrn, und euer Herr Kuhles da kann mich kreuzweis.“
Der Prinzipal, histrio primus, rex leonorum, hat kein Wort für die Bergfahrt eingelegt. Er sitzt mit sich allein, stiert einen Putenkäfig an und wendet den Seinigen den Rücken zu.
„Die Verhandlungen dass wir Regensburg anlaufen stehen günstig“ meldet ihm die Prinzipalin.
„Er ist ein Plusterich, aber ich hab ihn so gut wie rumgekriegt.“
So wie auch ihr Propodonsky ein Plusterich ist. Sie tätschelt ihn wie einen Fünfjährigen.
„Du wirst nicht bloß den Spiegelberg spielen. Diesmal kriegst du den Karl Moor“.
Sie versetzt ihm einen Kuss auf die Stirn, à conto. Der künftige Karl Moor nimmts als vorweggenommene Huldigung. Er wird nach Regens-burg gerudert werden, und mag noch so viel Strömung es hindern wollen. Es steht ihm zu, so wie ihm der Karl Moor und eine Extravorstellung vor dem Kaiser zusteht. Er rudert sich selbst, er rudert den ihm zustehenden Franz Moor aus sich heraus. Und sein eigener Karl Moor rudert ihn nach Regensburg. Schon geht die Courtine für ihn auseinander, unter ihm in der ersten Reihe muss der Fürst Dalberg stillesitzen während Propodonsky zu ihm hinunter donnert, stimmmächtiger als damals in Mannheim :
„Oh über mich Narren, der ich wähnete die Welt durch Greuel zu ver-schönern, und die Gesetze durch Gesetzlo¬sigkeit aufrecht zu halten. Ich nannte es Rache und Recht….“
Und er spürt, er wird zwanzig Jahre jünger dabei. Lucille möchte ihn noch einmal küssen, aber er schiebt sie beiseite, nun ist er ganz Karl Moor geworden und als Oberräuber zugange in den böhmischen Wäl-dern, und Lucille steht als Amalia auf dem Söller ihres Schlosses und sehnsüchtet zu ihm hinunter :
„Was hab ich getan, ich unschuldiges Lamm? Ich hab diesen geliebt!“
Was wäre sie in ihrer Jugend für eine Amalia gewesen. Was Käpernick für ein Schufterle und zugleich ein alter verhungernder Moor. Sie schau-keln sich alle in Rollen hinein, die sie nie gespielt haben. Schuff springt über die Stämme, seine Pelerine weht, er schleudert jedermann und jederfrau seinen Franz Moor entgegen. Den Kollegen, den Bauern, den Ziegen, die als einzige auf dem Quivive sind und ihm mit der selben gepressten Intrigantenstimme antworten.
Und Schuff gibt ihnen genauso ziegisch heraus.
„Hier nimm diesen Degen. Hurtig. Jag ihn mir hinterrücks in den Bauch, dass nicht diese Buben kommen und treiben ihren Spott mit mir.“
Das Ensemble verwandelt sich in Raubgesellen. Erst jeder für sich, an verschiedenen Ecken des Floßes, mit Einzelsätzen, in den Winterwind ge-schmettert. Dann rücken sie dichter aufeinander, damit ihre Sätze nicht nur ins Leere fallen, auf dem Langholz balancierend ( auf einmal glückts ihnen, wo sie Übelbolde sind ) nehmen dem und jenem Kollegen die Replik ab, werfen sich über Ochsenrücken hinweg die Stichworte zu.
Die Holzleute, die Bauersleute, die Viehleute wissen nicht wie ihnen geschieht. Noch nie haben sie eine Theateraufführung gesehen. Dafür hat Strönebald erfasst, dass die Nichtstuerei in Arbeit umgeschlagen ist und eine Stückprobe ausgebrochen. Er setzt sich zu Füßen seines Meisters und souffliert.
„Oh eitle…“
„Oh eitle Kinderei - da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens, und erfahre nun mit Zähnklap¬pern und Heulen, dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grund richten würden.“
„Legt ihn…“
„Legt ihn an Ketten! Er ist rasend worden.“
“Das ist meh als…”
„Das ist mehr als ein Mann erduldet. Hab ich doch ….hab ich doch…hab ich… “
„…hab ich doch den Tod…“
„…hab ich doch den Tod aus mehr denn tausend Röhren auf mich zu-pfeifen gehört, und bin ihm keinen Fußbreit gewichen.“
Parbleu, das ist anderes Kraftfutter als dieses Tortengebrösel von Rö-merdrama, das sie im Gepäck nach Wien zu schleppen haben.
„Soll ich jetzt lernen beben wie ein Weib? Nein, ein Weib erschüttert meine Mannheit nicht - Blut, Blut! Blut muss ich saufen.“
Die Kartenspieler haben ihre Karten in Sicherheit gebracht, die Hühner-steigen werden zugehängt. Der Schafsbesitzer stellt sich vor seinen Scha-fen auf, die Hand in der Tasche umklammert sein Stilett. Flößer und Bau-ern rücken in weitem Abstand von den Schauspielern ab. Gmeinwieser, den Arm um die Wallfahrerin gelegt, hilft ihr den Segeltuckasten hinter der Hütte zu bergen. Ihrer beider frommer Gesang steigt auf wie dünner Weihrauch. Propodonsky kommts gerade recht, just in dieser Sequenz braucht er Choräle als Hintergrund, wie sie in einem Kloster gesungen werden .
„Wir gehn weiter von Zelle zu Zelle, nehmen einer Schwester nach der andern die Kleider, endlich auch der Äbtissin - „
Sogar der leise Strönebald wird schrill. Er der sonst nie schrill wird. Er schlägt auf seiner Harfe Klostersturm, Plünderung und Feuersbrunst. Wie damals in Mannheim, als es den Zuschauern im Hoftheater grauste.
Nun graust den Zuschauern wieder, auf dem Floß.
„- jetzt pfeif ich, und meine Kerls draußen fangen an zu stürmen und zu hasselieren -“
In seinem Schrank hat sich Langebehn warm gesungen für seinen künftigen Direktor Dalberg, der ihn als Karl besetzen wird. Als er durch die Bretter hört, dass ein anderer sich in seiner Paraderolle produziert, reißt er beide Türen auf und springt heraus.
„ - als käm der jüngste Tag, und hinein mit bestialischem Gepolter in die Zellen der zehn Schwestern! – hahaha! –„
Nun gibt es zwei Karl Moors auf dem Floß, die sich gegenseitig überschreien.
„ - da hättest du die Hatz sehen sollen, wie die armen Tierchen in der Finstere nach ihren Röcken tappten, und sich jämmerlich gebärdeten, wie sie zum Teufel waren –„
Zuerst halten die beiden Karl Moors weiten Abstand voneinander. Der eine bei den Kühen, der andere bei den Kalkbottichen.
„- und wie sie sich vor Schreck und Bestürzung in fünfzehn Bettlaken wickelten, oder unter dem Ofen zusammenkrochen wie Katzen, andere in der Angst ihres Herzens die Stube so besprenzten, daß du hättest das Schwimmen drin lernen können, und das erbärmliche Gezetter und La-mento – „
Dann bewegen sie sich aufeinander zu, schreien sich von weitem nieder.
„- und endlich gar die alte Schnurre die Äbtissin, angezogen wie Eva vor dem Fall - „
Nun sind sie auf gleicher Höhe, auf dem selben Holzstapel, ihre erhitz-
ten Gesichter fast Nase an Nase. Die Kollegenschaft ist stumm geworden und beobachtet angewidert, wie die beiden sich mit Spucke besprenzen.
„Du weißt, Bruder, dass mir auf diesem weiten Erdenrund kein Ge-schöpf so zuwider ist, als eine Spinne und ein altes
Weib – „
Welchem wird zuerst die Stimme wegbleiben ?
„ - und nun denk dir die schwarzbraune, runzlichte, zottige Vettel vor mir herumtanzen, und mich bei ihrer jungfräulichen Sittsamkeit beschwören – alle Teufel ! Alle Teufel !!!! Alle -“
Beide haben keinen Text mehr. Sogar Strönebald hat in der Hitze des Hahnenkampfes vergessen, in sein Büchlein zu schauen. Welcher Moor sich nun seine Stimme zerschrieen hat, ist nicht auszumachen, weil beide schweigen und finsterlich unter sich sehen. Und kein Schiedsrichter erlöst sie aus ihrer feindseligen Zweisamkeit.
Das Wort übernimmt dafür eine Schar Möven, die sich unter Gekreische auf dem Wasser niederlässt. Langebehn schaut zu ihnen hinüber, als beziehe er ihr Gekreisch als Applaus auf sich, wenn schon alle andern schweigen. Und weil alle dem Halswenden Langebehns folgen, weil er nun einmal einen so langen Hals hat und den auch einzusetzen weiß, sehen alle zu den Möven hin, die durch spiegelglattes Wasser gleiten, auf dem die einzigen Wellen von den Schwimmzügen der Vögel herrühren.
Das Floß, von keiner Strömung mehr getrieben, kreist um sich selbst. Keine Welle, kein noch so kleines Wellchen leckt mehr an ihm. Der Fluss ruht sich aus und benimmt sich als wäre er ein See.
„Herrgottsakrament, sonst war doch a Gumpn seit eh und jeh, brunn-tiaf ! “
Der Floßmeister befiehlt seine Flößer an die Ruder, vor sich hinschim-pfend und alles verfluchend was ihm vor die Augen kommt, um seine Hilflosigkeit zu verstecken. Denn ein Floßmeister, dem so viele Ster Holz und so viel Vieh anvertraut sind, die Schauspieler nicht gerechnet, der hat nicht hilflos zu sein.
„Wann`s Wasser net fliasst wia’s in Gottes Ordnung vorg’sehn ist“ belehrt Gmeinwieser den Floßmeister und steht dabei da, wie ein Pro-phet dazustehen hat “nacha handelt es sich um ein Warnzeichen vom Herrgott“.
Und bekreuzigt sich.
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des…“
Dem Floßmeister kommt er gerade recht als Ziel seiner Be-schimp-fungen. Den Viehhändler mit Hostienjackl hin und Weihrauchlutscher her übergießen bringt mehr Labsal als umständlich den heiligen Nikolaus anzuflehen, der weit weg ist.
Scheinheiliger Joseph ! spritzt er, mit Tabakschleim vermengt als Weihwasser, und Rosenkranzwichser verdruckster während die Ruder-blätter seiner Floßknechte das stille Wasser zerhacken und das Floß trotzdem nicht in Fahrt bringen.
Gmeinwieser erleidet die Tortur der Schmähungen so gleichmütig wie demütig. Er, Johann Baptist, ist der Schutz und Schirm alles Lebendi-gen wie auch der Tier- und Holzfracht auf diesem Floß, er ist die gute schützende Hand des Floßes schlechthin. Wenn es auch nicht alle verdienen, dass dieselbe über sie gehalten wird.
„De Bagasch, de g`wisse, de san gar koane Schauspieler net. Die san a Verbrechergschwerl, de san zur Fahndung ausg’schriebn.“
Und wer das nicht wahrhaben will, ist von Gott vorsätzlich mit Blind-heit geschlagen. Und wen der Herr mit Blindheit schlägt ma brauchts gar net extrig zum betonen laut Heiliger Schrift der ist zum Untergang bestimmt.
Da kanns nur eins geben -
„Fahr morgen ohne de Bagasch davo.“
Und das Lumpengesindel steht an der Lände, ausgschmiert und behumpst, weil das Floß seit einer Stunde fort ist. Der Floßmeister wirft sich selber auf einen Ruderbalken und macht mit Gebrüll wett, was seine Stämme nicht an Strömung gewinnen.
„Kommst jetz ins Rinnen, du Luadaviech du verreckts…“
Er schmäht die Stämme auf denen er steht. Aber Gmeinwieser setzt nach. Ob der Floßmeister etwa nicht gehört hat, dass der Tandler Kajetan zwei Rollen bunter Seidenbänder verlustig gegangen ist ? Und ob er die Hühner gezählt hat, die auf und davon geflattert sind, obwohl ihre Steigen fest verschlossen waren ? Und die Kartenblätter, die den Knechten auf einmal fehlen in ihrem Spiel ? Und ob er drauf schwört ( hier stipft er den Floßmeister mit seiner Geißel vor den Bauch ) dass die Münzen und Hirschzähne und das andere Charivari noch vollzählig sind, die an der Uhrkette da vor seinem Floßmeisterswanst hängen ?
„Das nennt ma fei Begünstigung, wann einer der wo fürs Gesetz steht Straftaten duldet de wo vor seine Augn passiern.“
Des Floßmeisters Beschimpfungen wurden an Gmeinwiesers ange-maßtem Inquisitorengeschaftel zuschanden. Dersticken sollst, Weihwas-serpritschler, an deiner eigenen Heiligkeit beißt der Floßmeister unhörbar in seinen Tabak hinein, aber hörbar sagt er, es sei ordnungsgemäß alles bezahlt worden für die Schauspieler.
„Von dene Schlawiner ?!“
Von einer dritten Person, feit si nixn, und zwar inkognito und im voraus.
Inkognito, da hört si ja alles auf, inkognito öffnet allem Obskurantischen Tür und Tor, und ob in des Floßmeisters Hirnkastl da etwa kein Verdacht rieselt, woher diese dreißig Silberlinge wohl ge-flossen sind.
„Es war koa Geld net aus deiner Bibel. Es war hiesig gültige Währung.“
Und wieder Schweigen, in das des Floßmeisters brauner Speichel rinnt, und weitere Schläge mit dem Ruderbaum, die nichts ausrichten.
Gmeinwieser wird nun auch gegen den Floßmeister Verdächte hegen. Und Verdächte sammeln. Denn siehe, die Verstockten rudern den Untä-tigen in die Arme, so wird das Schifflein derer die reinen Herzens sind, mit hinein gerissen in den Strudel der Verdammnis.
Paxvobiscum drauf und Amen.
Zutiefst auf dem Grund die Götzen die die guten Geister des Flusses waren, die um gute Fahrt angefleht worden sind vor Antritt der Fahrt, denen Opfer dargebracht wurden und die nun darben, nicht einmal mehr das Aas das im Fluss treibt sinkt zu ihnen hinunter, die Ruderblätter der Schiffer zerschneiden es, es geht ein in die gierigen Mäuler der Hechte und Welse und Krebse und aus ihrem After wird ihnen nur noch ein dürftiger Anteil davon überlassen.
Die Flaute weicht bis zum Abend nicht. Das Wasser weigert sich, das Floß weiterhin den Strom hinunter zu tragen. Der Strom verlangt sein Opfer nach altem Flößerglauben, ob christlich oder aus heidnischer Vor-zeit, da drauf is gschissn. Auch die Heiden waren schon Flößer und haben gewusst wenn der Strom ein Gelüsten zeigt auf ein Menschen-opfer, und ehe zwanzig Christenleut ewig und drei Tage festsitzen und in der Kälte, ist es christenmäßig, es gibt sich einer als Märtyrer her.
Der Fluß mag Weiberfleisch, warum sonst hätte er all die heiliggespro-chenen Jungfrauen verdaut, die seither die frommen Legenden bevölkern. Also wird dem Fluß auch die etepetete Schachtel aus der Schauspielerbagasch schmecken, der es keiner von den Knechten wert ist dass sie ihm auch nur ein Grüßgott sagt.
„Gebn ma ihr wir ihr an Grund zum Plärren nacha brauchst koam mehr Grüßgott sagn.“.
Sie greifen sie sich während ein Schneeschauer niedergeht und alle zusammengekauert sitzen, mit tief übergezogenen Mänteln und Hüten. Kaum dass sie auszumachen ist zwischen Schafen und Holzbeigen, allein ihre Harfe ragt aus dem frischen Schnee. Einer hält ihr den Mund zu und lässt erst los, als sie sie auf drei ! an Händen und Füßen kräftig hin und her schwingen und ins Wasser platschen lassen.
Die Aale fallen über das frische Fleisch her noch ehe es zum Grund sinkt, was immer da sinkt muss den Weg durch ihren Schlund nehmen, die Krebse haben sich in den Waden hochgefressen, aber die Grund-schwämme und Medusen haben was es bereits besetzt und an sich ge-bracht, Schwimmfarne sind an ihm festgewachsen, das Opfer ist un-kenntlich geworden und zu einem weiteren Klumpen Grundschlamm –
Strönebald wird flussabwärts davongetragen. Durch das Schneetreiben ist zu sehen, dass er seine dicklichen Frauenarme einsetzt.
„Dö Matz kann schwimma !“
Die Flößer, die Beweger gewaltiger Stämme, können es nicht.
„Wiara Hund, a vareckta…“
„Do verreck…”
Strönebald, ob aus eigener Kraft oder von den Stromschnellen getragen, bleibt an einem Kiesbrett hängen, fünf Steinwürfe voraus.
„Verreckn sollst, Matz ! Vareckn…“
„Vareckn !“
„Vareckn !“
Aber Strönebald leistet ihrer Aufforderung keine Folge, Wasser rinnt aus seinem grauen Wollzeug, seine Füße gleiten ab auf den vereisten Schotter, er zieht die Beine an sich bis er selber aussieht wie ein Steinhaufen.
Aber schweigen tut er noch immer.
„Vareckn !“
Sie drohen ihm mit ihren Flößerstangen. Eine Schande ist die Matz, bleibt seine Pflicht als Opfer schuldig, und auch das das herzzerreißende Gekreisch auf das sie sich gefreut haben.
Recht geschehe ihnen, müssen sie sich von Gmeinwieser belehren lassen.
„Weil ös habts des Bittgebet vergessen beim Hineinschmeißen, ihr Schneitzer.“
Wie hätte der Fluß denn derschmecken sollen, dass die Dickmamsell ein Weihopfer ist, ha ös Prackn, ös gottvergessnen ? wenn der Fluss nicht in aller Form durch ein Gebet drauf aufmerksam gemacht wird.
„Eine Rücksichtslosigkeit is des sondersgleichen, gegenüber dem Jenseits, schaamts euch !“
Dass Strönebald keine Wasserleiche geworden ist sondern errettet, hält nun wiederum die Wallfahrerin für ein gutes Vorzeichen und ein Mirakel, beides in einem. Ein gutes Vorzeichen für ihr eigenes Anliegen, erweist sich doch daran, dass vom Himmel herunter auf einen aufgepasst wird und die Schutzheiligen, allzeit auf der Wacht sind. Als die Floßknechte sich ein passendes Gebet zurechtgelegt haben und sich verständigen, die Dickmamsell mit ihren Haken einzufangen um sie ein zweites Mal zu tränken, lässt das Floß jeden seiner Stämme einzeln knarren, und Wellen gluckern von unten ans Holz.
„Mir san wieda am Rinnen !“
Jetzt ist das Wunder also doch eingetroffen, nach wundersam kurzer Anstandsfrist. Gmeinwieser bestätigt es dem Floßmeister.
„Die allerheiligste Jungfrau und der heilige Nikolaus san tätig worn. Paxvobiscum drauf, und Amen.“
Und wer hat sie darum angefleht ? Gmeinwieser, die allzeit gute Hand, hat die der Jungfrau und dem Sankt Nikolaus zustehenden Gebete ver-richtet.
Aber hat nicht grade vorhin wer bittschön was von einem Betbruder gegiftet ? Während der Floßmeister die Zunge statt zum Beten nur bewegt hat, um seinen Tabak um und um zu schaufeln.
„Du Herr, fahr uns voran,
Du bester Steuermann !“
Die Flößer, gottesfürchtig wie sie sind, wollen Gmeinwiesers Tadel nicht auf sich sitzen lassen und singen, im Takt ihrer Ruderschläge mit dem sie sich Strönebald nähern, ihren Bittgesang.
„Lass uns durch Seichten und durch Wellen
Nicht die gebahnten Fährten fehlen.
Denn unser Leben, Hab und Gut
Ist Herr in deiner Hut“.
Das Floß hält auf Strönebald zu. Die Flößer, wenngleich schier blind vom Schnee, sind guten Mutes. Sie bewirken wieder ein Vorankommen mit ihren Ruderschlägen.
Schwimmfarne wuchern auf dem Kadaver, der noch keiner ist, noch regt er sich, noch strebt er mit letzter Lebensenergie zurück an die Oberfläche um Luft in seine Lungen zu saugen statt dem Grundwasser das in sie einsickert, aber schon schwemmt sich Fischlaich darin breit, schon verwandeln sich die Lungen in Kiemen, schon bohren sich Krebse in die Adern, füllen Schwämme den Rachen aus und ersticken das letzte Gurgeln, senken sich Quellmooswurzeln zwischen Augenhöhlen und den Augäpfeln, die fassungslos zu den Schiffsbäuchen hinauf starren die hoch über dem Versunkenen dahinziehen.
Als das Schneetreiben vorüber ist, zieht Gmeinwieser eine Grenze zwischen dem, was er fortan für sein Revier erklärt und dem was er den Schauspielern zuweist. Eine Fahrt auf dem Wasser ist allemal eine harte Prüfung der Seele, man denke daran wie Christus gerudert ist mit seinen Jüngern auf dem See Genezareth.
Denn wo kein fester Erdboden mehr unter den Füßen selbigen eine Stütze bietet, da wird sogar einer wie der Sankt Petrus schwach, der Fels auf den wo doch die Kirche erbaut ist. Nachzulesen bei Markus und Matthäus, bei letzterem im vierzehnten Kapitel.
Obs einer aufschlagen will, und dazu ein Haferl Milch ? Und Gmein-wieser bewirtet die, die er mit einem gespannten Strick als Grenze von dene Grattler da getrennt hat, mit frischer Milch, euterwarm von seinen Kühen. Und die Bagasch, die gottlose geht leer aus und muss zusehen wie die anderen sich laben Nur mit Kunterkasten macht Gmeinwieser eine Ausnahme und rechnet ihn vorerst noch nicht zu den Gottlosen.
„Weil, Sie möchten noch zum derretten sein, junger Mensch.“
Aber nur wenn Kunterkasten im Gebet selber mit anpackt und sich heraus betet aus der Schlangengrube der Kunst. Steht doch geschrieben schon im vierten Buch der Genesis, dass die Künstler wie die Schwert-schlucker und Scherenschleifer und Schlangenbeschwörer vom Kain abstammen. Dem Brudermörder, der von Gottes Fluch um den Erdkreis gehetzt wird bis ans Ende der Zeiten. Und mit ihm seine Brut. Wahrlich, sie soll keine bleibende Statt haben auf Erden, keinen Hof und kein Vieh und rein kein gar nix. So wie der Propodonsky,
Paxvobis drauf und Amen.
Mit dem Glaubenssatz, Melken sei immerdar Frauendienst, bringt die wallfahrende Bauersfrau auch der Prinzipalin das Melken bei. Lachhaft dass eine Weibsperson nicht melken können soll auch wenn sie eine Städtische ist. Ans Euter, Städtische !
Aber so, dass Gmeinwieser, der Herr der Kühe, es nicht derkneißt und merkt. Mit dem Thema Milch Stadt wie Land sind da gleich, gell ist die Wallfahrerin von Frau zu Frau stracks beim Thema Stillen. Auch über die Brustmilch wacht eine eigene Heilige. Eulalia heißt sie, und die Wall-fahrerin Notburga hat sie angerufen wie es sich gehört selbigsmal als sie Wöchnerin war und ihren Sohn Blasius gestillt hat. Auch Sankt Blasius ist einer von den heiligen vierzehn Nothelfern. Und die Wallfahrerin hangelt sich von einem Heiligen zum anderen wie durch das Ensemble eines Hoftheaters ( findet Lucille ), von einem Akteur zum nächsten, und auch hier hat jeder sein ganz spezielles Fach, seine Macken und Manieren und Manierismen, seine Eitelkeiten und seinen Rollen-Starrsinn.
Und grad heute ist, wie der Herrgott es halt so fügen tut, der Tag des Heiligen Sebastian, auch er einer von den vierzehn Nothelfern, die im Himmel in steter Bereitschaft sind für die Christenmenschen. Bei der Zeugung ihres Jüngsten, gesteht Notburga bei einem weiteren selbstgemolkenen Haferl, da hat sie an eben diesen Heiligen Sebastian gedacht.
„Weil der is das einzige Mannsbild g`wesen das wo i jemals nackert gsehn hab als Kind.“
Abgesehen vom Heiland selber vastehngaS scho wia i des moan, aber an Jesus denken bei der Fleischeslust, das gehört sich nun einmal nicht. Eine Fleischeslust muss aber halt amal mit dabei sein bei einer Zeugung, sonst bleibts trocken unterwärts, und ihren Ehemann hat sie eh immer bloß im Hemd erblickt. Also hat der heilige Sebastian aushelfen müssen, lustmäßig, obwohl er rundumadum von Pfeilen durchbohrt ist und leiden muss sodass es einem durch und durch geht. Aber vielleicht war die Fleischeslust gerade darum eine erhebliche so dass es zu einer Empfängnis gekommen ist.
„Und wia zur Straf is der Sohn dann…“
Sie bricht ab. Und wie erschrocken über das Bekenntnis, das sie da fast abgelegt hätte, schiebt sie drüber, nach dem Sebastian habe sie ihren Jüngsten dann doch nicht taufen lassen, obwohl eben dieser Heilige auf der Pass war beim Geschlechtsakt. Mit zugeschaut und sie gewacht hat also, und auch mit Hand angelegt oder wia ma da sagt und sich dann zurückgesetzt fühlte, weil der Bub nicht Sebastian getauft worden ist sondern Blasius. Weil bei dem zwar keine Lust dabei war, bloß halt dass es halt der Sankt Blasius-Tag war an dem der kleine Blasius ans Licht der Welt gezogen wurde.
„Aber ein Heiliger, der rächt si doch net, scho gar net ein Märtyrer…“
Das mit dem Märtyrer geht in einem jähen Weinkrampf unter. Lucille muss die Wallfahrerin an sich drücken, und die zeigt sich erkenntlich für die zärtliche Geste indem sie noch hemmungsloser heult.
Es ist Nacht und eisig, wenn sie anlegen, von Rauhreif überzogen. Fackeln müssen her beim Aussteigen, und als Kunterkasten mit Käpernick die Kostümtruhe an Land trägt, schreit der :
„Pustelkasten ! Du ahnst nicht wie entstellt du aussiehst. So recht igitt igittig siehst du aus.“
Kunterkasten fasst sich ins Gesicht, in eine hubbelige Hügellandschaft auf beiden Backen. Das muss der Frost sein gewesen sein, der ihm das angetan hat.
„Keine falsche Beschuldigung ! Das kommt, du hast von Gmeinwie-sers Milch geschlabbert, verleg dich bloß nicht aufs Leugnen. Euter-warm bekommt dir nicht, Kleiner, mit deiner Konfirmandenkonstitution.“
Als hätte die Milch in seinem Pastorensohnmagen reklamiert bei den katholischen Heiligen, die sie vorweg gesegnet hatten. Unter dem Vorbe-halt allerdings dass ein Katholik sie trinkt. Während Kunterkasten ein unbefugter ungesegneter Milchschlotzer ist, ein Segensschmarotzer.
Als Gmeinwieser sieht ( beim Schein einer Fackel ) was sein milchernes Präsent bewirkt hat, ist er sogleich zur Hand mit Wortprügeln wie alle Heiligen stehts mir bei ! und wie er sich getäuscht hat in dem Buben, dem nun vom Schicksal sein wahres Wesen ins Gesicht geschrieben worden ist hütet euch vor den Gezeichneten ! wie weiland dem König Usia im Alten Testament, welcher vom Herrn verstoßen ward weil ihm die Bosheit seiner Seele sichtbar aus der Stirn gesprungen ist als Aussatz. Wie nun auch diesem Räuberburschen.
Lauter derlogene Judenmärchen tische er da auf, geben die Floß-knechte kontra, und Gmeinwieser wiederum hält dagegen ( mit triefender Nase ) da sei allerhand zum derlernen von den Juden im Alten Testament., gerade weil sie Sündendunkel gewandelt seien, Anwärter auf die Ewige Verdammnis, giftkundig, wucherkundig, mordlustig, Experten allsamt des Unheils. Aber akkrat aus dem Giftpfuhl steigen Giftblasen auf und zeigen dem Gottesfürchtigen wo er sich hüten soll dass er nicht selber hineintritt.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
Und wenn die Schauspieler heute ihr Spektakel aufgeführt haben auf dem Floß, führt Gmeinwieser nun ein christenfrommes Spektakel auf und drängt jedes einzelne seiner Rinder verkehrt herum in den Heuschober der Herberge. Denen die lachen ( und es lachen die allermeisten, Kajetan führt sie an ) droht er, ihr Gelächter werde ihnen als Stein in der Gurgel steckenbleiben. Denn das Verkehrtrumführen sei ein todsicherer Schutz gegen Raub-Anschläge wie auch gegen Verwünschungszauber. Der bekanntlich arschwärts eindringt in die Kühe, und bei de Weiberleut von unten rauf.
Wenn Zauber und Räuber nun also in der Nacht eindringen wollen in den Stall, ist ihre Macht huidiwams zunichte und flattert giftig zurück zu den Urhebern und tut diesen selber Böses an, und man werde schon sehen morgen wem !
Gleichwie man heute den Ausschlag gesehen hat in dem Gfries von dem gewissen Dingsda.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
Die Herberge ist längst belegt, der Stall auch, darum bleibt Gmeinwieser nur der Heuschober. Der Herr des anderen Floßes, Gmeinwieser schon wieder einige Stunden voraus, hat ihn besetzt mit seinen Rindern und schläft droben in der Kammer den Schlaf des Ungerechten, von Gmeinwieser verflucht. Die allerletzte Kammer hat Kajetan Jasomirgott grade noch ergattern können, weil er in die Herberge gerannt ist und nicht geschritten wie Langebehn, der ihn dafür nun seinerseits verflucht. Die Schauspielerschar stürmt zur Scheune. Wenigstens ein Lager im Heu ! Stachlig aber warm, sie sind ohnehin auf dem Wege zur Verochsung.
Hinter dem Scheunentor aber verwehrt ihnen der Grenadier den Eintritt. Gmeinwieser hat ihn auf seine Seite gebracht mit Milchgaben und geradebrechten Zauberwarnungen. Und so bewacht Napoleons Soldat nun als Gegendienst neben den Fässern Napoleons auch die Rinder, die in den Mägen von Napoleons Armee ihre Ruhe finden sollen.
Wo also, ja wer sind wir denn, die Nacht verbringen ? Aus der Hütte auf dem Floß steigt wieder das Räuchlein, wie eine herausgestreckte Zunge. Und aus den Fenstern der Wirtsstube steigt Gelächter. Als Schuff sein Gesicht gegen die Scheiben drückt, sieht er Käpernick, der kein reichliches Publikum hat, aber ein Publikum eben doch. Der Wirt sitzt ihm zu Füßen, Käpernick steht auf dem Tisch und übt so fidel seinen Beruf aus, als hätte er nicht den ganzen Tag durchfrieren müssen. Als er Schuff bemerkt, beugt er sich zum Wirt hinunter, nimmt dessen Hand und winkt damit den Seinigen. Der Wirt prustet, gibt seine Hand dazu her ohne Widerstand, das Weinglas vor ihm ist leer getrunken und sein Lachgesicht voll Wonne. Bei ihm hat Gmeinwieser noch nicht Gelegenheit gehabt, die Wiese seiner Warnungen zu mähen.
Als die Komödianten sich in die Herberge tasten ( keine Fackel hilft ihnen dabei ) stolpern sie im Windfang über quergestellte Hölzer und Säcke, die in die Mauerwinkel geworfen sind. Aber es sind keine Säcke, es sind Leiber, und die Querhölzer die Schienbeine von Mönchen. Sie hocken eng beeinander wie eine Herde Wachteln und tragen den Schauspielern fromme Hilfestellungen an, verschämt und im Flüsterton. Im Gegenwert eines halben Broteweckens, einer Handvoll Dörrbirnen.
Und nichts davon fehlinvestiert, denn der Herrgott im Himmel hört nach wie vor auf seine Minoriten. Auch wenn sich die Ohren der weltlichen Obrigkeit ihnen verschlossen haben. Ein Ave Maria für drei Kreuzer, wird gezischelt, eine Eingabe beim Sankt Ägidius gegen Ischias für sieben Kreuzer. Eine Beichte gehört extra ausgehandelt, und für die Absolution wäre eine Knoblauchwurst das rechte Entgelt.
Langebehn macht sich ein Vergnügen daraus ( sein erstes an diesem Tag ) verachtungsvoll über sie hinwegzuspringen. Aber das Vergnügen wendet sich gegen ihn, er kommt verbittert in der Wirtsstube an, denn die sanften Trottel von Mönchen haben ihm einen Abendsegen nachgerufen.
„Mönchsgerippe ! Kirchenasseln !“
In der Wirtsstube gibt es kein Licht mehr, nur eine Talgkerze, und auch keine Speisung. Aber es gibt ein Nachtlager. Käpernick mit seinen Spas-settln hat es für sie alle erwirkt. Langebehn geht ein so erschlichenes Almosen contre coeur, es drängt ihn, will er vor sich selbst bestehen, wieder nach draußen. Aber dann müsste er noch einmal über die Mönche springen und die würden ihm, die Kirchenasseln, noch einmal einen Abendsegen hinterher rufen. Schon ist die einzige Bank besetzt und das nicht von ihm, Langebehn kann gerade noch die Kostümkiste für sich annektieren, auf der er seinen Mantel als Hoheitszeichen ausbreitet. Die anderen nesteln sich die Kostüme als Schlafdecken zurecht, die sie schon den ganzen Tag um sich gewickelt hatten, und lassen sich in der Wirtsstube nieder wo es sie gerade stehen.
„Ah, heut schlummere ich unter Falstaff mit Pantalone als Zudeck“ brummt Käpernick.“ Ich hoffe, sie bekeifen sich nicht wieder die ganze Nacht.“
Und wälzt sich neben Kunterkasten vors Ofenloch, in dem noch die Asche glüht.
„Was sind wir doch für Glückskinder !“
Die Glut beleuchtet wärmend sein Grinsgesicht. Und, gedämpft und nur noch für Kunterkasten : “Gräm dich nicht weil der Betbruder uns das Fürstenzimmer weggeschnappt hat und sein Rindvieh auf Seidenkissen schnarchen lässt. Ich hab dafür deine Pusteln gerächt und ein paar von seinen Kühen die Schwänze zusammengeknotet.“
Der Demoiselle, Schuff, und der Prinzipalin bleiben als Kopfkissen nur die eigenen Arme, auf den Wirtstisch gelegt. Die Salzstreuer, die dort standen, werden morgen früh ebenso vermisst werden wie das Bierseidel des Wirts und die Zinnfiguren der Heiligen im Herrgottswinkel. Wenn sich die Schauspieler leidlich zum Schlafen eingerichtet haben und das Talglicht nur noch ein gelber Punkt ist, der stinkend verrräuchert, wagt sich als letzter der Prinzipal herein.
Er hat, wispert er Lucille zu, den Posthalter aus dem Schlaf geklopft. Vergebens. Die gewisse Botschaft von seinem gewissen Vertrauten, dem du-weißt-schon-Aktuarius zu Wien, lässt und lässt und lässt auf sich warten. Bei dem Schnee ist halt kein Durchkommen, tröstet ihn Lucille, die Postpferde versinken im Harsch. Der Prinzipal verflucht die verweichlihten Schindmähren, die sich in Schneewehen sacken lassen statt ihm, dem rex leonorum im Galopp herbei zu tragen, was ihm zusteht. Er ruft nach Brieftauben, er bestellt Brieftauben ein zu dieser nächtlichen Stunde in diese schlafende Flößerherberge, wie Schauspieler zur Stückprobe. Weil ihm aber keine Textstelle einfallen will in der Brieftauben und faule Postpferde vorkommen, nicht bei Racine, nicht bei Gottsched, nicht einmal bei Kotzebue, beschränkt er sich darauf, ihnen allen mit geballter Faust zu drohen.
Sogar Kotzebue.
Und weil er weiß, dass sein Ensemble nicht schläft, wenn ihr Prinzipal pantomimisch agiert, teilt er Lucille im Flüsterton mit was alle wissen sollen :
„Das Spektakel da das sie dem Napoleon geboten haben im Hoftheater, das war kein Schauspiel. Das war La clemenza di Tito. Diese aufge-takelten Singstörche von der Opera schon wieder ! Die hat man uns vorgezogen.“
Ja wer sind wir denn.
Und lässt einen Löwenfluch hinterher rollen wie einen herkulischen Furz. Dann, während er seine Unterarme auf den Tisch legt und darauf auch sein Löwenhaupt, brummelt er was ihm an der Floßlände zugetragen worden ist. Dieser gewisse Dalberg, hat er gehört, über den sich seine Kinderlein so ungesund echauffiert haben, der ist diesen Herbst verstorben.
„Der gewisse Dalberg lebt, und wie er lebt !“ Scharf und süffisant zischelt Langebehn aus dem Dunkel.
„Er ist nämlich grade Kurfürst geworden !“
Langebehn hat heute Post erhalten, nicht sein Prinzipal.
„Dalberg, Karl Theodor, ist der Bruder von Wolfgang Heribert von Dalberg.“
„Bruder ! Seit wann hat unser Dalberg einen Bruder !“
„Der eine war von jeher Bischof, und der unsere von jeher beim Thea-ter. Umsichtiger können Eltern ihre Sprösslinge aufs Erwerbsleben nicht verteilen.“
Und nun ist der eine abgegangen von der Schaubühne des Lebens. Und der andere avanciert auf der Schaubühne der Politik als Diadoche des Napoleon.
„Obwohl er doch eigentlich Bischof ist ?“
„Gestern Gottesmann, heute Staatsmann. Neue Zeit, neue Rollen. Bona-parte hat ihn schwuppdich umbesetzt.“
„Nach Regensburg ! In die allertiefste Provinz“.
Schweigen, in dem an den Rändern Erbarmen mitschwingt. Für sich selbst, dass man nun doch nicht nach Regensburg engagiert wird.
„Soll Regensburg doch bleiben wo es will auf der Landkarte.“
„Oder im Schietkübel.“
Verdammte Geographie ! Die Umstände der Welt richten sich aller-weilen gegen den Künstler, die Geographie macht da keine Ausnahme. Heute wird die bemalte Leinwand nicht entfaltet.
Und Strönebald ist nicht bei ihnen.
Das erste Mal seitdem die Truppe gemeinsam auf Reisen ist. Abge-trieben, erfroren. Unser Freund unser Tröster unser Tausendsassa der Geräusche treibt dahin unbestattet, unter den namenlosen Gründlingen selber namenlos zwischen dem Gewusel der Schmerlen, der Bitterlinge, der Nerflinge und Zingeln und Schleien und Schlammpitzgern und Rotaugen, ein verwesender Mitwanderer der Wandermuscheln und Molche und Wasserspinnen, Kaulquappen, Kugelmu-scheln, Wasserlinsen -
Niemand schläft.
Gegen die Kälte draußen und gegen die Kälte, die in ihnen allen hochkriecht, holt der Prinzipal die Geschichte herauf, wie Strönebald einmal so heftig auf seiner Harfe illusioniert hat, dass tatsächlich ein Feuer ausgebrochen ist hinter der Bühne, und die Flammen aus den Saiten seiner Harfe heraus auf die Bühne schossen.
„Als die Kulissen damals Feuer fingen…“
Alle kennen die Geschichte. Alle hören zu. Denn es wirkt wie eine Grabrede auf Strönebald. Einmal haben die Kulissen in Schwerin Feuer gefangen, ein anderes Mal in Parchim, dann wieder in Osnabrück. Es war auch nicht immer in den Räubern, dass sie brannten, auch in Theoderich oder Die Umkehr des Marquis Laconte loderte es, und sogar bei Racine.
Aber immer hat Propodonsky vorne an der Rampe so kraftvoll weiter agiert, dass das Publikum nicht in Panik fiel, weil es der Schauspielkunst folgte und nicht den Rauchzeichen. Die Flammen fraßen bereits an Propodonskys Kostüm, die Zuschauer saßen gebannt. Nicht nur dieses eine Theater ist abgebrannt, auch jenes andere in dem Propodonsky aufgetreten ist, und auch noch ein drittes. Allmählich lässt er alle Theater abgebrannt sein auf deren Bühne er gestanden hat. Die Bretter verkohlt, die Logen verwüstet, die Kulissen zu Asche, sein In-genium allein hielt stand, versengt und verrußt, aber gekräftigt.
Hat nicht jemand Phoenix ! gerufen, wer ruft endlich Phoenix, nur ihm, Propodonsky war es gegeben, all diese Feuersbrünste zu entfachen, Glut aus dem Dichterwort zu schlagen, bis es sich in helle Flammen verwandelt hat. Die Balken der Schnürböden knistern, der vielen Schnür-böden die Propodonsky mit seinem Löwenorgan in Brand gesetzt hat.
Der Brand-Monolog wärmt die ganze Compagnie. Sogar Langebehn, gegen dessen Willen. Die Stichflammen aus den Versenkungen machen es Lucille und der Demoiselle mollig, Schuff räkelt sich im Wohl-temperierten, Käpernick grunzt und wünscht sich der Prinzipal möge gleich auch noch das nächste Theater anstecken.
Propodonsky sieht mit Entsetzen, dass er auch den Kaiser in Brand gesetzt hat. Der Kaiser sitzt in seinem Fauteuil vor ihm und himmelt ihn an. Das Polster raucht, der Kaiser wird zur Fackel, der Kaiser ist ein verkohlter Strunk, der Hofstaat hinter ihm glimmt nur noch schwach, ein paar Flämmchen kleckern durchs Parkett.
Propodonsky steht an der Rampe, unversehrt bis auf einen schmalen Streifen von Flammen, die am Ärmel seines Kostüms züngeln wie eine Zierborte.
Der erkaltete Talg der Unschlittkerze klebt an der Hand des Prinzipals. Er schläft, den Kopf auf der Tischplatte.
Die Kette
Als Lucille de Brée erwacht, sind ihre Finger starr und ihre Nase sitzt in ihrem Gesicht wie ein vereister Tannenzapfen. Gmeinwiesers Pfer-dedecke umfängt sie nicht mehr, auch von der Demoiselle hat Gmeinwieser sich die andere Pferdecke abgeholt. Sie schlingen sich die Damenkostüme um den Leib, die Roben der Königinnen und Heroinen. Zunächst nur je zwei übereinander, und als die kaum Wärme geben, wahllos viele, bis zur Unbeweglichkeit.
Die Männer haben es schon seit dem zweiten Reisetag genauso ge-halten, sind genauso unbeweglich geworden, tappen wie aufgeplusterte Mumien zur Lände, wegen des Schneetreibens mit tief geduckten Köp-fen. Nur Käpernick, als er die nun leere Kostümtruhe von seinen Schul-tern auf das Floß hebt und dabei kurz den Blick nach oben richtet, sieht das besondere Begrüßungszeichen das da über Nacht aufgehängt worden ist.
Er weiß auf der Stelle, es gilt vor allem ihm und dann erst den anderen Schauspielern Dem Raubgesindel, das nächtens als Handlanger des Sparifankerl durch die Ställe schleicht und den Kühen die Schwänze zusammenbindet, sodass diese anfällig werden für Milzbrand, Maul- und Klauenseuche und Harnruhr.
An einem quer gespannten Strick hängt ein toter Rabe, der Kopf nach unten, wider gegen den bösen Blick und die schwarze Kunst. Der Schnabel ist weit aufgerissen, als wollte der Kadaver alle verschlingen, die an diesen Gegenzauber aus der Hausapotheke der guten Hand nicht glauben wollen. Der Strick spannt sich von der oberen Floßkante bis zur unteren, als seien noch viele tote Raben zu erwarten.
Oder viel böser Blick.
Wenn Käpernick genau unter dem Raben ist, greift er sich an den Hals, die Füße rutschen ihm weg, Kunterkasten muss ihn auffangen. Alle die zusteigen wollen, versammeln sich um ihn.
Er hat Publikum.
„Weh mir ! Ich fühle mich verwandelt. Ich bin ein Ochsenfrosch !“
Er torkelt, er hüpft zwischen die Floßknechte, die ihm in gespieltem Schrecken ausweichen. Gelächter, Belustigung, indessen der Rabe stumm schreiend im Schneewind hin und her schaukelt. Pathetisch ein-drucksvoll, aber unbeachtet. Ein Tort für die gute Hand, und ein dop-pelter Tort, weil auch der Floßmeister zuschaut und lacht. Gegen seinen Willen, aber er lacht, und der Rabe sperrt umso verzweifelter den Schnabel auf, nun schon so, als wollte er sich übergeben.
„Oder bin ich nicht doch eher eine Fledermaus ?“ kreischt Käpernick und flattert, so dass ihm alle unter Gelächter ausweihen müssen.
“So leistest du auch noch Beihilfe zu diesem Hokuspokus“ schmäht Langebehn und drängt sich brüsk vorbei.
Langebehn hat sich als einziger der Truppe keine Kostüme umge-wickelt, sein Pelzkragenmantel ist ihm FrostAbwehr genug, aber seine beiden Hände hat er in den ihm verbliebenen Handschuh gezwängt. Kaum ist er an Käpernick vorbei, stolziert der, im Gestus des großen Vorwurfs, vier Schritte hinter ihm her, blasierten Angesichts und mit zwei Händen in einem unsichtbaren Handschuh.
Wieder belohnt ihn allseitiges Gelächter, allen voran Kajetan Jasomir-gott und dem Grenadier. Langebehn hörts im Rücken, aber wer ist er denn, dass er sich wegen einem Käpernick umschaute. Der ist beim Krokodil angelangt, in das Gmeinwiesers Rabe ihn verwandelt hat, seine Unterarme schnappen als Riesenmaul nach Schafen und Floßknechten. Die Schafe geben vielstimmig Contra, die Floßknechte lassen selber das Gekreisch hören, das sie von Strönebald nicht zu hören bekommen haben und fordern damit Käpernick heraus zur nächsten Darbietung.
Aber die, der Orang Utan, der sich an den Holzbeigen hinauf hangelt, wird unterbrochen, weil der Floßmeister in sein Stierhorn stößt. Die Knechte müssen an ihre Ruder.
Während sich die Passagiere mit den Händen einen Sitzplatz im Schnee freischaufeln, bleibt Gmeinwieser aufrecht stehen. Er hält sich an einem Balkenstapel fest und wirft, mit seiner Geißel drohend, die Warnung übers Floß
„Ös werdts euch no wundern was eich alles zuastoßt !“
Denn der Fluß sei heute unheilvoll grün. grüner als an den anderen Tagen.
„Fast ins Schwarze sticht er scho, schauts doch gnau hin, ös Verstockte.“
Dem Fluss hat das Opfer des halbseidenen Weiberleuts nicht genügt, der Fluß fordert noch ein Opfer, der Fluss will rechtschaffene Speisung und nicht mit einer fauligen Birne abgespeist werden. Bei der nächsten Sandbank, bei der nächsten Flaute wird er sich schadlos halten. Der Rabe kreist über Gmeinwieser und bestätigt, stumm schreiend Gmeinwiesers Prophezeiungen.
Aber der Rauch aus der Hütte ringelt gleichmütig weiter, unbeeindruckt auch vom Schneefall, als pfiffe jemand frech ein Lied während der Karfreitagspredigt.
Gmeinwieser fühlt sich derbleckt. Wie, schnalzt er mit seiner Geißel, wenn die Herren Flößer eine Horde Juden befördern, da in der Hütte, und ahnens nicht einmal, in ihrer Dummbeutligkeit ?
„Der Napoleon hat de Judn auf d‘ Christenmenschen los lassen damit uns de Kinder ausbluatn für dene ihr Matzenbrot.“
Schon werden, fuchtelt Gmeinwieser mit seiner Geißel, Krallen ge-schliffen mitten unter uns, Spielkartenkarten gestohlen und legefähige Hennen, und die Eier sowieso. Nächtens flicht der Gottseibeiuns den Kühen die Schwänze ineinander und tagsüber fährt er hohnkichernd mit auf dem Floß, weil ihm kein Glocken-Klang mehr etwas anhaben kann und -
Langebehn kommt gestürmt als personifizierte Empörung. Man hat ihn des Schranks verwiesen, seiner Wärmeloge, der Zeigefinger seiner nackten Hand richtet sich spitz auf Gmeinwieser.
„Das habe ich Ihnen zu verdanken !“
Die Floßknechte sind auf der Pass. Der schöne Große, der Langhaxerte und Vornehme ist immer noch ihr Held. Sein Gesicht ist einschüchternd weit oben, höher als das vom Gmeinwieser; obwohl der seinen Filzzylinder auf dem Kopf hat und Langebehn keinen.
Dafür strähniges Haar, das im Schneewind züngelt.
„Welcher Ruach hot ajch gehejssn kumen ?“ grinst Gmeinwieser.
Er will den Souveränen geben, aber wer zu seinem Kontrahenten hi-naufschauen muss und der auch noch blond ist, hat sich schon degradiert zum jämmerlichen Kulissenreißer.
“Was soll das Kauderwelsch, Sie drittklassige Kreatur.”
Der Schneefall hat aufgehört, als sei auch er gespannt darauf was sich da entspinnt.
„ Men wejst as ir sent a jid.“
Der Schauspieler soll zugeben, dass Johann Baptist sein Idiom kennt. Du bist durchschaut, Jud, brauchst dich nicht mehr verstellen. Schau-spieler heißt Versteller auf Jiddisch.
„Sie veranlassen auf der Stelle, dass mir der Schrank wieder geöffnet wird, oder – „
Langebehns verbliebener Handschuh wirbelt Kreise in die Luft.
„As du sollst wern farbrennt !“
Gmeinwiesers Geißel kreist auch in der Luft.
„Sie weihrauchstinkiges Aas !“
Jetz gibt’s a Hetz ! frohlocken die Floßknechte. Der Handschuh wirbelt nicht mehr, er fährt in Gmeinwiesers klobiges Gesicht. Nein, nicht ins Gesicht. Er flutscht, professionell gekonnt, einen Daumenbreit daran vor-bei und erzeugt danach einen Knall, als wäre Gmeinwieser getroffen. Die Geißel der guten Hand dagegen trifft den anderen voll ins Gesicht und reißt seinen Handschuh ins Wasser.
In diesem Augenblick wird das Floß von einem Gebilde aufgefangen, das keine Brücke und kein Balken ist und trotzdem bedrohlich.
Einer Eisenkette, in Mannshöhe von Ufer zu Ufer zu gespannt, da und dort leuchtet etwas Rotes vor dem grauen Himmel, als fliegen rote Vögel über den Fluß. Die Flößer, die abgelenkt waren durch das Schauspiel zwischen Gmeinwieser und Langebehn, springen auf ihre Posten, ver-suchen das Floß mit den Rudern abzufangen. Aber so sehr sie sich auch anstrengen, es rammt sich in die Kette hinein und die Kette wiederum reißt die vordersten Balkenstapel auf und ein paar Kühe nieder.
Als die Kette bis zur Hütte alles niedergemäht hat, kommt das Floß zum Halten, wird von der Kette gehindert, sich mit der Strömung des Flusses weiterziehen zu lassen. Die Kette kratzt an den Brettern der Hütte, knurrend, wie ein Hund der einen Knochen beschimpft, weil der schon abgenagt ist.
Ausgebrochene Schafe werden von ihren Hirten verfolgt, und jeder der eine Stimme im Leib hat, schreit aus Leibeskräften.
Von der Kette Niedergerissene, weil sie verletzt sind und andere, weil sie sich für verletzt halten, wieder andere, weil die Kette dicht über ihren Köpfen schwankt und daran Gmeinwiesers Rabe.
Nur Langebehn hat ein tête à tête mit sich selbst gehalten, betrachtet in einem Taschenspiegel die rote Linie, die sich quer über seine Wange, Nase und Backenknochen zum rechten Ohr zieht.
„Ich bin auf ewig entstellt…auf ewig…“
Hinter den Weidengebüschen am Ufer ist der Aufprall bemerkt wor-den. Einige Männer, Militärs, springen die Böschung herunter.
„Jetzt werden sie uns alle massakrieren“ schüttelt es die Prinzipalin.
Die Männer haben französische Uniformen an. Kein Schwadron dies-mal, nur wenige Mann. Sie legen grüßend die Hände an die Zweispitze, eine Geste der Courtoisie die hier so deplaziert wirkt, dass sogar Schuff lachen muss. Kunterkasten ringt mit sich, ob er nochmal ein Vivat wagen soll.
„Lass deine Devotion nur munter aus dir heraus“. Langebehn stößt ihm die Kante seines Spiegels in den Rücken.
„Vielleicht erweisen dir die Kretins dieses Bonaparte ja diesmal die Eh-re und sagen dir auch noch merci.“
Er sei Capitain Brousseaud, ruft der Ranghöchste, vor Verstörung noch immer die Rechte am Zweispitz. Diese Begegnung, so gänzlich unver-hofft, bedeute ihm hohes plaisir. Das freilich ganz auf seiner Seite sei, er bedaure zutiefst diese carambolage.
„Die werden uns doch noch massakrieren“ schrillt die Prinzipalin, und Langebehn hämt zu Kunterkasten „na dann tritt schon vor und stell dich zur Verfügung damit uns wenigstens die Madame de Brée erhalten bleibt.“
Diesmal stößt er Kunterkasten den Spiegel sogar ins Gesicht. Der Jakobiner nimmt Rache am Napoleonjünger, weil der nicht entstellt ist. Noch nicht. Aber Kunterkasten pariert den Angriff und ruft nun um so lauter :
„Vive l’empereur !“
Der Capitain hats vernommen und legt die flache Hand noch einmal an seinen Zweispitz, nun wieder im Vollbesitz seiner Contenance.
„Grand merci.”
Eben des empereurs wegen sei man hier unterwegs, lächelt der Capi-tain, in einer mission spéciale, abkommandiert von seiner Majestät höchst persönlich.
Das neue Königreich solle vermessen werden, in seinen weiten neuen Grenzen, die es Bonaparte verdankt. Dem Friedenskaiser der Befreiten, der bereits Ägypten der Welt erschlossen hat und in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker hereingeholt. Nun erschließt er auch das royaume de Baviére nicht nur der Welt, sondern auch sich selbst. Rastlos reicht er links und rechts die Errungenschaften der neuen Zeit über die Demar-kationslinien, welche er soeben beiseite geräumt hat. Nicht mit dem Säbel in der Faust reicht er sie, sondern mit dem Zollstock.
Aber malhereusement, man missdeutet den Kaiser und überzieht ihn malveillant mit einem Krieg nach dem anderen.
„Das hat der Krieger wirklich gesagt, das mit dem Zollstock und mit dem Missdeuten ?“ feixt Käpernick, der von links und rechts her von Kunterkasten und Langebehn übersetzt bekommt.
Als die Kette wieder straff gezogen wird und hochratscht, schaukelt Gmeinwiesers Rabe daran und gibt noch einmal eine Vorstellung als Un-glücks- und Zaubervogel, stumm schreiend. Jedes zehnte Kettenglied, zählt Schuff ab, ist mit Mennige bestrichen. Das muss eine Maßeinheit bedeuten, trägt Kunterkasten bei.
„Wenn du mich fragst“ meint Käpernick, „soll das ein Meter sein.“
Das Meter ist das neue Längenmaß, weiß nun sogar Langebehn, das die Revolution der Welt geschenkt hat. Die Kette erschlafft, fällt noch einmal polternd nieder und wird endlich die Uferböschung hinauf und weg-gezogen.
Der Rabe fällt ins Wasser und treibt flußabwärts davon.
Die Kette, so der Capitain aus dem Munde des Adjutanten, sei wort-wörtlich ein Glied in der Kette des Fortschritts, Symbol de la technicité nouvelle. Stellt sie doch die Verlängerung jener Grundlinie dar, die auf Befehl Napoleons errichtet wurde vom Hauptplatz der Residenzstadt hinaus in die Wildnis, ins Landesinnere, von dem man derzeit noch gar nicht wisse wie groß es sei.
Ein genialischer Strich hinein ins Unbekannte !
Was die verehrten messsieursdames soeben mit erlebten, sei die Fort-führung der Grundlinie über die ersten zehn Kilometer hinaus. Oui, kilo-mètres, mit griechischem K, ein neues Längenmaß auch das ! Bahn-brechend auch dies nun schon wieder. Une nouvelle invention. Aber nun, justement bei Kilometer zweiundfünfzig Komma siebzehn, sei die Grund-linie unsanft den verehrten Herrschaften begegnet, die den Vorzug genös-sen zu Wasser reisen zu dürfen. Une aventure des sciences techniques.
Ein Rendezvous wie zwischen Odysseus und den Sirenen, versucht der Captiaine vorzulachen, als müsse der Capitain sich rechtfertigen vor den Zivilisten, aber niemand von denen lacht ihm nach. Diese segensreichen Linien, schwadroniert der Capitain weiter, überzögen unter seinem Kom-mando das Land, ein Segen auch für die Herrschaften auf dem Floß.
Stadt um Stadt, Feld um Feld, Gemüsegarten um Gemüsegarten würden so eingefangen, in peniblen Quadraten, und künftige Generationen könnten mit dem Finger drauf deuten, wo der Birnbaum ihres Großvaters steht.
Propodonsky entzückt es, wie der Capitain elegant vom Standbein zum Spielbein wechselt und zurück. Lucille de Brée entzückt es, welche span-nend enge Beinkleider der Capitain trägt, weiße noch dazu. Auch wenn sie nur hin und wieder unter dem Umhängemantel hervorblitzen, der viel geräumiger ist als der von Langebehn, was diesen heftig verbittert.
Kartierung nenne man, so der Capitain, dieses Verfahren mit den Qua-draten ( Standbein ), fleißige Stifte im fliegenden Feldquartier skizzierten Wassergraben um Wassergraben und Hügel um Hügel ( Spielbein ) flei-ßige Stichel übertrügen dies ( Standbein ) dann im Hauptquartier auf Schieferstein ( Spielbein ) und toute de suite fliege es, gedruckt als Kartenwerk hierher zurück und zeige jedermann sein Woher und ( Stand-bein ) Wohin .
„Damit seine Armee noch zügiger vorankommt“ schnödet Langebehn, „beim nächsten Feldzug.“
“Damit der Fortschritt schneller vorankommt, mein lieber Herr Vorlaut“ hält Brousseauds Adjutant lächelnd dagegen, “und das metrische Sys-tem“.
Gmeinwiesers Geißel ruckelt auf und nieder. Die Franzosen sind seine Kundschaft, das geweihte Fleisch seiner Rinder soll in Mägen landen, die in der selben Uniform stecken wie der Capitain Brousseaud. So belässt er es dabei, seine Geißel hoch zu recken wie Jeremias seinen dürren Prophe-tenarm. Auch wenn der ein Jude war, aber eben einer, der den Untergang verlässlich vorausgesehen hat.
“Gottlos ist das“ schimpft er zur Wallfahrerin hin und meint die Land-vermesser“ erz-gottlos is des wann aso eing‘riffen werd in die Schöp-fung“.
Hat Gottvater doch gesprochen in der Bibel, dass er es ist und nur er allein der wo einen geleitet und beschirmt auf allen Wegen.
“Aber wenn ma a so a Landkarten als Wegweisung nimmt, a so a win-digs Stückerl Papier“, dann sei gleich der Teufel zur Stelle, und kritzelt hinterrücks seine Irrwege und Fallgruben drauf.
Propodonsky, als sei er der Hausherr auf dem Floß, reißt es an sich, den Offizieren der Siegermacht die Honneurs zu machen wie lange er-warteten Gästen.
„Endlich distinguierte Gesellschaft hier auf diesem schwimmenden Holzlager, mon géneral“.
„Capitain“ rückt sein Adjutant zurecht.
Wo man, scharmiert Propodonsky, bisher nur in der Gesellschaft von Knödeln war, mon géneral. Der Capitain weiß nicht, was Knödel sind. Wohl aber was Geduld mit Zivilisten ist, wenn sie einem nicht gerade ins Schussfeld laufen.
„Capitain“ rückt er darum nun selbst zurecht.
Wo er doch, der Prinzipal, die Ehre gehabt in Frankreich aufgetreten zu sein, auf den renommiertesten Bühnen. Hauptrollen, Titelrollen, und nichts darunter.
„Ah, eine Schauspieltruppe ?“
Der Adjutant wird hellhörig.
„Allerdings eingeschränkt derzeit“ buckelt Propodonsky “beklagens-wert eingeschränkt durch die kriegerischen Umstände.“
„Wir sind alle eingeschränkt, mon chèr patron“ erwidert der Adjutant, nun seinerseits mit einer kleinen Verbeugung.
“Wir sind schließlich alle en campagne. Auf dem Marsch.“
Wie man sieht. Ihre Monturen sind bis über die Bäuche herauf mit Dreckspritzern gesprenkelt. Komfortabel, scherzt der Prinzipal, reist eben nur die Aristokratie hier in den Kisten. Seine Requisiten-Kronen aus Pappe und die Diademe aus Blech. Die Franzosen belachen es. Der eine lacht höflich auf provencalisch und der andere lacht höflich auf pfälzisch, und Gmeinwieser wie Langebehn ( plötzlich eines Sinnes ) sind verbit-tert, dass die Stimmung immer mehr ins Aufgeräumte gleitet.
Der Capitain lässt erwidern, solche gewisse Kisten seien ihm wohl-bekannt, auch er führe eine Aristokratie mit sich. Wieder wird höflich gelacht, provencalisch wie pfälzisch. Pappkronen und Blechdiademe allerdings habe er nicht das Vergnügen zu expedieren, aber auch seine Fracht sei höchst kapriziös in ihren Ansprüchen. Der edelsteinbesetzte Fingerring einer Herzogin sei nur ein Bachkiesel, verglichen mit ihr. Zumal Napoleon höchstselbst sie hat anfertigen lassen.
Napoleon höchstselbst ! Kunterkastens Herz macht einen Sprung.
Überbehutsam wie Kronjuwelen wird aufs Floß geschleppt, wovon die Rede war. Wohlverwahrte Kronjuwelen müssen das sein, denn es ist nichts zu weiter sehen als Holzkästen, längst nicht so groß wie Propodonskys Kostümtruhe und nicht einmal wie die Hühnersteigen der mitreisenden Bauern.
Aber, wie jedermann begreift, das Floß ist hiermit stillschweigend requiriert, ehe noch der Adjutant ein Schreiben vorgewiesen hat, das die prompte Hilfsleistung für die Geodäten zur Untertanenpflicht macht. Ausgefertigt und gezeichnet submissest von der königlichen Oberhof-kammer.
An fünf Fingern war das doch auszurechnen, maulen die Schauspieler, die Hütte ist von Anfang an reserviert gewesen für diese französische Konterbande.. Guckt doch nur wie der da Rauch auf einmal aufsteigt uns zum Hohn. Die Kisten dürfen in die Kuschelwärme, aber uns lassen sie Eiszapfen werden währenddem der Prinzipal sich anranzt bei diesen Canaillen.
Ja wer sind wir denn.
Aber nichts da, falsch gemurrt, kein Franzose holt einen Schlüssel aus der Tasche. Die Hütte bleibt zugesperrt.
Es wird Segeltuch über die Kisten der Franzosen gebreitet, ein Gre-nadier dazugestellt, et fini. Der neue Grenadier und der andere, der seit der Abfahrt die Weinfässer zu bewachen hat, scheinen sich nicht einmal wahrzunehmen. Mit leeren Gesichtern, wie zwei in verschiedenen Farben gestrichene Schilderhäuschen lehnen sie vis-á-vis auf ihren Posten, in der Aufrechten gehalten nur von ihren Musketen aus der ( das nun doch wieder ) selben Fabrikation.
Gmeinwieser sieht Anlass, sich ein weiteres Mal kassandrisch einzu-bringen und schwummert denen, die auf ihn hören ( oder ihm hörig sind ) von Schwarzpulver vor, das in den französischen Kisten verwahrt ist, von Sprengmitteln und von giftigen Dämpfen, die, des garantier i eich aus ihnen entweichen. Ehe das Schwarzpulver selber in die Luft fliegt, und alle auf dem Floß mit ihm.
„Wegga da ! Wann eich’s Leben liab is.“
Und scheucht seine Gemeinde mit der Geißel hinter den schützenden Strick den er net blos für’d Katz gespannt haben will. Sondern zum Schutz der bedrohten Christenheit auf dem Floß. Und jetzt wird wieder gebetet !
„GegrüßetseistduMariaderHerristmitdirund…“
Diesseits des Strickes lässt der Capitain seine Soldaten flitzen, er hat gutzumachen wie fatal er die Fahrgäste inkommodiert hat, befiehlt ein Pique-Nique aufzutischen und fordert jedermann auf sich eingeladen zu fühlen und.
Eine neue Errungenschaft auch das, ein fliegendes Dîner gewisser-maßen, ein Mahl im Felde. Improvisiert, aber mit bruchsicherem Geschirr aus Stahl, das in handlichen Körben herbeigetragen wird, Besteck, auch Servietten, sogar Tische und Stühlchen werden auseinandergeklappt. Diese Franzosen gönnen sich jeden erdenklichen Luxus, selbst wenn sie auf Kriegszug sind.
„Sogar noch ihre Granaten“, weiß Käpernick, „parfümieren die mit Lavendel.“
Zu seiner Tischdame bestimmt der Capitain die Demoiselle. Er hebt sein Glas zu ihr, und sieht lächelnd zu wie sie aus dem ihren trinkt, während seine Grenadiere oben am Steilufer die Kette auf große Holz-trommeln rollen. Der Demoiselle, tief beschämt dass sie kein Rouge aufgelegt und ihre Schönheitsflecken im Täschchen gelassen hat, steigt Wangenröte auf weil ein Monsieur Befehlshaber sie hofiert, dem so viele goldene Tressen an die Uniform genäht sind wie sie nie zuvor gesehen hat. Und diese Wangenröte hält sich ausdauernder als künstliches Rouge, das ihr der kaltfeuchte Wind alsbald fortgebürstet hätte.
Ihr Tischherr bleibt insofern auf seinem speziellen Feldzug, als er keinerlei Anstalten macht ihretwegen ins Schäkerige zu wechseln. Unbe-irrbar fährt er, ein Haudegen des Ingenieurwesens, in der Beschreibung seiner Mission fort, setzt auf seine ( findet die Demoiselle ) wetter-gegerbte Mannhaftigkeit als erotisches Lockparfüm, sonst legte er sich nicht derart ins Zeug als Missionar des Zollstocks.
Und sie bemerkt wohlig, dass darüber ihre Echauffiertheit anhält und damit auch ihre natürliche Wangenröte.
Die Erde werde es fortan doppelt geben, führt der Capitain aus, zum einen als diese Realität hier ringsum. Und er umfasst sie mit weiter Geste als umfasse er das ganze Universum.
Die Demoiselle kribbelts.
Sowie ein zweites Mal. Und nun das eigentliche Mal, voici : der Capitain zeichnet mit Kreide ein Quadrat auf das Klapptischchen. Als korrekt in Kalkschiefer nachgestichelte Parzellierung werde es tous le monde fortan geben, aus der Vogelschau, wie sie vordem allein Gott vorbehalten war und heute allenfalls dem Cäsar Bonaparte, wenn er in einer Mongolfiere darüber hin fliegt.
Propodonsky beobachtet eifersüchtig, wie der Mund der Demoiselle offen steht, feucht und staunend, hart am Rand der Verzückung. Er muss sich dazwischen werfen, muss seine Bühnenerfolge in Strasbourg, Metz und bei den Emigranten in Koblenz ins Treffen führen, bevor seine Erste Liebhaberin ihr Rollenfach allzu gewissenhaft erfüllt, und das außerhalb des Ensembles.
Aber was vermag der Komödiant mit seinen Großtaten, die alle in der Vergangenheit liegen, gegen einen goldbetressten Gegenwartssieger, der zwischen seinen Sätzen nicht einmal Luft holen muss.
Und sich nun bereits in die Lineatur der histoire mondiale einordnet. Landvermessung nämlich sei eine zivilisatorische Tat allererster Priorität, prunkt er bei Demoiselle. Die das Gelüsten niederkämpft, das ihr vorge-legte Omelett so hastig zu verschlingen wie ihr Heißhunger es ihr befiehlt.
Während der Capitain sein Omelett erkalten und sein volles Glas ste-hen lässt. Der Bürger ( citoyen ist sein Wort ) der neuen Zeit habe das Recht endlich exakt zu erfahren, auf welchem Punkt des Globus er lebt und wie er sich und seine Güter auf dem kürzesten Weg von A nach B verfrachten kann.
Die Demoiselle schlingt ein zweites Omelett hinunter und bekommt dazu vom Capitain serviert, Erschließung sei heute alles, Erschließung weiter Räume ! Verkürzung der Reisezeiten, Beschleunigung, Effizienz, demoiselle, Effizienz !
Et alors, Capitain Brousseaud ist ihr Vollbringer.
Die Demoiselle hat nun bereits das vierte Glas leergetrunken, das ihr die neben ihr stehende Ordonnanz sogleich wieder vollschenkt und mampft das dritte, dann das vierte Omelett.
„Ich habe in Nancy mehrfach Racine gespielt !“
Propodonsky, selbst beim zweiten Omelett und beim achten Glas, bringt sich mit vollem Mund in Erinnerung.
„Den Cato von Raine, eine knifflige Rolle, fast den ganzen Abend auf der Bühne, die Blankverse fordern das äußerste –„
„Racine ? Connais pas.“
Der Capitain kennt keine Dichter. Der Capitain kennt Ingenieure wie Franklin, Lambert, Isaac Newton. Und ehe Propodonsky nachschieben kann, mit Molière habe er ebenso brilliert wie mit Racine, vor allem als Clitandre, preist Capitain Brousseaud seinen Newton für die Erkenntnis, die Erde sei weder flach noch eine Kugel sondern ein sanftes Ellipsoid, am Äquator gebaucht und an den Polen abgeplattet..
„Und erst mein Cid ! Ich meine natürlich den Cid von Corneille…“,
Anfangs sei Newton für diese Theorie verlacht worden, wie alle die voraus preschen, mais voilà, der Landvermessung hat er damit Beine gemacht. Sonst säße der Capitain nicht hier. Und erhebt er doch sein Glas, auf die Landvermessung.
„Für den Cid habe ich siebzehn Vorhänge bekommen ! Siebzehn Vorhänge…“
Der Erdumfang beträgt exakt 40.076 komma sechs in neuen kilomèt-res. Nach dem ebenfalls neuen Dezimalsystem. Und gleichsam zum Dank an Monsieur Newton pickt sich nun französischer Erfindergeist ein Vierzigtausendstel des Erdumfangs heraus und erschafft hieraus die Urmutter aller Maß-Einheiten, das Meter ! Tableau !
Das Glas, das der Capitain erhoben hat, stellt er unberührt genau vor Propodonskys Gesicht. Propodonskys Schlund ist ausgetrocknet von den Omeletts. Aber die Ordonnanz, um die Demoiselle bemüht, beachtet ihn nicht.
„Siebzehn Vorhänge…“
Mit dem Meter, mit dem Dezimalsystem beschenkt Frankreich die Welt. Sie wird zu beweisen haben, dass sie beschenkt sein will. Die Demoiselle hat von Anfang an nichts verstanden. Sie schiebt es dem Umstand zu, dass sie pumpsatt ist. Es ist ihr nach einem Verdauungschläfchen. Hintenüber kippen und weg sein. Aber der Klappsitz hat keine Lehne, und ihr Stiefvater wird sie nicht auffangen, in seinem Grimm über die Nichtachtung des Capitains vernichtet er dessen sämtliche Omeletts zu vernichten.
Die Demoiselle bleibt aufrecht. Aber wenn sie reglos sitzt, werden ihr die Wangen auskühlen. Wieder ausbleichen, und der Capitain soll doch ihre Echauffiertheit bemerken. Endlich ! Sie zerquetscht stiekum Kir-schen aus dem zum Dessert gereichten Kompott und tupft sich den Saft auf die Backen.
Nur Propodonsky, nicht der Capitain nimmt es wahr. Die Augen wollen ihr zufallen, ihr Blick rutscht ab. Aber auch unter dem Tischchen gibt es etwas zu sehen. Die beträchtlichen Oberschenkel des Capitains in seinen engen weißen Hosen schieben sich, im Rhythmus seiner Rede, rastlos übereinander. Wie er Stand- und Spielbein gewechselt hat, so verlagert er im Sitzen schwungvoll sein Körpergewicht von Schenkel zu Schenkel. Die weißen Hosen sind zum Platzen gespannt, und das natürliche Wan-genrot der Demoiselle tritt nun doch wieder seinen Dienst an.
Drei Klapptischchen weiter findet Kunterkasten, während er sein sech-stes Omelett verzehrt, dem Capitain gehöre eine Toga um die Schultern drapiert. Der Capitain ist ein Römer. Ein Römer zum Herzeigen, wie Brutus und Cassius Römer waren. Nur dass das Pathos des Capitain seine rhetorische Energie nicht mehr von den Cäsaren bezieht, die längst tot sind oder von Göttern, die vor zweitausend Jahren in den Austrag geschickt worden sind und deren Wiedergänger nur noch auf dem The-ater herum geistern, wie es der Prinzipal Kunterkasten aufzwingt.
Das römische Pathos des Capitain ist das Pathos des Banalen und der puren Brauchbarkeit : zusätzlich zu den Uneben¬heiten durch Berge und Täler gilt es eine noch weit größere Abweichung von der Kugelgestalt durch die Erdrotation zu berücksichtigen. Die Empathie des Capitain gilt nicht Jupiter oder dem Untergang Trojas, nicht einmal der schönen Helena, sondern dem Fortkommen jedermanns und der Kartierung der Welt, auf dass sie eine zivilisierte werde. So wie die Gerade die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten herstellt oder die kürzeste Route zwischen zwei Punkten auf einer Ku-gel die Großkreisroute ist, so ist allgemein der kürzeste Weg…
Kunterkasten vergisst vor Bewunderung fast, sein nächstes Omelett zu bestellen. Und als es ihm vorgelegt wird, verrühren sich für ihn der Welt-geist und die französische Feldküche in eins, wie Mehl und Ei.
Wiederum einen Klapptisch weiter lässt Langebehn die Landvermes-sung gar nicht erst an sich heran. Wo Langebehn ist, ist Theaterreich, besteckt mit Rampenlichtern, und er preist dem Adjutanten des Capitains ( als Belohnchen dafür dass der vorhin so aufmerksam gerufen hat ah ! eine Schauspieltruppe ! und damit auf Anhieb die Spreu vom Weizen getrennt ) das Theater der grande nation. Der Adjutant hat sich damit als connaisseur zu erkennen gegeben und Langebehn genießt es ( mehr als sein Omelett, dass er zusammengerollt zwischen Daumen und Zeige-finger hält und von dem er nur dann und wann einen Bissen hascht, um seine Rede zu akzentuieren ) ihn teilnehmen zu lassen an seiner Ersteigung des theatralischen Olymps. Vor Zeiten in Paris. Um dort die oberste Gottheit agieren zu sehen.
Jean-Francois Talma.
„Ah ! Talma, le divine !“
Alles an Talma ist Dynamik, stimmt der Adjutant ihm zu, seine Soli sind Kavallerie, und wenn Talma geritten käme als Tamerlan le grand, wäre das Zarenreich bereits unterworfen und das osmanische streckte die Waffen vor den Wurfspeeren seiner Stimme.
Langebehn schweigt dazu und nagt pikiert von seinem Omelett drei schnelle Bissen. Der Adjutant, schwärmt weiter, wie Talma die comédie francaise mitgerissen hat in die Revolution.
„Mitgerissen ?“ knabbert Langebehn mokant, „diese Nachttopfaus-leerer des ancien régimes ?“
Die Heroine und der Erste Komiker waren Girondisten, der Souffleur und die Mehrheit des Ensembles war dem König ergeben. Ab aufs Scha-fott hat das Revolutionsgericht mit vollstem Recht erkannt, grinst Lange-behn und leckt sich ekliges Fett von den langen Fingern.
Schafott, gewiss, weiß der Adjutant, aber den Delinquenten wurde eine allerletzte Vorstellung gewährt, Charles IX von André Chenier, schon im Auslieferungsprison, schon in Fußfesseln. Talma selbst springt zwischen sie, spielt mit auf Deibelkommraus, spielt um die Köpfe der Kollegen die diese fast schon unter den Armen haben. Bis der Souffleur, der Royalist, die Marseillaise anstimt, der Erste Komiker Rotz und Wasser heult und de anderen mit ansteckt bis das allons enfants de la patrie in Tränen er-stickt.
„Le jour de gloire est arrivé“ singt Langebehn weiter, ebenso tränen-erstickt.
Nur Schuff, der neben ihm sitzt, merkt dass Langebehns Schluchzen kalt technisch ist und den Adjutanten verarschen soll.
„Warum weinen Sie ?“ fragt der.
„Ich weine um die Revolution. “
Denn seit sechs Jahren ist die comédie francaise Staatstheater des Usurpators Bonaparte.
„Ein Beamtentheater ! Was für ein Verrat an der Revolution.“
Schuff fürchtet nicht für Langebehn, er fürhtet für den Adjutanten.
Omelette sind reich an Proteinen. Proteine beflügeln die Potenz und unterstützen nährstoffreich den Vollzug. Aber Eierkuchen, wie er so strictement aus Feldküchen auf die Teller geklatscht wird, ist einseitige Kost. Der Capitain wird von einem Verlangen nach den Filets der heimi-schen Chalot-Rinder heimgesucht. Anders als das Hornvieh Germaniens tragen diese weißen weibischen Weidewesen pralle Hinterbacken zur Schau. Fleischige Ärsche, wo die hiesigen nur schlaffe Senkrechten herzeigen, mistverklebt.
Die Demoiselle in ihrem engen weißen Kleid wird dem Capitain zum Charolais, das Charolais wird ihm zur Demoiselle. Sein Appetit pocht gierig in den Lenden, seine Hosen sind so hauteng wie das Fell der Charolais, das Enge verbirgt nichts. Seine Männlichkeit gehorcht nicht mehr seinen militärischen Ordnungsrufen. Fleisch will zu Fleisch, da hilft kein Beineübereinanderschlagen mehr.
Der Capitain wird sich als Kavalier erweisen und der Demoiselle ein Nachtlager antragen. In einem Bauernhof, den er eigens dafür requirieren wird.
Das Volk hinter dem Strick hat längst aufgehört zu beten. Es steht dichtgedrängt an der Sperre und starrt die Essenden an. Keiner hat auch nur einen Happen verlangt, darum haben die Franzosen sie nicht aus der Feldkühe verköstigt, die oben hinter dem Ufergebüsch steht.
Langebehn steigt heiliger Ekel in den Hals. Er schleudert, was er auf dem Teller hat, in die glotzende Herde. Mit aller Wucht, weil es zu sei-nem Bedauern keine Schottersteine sind. Aber die Herde, jenseits jeder Würde, bückt sich und sammelt Langebehns Wurfgeschosse von den Fichtenstämmen des Floßes auf. Wer etwas aufgefischt hat, beknabbert es mit dem selben Schafsgesicht mit dem er zuvor geglotzt hat.
Langebehns Ekel überschlägt sich. Als er auch den Teller schleudern will, hält ihm der Adjutant die Hand fest .
„Arrête ! Es handelt sich um eingetragenes Inventar der Armee.“
Der Griff an der Hand Langebehns bleibt, als der Adjutant ein Urteil im Namen dieser Armee spricht. Monsieur Vorlaut wird morgen zur Strafe bei der Landvermessung zu Diensten sein.
„Oder soll ich sagen Monsieur demi parti ?“
Wegen des blutunterlaufenen Strichs, der Langebehns obere Gesichts-hälfte von der unteren trennt.
Dieser nächste Morgen ist der des siebzehnten Nivoise des Jahres fünf-zehn der Großen Revolution. So schreibt Langebehn es in sein Tagebuch, das XV in betont kantiger Schrift, wie in Marmor gemeißelt. Der Tag sei-ner Indienstnahme, seines Gastspiels bei der Armee.
„Leiste mir heute Abenteuer Geodäsie“ notiert er. „Nach den endlos kuhblöden Tagen, die ich im Pferch des Floßes zuzubringen gezwungen war. „
Der Adjutant, der ihm von hinten in die Zeilen schaut, erhebt Ein-spruch. Der Revolutionskalender sei soeben zur Jahreswend abgeschafft, mithin ein gewöhnlicher Donnerstag zu verzeichnen. Der ganz ge-wöhnliche sechste Januar 1806, und Frankreich damit kalendarisch wieder eingereiht in die Völkergemeinschaft. Freilich weit vorne, wie es ihr gebührt weit vorne. In der avantgarde, wie anders könne sie die Nationen sonst auch anführen.
„Erschlafft der kühne Griff der Revolution !“ notiert Langebehn.
“ Im kleinklein verendet durch diesen Feldwebel Napoleon“.
„Sie sind ja noch immer störrisch“ lächelt der Adjutant.
Es sind die besten Pferde, die sich nicht satteln lassen.
„Quel matin plein de soleil !“
Der Capitain tritt zwischen seine Leute, auch Gast Langebehn wird mit einem Gruß bedacht, indem der Capitain nonchalant mit zwei Fingern an seinen Zweispitz tippt. Langebehn drückt sein Kreuz durch. Endlich wird er wieder Regieanweisungen bekommen. Ob er ihnen folgt oder nicht wird sich weisen.
Die anderen Schauspieler, heute nicht besetzt und ohne Regieanwie-sungen, stehen ochsisch und unnütz herum im Hin- und Hergeeile der Franzosen mit ihren Gestängen und Kisten. Und weitab vom Feuer, das die Floßknechte an der Uferböschung mit Treibholz füttern.
„Der Demoiselle ist unbegrenzt serviert worden, aber mir ?“ beschwert sich Käpernick, der als einziger der Truppe zwischen den Flößern sitzen darf.
„Ich hungere mich noch aus meinem Fach heraus. Nie mehr werd ich mehr den Falstaff spielen. Und was war ich für ein Falstaff ! Ehrensache, dass ich mich nie hab ausstopfen müssen in der Rolle.“
Aber er sei doch noch immer der Dickste von ihnen allen, fordert ihn Kajetan heraus.
„Aber nicht mehr mit eigenem Fett ! Ich muss mir sogar beim Leibes-umfang helfen lassen.“
Und lässt die Katze des Flößers aus seinem Falstaff-Kostüm hervor-lugen, das ohne sie noch schlottriger wäre. Sie hat sich selber eingeladen, er hat sie unters Wams gelassen, sie hat ihn bezogen. Wieder kassiert er Lacher.
„Fast hätte ich sie verspeist gestern, zum Dessert. Da haben die Franzosen erst meinen Hunger geweckt und dann vor lauter Höflichkeit zu stillen vergessen.“
Wieder Lacher, auch von dem Flößer zu dem die Katze gehört.
„Aber von wegen ! Das Biest angelt mir mit seinen Krallen das Beste von der Gabel runter.“
Hätte er die Katze doch aufgegessen. So wäre wenigstens alles in einem, nämlich seinem Magen gelandet. Der Flößer langt sich seine Katze aus Käpernicks Verwahrung.Wieder wird gelacht, denn Käpernick jault wie ein Bärenkind, das die Bärenmutter ausgesetzt hat. Was wollt ihr, jammert Käpernick, unser Prinzipal hat schuld, der schleift unsereinen durch diese Kältehölle bis man entmenscht ist und nur noch von Katzenbraten träumt.
Es ist der Geodät, so der Morgenappell des Capitain, der die Welt recht eigentlich erschafft, indem er sie auf dem Messtischblatt neu erstehen lässt. Gesäubert, mes fidéles, gereinigt, entschmutzt von Lehm und Gestrüpp, Unkraut und Bevölkerung.
Sätze, die Langebehn wohltun, weil er nun selbst ein Eroberer und Entschmutzer sein wird. Auf Propodonskys Schmierenbühne waren Langebehns Wortfanfaren immer nur Blankvers-Gefuchtel, vergeudet an ein Publikum von Pfahlbürgern und Pfeffersäcken.
„Vive l’empereur !“ ruft der Capitain. Der Kaiser wird hochleben ge-lassen, der Schutzgott der Landvermessung, und alle wiederholen den Hochruf.
Auch Kunterkasten, obwohl er heute nicht besetzt ist.
„Vive l’empereur !“
Nur Langebehn schweigt.
Wo früher das Amen war, ist nun der Kaiser. Und Langebehn hat schon dieses frühere Amen verweigert. Als die Arbeitsgeräte geschultert wer-den, sind auf einmal die kuttenlosen Mönche da, graue Mahnvögel der alten Zeit. Langebehn springt zwischen ihnen hindurch, dreimal, viermal, als wollte er ihnen auf die Zehen treten. Sie weichen ihm erschrocken aus, stumm wie Fledermäuse, und Langebehn trifft keinen einzigen Zeh.
Als er sich dem aufbrechenden Capitain anschließt, sieht Langebehn über die Schulter, wie sehr Kunterkasten sich bemüht, ihm nicht hinterher zu starren. Kunterkasten steht zwischen den Mönchen, eine nutzlose Vogelscheuche zwischen anderen nutzlosen Vogelscheuchen, und beide geben sich nichts anderem hin als einem nutzlosen Frieren.
Nicht einmal durch das Heranschaffen von Feuerholz die Kläglichkeit ihrer Rollen aufzubessern sind sie in der Lage. Ihr Restchen Gestaltungs-vermögen legen sie in die Darstellung schlotternden Leidens.
Aber Langebehn, der Erste Held, darf aufs Schlachtfeld. Sein sieb-zehnter Nivoise des Jahres XV beginnt verheißungsvoll, die Sonne lässt den gefrorenen Schnee silbersternig erglänzen, die edelsten Eiskristalle sammeln sich an seinem, Langebehns Pelzkragen. Er hat es von sich gewiesen, zu den Schleppern zu gehören, die dem Capitain die Geräte hinterhertragen müssen. Langebehn will es auskosten, nach dem Einge-pferchtsein auf dem Floß leichthin über den Schnee zu eilen.
Raureif liegt über der Landschaft, der Schnee ist nicht allzu tief und fordert Langebehn dazu heraus lange schnelle Schritte auszuführen ohne dass sein Schuhwerk einsinkt. Die oberste Schneeschicht, für Langebehn individuell vorbereitet, ist elegant gefroren. Seine Sohlen sind schon je-weils weiter geeilt, wenn die vereiste Kruste kräckernd hinter ihm ein-bricht. Die Schneefläche wirft das Licht gleißend auf seine Erscheinung zurück, der Widerschein des beraureiften Schnees umkleidet ihn von allen Seiten. Die weißsilbrige Landschaft bietet ihm just das Passe-partout, das ihn und seine Behändigkeit zur Geltung bringt. Die er bitter vermisst hat auf dem Floß, mit eingeschlafenen Füßen zwischen dem selbstzufriedenen Wiederkäuen der Mimen und Muhkühe, Kuhmimen und Mimenkühe.
Der Messtisch wird auf einer Anhöhe aufgebaut, die damit zum Feld-herrnhügel aufgewertet ist, der Capitain nimmt daran Platz. Hier soll der trigonometrische Punkt des Dreiecksnetzes sein, lässt der Adjutant Langebehn wissen, von dem aus ein weiteres Stück des nagelneuen Kö-nigreiches erschlossen wird. Der Capitain späht durch ein Instrument, das nur der innerste Zirkel der Begleitmannschaft berühren darf. Langebehn ist unter die aufgenommen, die wie Planeten um diesen innersten Zirkel kreisen.
Der Adjutant weiht ihn ein, was eine Bussole ist und was ein Kroki, ein Passpunkt, Kataster und Nivellierpunkt, und es steigert Langebens Genuss, dass die anderen Komödianten, mit denen er zusammen-gepfercht war, es nicht erfahren werden zwischen ihren Holzbalken und Ochsen.
Ja wer sind sie denn.
Die verschneite Ebene betupft sich mit Farbpunkten, die vom Feld-herrnhügel fort ins Weite wandern. Soldaten, in ihren blauweißroten Uniformen jeder für sich eine Trikolore auf zwei Beinen, mit bunt-bewimpelten Stangen über den Schultern. Ein Zuruf des Capitain zu sei-nem Adjutanten, der zückt eine kleine Fahnenstange, winkt den trikoloren Soldaten da weit draußen, und die Trikoloren winken gelb, rot, grün zu-rück. Die Wimpelsignale gleiten hierhin und dorthin, nichts hält sie auf ; die altvertrauten Begrenzungen durch Gebüschstreifen, Wasserläufe, Zäune und Gräben werden außer Kraft gesetzt von den Geraden und Winkeln, die das metrische System der Großen Revolution über sie legt wie die Schrift einer allmächtigen Systemgottheit über das schrumpelige Tohuwabohu des verantwortungslos Zufälligen.
Langebehn, eine Kegelkreuzscheibe mit Stockstativ in der Armbeuge, fühlt sich zum erstenmal in seiner Karriere angemessen und nach Be-gabung besetzt, all den Kunterkästchen entrückt, die ihm den Hamlet streitig machen wollten.
Das Rollenfach des Geodäten tritt eben erst ins Licht, während immer schon ganze Generationen von vermoderten Romeos auf Langebehns Schultern hockten. Das Rollenfach ist so jung wie Langebehn jung ist. Er ist mit ihm Avantgarde, Langebehn ist la flèche des flèches de l’epoche, und die Eiskristalle in seinem Pelzkragen funkeln.
„Seize pas a la droite !”
Die Texte sind knapp, sind nur Silben, wie Pfeile weithin geschleudert als Clairons, hart und klar. Ein Langebehn vertrauter Ton, sein Inneres gerät dabei metallisch ins Schwingen. Die Clairons lassen ein Corps von Schlanken und Großen ausschwärmen, Kerlen wie er selber, und die Hügel, die sie leichthin erstürmen, sind wirkliche Erhebungen, eines Lan-gebehn würdig, und nicht nur gemalt wie auf dem Theater. Und hinten mit einer Holzlatte ausgesteift, die ein Sandsack beschwert, damit sie nicht umkippen.
Das Instrument von dem aus der Capitain seine Scharen dirigiert, ist so edel, dass ein Schirm darüber gestellt wird, damit ihm die Sonne nichts anhaben kann. Vor wenigen Wochen gab es dieses Instrument noch gar nicht, es war nur ein Gedanke in einem Ingenieurgehirn, eine Formel auf einem Blatt Papier, eben erst ist es in Paris zurecht geschliffen und verschraubt worden.
Mit Werkzeugen, die vordem der Herstellung von Juwelen für die Bourbonen vorbehalten waren, ehe die ihre Köpfe abliefern mussten. Wenn der Capitain nun hindurch blickt, erschließt sich ihm was noch nie vor ihm jemand gesehen hat. Auch Langebehn darf durch den Theo-doliten schauen. Er sieht nicht nur das Weiß des Schnees und darauf die Sprenkel der blauweißroten Brigade mit ihren Wimpelstangen, er sieht das große Abstraktum schlechthin, die Linien ins Unendliche. Der Adjutant führt ihm die Hände an dem Instrument ; die Schwungrädchen, die Kuppelwellen gehorchen dem geringsten Druck seiner Finger, er spürt etwas wie Zärtlichkeit in dem goldschimmernden Metall, die Schräubchen sind ihm dienstbar, das Kunstwerk aus Streben, Rädern und Stellschrauben gibt sich ihm hin, lässt sich willig drehen und schwenken wohin er es auch drängt.
Langebehn verlangt es danach selbst in dieses keusche Weiß hinein auszuschwärmen und sich gleichzeitig dabei durch das Okular zu beobachten. Dieser siebzehnter Nivoise ist ein Langebehns Festtag, und weitere sollen ihm folgen.
Zwei Männer stapfen durch den verschneiten Wald. Ob der andere das auch hört, fragt der eine Stapfer. Was denn solls zu hören geben, fragt der
andere Stapfer. Dass da wer singt. Ach geh zu, im Wald da singt doch keiner. Doch singt da einer. Sie bleiben stehen, damit das Knirschen ihrer Schritte im Schnee die Singerei nicht zudeckt. Und, scheißdieWandan, da singt doch wirklich einer.
„Ha! wenn sie euch unter dem Beile so zucken,
Ausbrüllen wie Kälber umfallen wie Mucken -“
So einen Schmarren singt da einer mitten im Wald. Als wenn ihm der ganz allein gehören tät.
„Das kitzelt unsern Augenstern,
Das schmeichelt unsern Ohren gern -“
Singen allein, meint der eine, singen allein ist noch nicht gegen das Gesetz.
Gesetz, was heißt da Gesetz, meint der andere, das Gesetz ist neu und französisch, da gilt was anderes als wie früher wo das Kloster noch Herr war im Wald. Die beiden haben noch nicht alle Paragraphen durch von dem neuen Gesetzbuch, sie sind erst seit wenigen Tagen Wildhüter, aber ob man im Wald singen darf oder nicht, dafür kennen sie keinen Para-graphen. Außer es handelt sich um Wilddiebe, aber die schießen mit abgesägten Schrotflinten herum oder sie stellen Fallen auf. Aber singen tun die bestimmt nicht.
„Das Wehgeheul geschlagner Väter
Der bangen Mütter Klaggezeter -“
Wenn mans aber recht bedenkt ( und sie bleiben beide stehen, um sich eben dieser Arbeit hinzugeben ) und die Wilderer singen eben doch, dann täten sie was singen was gegen die Obrigkeit gerichtet ist. Kloster hin, König her. Und dagegen gehört eingeschritten von seiten der Obrigkeit.
Die zwei Stapfer schauen sich ernst an, amtsernst, als sie so weit gelangt sind, denn besagte Obrigkeit ist nunmehr niemand andrer ist als sie beide. Auch wenn sie noch so neu sind auf ihren Posten.
Gerad ein Neuer aber muss sich bewähren, König hin Kloster her, als frisch bestallter königlicher Forstaufseher, damit der Anarchie nicht Tür und Tor geöffnet werde.
„Das Winseln der verlassnen Braut
Ist Schmaus für unsre Trommelhaut !“
Aber wenn da nun kein Wilderer, sondern bloß ein einfacher Holz-sammler singt ? So einer, der Reisig sammelt für den Ofen daheim ? Dann sind sie doch blamiert als königliche Organe, wenn sie gegen den einschreiten mit beamteter Unnachsichtigkeit. Und ihren oberen Organen nur einen armen Hansel präsentieren, mit Fichtenzapfen in den Taschen. Daxnudeln in der Landessprache. Wie stehen sie dann da ?
Selber wie Daxnudeln.
Früher, vor anno Napoleon, hat man noch Holz stehlen können in aller Scheinheiligkeit, und gleich drauf hat man es den bestohlenen Kloster-brüdern gebeichtet und allemal Absolution erlangt von ihnen. Seit anno Napoleon gibts keine Klosterbrüder mehr. Folglich auch keine Abso-lution, sondern bloß noch das Gesetz. Auch wenn sie es noch gar nicht kennen.
„Ein freies Leben führen wir
Ein Leben voller Wonne …“
Ein freies Leben, das kann kein Napoleon wollen, auch wenn er viel-leicht bei den Daxnudeln ein Auge zudrückt. Ein freies Leben ist gegen einen jeglichen Paragraphen, nicht bloß gegen das Exerzierreglement das wo sie sehr wohl kennen als Veteranen des Feldzugs bei Ulm. Und jetzt, als Demobilisierte, sind sie fronterfahrene Defenseure des Wildbestandes seiner königlichen Majestät, da hat jede Wildsau und jedes Eichkatzel stramm zu stehen. Und selbst dem Eichelhäher gehört zugerufen :
„Halt ! Wer da !“
Es ist Kunterkasten, den sie stellen.
“ Parole !“
Aber Kunterkasten weiß keine Parole. Auch aus seinem Wilhelm Tell hat er kein Zitat zur Hand, die Schultern dafür vollgepackt mit dürren Ästen. Die Herrenknechte etwa betreffend, die dem gemeinen Mann die freien Wälder rauben. Stattdessen macht er einen Abgang im Laufschritt, denn der eine Herrenknecht hat eine Flinte.
„Hundskrüppel !“
Kunterkasten verliert das meiste von dem Holz das er aufgesammelt hat, ein corpus delicti nach dem anderen liegt auf seinen Fußspuren und die beiden stolpern nicht einmal darüber.
„Den Haderlump kaffma uns !“
„Bleib Er stehen oder es wird g‘schossen !“
Der diese Drohung ausgestoßen hat, erschrickt selber am meisten da-rüber. Wie soll er rechtfertigen vor ihrem obersten Waldhüter, einem demobilisierten Sergeanten, dass er an einen Holzdieb eine teure könig-liche Patrone verschwendet hat, in der bataille von Ulm aber keinen Schuss abgefeuert.
Kunterkasten, der von solchen Zwiespälten nichts weiß, fürchtet für sein Leben. Wirft den letzten Prügel fort, schlägt einen Hasenhaken nach rechts querwaldein. Dann einen nach noch weiter rechts, dann wieder nach links, bis er sich nicht mehr auskennt zwischen all den fremden Stämmen. In welcher Himmelsrichtung wartet Käpernick mit den anderen auf das Brennholz, das er nicht mehr hat ? Und wo sind Floß und Fluss ?
Die beiden Veteranen von Ulm gehen leer aus. Ihr Hase ist ihnen ent-wischt, und sie loben ihn insgeheim dafür, denn ihm weiter nachsetzen wäre ihnen sauer geworden mit ihren Steckschüssen in Schienbein und Steiß. Auch aus Ulm, denn anders als sie haben Napoleons Truppen geschossen. Und getroffen.
Und hätten sie den Haderlump erst beim Schlafittchen gehabt, wie macht man amtlich korrekt Meldung nach dem Buchstaben des neuen Gesetzes ? Und verpflichtet dieses Gesetz sie am Ende auch noch dazu, die expropriierten Holzobjekte säuberlich wieder einzusammeln, zu sor-tieren, einzuhändigen, und wem und wo ?
Der Wald liegt still und legt keinerlei Zeugenschaft ab, nicht für und nicht gegen sie. Sie haben doch ihres Amtes übergenug gewaltet ( einer nickt es schweigend und amtlich dem anderen zu ) und die Steckschüsse, die sich schmerzhaft melden, beurkunden es auch ihren Leibern : sie haben sich eine Einkehr in ihrer Waldhüterhütte verdient.
Zuzüglich Pfeifchen und Schmalzbrot zur Belohnung ihres Eifers beim Sieg über einen Insurgenten, der wo aa no aufrührerisch gsungen hat.
Aber auf der Schwelle zu dem Unterstand liegt unbefugt ein fremder Mantel mit einem Pelzkragen daran. Und darüber geschmissen ein zwei-ter Mantel, aber dieser ist ein militärischer.
Und damit befugt.
„Blau weiß rot. Woasst ja was des bedeut.“
„A Franzos.“
„Dem Napoleon die seinigen spionieren uns nach im Wald ob mir Wachleut zack auf Posten san.“
Alte Soldatenängste vor belfernden Vorgesetzten steigen in ihnen auf. Da drin in der Rindenhütte wird ihnen kein Schmalzbrot und kein Pfeif-chen gegönnt sein, wo sie den Code Napoleon noch nicht einmal dem Buchstaben nach kennen.
Kunterkasten ist unter Hasenhaken und Hasenwiderhaken durch den Wald geirrt, nun findet er sich wieder im Rücken der Wildhüter, ihre Flinte starrt ihm entgegen wie einem alten Bekannten. Als sie sich umdrehen, weil sie den Schnee knirschen hören, erkennen sie ihren Holz-dieb nicht wieder und salutieren. Der Unbekannte kann nur der mit dem Franzosenmantel sein. Und von ihnen verlangen, dass sie das Napoleon-gesetz aufsagen.
Höchste Zeit, geistert es in allen drei Köpfen, sich davon zu machen. Aber die beiden Veteranen sind die rückzugserfahreneren, auch brennen die Steckschüsse noch grimmiger vor Schreck. Und schon sind sie wohl-geordnet en retraite und davonmarschiert.
Kunterkasten ist sich selber dankbar, dass er sie nicht mit dem Wilhelm Tell gegen sich aufgebracht hat und sieht zugleich, auf einmal wieder umtriebig, einen angenehmen Stapel gespaltener Fichtenscheiter an der Hüttenwand gestapelt. Und erst dann, nachdem er sich so viel davon aufgeladen hat wie er nur fassen kann, sieht er die beiden Mäntel liegen, der eine ist ihm wohlbekannt. Er drückt die Tür, ein Brett nur, ein wenig auf. Sie hängt nicht in Eisenangeln, sondern in Weidengeflechten, die un-wirsch knarzen.
Zwei nackte männliche Unterhälften ruckeln dahinter, die rosigen Är-sche sind das einzig Helle in der Hütte, und darüber Stöhngeschrei in gurgelndem Duett. Kunterkastens Scheiter verfangen sich in den Riemen des Koppelzeugs und des Säbels, die über dem Türbrett hängen. Die poltern herunter, den beiden samt den Scheitern auf die Waden.
„Der Zivilist“ brüllt der Adjutant „hat eine Militäraktion gestört !“
Wieder ist Kunterkasten auf der Flucht, und der Adjutant zwar splitternackt, aber mit einer Trillerpfeife ausgerüstet. Wieder muss Kun-terkasten sich in Hasenhaken üben, aber diesmal sind die Verfolger in der Überzahl, brechen in der Stärke einer section aus weit entferntem Unter-holz, in dem Kunterkasten niemand vermutete. Auch Wilhelm Tell rich-tete hier nichts aus, nicht mit Schillers Sermonen und nicht mit seiner Armbrust, denn jeder hat eine Muskete und noch keinen Steckschuss in den Beinen.
Als sie Kunterkasten in die Mitte genommen haben ( sie kennen den Weg, Kunterkasten kennt ihn nicht ) setzt ihm Langebehn nach, mit über-geworfenem Mantel, seine übrige Garderobe im Arm.
„C’est pas permis“ schnauzt der Grenadier hinter Kunterkasten “de parler avec un prisonier.“
„Mir schon“ beharrt Langebehn und steckt den Bewachern Papiergeld zu. Er muss nur in sein Mantelfutter fassen, schon ist Geld in seiner Hand. Schuff hat immer schon vermutet, dass dort eine Geheimtasche eingenäht ist.
„Ich habe nicht gewollt, glaub mir, dass sie dich fortzerren wie Jesus auf den Kreuzweg.“
„Da dran kannst du dich doch nicht sattsehen, du Natter.“
„Du bist es doch den ich begehre von Anfang an, Kunterkasten ! Dieser Vermessungsoffizier hat mich bloß geblendet mit einer Halsmus-kulatur, die mich so lala an Marc Anton erinnert hat. Aber sie ist schlaff beim Hinfassen, glaub mir, sie ist sowas von schlaff. Sogar quarkig, glaub mir, sie ist quarkig. Weißkäsig wie die Landschaft. Glaub mir, der Schnee hat durch ihn hindurch geschienen. Aber du…du bist der wahre Marc Anton ! Deine Halsmuskeln spielen wie…spielen wie…“
Die Gangart der Soldaten ist zügig. Langebehn, der sich beim Gehen die Hosen anzieht, hat Mühe mitzuhalten. Aber seine Metaphern halten Schritt :
„Sie spielen wie Pferdeflanken ! Glaub mir, wie Pferdeflanken.“
Jetzt hat er die Hosen geschafft, über die Schuhe.
„Ich meine natürlich von einem Fuchshengst“.
An Rock, Weste und chemise scheitert er fürs erste. Dazu müsste er den Mantel ablegen.
„Du bist mein Marc Anton ! Ich gebe doch nur einen Cassius ab, wenns hoch kommt.“
Wenn der Zug auch nur einen Moment anhielte, könnte er es schaffen Weste, chemise und Rock überzustreifen.
„Arrêt tous la formation !“ ruft er. So geläufig militärisch, dass die Gre-nadiere mit einem Ruck stehen bleiben wie Zinnsoldaten.
„Mach mir den Marc Anton, Kunterkasten, sei mein Marc Anton…“
Kunterkasten ist verlassen von allem, was er sagen könnte. Nicht nur Strönebald fehlt ihm, der Souffleur, sondern einige Labyrinthe in seinem Ober- wie Unterbewussten, um Langebehn zu erwidern.
Der kniet vor ihm im Schnee.
„Du bist der Begnadete, Kunterkasten, und ich bin die ewige Zweit-besetzung.“
Der Mantel liegt neben ihm, Langebehn zieht sich das Hemd über den Kopf.
„Ein eitler Windbeutel von einem Klassizisten bin ich, glaub mir, und die Ratten nagen an mir.“
Dabei knöpft er sich die Weste zu.
„Als dieser Vemessungsgehilfe gestern von Talma gesprochen hat, habe ich dich vor mir gesehen. Dich, Christian Asmus, dich dich dich ! Du bist der wahre Talma, du bist mein Talma.“
Beide Arme fahren in den Rock.
„Leg dir die Toga um, und sei’s von mir aus ein Bettlaken, ich muss dich in der Toga sehen, Christian Asmus. Wie sie fließend deinen Körper umspielt…“
Da kein Bettlaken zur Hand ist, legt er Kunterkasten seinen Mantel um die Schultern. Die Grenadiere sehen verlegen seitwärts, spähen irgend-wohin, zählen die Baumstämme. Ob die zwei da überhaupt noch vom Militär reden ?
Von was, merde, reden die ?
Dienst ist Eid ist Disziplin ist Gehorsam, gewiss, aber der Sold steht aus, das Bestechungsgeld des fremden Kerls der da im Schnee dübelt die Lücke. Wenigstens ein bisschen. Aber ist es wirklich noch grenadiers-würdig in Habachtstellung um zwei solche Schwuchteln herumzustehen ?
„Du bist der Acteur der neuen Epoche.“
Langebehn kniet immer noch. Er genießt seine große Gebärde großer Devotion, wie er den Schnee genießt, der seine Knie umfängt und an ihrer Wärme wässrig wird.
„In dieser Epoche gilt nicht das Verharren in den Festungswerken des Althergebrachten. Hinausgestürmt muss werden in den großen Raum des Unbekannten. Sturmschritt sei die alltägliche Gangart !. Sturmschritt, Christian Asmus ! So ist es mir heute Erfahrung geworden auf dem eisigen Parkett des Schnees.
Kunterkasten tastet nach Langebehns Geheimtasche. Der Bengel soll Strafgeld zahlen. Aber Kunterkasten, tapsig auch hier, wird nicht fündig.
„Nicht mehr Rhetorik, Christian, sondern Dynamik ! Dynamik der Körper ! Zweier Körper, hörst du. Zweier ! Und was hast du für einen herrlichen Körper…“
Langebehn nimmt den Mantel wieder von Kunterkastens Schultern. Kaum hat er ihn sich selber übergezogen, knistern wieder Scheine in seiner Hand, und die Grenadiere empfangen eine weitere Löhnung abseits des Reglements.
Seine andere Hand knetet Kunterkastens Hals.
„Und was für eine Muskulatur…“
„Marchez !“ grinst der Anführer, und die trikoloren Uniformen ent-fernen sich über das Schneefeld hin, sind bald klein wie Kokarden und verschwinden als winzige bunte Punkte gänzlich im Gehölz.
Als Langebehn und Kunterkasten wieder zum Fluss gelangt sind, ist die Kette fort und alles auf dem Floß versammelt wie vordem, nur ge-zeichnet und befräst von den Schnittkerben, die die Kette gerissen hat. Eine blessierte Kuh da, Schrunden an der Hütte dort, aber insgesamt zum Ablegen bereit. Nur die Geodäten bleiben unsichtbar mitsamt ihren Kisten. Der Floßmeister lässt die Ruderer vom Ufer abstoßen, sein Tabaksaft rinnt wie immer und Gmeinwiesers Vieh nimmt es gelassen wie immer.
Käpernick grinst, weil Kunterkasten sich in Langebehns Gesellschaft einstellt statt in der von Brennholz.
„Fehlt nur noch dass ihr Händchen haltet.“
Langebehn lässt nicht von Kunterkasten.
„Wir mieten uns eine chambre separée beim nächsten Halt, eine Klause für uns allein, und du wirst Talma für mich sein. Ca ira ! „
Die Franzosen sind fort ?
Die Franzosen sind wieder da. Diesmal bringen sie das Floß nicht mit einer Kette zum Stillstand, diesmal ist es ein Gewehrschuss in die Luft und dann der von weiten geschriene Befehl das Floß toute de suite auf den Kies zu setzen.
Diesmal ruft Kunterkasten nicht sein vive l’empereur ! Diesmal gibt es auch keine Einladung zu einer Bewirtung aus der Feldküche. Sechs Mann mit zugesperrten Gesichtern und aufgepfanzten Bajonetten entern das Floß und machen sich ohne weitere Fisimatenten, erklärende wie ent-schuldigende, an eine Razzia.
Bauernschränke werden aufgerissen, zwischen den Heuballen und Schafen steigen die Soldaten herum, hinter den Holzbeigen, auch in die Hühnerkäfige wird hinein gelinst. Ohne dass ihr Kommandeur seinen Posten oben auf der Uferböschung verlässt. Ist der nun Capitain Brousseaud oder ist ers nicht ?
Kajetan wettet, er ist es. Der Floßmeister wettet dagegen. Entschieden aber wird die Wette nicht, weil Kajetan kein Fernrohr in seinem Sortiment hat. Schuff wird von zwei Grenadieren festgehalten, seinen Pelerinenmantel klopft ein dritter ab, und als er dann noch immer nicht verhaftet ist, lässt er seinen blauen Vogel vor den Franzosen schwirren. Die haschen mit einem amüsierten aaaah ! danach, aber als der Kom-mandant herunterbrüllt discipline ! wendet sich die ganze Formation der Fahndung zwischen den Ochsen zu.
Kunterkasten hat sich geduckt, kaum dass die Soldaten über den Kies heran gerannt kamen. Nur auf ihn können sie es abgesehen haben. Und er muss sich tief ducken, denn ein anderes Versteck als eine von Gmein-wiesers Kühen ist nicht da. Käpernick leistet Beihilfe, stellt sich breit vor
Kuntrkasten und Kuh, breitet seine Arme weit auf ihrem Rücken aus, und die Kostüme die er sich um den Leib gewickelt hat, fallen daran herunter wie ein Theatervorhang.
Käpernick fällt damit auf, weil Käpernick immer auffällt, und schon ist Kunterkasten entdeckt. Nun wird er abgeführt werden. Aber die Soldaten, alle noch jünger als Kunterkasten, belustigen sich über ihn wie einen Spielkameraden, der sich hinter einem Kuheuter versteckt und wenden sich der Hütte zu.
Neugieriges Volk hat sich dort versammelt. wie schon einmal. Diesmal wird sie aufgebrochen werden, jede Wette, diesmal zwischen Kajetan und Käpernick. Kajetan beschreibt gennüsslich schmatzend und im voraus, wie gleich die Bajonette in die Ritzen fahren und die Tür herausspringen wird. Und Käpernick macht die Geräusche nach, die zu erwarten sind, sie reden sich in Hitze, sie lachen sich in Hitze und haben darüber das eigentliche Spektakel verpasst.
Denn am Ufer wird geschossen.
Diesmal nicht in die Luft. Querschläger prallen am Schotter ab. Die Schüsse gelten einem, der durchs seichte Wasser rennt. Sein Mantel verfängt sich im Gestrüpp der Uferweiden wie in einer Wildfalle. Der Flüchtende schält sich aus dem Mantel heraus, Schüsse pfeifen über ihn hinweg. Gebückt rennt er weiter die Uferböschung hinauf. Der Mantel, als wehklage er, dass sein Herrn ihn verlassen hat, spreizt sich mit pathetisch hochgereckten Ärmeln in den Ästen, nur der Pelzkragen hängt jämmerlich durch wie das Genick eines Gehenkten, den man vom Galgen geholt hat und schwankt im Wind.
Die Soldaten auf dem Floß lassen von der Suche ab. Sie galt allein dem, der dort auf der Höhe der Böschung verschwindet, die Soldaten setzen ihm nach, feuern dort oben auf ihn, wo die Floßfahrer nicht mehr hinsehen können. Schon wird wieder gewettet, nun sind auch die Flößer mit dabei : den hams nimmer derwischt ( Einsatz drei Kreuzer ) den hams troffen ( Einsatz ebenfalls drei Kreuzer ) den hams derschossen. Einsatz fünf Kreuzer.
Bei so viel Geld können weder Schuff noch Käpernick mithalten.
Kunterkasten klaubt den Mantel aus dem Weidengeäst, ohne sich ir-gendjemandes Widerspruch einzuhandeln, er redet sich ein, dass er ein Anrecht darauf hat. Hinter den Uferweiden wird noch immer geschossen.
„Hörts auf, hörts doch auf…“ fleht die Wallfahrerin.
Denn die Schüsse haben jemand in Todesangst versetzt, den man nicht sehen kann.
„Nimmer schiassn, um Christi willen nimma schiassn…“
Neben ihr schreit etwas, spitz und unerträglich, wie ein Tier das selber angeschossen ist. Sogar die Schüsse übertönt es noch, die sich immer mehr entfernen.
Auf dem Floß wird es still. Das Publikum, das eben noch gelüstig war auf das Aufbrechen der Hütte strömt nun dorthin, wo die Schreie her-kommen. Der mit Segeltuch umspannte Kasten der Wallfahrerin wälzt sich über die Baumstämme des Floßes.
Die Schüsse haben aufgehört, aber der Kasten schreit weiter.
Oben an der Uferkante lassen sich die Soldaten wieder blicken, als wollten sie denen auf dem Floß stolz ihre Jagdbeute vorführen. Sie haben Langebehn in die Mitte genommen, seine Hände liegen auf seinem Kopf. Ein paar Flößer erheben ein Geheul, nicht um ihn zu schmähen, sondern weil sie seinetwegen ihr Wettgeld verspielt haben. Die anderen, die ge-wonnen haben, grölen schon lauter und rufen ihm höhnische Dan-keschöns hinauf. Langebehn lässt sich nicht anmerken ob er das eine oder das andere verstanden hat. Plötzlich dreht er sich um, streckt die Zunge heraus und ruft etwas, das nicht nur untergeht weil die Soldaten ihn weiterstoßen.
Langebehn, weiß Schuff und sagt niemand woher, ist aus der Armee Napoleons desertiert. Falsch, mischt Käpernick sich ein, und auch seine Quelle bleibt im Dunklen, er ist schon vorher desertiert, aus der Revo-lutionsarmee.
Wieder werden Wetten abgeschlossen. Diesmal, nur unter den Schauspielern, um Hosenknöpfe, die als Gutscheine gehandelt werden für je einen Schoppen Wein, einlösbar an dem Tag da sie endlich Wien erreicht haben werden. Denkma, der hat sich freiwillig gemeldet, der Dussel, und denn türmt er. Selber Dussel, was soll er nich türmen, wenn er für die Jakobiner kämpfen will und dann is mit einemmal Napoleon vorn dran. Die Wette fällt damit in sich zusammen.
Die Hosenknöpfe werden ordentlich retourniert, bedeuten sie doch eigentlich, recht betrachtet, baren Wein. Und davon darf kein Tröpfchen verschüttet werden, auch nicht vorweg. Befindet vor allem Käpernick, mit begehrlichem Blick auf den französischen Grenadier, dem keine Aufregung hat zusetzen können, weil er unentwegt wachhabend bei sei-nen Fässern geblieben ist.
Die Wallfahrerin wollte anfangs die Leute verscheuchen, die ihren tanzenden Tuchkasten umstanden. Bis der in den Veitstanz verfiel, sich aufbäumte, bis von innen gegen die Verspannung getreten wurde und eine Naht zerriss. Dann noch eine, und dann kam ein rotes Brüllgesicht zum Vorschein.
Es ist gar nicht die Mutter, die ihn zuerst umfasst, der Junge fällt einer Schafhirtin vor die Füße, die nimmt ihn auf und schließt ihn in die Arme. Es ist ihr nicht anzusehen, ob sie ihn liebkosen will oder ersticken, denn zu beruhigen ist das Schreikind nicht. Erst als die Mutter ihm einen Strumpf über den Kopf stülpt, lässt der Furor nach, und das Geschrei geht über in Greinen und Rotzziehen. Die Schafsfrau zieht dem Jungen den Strumpf wieder halb vom Kinn hoch. Nun sehen alle, trotz Rotz und Tränen, dass er Mongolenaugen hat.
Als der Floßmeister wieder anfahren lässt, ist nicht einmal Gmein-wieser mehr nach Betenlassen zumut. Er weist die Schauspieler grob mit der Geißel in das Revier, das er ihnen hinterm Strick zugewiesen hat, aber auch Afra, der Wallfahrerin ist er nicht gewogen.
„Wenn de Missgeburt ein Kalb wär, tät mans nicht am Leben lassen.“
Und schon gar nicht mitfahren lassen auf einem Floß, unter so vielen Leuten und zwishen so viel Vieh. Weil das ein Unglück bringt. Zwei, drei, viele Unglücke. Und so betet er allein.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
Propodonsky reißt Kunterkasten ohne ein Wort Langebehns Mantel von den Schultern. Kunterkasten müsste dem Prinzipal jetzt ins Gesicht schleudern Ha, Hasardeur ! Im Krönungsmantel eurer Eitelkeit ernied-rigt Ihr Euch selbst !
Aber da fällt ihm ein, dass das bei Schiller gar nicht vorkommt und wie die Stelle bei Shakespeare heißt, will ihm nicht einfallen. Dafür stellt er sich mannhaft, als hätte das Innenfutter des edlen Mantels seinen Mut aufgewärmt, vor den Prinzipal und versucht es mit eigenem Text.
„Den Mantel können Sie mir nehmen, aber von jetzt an nicht mehr mein Anrecht auf den Ersten Helden“.
Der Prinzipal richtet sich in Langebehns Mantel ein und erwidert nichts. Erst als sie einige Meilen zurückgelegt haben, knurrt Käpernick Kunterkasten zu : „Bau dich nicht so auf an der Rampe. Die sehen dich doch jetzt alle als Madam Langebehn an.“
„Du auch ?“
Nun erwidert auch Käpernick nichts. Nach wiederum einigen Meilen beginnt er mit Schuff zu erörtern, was Langebehn ihnen eigentlich zuletzt zugerufen hat. Dazu werden weder Hosenknöpfe gebraucht noch Wein. Eine Verwünschung Propodonskys war es allemal, kein Zweifel, wegen der vielen Oooos, die darin vorkamen.
„Da sieht man mal wieder, wie wenig weit dem seine Stimme trägt, fürs Freilichtheater wäre der nicht im entferntesten geeignet gewesen.“
Aber damit Langebehns Verfluchung zitierfähig werde, wüsste man gerne den genauen Wortlaut, denn eine Niedertracht gegen den Prinzipal hat jedes Ensemblemitglied gerne im Repertoire. In Kunterkasten ge-winnt der Pfarrerssohn, der ihm versichert, der Fluch habe allein ihm gegolten, Christian Asmus Fürchtegott Kummerkasten.
Gänzlich ohne einen Felix.
Das Floß überholt die Mönche die am Hochufer dahinziehen, nicht mehr in Kutten, aber immer noch erkennbar an ihren Tonsuren und an der Schafsdemut, mit der einer hinter dem anderen her tapert, mit gefalteten Händen, den Blick nach unten. Geschmeiß ist das, knurrt Gmeinwieser und unterbricht dazu kurz sein Gebet. Der Ausschuss Gottes, der sich vor der Arbeit drückt, und die Flößer schicken ihnen grelle Pfiffe hinauf.
Demoiselle Pfrenhuber
Die Demoiselle drückt ein metallenes Kreuzchen an sich, das einem der Mönche um den Hals gehangen hat. Das erinnert sie daran wie er ihr Gebetsangebote ins Ohr geraunt hat ein Ave Maria für drei Kreuzer als sie sich in der Herberge über ihn weghangelte. In der es so finster war, dass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte. Und nun ist sie ist zu weit weg um zu sehen, welchem von den Mönchen da oben am Hochufer ein Umhängekreuz fehlt.
Sie wünscht sich, dass es nicht der Alte ist, der den Zug anführt. Auch nicht der bucklige vierte, um den ein geschenkter Jägerumhang schlottert. Sondern der gleich dahinter, der mit dem breiten Kutscherkreuz. Aber als der im Schnee stolpert und ohne jegliche Grandezza täppisch vornüber fällt, wünscht sich die Demoiselle, dass der leere Hals dem letzten in der Reihe gehören möge. Dieser letzte ist auch der Jüngste, also muss er ein Novize sein. Die Kniehosen, die man ihm geschenkt hat, spannen über seinen bäuerischen Waden.
Die Demoiselle weidet sich an seinem kraftvollen Ausschreiten, wie unklösterlich ! und der Novize, als spürte er ihren Blick auf seinen Gehwerkzeugen, schaut zu ihr herunter. Er will die Kutte über seine Beine ziehen, über seine unschickliche Blöße, aber seine Hände fassen ins Leere, denn da ist ja keine Kutte mehr, und die Demoiselle lacht laut gackernd.
Hat ers gehört, errötet er ?
Nun stolpert der Novize, weil er zur Demoiselle schaut und nicht auf den Weg. Aber was ist das für ein Stolpern ! Als ob ein junger Stier sich verstolpert, und die Demoiselle ist hingerissen, wie stierig er sich sogleich wieder abfängt und unverwandt zu ihr herunterschaut. Als hole er sich von ihr den Applaus ab, von dem er als Mönch nichts wissen darf.
Sie küsst das Kreuzchen inbrünstig und wirft den Kuss durch die Luft zu dem Novizen hinauf. Ihr Stiefvater ( sie hatte vergessen dass er neben ihr sitzt ) fragt knurrig was es da bittschön zu schmatzen gebe, entreißt ihr das Kreuzchen und wirft es ins Wasser.
Kein Aufbegehren, auch keine Verzweiflung bei der Demoiselle. Sie hat bereits Ersatz in der Hand. Ein Klappmesser aus dem Tornister des Capitain, und der Prinzipal begreift, dass dieses Messer ihr Grenz-pflock ist, mit dem sie ihr geheimes Reich absteckt. Das Messer, ebenfalls geküsst ( denn es hat einem anbetungswürdigen Mann ge-dient ), wird sorgfältig versorgt in ihrer Schatzkammer.
Einem Imperium ohne weitläufige Ländereien, ein Schattenreich in doppelten Böden, Kleidersäumen und Astlöchern. Für die Bauers-leute auf dem Floß, für alle Welt sieht es so aus, als wühle die Demoiselle gedankenverloren nach einem Schneuztüchlein, einer verirrten Haarnadel oder einem dreisten Floh. Sie aber ist herzinnig bei ihren Sächelchen, die sie wieder einmal erbeutet hat. Haar-bändern, Münzen mit abhanden gekommenem Kaufwert, halben Scheren, einer verdorrten Birne oder auch nur einem abgenagten Kernhaus, leeren Bonbonpapierchen oder Spielkarten.
Spielkarten ! Seit sie auf dem Floß ist hat sie eine bunte Sippe von Eicheln, Damen und Schellenobern eingeheimst, und kein Blatt passt zum andern.
Der neue Bewohner ihres Reiches wird jeweils befühlt ( befühlt vor allem ), sortiert ( achtlos ), beträumt ( gründlich ), es wird mit ihm gespielt mit der ganzen Ernsthaftigkeit, derer ein Kind fähig ist. Dann umwickelt und eingemummelt bis zur Unkenntlichkeit und schließlich zwischen den anderen, älteren Schätzen verstaut.
Seit sie denken kann hat sie des petits choses zu sich hereingeholt, Sächelchen ergrapscht, sie in ihren winzigen Fäustchen geborgen. Schon als Wiegenkind, das keine Wiege hatte, dafür einen Streifen ausgemusterter Leinwand, rückseitig bemalt mit einem Wol-ken-himmel aus einer längst abgesetzten Inszenierung.
An vier Stricken hing diese Leinwandwiege neben dem Frisier-spiegel ihrer Mutter. Die versetzte der Wiege einen Klaps, wenn sie ihr Ge-sicht bemalte und dabei ihre Rollen lernte, versetzte das Kind darin ins Schwingen, und an dem schaukelnden Kind vorbei schoben sich die Schauspieler zur Bühne.
Grausliche Fratzen beugten sich über die Kleine, mit wüsten Bär-ten, unter Blechhelmen mit wogendem Federschmuck, auch komi-sche, mit rotgefärbten Nasen und rotgefärbten Pausbacken und rotgefärbten Wuschelhaaren. Das Kind entsetzte sich und schrie, das Kind wurde zutraulich, wenn die Fürchterlichen ein OjOj quietschten oder ein Hiiiihii-idadadididu, es getraute sich ihnen in die Bärte zu fassen, in die angeklebten Nasenlöcher, in die Helmbüsche. Das Kind greinte, wenn sich Bärte, Wuschelhaare, Helmbüsche ihm ent-zogen und draußen auf der Bühne ein Humstertumster veranstaltet wurde, über das das Kind sich wiederum entsetzte.
Bis die, die da draußen gelärmt hatten sich wieder über die schwingende Leinwandwiege beugten, ihren Schweiß auf das Kind tropfen ließen, und sich mit einem Ojoj oder Hiiiihiii-dadadi-di-duuuuuuuu zurückmeldeten.
So verging die Demoiselle eine Wickelkindheit lang vor Ängsten. So zerfloss das Wickelkind eine Kindheit lang in Wonnen.
Und rächte sich an den Bärten, Nasenlöchern und Helmbüschen dafür, dass die nicht bei ihm blieben, indem es hier einen Knopf abdrehte, dort eine Feder aus dem Helmbusch zupfte, eine papierene Blume aus dem künstlichen Blumenbukett der Minna von Barnhelm bei sich behielt oder auch ein Briefchen aus der Tasche angelte, dessen Inhalt zu verlesen dem Treulosen mit der rotgefärbten Nase dann da draußen auf der Bühne nicht mehr möglich war. Sie behielt von jedem einen Pfand, den er auszulösen hatte, wenn er von der Bühne zurück kehrte. Aber wenn es soweit war, hatten beide das Geiselgeschäft vergessen, die Diebin wie der Bestohlene. So be-siedelte sie ihre Wiege aus Theaterleinen mit Tand, den sie früh schon über Bord zu werfen lernte wie die Kuckucksküken die fremden Eier, um Platz zu schaffen für neue Gelege.
Gesäugt wurde Isabelle Beatrice zwischen Schminkspiegel und Treppchen zum Bühnenpodest, zwischen zwei Auftritten der Mutter. Ratschratsch aufgerissen die Robe der Königin, das grünwurzelige Mieder der Waldfee, die Rüstung der Jungfrau von Orleans, und nuckelnuckelnuckenuckel, und was die Mutter ihm dabei zuwisperte, war nicht eigene Zuneigung, sondern geborgter Text, sondern die Anrede der Königin oder das Geschmeichel der Soubrette, die sie gleich draußen darzubieten hatte. Schon zum Bäuerchenmachen wur-de das Kleine irgendeinem Kollegen auf die Arme geladen Mein Stichwort ! Pass auf dass es bloß nicht plärrt. Und wenn es doch plärrte, in eine Szene hinein zwischen dem Sultan und dem Kreuz-ritter, Orlando und Karl dem Großen, Romeo und Julia, dann wars an einem beliebigen Darsteller, der grade weder als Julia noch als Kreuzritter noch als Romeo oder Karl der Große vor dem Publikum stand, hinter dem Bühnenprospekt die Verzweifelte zu trösten und in den Schlaf zu schunkeln.
Einmal hat Käpernick, mitten im Wickeln, um ein Haar auf sein Stichwort vergessen und auch auf den Säugling in seinem Arm. Rechts die frische Windel schwenkend, links das Kind, eilte er auf die Bühne und den Herzog Sigismund zu und beschwor ihn, noch diese Nacht die feindliche Stadt zu erstürmen. Und die Demoiselle in seinem Arm wurde zum ersten Mal eines Publikums ansichtig.
Seither müssen Käpernick und der Prinzipal an jedem neuen Gast-spielort allen, die es noch immer hören wollen, wieder und wieder den Gesichtsausdruck der Halbgewindelten schildern, und wie der vom vollgeheulten Grausen in höchste Beglückung mündete und endlich in ein Freudegicksen, welches nach und nach auf die Ge-sichter das Publikums drunten im Saal übersprang.
Als das Demoisellchen sich dann schon auf allen Vieren fort zu bewegen verstand wie eine Erdkröte, kroch es selbständig zurück an den Ort seiner Beglückung. Dorthin, wo das grässliche Gebrause ver-anstaltet wurde, das sie geängstigt hatte, wenn sie ihm, tatenlos und und hin und her schwingend, in ihrer Hängewiege zuhören musste.
Nun, da dieses Stück Tuch schon wieder weiterverarbeitet war zum Kittel eines Galeerensklaven im gleichnamigen Drama von Gottlieb Stephanie dem Jüngeren, rutschte das Theaterkleinchen unbemerkt über die Bühnenbretter zu den geräumigen Röcken der Mutter, unbe-merkt, und von da weiter unter den Krönungsmantel des Königs Claudius von Dänemark. Um endlich, immer noch unbemerkt, bis zur Bühnenkante zu robben und das Publikum anzuquäken. Ganz vorne, zwischen den Rampenkerzen, knapp am Abgrund zur ersten Reihe hin.
Nie hat die Demoiselle andere Kinder um sich gehabt, der Prin-zipal duldete kein weiteres Kleinzeug an seinem Hof, und nie hatte sie Puppen, Katzen, Brummkreisel. Dennoch widerfuhr ihr ausge-dehnteres Amüsement als irgendeinem Bürgerkind. Ihre Spielsachen miauten und grunzten, sangen und psalmodierten. Schuff, Strönebald und Käpernick hüpften brummkreiselnd ein in die Rollen der Pup-pen, Hampelmänner, Schaukelpferde und Sprungreifen, des Kroko-dils und des Nussknackers. Sagten ihr die großen Monologe der Bühnenliteratur auf, wenn es das Demoisellchen, auf ihnen reitend, verlangte, hottehottehotte ! röhrten wie Zettel der Handwerker, zum Esel verzaubert, und klöterten grausig aus dem Jenseits wie Hamlets Vater.
Halbgewindelt war ihr erster Auftritt gewesen, auf Käpernicks Ar-men, und einige Monate später, einige Gastspiele weiter, wurde sie schon mit angehefteten Engelsflügelchen hinausgetragen als Seele einer im ersten Akt verstorbenen Prinzessin. Noch bevor Isabelle Be-atrice leben lernte, lernte sie schon Gestorbensein, Hinsinken und Verröcheln.
Als fröhlicher Holzfällerzwerg stand sie dann bereits auf eigenen Wackelbeinchen, heulte Rotz und Wasser weil ihr Bart sie piekste, aber Käpernick fings auf, holte Applaus heraus für sie beide und so strahlte sie doch wieder, als sie in die Garderobe getragen wurde.
Wenn nun die Mutter auf der Bühne war, saß Demoisellchen vor dem Schminkspiegel, bemalte sich das Gesicht mit der Farbe aus all den kleinen Töpfen, die da herumstanden, erkannte sich selbst nicht wieder, fürchtete sich vor der fremden Fratze. Presste, damit die Angst vergehe, eins der vielen Amulette an sich, die die Mutter am Rahmen des Spiegels hängen hatte, einszweidreimachmichfrei, Kreuzchen, Porzellanscherben, wundertätige Schleifchen, Liebes-schwüre wildfremder Bürgerleins aus Gotha, Lüneburg oder Lauch-städt, einen fast leeren Topf mit vertrockneter Abschminke, in dem eine Haarnadel steckte, die vor Jahren eine Kartenschlägerin mit ihrer Spucke geweiht hatte. Ein Ausschnitt aus der Quedlinburgi-schen Zeitung für die gebildeten Stände mit einer durchgestrichenen Eloge auf eine Konkurrentin, die der Mutter die Rolle einer längst vergessenen Charlotte in einem längst vergessenen Stück wegge-spielt hatte. Ein zerknüllter Zauberspruch voller Ohrenschmalz, der nur wirkte, wenn man ihn sich vor dem Auftritt dreimal in den linken Gehörgang stopfte.
Und der hinterher verschwunden sein würde wie so vieles andere aus diesem Museum des Aberglaubens, und die Mutter stöhnte wo ist nur mein Amulett geblieben, ohne das hab ich doch auf Seite dreiundsechzig todsicher immer denselben Hänger. Eine Schach-figur, die Goethe darstellte, um seinen Hals einen wundertätigen Schnürsenkel gewickelt, ein Kupferstich der Iffland als Hamlet zeig-te und dem jemand, wer weiß warum, eine gelbe Ziegenmaske aufge-malt hatte.
Sie alle wurden Demoisellchens Spielsachen bis ihr die Milchzäh-ne ausfielen, und danach dann wurden sie die Beichtväter ihrer Ge-heimnisse, Tagträume und Verwundungen. Und, als ihr Schamhaare zu wachsen begannen, ihrer Sehnsüchte und Verwünschungen.
Nun, wenn die Mutter draußen ihren Part agierte, setzte Isabelle Beatrice sich vor Mutters Spiegel, bewegte die Arme zu Mutters Text, und wenn Propodonsky der Mutter draußen repilizierte, machte die Tochter dazu Propodonskys Gesten. Und Schuffs Gesten, und Langebehns Gesten, und Käpernicks Gesten. Fürchtete sich als Fünf-jährige, wenn ihr Stiefvater schwor, diesem und jenem sein Schwert in den Bauch zu rammen. Empörte sich als Siebenjährige, wenn Schuff der eben noch lieb zu ihr gewesen war, da draußen heiser näselnd Lügen unters Volk spie, verliebte sich in Langebehn als ihr die Zähne wieder wuchsen, beroch seine Kostüme und den unver-gleichlichen Duft, der daraus strömte. Hasste ihn zutiefst, als ihr Brüstchen wuchsen, weil er diese nicht wahrnahm und nicht ahnte dass sie zu seinen Deklamationen die ausgesuchtest edelsten Gesten vollführte die ihr einfallen wollten. Verliebte sich aufs Neue in ihn mit fünfzehn und blieb es. Kroch in seine Kostüme wenn er auf der Bühne war, masturbierte darin, erlebte ihren ersten großen Orgasmus in seinem Mantel mit dem Pelzkragen und riss dabei mit ihren Zähnen an dessen Haaren, als Langebehn draußen stand und den Monolog des Prinzen Eusthytes sprach. Ihre Finger wühlten in ihr im Gleichtakt mit seinen Vokalen.
Und als er zurück kam und sie in seinem Mantel erwischte, die Pelzhaare im Mund, ohrfeigte er sie, und sie hatte ihren zweiten Orgasmus.
Die Pfänder, die sie mauste, waren das einzig Beständige beim von-Ort-zu-Ort-Ziehen, darum bewahrte sie zärtlich in ihren ver-schwiegenen Hamsterhöhlen. In der Draußenwelt erfuhr sie nur die Herablassung der Bürgersleute, die wetterwendische Wertschätzung der Honoratioren, Apotheker, Gerichtschargen, das matte Bravo ! der Ratsherren, die von ihren Gattinnen bewacht wurden, wenn Demoi-selle Isabelle als kecke Zwölfjährige vor ihnen herumhopste. Das verdruckste Gestarre der Stadtschreiberjünglinge und Residenzstadt-Hähnchen. Die Verachtung für das Gewerbe der Verkleider und ambulanten Komödianten, wenn sie aus dem Bärenkäfig der Wander-bühne zu kurzen Erkundungsreisen aufbrach in die exotische Welt der Sittsamkeiten, Lateinschulen, Bibelstunden, Stickrahmen und Spülsteine.
Eine befremdliche Welt, in der die Frauen am Traualtar ihre Na-men wegwarfen wie die Schauspieler das Papier, mit dem sie sich den Abschminkglibber aus dem Gesicht wischten um dann ein Leben lang immerzu und immerfort ein und dieselbe Rolle zu spielen ohne Gage, Applaus und Aussicht auf ein anderes Stück.
Während die Demoiselle Isabelle Beatrice am Dienstag ein Wai-senmädchen sein durfte, das vom Herzog heimgeführt wurde, am Donnerstag eine Quellnymphe und am Samstag der Engel der Frei-heit im Egmont.
Ihr Leben war ein einziger Wandelprospekt, der im Hintergrund an ihr vorbeigekurbelt wurde. Wenn sie in einer fremden Stadt die Hand an die Häuserwände legte, erstaunte es sie, dass die aus Backsteinen errichtet waren und nicht mit Knochenleimfarbe auf Nesselstoff ge-malt. Und um sich das selbst zu beweisen, musste sie ein Teilchen davon als Beutestück mitgehen lassen, einen Fensterriegel, einen Backsteinsplitter, eine Glaskugel aus dem Rosengarten, und in ihre Schatzkammer einreihen.
Auch um ihr Erschrecken untenzuhalten vor der kruden Wirk-lichkeit leibhaftiger Rosengärten, Bäume, Häuser und der Menschen, die darin hausten. Und um daraus die Kraft zu gewinnen, diesen Ein-schüchterungen ihre eigene Wirklichkeit entgegen zu stemmen, in-dem sie diese andere auf dem Theater einfach nachmachte. Und da-mit in ihre Tasche steckte.
Propodonsky hatte sie, da war sie gerade vierzehn, sich hörig ge-macht als er in Strasbourg den Tod in einem Gruselstück spielte. Das Gruselige am Knochenmann war für die Halbwüchsige purer Mum-menschanz, der schreckte sie so wenig wie Propodonsky sie im Bä-renkostüm beeindruckt hatte oder als Richard III., wenn aber das Skelett sich das schwarze Trikot aufriss, und unter dem Schwarz die sommersprossige Brusthaut Propodonskys erschien, vom Tod zum Leben, rot behaart und schweißdampfend, dann zuckte es in ihrem Unterleib und sie wusste nicht einmal was da zuckte.
Er verlangte, dass sie ihre Finger durch sein Brusthaar zog, in seinem Schweiß tränkte, der Sterbeglitsche, der Schwitze des Sen-senmannes, des Sehnsuchtsbildes eines Mannskerls, der aus dem aufgerissenen Tod herausblitzte.
Und gar nicht mehr nach Verwesung roch sondern nach Geilheit. Fass tiefer befahl er mit seiner sonoren Stiefvaterstimme. Und tiefer fassen musste sie fortan immer öfter, und auch er fasste tiefer, warf sie auf einen Haufen Kostüme und warf sich selbst auf sie.
Wenn sie jetzt mit Propodonsky schläft, gibt sie sich nicht ihrem Stiefvater hin, sondern allen denen, die er auf der Bühne gewesen ist. König Ödipus hat ihre rechte Brust zwischen den Zähnen, Timon von Athen ihre linke. Fiesco zieht ihr die Schamlippen auseinander, Wal-lenstein dringt in sie ein, und König Claudius von Dänemark hält ihre Schenkel dicht unter den Hinterbacken fest umklammert in dem Schraubstock seiner Pranken.
Während sie sich als Wanda, König der Sarmaten von Zacharias Werner über den erbeuteten Fingerring freut, den sie mit ihrer weit aus dem Bett gestreckten Hand umschließt.
Keiner ihrer Liebhaber hat je dieses Zweitvergnügen am Rande des Beischlafs eingeklagt. Die Helden der Nacht zogen es vielmehr vor, anderntags höchst unheldisch stammelnd den Verlust des rech-ten Seidenstrumpfs zu rechtfertigen oder des Aufziehschlüssels aus-gerechnet jener Westentaschenuhr, die ihnen die Gattin jüngsthin zum Hochzeitstag regaliert hatte. Dafür, dass die klandestinen Bett-Gespielen sich ebenso klandestin wieder davonmachten wie seiner-zeit die Mimen von ihrem Kinderbett, hatten sie bei der Demoiselle unnachsichtig Leibzoll zu entrichten und mehr zurück zu lassen als ein paar Spritzerchen Sperma.
Lucille de Brée war ihr nie Mutter gewesen, und Propodonsky schon gar nicht Vater. Dafür hatte auch das Prinzipalspaar Tribut zu erstatten und wurde gerecht, sorgfältig und ausgewogen beklaut. Al-lein Strönebald erließ die Demoiselle jede Rachesteuer. Bei Ströne-bald gab es nichts zu rächen, dem Flüsterhelfer und Hauche-Engel, der nur für die anderen lebte, denen er ihre Text aus der Kulisse auf die Bühne zu schlenzte wie auf Zaunkönigsflügeln. Immer auf dem Quivive, immer im Dienst, ein freundlicher Schatten jedermanns.
Aber wenn niemand die beiden beobachtete, wurde er mit der Demoiselle vom Schatten wieder zum Körper, wurde wieder zehnjährig, ließ sich von ihr schminken, schminkte sie und kostü-mierte sich einträchtig zusammen mit seiner Spießgesellin.
Strönebald wurde damit ihr eigentlicher Unterweiser im Darstel-lungshandwerk und ihr Präzeptor in der Deklamationskunst. Die Demoiselle Isabelle Beatrice hat die Bühnensprache erlernt nach Strönebalds seltsam tirilierenden Singsang, in dem die Vokale die Alleinherrschaft ausübten, sie hat sich darin geübt, seinen ebenso seltsam hellen Obertönen hinterher zu schweben. Sie flüsterte mit ihm, las ihm die Worte von den weibischen Lippen, konnte bald sämtliche Sätze auswendig auswendig hersagen, die er den anderen zureichte und die den Kollegen aus dem Gedächtnis gerutscht waren.
Dabei hat sie nie eigentlich lesen gelernt.
Strönebald stand ihr als Wörterwart bei, wenn es um Gedrucktes ging, unsichtbar allgegenwärtig, flüsterte ihr die Worte nicht nur leise zu, sondern zwitscherte sie ihr Vokal um Vokal ins Ohr und als hätten sie gar nicht die Gräten der Konsonanten in sich, die sie so schwerfällig werden ließen.
Zum Lohne durfte sich Strönebald ( stillschweigend, stillschnat-ternd ) über ihre ganz besonderen Depots hermachen.
Aber sie hatte ihn stets im Auge, wenn er mauste was sie gemaust hatte, und er wusste es. Wie er auch wusste, dass sie sich daran ergötzte, ihn dabei zu beobachten. Sie weidete sich daran, wenn er in ihrem Plundergewimmel wühlte, sie stöhnte dabei, erlebte die Freuden des Beischlafdiebstahls noch einmal, wenn sie ihm am Rücken ansah, wie sehr er sich an ihrem Diebesgut delektierte.
Und ihre Finger in der Vagina arbeiteten so hitzig wie seinerzeit bei Langebehns Monolog des Prinzen Eusthytes.
Strönebald sinnierte bei jedem Beutestück dem abgefeimten His-törchen nach, das es wohl umgeben mochte. Machte sich seinen Reim darauf, wenn er auf ein Stück Borte von einem Kostüm Propo-donskys stieß, fünf seiner Knöpfe, seinen Kamm oder Seiten aus den Textbüchern des Prinzipals.
Und erst einem Büschel seiner roten Haare. Um diesen Trouvaillen sogleich gnädiges Versenktwerden angedeihen zu lassen im Nirgend-wo und Nimmerwiedersehen. Der Fluss war ihm dabei ein zuverläs-siger Komplize gewesen. Schwimm voraus, Socke, und meld uns an in Wien !
Am meisten aber hat es Strönebald immer erfreut, wenn die De-moiselle mit einem Uhrmacher oder Instrumentenbauer geschlafen hatte. Die danach anfallenden Trophäen sortierte er unter inneren Juchzern in sein eigenes Arsenal aus Schrott und Krimskrams ein und versprach ihm, es werde noch Großes aus ihm entstehen.
Denn Strönebald trug sich mit einem ganz besonderen projet secret, das er nicht einmal der Demoiselle Pfrenhuber verriet.
Der Prinzipal greift sich seine Stieftochter und verschleppt sie in den soeben errungenen Pelzkragenmantel. Zur Feier, dass der nun demjenigen gehörte, dem er immer schon zustand. Der neue Herr-scher zieht ein in den Palast des gestürzten Vorgängers, stülpt sich dessen Krone über, und als erste Herrschaftstat vollbringt er die Ver-gewaltigung der Küchenmägde.
Die Demoiselle hat es kommen sehen. Und es war ihr recht, sie hatte sogar ungestüm darauf gewartet, obwohl der rothaarige Geil-bock sie nur noch anwidert. Denn in dem Pelzkragenmantel hängt der Duft Langebehns, seine Leiblichkeit ist in ihm anwesend, die barbarische Kühle seiner Männlichkeit, nirgendwo ist der unerreich-bare Prinz Eusthytes ihr näher als in diesem seinen abgezogenen Fell. Nirgends ist Langebehn ihr ausgelieferter als hier, während der Klotz Propodonsky sie rammelt in dem Wahn, sie sei es, die ihm ausgeliefert ist.
Schon als Zwölfjährige war sie gierig darauf sich am Parfüm von Langebehns Schwitzflecken zu berauschen. Nun darf sie es endlich, schreiend, und der Klotz Propodonsky hält sich ihren Orgasmus sel-ber zugute, seine Brunst trägt ihn von einem Erguss zum nächsten. Als befeuerndes Aphrosidiakum streichelt ihm Langebehns seidenes Innenfutter Rücken, Hintern, Schenkel, Waden, das Beilager wird zur mehraktigen Aufführung unter der Begleitmusik kehligen Ge-brülls beiderseits, und füllt die Herbergsscheune bis unter den Dach-balken.
Als Propodonsky in ihr eingeschlafen ist ( beider frischer Schweiß vereinigt sich mit Langebehns eingetrocknetem Schweiß ) spitzt sie aus dem Mantel heraus und sieht den Novizen, den mit dem kreuzlosen Hals, so nah vor ihrem Gesicht, dass sie zurückzuckt und sich wieder in Langebehns Duft und Propodonskys Schnarchen ver-barrikadiert. Ihre Hände wandern, alter Gepflogenheit folgend, wie nach jedem Beischlaf über das Seidenfutter ihres Lustgehäuses. Das Futter wird ihr zur Seidenhaut des Prinzen Eusthytes, der Beischlaf zum Beischlaf mit Langebehn ihre zärtlichen Finger loben und danken ihm, indem sie seine Haut streicheln.
Und machen unter dem rechten Ärmelloch eine Entdeckung. Hinter einer doppelten Stoffschicht, spürt die Demoiselle etwas Eingenähtes. Zunächst leistet noch ein ausgefuchstes System von Verknöpfelungen Widerstand, dann fährt ( unter wildem Herz-klopfen ) ihre Hand in eine flauschige Kammer und holt ein Wachstuchheft hervor, in das ein Packen Papier eingeklemmt ist.
Als sie Propodonsky zurücklässt und mit dem Mantel zudeckt, gilt es nicht dem Stiefvater, sondern ihrem Prinzen. Ihr Prinz hat gute Arbeit in ihr verrichtet, sich verausgabt, nun soll er sich erholen. Mein Amadé traut sie sich sogar zu flüstern, was er früher mit Back-pfeifen geahndet hätte. In ihrer Hand sein hinterlassenes Besitztum, das Heft und die bedruckten Papierchen mit denen sie nichts anzufangen weiß. Allein Strönebald, den Welterfahrenen und Lese-kundigen hätte sie befragen können, was es mit diesem Fang auf sich hat. Sein Verschwinden hat eine Wunde bei ihr gerissen, die erst jetzt, da ihr sein Beistand fehlt zu schmerzen beginnt.
Neben ihr schnauft der Novize. Wenn er sich denn getraut hätte, wäre er davon gesprungen, als sie aus dem Mantel kroch. Jetzt ist es zu spät, und er kauert hilflos dicht bei ihr und umklammert seine Beine in den zu kurzen Kniehosen. Nichts in seinem hageren Gesicht lässt wiederscheinen, was er mit angehört hat. Wenn ers denn begriffen hat, was da zu hören war.
Da er nicht wagt, sie anzuschauen, starrt er auf ihre, Langebehns Kladde. Einen Moment lang will sie drauflos sprudeln gell, bei uns da ist es hoch hergegangen. Und sie sinniert laut tierische Laute waren das, gell, und betrachtet dabei seine starken Waden, die es ihr schon auf der Uferböschung angetan hatten, wirklich viehisch. Unzumutbar viehisch, gell. Sowas kommt aus der Tiefe der Gier und des Zwerchfells.
So ein Zwerchfell muss man sich erst einmal draufschaffen, dann kann man Säle füllen damit, bis hinauf zum letzten Rang. Sein Blick bleibt auf ihren Händen. Aber er sieht nicht die Hände, sondern das Papierbündel darin.
Es ist der wache Blick des Besitzlosen der erkennt, dass es Geldscheine sind, die sie aus der Kladde gerissen hat.
„Gell, Sie nehmen mir jetzt die Beichte ab ?“
Wo er doch so ein Klerikus ist. So einer, der fremde Sünden hinunterwürgt und verzeiht. Der Novize wird rot wie eine Kardinalsrobe und dreht sich weg.
Das war der falsche Satz, Isabellchen. Immerzu sagt die Demoiselle falsche Sätze, wenn ihr Strönebald nicht souffliert.
„Sehen Sie mir ins Gesicht, Hochwürden.“
Das war der richtige Satz. Der Novize tut es, wenn auch nicht willent-lich, sondern aus Verwirrung.
„Du hast ja graublaue Augen !“
Wie Langebehn. Der Entfernte, der ihr Weggerissene. Und schon rin-nen ihr beiderseits Tränen über die Backen, zuerst um ihre Schönheits-pflästerchen herum, dann über die Pflästerchen drüber und wässern deren Farbe aus. Violette Rinnsale laufen ihr die Backen hinunter und in den Hals hinein. Sie zerknüllt die fremden dummen Zettel nein zerknüllen reicht nicht, sie müssen für dich büßen, du musst büßen, der Prinzipal muss büßen, der Prinz muss büßen.
Sie reißt die Zettel in Fetzen, lauter lange Streifen.
„Nicht weinen, gnädiges Fräulein …nicht, ich…“
Einem solchen Schauspiel weiblicher Wehklage ist er nicht gewachsen, er schluckt an eigenen Tränen. Die Demoiselle wirft die Schnipsel in den Fluss.
Die stellen sich an wie Sperlinge, die noch rasch das Fliegen lernen möchten ehe sie ersaufen. Das bringt die Demoiselle zum Lachen.
„Das ist so unsagbar komisch, was ich da mache, entschuldigen Sie Eminenz, so unsagbar dämlich saukomisch saukomisch saukomisch….“
Ihr postkoitales Gelächter muss aus ihr heraus. Immer muss es heraus nach durchgestandenem Beischlaf. Die Demoiselle ist ein undichtes Ven-til ( aber das wäre schon wieder der falsche Satz ) und Propodonsky hat ihr heißen Wasserdampf in den Schoß gepumpt.
„Was bin ich doch -“ Lachkoller „ - doch für ein-“ Lachkoller „- kon-fuses Miststück -“
Lachkoller.
Plötzlich ist Lucille da und landet vier wohlgezielte Schläge auf den Backen ihrer Tochter, zwei links, zwei rechts. Ein letzter Katarakt von überkippender Lache, für eine Sekunde blitzt Rachelust bei der De-moiselle auf, dann ebenso unvermittelt Schweigen.
Das Mönchlein hält sich die Hände vors Gesicht, als sei er geprügelt worden.
Alles Routine, kleiner Novize, alles nur ein Gewitterchen zwischen zwei Auftritten in einer Charakterkomödie. Das Wohl des Ensembles hat das Primat, du wirst es nicht begreifen. Das Ensemble ist löchrig ge-worden, Personal ist abhanden gekommen. Das Ensemble ist Demoiselles Leben und Behausung, ihre von den Mutterhänden brennenden Backen zeigen jetzt eben jenes echauffierte Rot, das sie sich beim Capitain gewünscht hat und das nun den Novizen beeindruckt.
„Schau ihn dir bloß an, Mama. Er ist genau so keusch wie Lange-behn“.
Sie verhindert seine Flucht, indem sie ihn am Handgelenk festhält. Und dabei denkt ist der aber mager. Der Satz dagegen, den sie an die Mutter richtet lautet „Sowas von einem Naturtalent gehört ins Ensemble aufgenommen.“
Lucille mustert den Novizen, als wäre er eine Hammel-Lende auf dem Wochenmarkt.
Ihre Tochter die Hure, hat recht. Diese Jochbögen, diese Wangen ! Ein Pathos-Gesicht. Der Novize hat darstellerisches Reservoir, das umso eindrucksvoller ist als er nichts davon weiß.
„Sagen Sie doch mal pharnizische Höhenzüge ziehen die Züge der Kibitze an.“
„Pharnizische Höhenzüge ziehen die Züge der Kibitze an, Hochwürden.“
„Pharnizische Höhen…“
Der Novize ist so verschüchtert, dass ihm nicht einmal die ersten drei Wörter des Vaterunsers einfielen.
„Stehen Sie aufrecht, Hochwürden.“
„Und drücken Sie das Kreuz durch.“
Er begreift nichts. Aber er drückt das Kreuz durch.
„Sie sind in einem festem Engagement ?“
„Unser Kloster ist aufgehoben.“
Die Prinzipalin nimmt mit den Augen Maß. Ein Adamsapfel wie der von Langebehn. Eine Halsmuskulatur von vergleichbarer Quali-tät, nur gedrungener.
„Lassen wir ihn doch was vorlesen.“
Die feinen Damen, legt der Novize sich zurecht, wollen ein Gebet hören. Und dafür ein Scherflein springen lassen. Demoiselle legt ihm Langebehns Wachstuchheft in die Hand.
„Lesen Sie das.“
Die blättert eine beliebige Seite auf. Jetzt wird sie erfahren was Langebehn niedergeschrieben hat.
„Den neunzehnten Thermidor -“
Der Novize liest fast ohne Dialektfärbung.
„Wieder einmal, wie so oft schon beim Umkleiden, erkenne ich : ich bete sie an – „
Ein Gebet also ! Er fährt mit beiden Zeigefingern die Zeilen entlang. Ein ungewohntes Gebet, aber wenn ers zur Zufriedenheit hersagt, wird er fünfzehn Kreuzer dafür kriegen, mag sein zwanzig.
„ – ich bete sie an, diese meine alleine mir eigene –„
Die Damen machen Gesichter, aus denen er Zufriedenheit liest. Der Auftrag ist ihm gewiss. Am Ende springen sogar fünfund-zwanzig Kreuzer heraus.
„- mir eigene diese Relief-Zeichnung auf meinem Oberbauch, namentlich bei Schlagschatten von links. Niemand verfügt, wie ich mich tagtäglich in der Garderobe überzeuge über einen auch nur entfernt so durchgemeißelten Tho..Tho…– „
Der Novize scheitert an dem Wort das ihm noch nie begegnet ist.
„- einen auch nur entfernt durchgemeißelten Thorax“.
Lucille vollendet die letzte hinterlassene Botschaft des Ersten Hel-den. Seine Zettel schwimmen zu Recht im Fluss. Aber das spricht sie nicht aus, sondern -
„Die Schleiflaute lassen zu wünschen übrig bei ihm“.
Ihre Tochter wird nun auch Langebehns Aufzeichnungen mit Er-tränken bestrafen.
„Aber du musst zugeben, der hat eine Röhre wie sie noch nie einer gehabt hat bei uns.“
Dann nimmt Lucille nimmt Maß an dem Neuen. Dem Novizen passt jedes Kostüm das auch Langebehn getragen hat. Keinen Zoll wird sie anstückeln oder auftrennen müssen.
Um die Wallfahrerin ist ein Rudel von Betern versammelt, der sie und ihren Sohn nicht mehr verlässt. Auch offenes Feuer wird den Betern nicht mehr verweigert, die Rauchschwaden eines Holz-kohlenbeckens hüllen sie ein.
Beten hilft gegen die Kälte, trübe Frostgedanken stellen sich gar nicht erst ein wenn man betet. Sogar der Frost selber will einem nicht so recht mehr ans Gebein, solange man die Himmlischen anfleht. Die Gebetshoheit freilich ist Gmeinwieser entglitten, er hält sich bei seinen Rindern, für die er nun alle Decken braucht, denn der Schnee traktiert sie mit dicken Flocken. Wenn die Himmlischen schon nicht Gnade gewähren, so gewähren sie doch üppig Schnee.
Ein vorerst undeutbares, aber gewiss Verhängnis verheißendes Zeichen von dort oben, schwant Gmeinwieser. Hinter Plattling mündet die Isar bald in die Donau, ein schleichiges Gewässer. Bis Ulm bloß ein Ketzer-Bach, der sich zwischen lauter Protestanten daher schlängelt. Wenn er aber durch das katholische Grundstück muss, verstellt er sich und tut scheinheilig, besonders wenn er an einem Kloster vorbeikommt. Weil, er schwoabt, er schwemmt Juden mit daher.
„Juden ! hep hep hep !“
Die bis vor kurzem in den Reichsstädten eingemauert gewesen sind und daselbst streng bewacht. Zum Angelusläuten sind die Tore jeden Abend hinter ihnen verschlossen worden damit die Christenheit ruhig hat schlafen können.
Bis der Bonaparte die Mauern niedergerissen hat, die die Christen vor den Itzigs geschützt haben. Und jetzt schwärmen sie aus wie die Giftspinnen.
Wäre Gmeinwieser ein Schauspieler, dann würde man seine Finster-reden dem Lampenfieber zuschreiben. Denn beim nächsten Anlanden hat er seine Rinder bei den Franzosen an den Mann zu bringen. Eine Erstaufführung mit hohem Einsatz.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
Die Einfahrt in die Donau bringt das Floß in reichliche schwimmende Gesellschaft. Auf der Isar war es allein, hier stößt es auf Geschäftigkeit am Ufer wie auf dem Wasser. Es gibt rechtschaffene Schiffe zu sehen, nicht bloß zusammengebundene Baumstämme, die sich dummschlau von der Strömung dahintreiben lassen. Schiffe mit kunstvoll gezimmerten Spanten und Kielen. Schiffe, bei denen schon die Fachausdrücke etwas hermachen, Namen wie Inngamsen, Stockpletten, Ulmer Schachteln. Schiffe mit schwarzweiß gestreiften Bordwänden und beliebig vielen Rudern zum beliebigen Stromaufwärtsschippern.
Ja wer sind wir denn, bricht es aus Schuff und Kunterkasten heraus, eine Personenschiffahrt mit allem Komfort spielt sich hier ab, und der Prinzipal lässt seine Schauspieler zwischen Bauholz erfrieren wie Vieh, zwischen erfrorenem Vieh.
„Sobald wir die erste Viermastbark sichten“ versucht Käpernick sie wieder aufzurichten “ lassen wir uns anheuern. Und dann wird auf und davon gesegelt nach Ostindien.“
Und schon ergeht er sich in Dönskes vom Klabautermann, warum soll der auch in der Donau sein Wesen treiben, und warum soll Käpernick nicht bei ihm anmustern als Schiffskoch.
„Wenn der meinen Wanst sieht, kriegt er gleich Appetit“, und schon malt er den Kollegen ein Menu aus mit Flußkrebsen, Miesmuscheln und Filets aus Gmeinwieserschen Ochsen in gedünsteten Algen.
Aber niemand hört ihm zu, die Umtriebigkeit der Lände springt auch aufs Floß und reißt die Passagiere auseinander. Wer Schutz vor dem Schneefall sucht und sich unterstellen will wird gescheucht, öha schleichts eich, denn was bisher Unterschlupf bot wird nun fortge-schleppt, und von den selben Schleppern wird mit dem selben Öha schleichts eich anderes herbeigetragen.
Wer untätig und ohne Regieanweisung herumsteht wird grob gestaucht, ob er denn nichts zu tun habe, dabei haben alle schon damit zu tun, ihre Waren aufzuwerten indem sie die anderen anherrschen und deren Waren niedermachen, die Holzhändler den Imkern, die Schafhirten den Ziegenhirten, die Maurer den Bauersleuten.
Und über alles legt sich gleichmacherisch Schnee ; Güter, Mensch, Tier, Holz sind ununterscheidbar geworden, weiße Massen, die sich hierhin und dorthin schieben. Nur der Flößer, dem seine Katze abhanden gekommen ist, wirft sich dem Geschiebe der Bienenkörbe, Schafe, Möbel, Kanthölzer und Gänseställe entgegen. Mit ausgebreiteten Armen versucht er zu verhindern, dass seine Freundin unbemerkt an Land verschleppt wird, gefangen in einem Schrank oder zwischen Geflügel in einer Hühnersteige.
Der Viehtransport aus dem Oberland ? Ist ja eine Gnade dass der über-haupt noch eintrifft, bekommt Gmeinwieser zu hören.
Der Uniformierte der ihn anherrscht ist kein Franzose, deshalb erspart er sich jede Höflichkeit.
„Der gnä Herr Ochsentreiber aus Landshut strawanzt gemächlich durch die Gegend, schaut sich vom Fluß aus geruhsam Land und Leut an, und was bitte stellt er sich vor, soll die Truppe fressen währenddem, hä ?“
Mit Verlaub ( die Geißel fährt in die Luft ) Gmeinwieser kommt nicht aus Landshut, er kommt aus München !
Auf beschwerlichster Reise. Der Uniformierte pariert mit einer Verwün-schung, in der er alles in die Hölle schickt was aus München kommt, ist aber dennoch auf seine Weise gnädig und wirft einen misslaunigen Blick auf seine Listen. Siebzehn Stück Fleckvieh hat er avisiert gekriegt, per Lieferung Johann Baptist Gmeinwieser, seines Zeichens marchand de bestiaux.
Korrekt ?
Aber Gmeinwieser kann keine siebzehn Rinder mehr bieten, eine tü-ckische Sandbank hat seinen Bestand dezimiert. Naturgewalten, Eis-gang. Diebstahl. Der Herr Fourier muss ein Einsehen haben. Und Fleck-vieh notabene war es schon vorher nicht, sondern Allgäuer gemischt mit Braunen.
Aber die Ohren des Uniformierten unter der Bärenfellmütze werden auch von anderen beansprucht, sechs Mastsauen san grad kemman aus Straubing wird hineingeschrien, de Sauerkrautfassln ! wohi damit, und wenn er nicht hört wird an dem Uniformierten gezerrt, seinen Ärmeln, seinen Epauletten, sogar an seinen Papieren.
„Des Dörrfleisch wird g‘liefert für die Brigade drei !“
Das Schneetreiben lässt die, die vorher schon keine Manieren hatten, noch grobianischer werden.
„Saxndi, wo solln ma jetz des Dörrfleisch hiladn ?!“
Und der Uniformierte wird Gmeinwieser einfach weggerissen.
Lucille de Brée hat lange in ihren Schriften geblättert, bis sie den rechten Text für den Novizen fand. Dem gar nicht schwant dass er, eben noch Gottesschüler, nun Schauspielschüler ist.
„Siehe mich, o Holde, wie ich dir zu Füßen …“
Ein Demutstext, so viel versteht er. Wenn die Dame bei ihm ihre son-derwünschlichen Gebete in Auftrag gibt, wird sie noch mehr springen lassen als fünfundzwanzig Kreuzer.
„Siehe mich o Holde, wie ich dir zu Füßen / erflehe was mein Innerstes begehrt -“
Melotus oder Der Tag der Vergebung, zweiter Akt, sechster Auftritt.
Langebehn pflegte die Stelle mit zurückgebeugtem Haupt dazubieten, und halb geschlossenen Augen. Aller Blicke lagen auf seinem Adams-apfel, und er wusste es.
„- deine Erhörung ! Deine schwesterlich und zugleich mütterliche Herzensgüte / sie fällt herab auf mich als einen, ach ! den das Leben aufs schnödeste bedrängt hat - “
Der Adamsapfel des Novizen ist nicht zu sehen, so tief zieht er den Kopf zwischen die Schultern. Die Arme sind angewinkelt, die Hände gefaltet. Er meint zu niemand anderem zu sprechen als zur Mutter Maria.
Noch nie hat er so hohe Wort an jemand anderen gerichtet als an die Mutter Maria. Nun schauen seine großen Augen die Prinzipalin an. Nun ist sie auf einmal die Mutter Maria, und der Novize weiß nicht wie ihm geschieht.
Lucille reicht ihm ein Schneuztüchlein, weil er flennt.
Gmeinwieser stößt seine Geißel in die Luft, als wollte er alle Hei-ligen im Himmel damit in den Bauch stechen. Neunhundertdreißig Pfund ist jeder von seinen Ochsen schwer. Keiner kann ihm was anderes erzählen und kein Unzen weniger. Neunhundertdreißig Pfund, bairisch taxiert, wo sich das Pfund auf sechzehn Unzen rechnet. Und das nach dem Metzgergewicht, wie es althergebracht Usus ist.
Paxvobiscum drauf, und Amen. Her mit den Gewichten, und her mit einem Fourier, der ihm recht gibt !
Aber kein Fourier stellt sich ein. Gmeinwiesers Geißel peitscht panisch die Schneeflocken, und ein Schwabe ( an seiner Geißel als Viehkundiger kenntlich auch er ) muss ihn aufklären, dass Gmeinwieser eine Waage mit Unzengewichten hier nicht findet wird. Denn hier ist ressort und Geschäftsbereich der französischen Armee, hier wird mit der zuverlässig-sten Maßeinheit gearbeitet die es gibt.
„Und des isch das Kilo.“
Kilo mit K. Schon wieder was mit K ! Exactément, genau wie die neumodischen Kilometer, weiß der Schwabe, dessen Ländle die Gunst der Geografie näher ans Kaiserreich Frankreich gerückt als das weiter hinten gelegene Baiern Gmeinwiesers.
„Exactément, des isch ebbe elles des neue mätrische Syschtem.“
Obs nun um Ländereien geht, um Wasser oder Tuch oder Fleisch oder Erbsen, alles Maß mündet säuberlich in der zehn, geschrieben wie ein großes X.
„Was mr au viel loichtr im Kopf behalte kaa, als wia des krumme Dutzend vo früra.“
„Metrisches System !“ brüllt Gmeinwieser, vor allem in Wut, weil der andere auch eine Geißel hat, beim Reden aber nicht damit fuchtelt. Weil er seinen eigenen Argumenten nicht traut.
Typische schwäbisch-protestantische Verdruckstheit.
„Des sogenannte metrische Scheißdrauf da is gegen de Schöpfung !“
Paxvobiscum drauf und Amen.
Denn die Woche hat noch immer sieben Tage, oder ? Gott der Herr hats persönlich so angeordnet, oder ? Und die vierzehn Nothelfer, was ist mit denen, hä ? Und die heilige Dreifaltigkeit ? Die sieben Todsünden ?
„Aber denket Sie amal an de zähn Gebote !“
„Von dene ma grad amal drei braucht. Oder siebne, höchstens ! Und des aa bloß, wann oaner a extrig Gottloser is.“
„Und dia zähn Finger ?“
Gmeinwiesers lässt seine Geißel über dem Kopf des anderen kreisen, der seine Geißel nicht einsetzt.
„Ihr Fall wird zurückgestellt“ brüllt eine Ordonnanz Gmeinwieser an.
Die Geißel sinkt herab, aber ehe Gmeinwieser sein warum ? zurückbrüllen kann, ist die Ordonnanz schon in einem Gewühl ver-schwunden, das sich um ein eben anlegendes Floß bildet. Die Rinder, die darauf stehen, murren unterm Schnee.
Der Novize findet in seinem Kopf kein Gebot das ihm sagt dass er nicht tun darf was die feinen Damen von ihm verlangen. Hoheitsvoll schreiten, bei ausgesteiftem Kreuz die Arme weit von sich strecken, psalmodieren, sogar singen.
Gregorianisch. Er kann nur gregorianisch.
Er wartet nicht mehr auf Gebete, die sie von ihm verlangen könnten. An den Sätzen die sie nun von ihm verlangen findet er weit mehr Gefallen. Und statt Kupfermünzen in die Hand legt ihm die Prinzipalin ein Gewand um die Schultern. Zupft es sorgsam zurecht, rüschelt den Stoff um seinen Hals. Lobt diesen Hals dabei und bindet den Rüschenkragen mit einem blauen Band zu. Der Stoff ist so ganz anders, schmeicheliger und weicher als seine Kutte.
Ein Damenkostüm. Ihn schauderts. Er entsetzt sich. Er schlottert. Nein, er traut sich nicht einmal mehr zu schlottern.
„So nah die Schlangenhaut der Eva“ fällt der Demoiselle ein, aus einem abgespielten Stück “und so fern die Tugend früh’rer Zeit.“
Aber für Widerstand ist es zu spät. Und er hat es endlich warm.
Das dritte Armeekorps, wird gemeldet, ist im Anmarsch, in vier Tagen wird es hier sein, aber ausreichend Rind und Schwein ist noch lang nicht aufmarschiert, um das dritte Ameekorps zu verpflegen Da erinnert sich Gmeinwiesers, jetzt hat es vitement vite zu gehen. Beiläufig streckt der Fourier in der Bärenfellmütze die Hand nach den Dokumenten mit den attestations aus.
Er wird, ist ihm anzusehen, nicht allzu genau drin lesen, und das mit dem fiäwre affftös versteht sich eh von selber, gell. Aber wie soll ein Gmeinwieser, die gute Hand, wissen was ein fiäwre affftös ist ?
„Fièvre aphteuse“ springt der Schwabe wohlgelaunt ein, er hat heute seine ganzen Bestände geräumt, “fièvre aphteuse isch de Maul- und Klauenseuche.“
Gefürchtet von der Armeeküche. Aber was denn warum denn gefürchtet, Gmeinwiesers Geißel tanzt frohgemut, ein jedes seiner Rind-viecher ist versorgt mit Kräutersegen, die im Stall über ihm gehangen haben. Jedem seiner Viecher hat er mit eigener Hand das altbewährte Ge-bräu infusiert aus einem Teil Enzianwurzel und je zwei Teilen Salpeter und Schwefel.
Und das alles wäre Larifari, wenn er nicht auch noch dazu gebetet hätte zum Heiligen Leonhard und zum Sankt Sylvester, welcher der Patron des Bauernstandes insgesamt ist und Mensch wie Vieh umgreift mit seiner guten Hand.
Paxvobiscum drauf und Amen.
Aber der Schwabe lässts nicht gelten, verweist auch noch auf den charbon, den Milzbrand, der ausgetilgt sein muss, was wiederum militärärztlich beglaubigt gehört. Viehkrankeiten sind heimtückisch wie Flankenangriffe der kaiserlich Österreichischen, bloß dass sie nicht über die französische Kavallerie herfallen, sondern über die französischen Mägen.
Aber kulant wie der Bonaparte ist, er vergilt Heimtücke nicht mit Heimtücke.
„Er kauft bloß koi Floisch net in dem Krankheite drinne nischte tuen.“
Er verlangt ein certificat über die allfälligen inoculations, und das meint Impfungen, verabreicht von den Doctores der Vetrinärmedizin.
„Vetrinärmedizin, was solln des scho wieda sei ?“
Das ist Tierheilkunde, die Franzosen haben sie soeben erfunden.
Gmeinwieser ist in Panik, Gmeinwieser ist die Apokalypse auf zwei Beinen. Verkannt, verleumdet, übers Ohr gehauen, und wer steht ihm grade für die Schäden, die er erlitten hat ?
Von seiten der Naturgewalten, von der Schauspielerbegasch, von einem Holzschädel von Floßmeister, der ihn noch und noch auf Sandbänke schiebt und schiffbrüchig werden lässt. Gmeinwieser mäht mit der Geißel durch die Luft, als stünden alle diese Feinde eng aufgereiht um ihn herum.
„Wer koane Papiere net hat wia’s sa si g’hört“ sagt der Floßmeister und schiebt sich frischen Tabak zwischen die Zähne, „dem g’hört auf der Stell Adieu g’sagt.“
Hat ihm der Fourier mit der Bärenfellmütze gesagt. Bei Zuwider-hand-lung Entzug des Floßmeisterpatent. Gmeinwiesers Vieh muss herunter vom Floß.
Noch mehr Schnee. Gmeinwieser rettet sich nicht einmal mehr ins Beten. Von allen Worten verlassen steht er, die Geißel hängt schlaff in seinem Arm. Der Floßmeister lutscht sein Fuder Tabak geschmeidig und lässt seine Knechte wissen dass er jetzt bis zwanzig zählt, ganz gmüatli. Und danach wüssten sie ja was zu tun sei. Die Ruderbalken aus dem Schnee holen und das Vieh ins Wasser prügeln
„Oans…zwoa…“
Aus der Hütte kringelt sich Rauch wie der Schriftzug unter einem unwiderrufbaren Kontrakt.
„Drei…viere…fimfe…“
Als der Floßmeister bei zwölfe…dreizehni angelangt ist, wird ihm etwas zugeflüstert. Als er siebzehni anlangt, hört er auf zu zählen, denn es ist ein Handel zustande gekommen.
Der Schwabe, hört man, wird Gmeinwiesers Vieh übernehmen. Er hat ohnehin noch zwei weitere Flöße aus dem Schwäbischen über die Donau her zu erwarten, zusätzlich zu demjenigen, mit dem er selber aus Freising gekommen ist und das ihm leergekauft wurde. Und was Schlachtung und Verwurstung angeht, seien Gmeinwiesers Tiere immer noch allererste dritte Wahl. Und nicht etwa Abdeckerware, auch ohne Zertifikate.
Denn Häute werden dringlichst gebraucht gerade jetzt in der Armee, als Sattelzeug und Riemen aller Art, ebenso Knochen für den Tischler-leim bei den Pionieren und Kuhhörner für die Knöpfe der Grenadiere und Talg für die Kerzen in den Mannschaftszelten.
Und somit geht jedem ein Licht auf.
Das Aufbegehren Gmeinwiesers, erzählt man sich, soll nur kurz gewesen sein, so in der Art : dafür hat er sein Vieh nicht geweiht ( hier wird wieder gelacht ) Aber do net wege doim Herrgöttle, soll der Schwabe gelacht haben, sondern weilscht a Gwinnle hesch mache wolle.
Und einen Gewinn hat der Schwabe ihn doch auch machen lassen. Über die Summe werden erneut Wetten abgeschlossen. Und die Ruder wieder weggeräumt, denn nun darf das Vieh auf dem Floß bleiben.
Schließlich hat der Schwabe den Gmeinwieser sogar an seinem Sinnie-ren teilhaben lassen, dass er, mit der Rendite von den Franzosen in der Portokasse, das Viehgeschäft gänzlich aufgibt. Nicht mehr jedermanns Gerherda sein will als Händler und Pfandleiher, wie seine Vorväter. Sich in anderen Gewerbszweige ausprobieren will, wie sie neuerdings überall erblühen, dem Code Napoleon sei‘s gedankt.
Schiffahrtsbeteiligungen, bloß amal so als Boischpiel, täten ihn reizen. Ulm-Linz etwa, am Ende gar Wien, dreimal im Monat, später vielleicht auch Pressburg. Und wenn sich das als einträglich erweist, sogar Buda-pest.
Ein Schiff ist immer auch eine Arche. Und eine Arche, siehe Noah, ist immer ein Anfang. Man muss trachten dass man beim Anfang mit dabei ist und nicht in der Sintflut ersäuft. Und ob der Gmeinwieser nicht auch mit dabei sein will, statt zu ersaufen in der Sintflut der napoleonischen Kriege.
Als dritter Noah, i moin als Compagnon im Güterverkehr, neben ihm, dem Schwaben, als zweitem Noah.
Gmeinwieser der ehedem hämisch das Schwäbische nachgemacht hat, unterlässt es nun standhaft. Denn siehe, Noah fand Gnade vor dem Herrn. Erstes Buch Mose. Nicht etwa weil Noah der sittsamste Tugendlöffel von ganz Mesopotamien gewesen wäre -
„Noi ! Weil des Bürschle untrnähmerisch der Woitblickendschte gwäse isch vo ganz Mesopotamie.“
So einen hat Gott lang gesucht. Mache dir einen Kasten von Tannenholz und verschmiere ihn mit Pech hat der Gott der Herr gesprochen zu seinem Sozius Noah. So ist das erste Schiff entstanden auf Erden, und dieses erste Schiff ist ein Schiff zum Viehtransport gewesen. Darum steht, wer sich auf dem Wasser umtut, in Jahwes guter Hand welcher gelobt sei ( der Schwabe macht kleine schnelle Verbeugungen dazu ) und welcher den Regenbogen gesetzt hat als Zeichen des Bundes zwischen ihm und der Sippe des Noah. Der Schwabe holt sein heiliges Büchlein hervor, um diese Stelle vorzulesen. Und Gmeinwieser soll ihm sagen, wo das steht in des Schwaben Büchlein.
Gmeinwieser sticht mit dem Fingernagel in die Seiten
„Akkrat doda“.
Getroffen ! Nathan Teitelboim Glickzelig, der Schwabe, freut sich. Ers-tes Buch Mose, neuntes Kapitel. Gedruckt in großen, fremdartig vier-kantigen Lettern.
„Und jetzet sent mr olle zwoi Sippe des Noah“ lacht der Schwabe.
„Und du bisch mei Bluetsbruder, Baptischtleben.“
Jetzt wo sie Blutsbrüder sind, kann Teitelboim Glickzelig ihn endlich fragen was Gmeinwieser ihm immer zugerufen hat, wenn ihre Flöße sich wieder einmal begegnet sind.
„Kenig von de ganowim“ hat Gmeinwieser gerufen.
„Bei uns in Sigmaringen schwätzet mir bloss schwäbisch. Was hoisstn des ?“
„Was Hundsg‘meines“.
Teitelboim Glickzelig freut sich diebisch. Und will mehr hören.
„As ale zjn soln dir arossfaln, nor ejn zon soll dir blajbn for zejn-wejtog.“
„Isch des au ebbes Hundsg‘meines ?“
Teitelboim ist glückselig.
„Du bringsch mir jiddisch boi, und ich bring dir moderns G’schäfts-wäse boi, gilt der Handel ?“
Gmeinwieser fängt an mit Mischpoche.
„Und was hoisst des ?“
Sippe. Geschlecht des Noah. Sie trinken drauf und auch auf Noah und auf ihre Pläne, und in denen die Franzosen die Arche sind. Die bringen nicht nur den Krieg ins Land, sondern allerhand was es zu verschiffen gilt. Wein, Parfüm, Bücher. Und Seidenstoffe, Galanteriewaren, Zucht-hengste.
„Und Manieren, Bapitischläwe, Manieren !
„Zum Manieren transportirn brauchtma koan Schiffsverkehr net.“
Aber Nathan Teitelboim Glickzelig besteht drauf, gerade für Manieren brauche man Transportmittel und Archen.
„Du kannsch au Gesittung draufschreibe. Rechtlichkeit. Egalité…“
Darauf muss wieder getrunken werden. Haberschlachter Trollinger aus Teitelboims Reserven, und als die nichts mehr hergeben, holt Gmein-wieser aus dem Schränkchen, in dem er seine speziellen Tränklein zur Gesundung von Tier und Mensch verwahrt, Hausgebrautes hervor.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
„Her mitm nächschtn Wörtle auf jiddisch !“
„Gesrochnes.“
„Und was hoißt des jetz widder - ?“
Gmeinwieser grinst und entkorkt sein Fläschchen.
Der einsame Grenadier hat mit angesehen, wie Schafe und Ziegen das Floß verließen, wie Gmeinwiesers Rinder an Land getrieben wurden, wie Balken von fluchenden Trägern davon geschleppt und wie andere Balken von anderen Trägern, die genauso fluchten, neben ihm abgeladen wurden, wie es Propodonsky zur Poststation trieb und die Flößer ins Wirtshaus.
Nur für ihn und das Räuchlein aus der Hütte ist keine Ablösung gekommen. Bis, als er unterm Schnee kaum noch sichtbar war, ein grobianischer Caporal ( einer von den Kürassieren, den die Infanterie noch mehr anekelte als der Schnee, der den armen Grenadier bedeckte ) ihn, ohne sein Sprüchlein abzuwarten Melde gehorsamst fünf Fässer Rotwein vollzählig angetreten brüsk fragte, ob er Analphabet sei.
Wie alle von der Infantrie. Denn in dem Papier, das man ihm mitge-geben, sei VIN verzeichnet. Militäramtlich Aber was steht da auf den Fässern, militäramtlich ?
VINAIGRE.
Grußlos machte sich der Caporal wieder davon und der Grenadier bewachte nicht mehr eingeschneite Weinfässer, sondern eingeschneite Essigfässer. Bis zwei andere Militärische ihn davon erlösten, diesmal Gemeine und von der Infantrie wie er, und zur Bewährung an der Front anholten.
Die Fässer mussten sich nun selbst bewachen.
Notburga, die Wallfahrerin, hat ihren Sohn Blasius in seinen guten Anzug gezwängt, sein Sonntagsg’wand. Befreit aus seinem Segeltuch-kasten, herausgeputzt wie ein kleiner Hochzeiter, steht er wie zum Kirch-gang bereit.
Und es soll ja auch ein Kirchgang werden. In gelben Kniehosen, rotem Wams überm runden Bäuchlein, silberne Knöpfe an der Joppe. Man soll ihm ansehen, es ist kein minderer Bauernhof, aus dem er kommt und den der Blasius erben soll, nur eben ein Hof noch ohne Bauer.
Sogar die Schneefloken tun so als wollten sie an der Ausschmückung dieser stattlichen Erscheinung mitwirken und lassen sich als weißer Perlschmuck auf seinem Hut und seiner Joppe nieder.
Blasius schnappt nach ihnen und gluckst vor Freude.
„Wunderschön prächtige“ singt seine Mutter.
„Holde und mächtige
Himmlische Frau“
Aber so hingebungsvoll sie singt, oder grade darum, es klingt klageweiberisch krächzig. Als fräße der Schneefall ihren Gesang auf, kaum dass er aus ihrem Mund heraus ist. So wie ihr Sohn die Flocken auffrisst, noch bevor sie in seinen Mund gelangt sind, denn er fängt sie schon vorher mit der Zunge auf.
Schuff erbarmt sich, denn er hat selber eine krächzige Stimme. Er steht hinter der Bauersfrau in seiner ganzen Länge und schaut auf sie hinunter wie auf ein Betpult. Denn in der Hand hält sie das Gesangbuch, aus dem nun auch Schuff mitsingt :
„Gut Blut und Leben
Will ich dir geben…“
Schuff erbarmt nun wiederum Käpernick. Wie zwei heisere Krähen kommen ihm die beiden Singenden vor, die sich an einer Opera seria versuchen, und er greift sich das Gesangbuch und stimmt mit ein. Nun ist da nichts Klageweiberisches mehr, sondern ein cantus firmus, der über die Schneelandschaft hin schallt fast wie der Schlusschoral eines Oratoriums von Georg Friedrich Händel :
„Alles was immer
ich hab was ich bin
geb ich mit Freuden
Maria dir hin.“
Käpernick schraubt seine Stimme so weit auf als wollte er damit errei-chen dass der Schnee aufhört zu fallen. Wo Käpernick doch Einstand fei-ert in einem für ihn neuen Fach.
Dem des Pilgers.
Aber die Flocken bedecken nun erst recht Blasius, seine Mutter, Schuff und Käpernick mit üppigem Flaum, der Geräusche und Gesänge dämpft. Käpernick nimmts, sanguinisch aufgelegt wie stets, als Zuspruch und stummes Da capo-Rufen. Die Schneewolken verlangen mehr von ihm zu hören ! Und auch die Bauersfrau ist dankbar für die Sangeshilfe und bettelt, mit ihr und dem Blasius den Weg zu tun.
„Fein feierlich gesagt, Frau, aber wo solls denn hin gehen ?“
Zum Bittgang für den Buben. Das letzte Stück bis zur Wallfahrtskirche hinauf, auf dös drauf kommts o. Bis hierher hat sie, à conto gewisser-massen, immerzu vorausgebetet und vorausgefleht. Aber nun, auf dieser letzten Strecke an den steinernen Kreuzwegstationen vorbei, soll die al-lergnädigste Gottesmutter endgültig überzeugt werden von der Dring-lichkeit ihres Anliegens.
Könnt doch sein, nein gewisslich sogar hat die Gottesmutter so hohen Schnee aufgetürmt, damit die beiden Wallfahrer ihr Letztes geben. Die Gottesmutter will Buß-Eifer sehen. Ist doch der letzte Weg ihres eigenen Sohnes nach Golgatha hinauf einer gewesen, bei dem er sein Letztes hat geben müssen.
Wenn die Herren das Singen übernehmen täten gleich dem Joseph von Arimathia, der ein Wegstück lang das Kreuz übernommen hat, wie‘s in der Heiligen Schrift geschrieben steht, dann könnten sie und der Blasius sich umso beflissener dem Beten widmen. Und dem Niederwerfen, wie es sich für eine Bittprozession gehört. Wo das Gewerbe der Herren Schauspieler doch die Inbrunst ist, und wie man sie weithin sichtbar macht.
Blasius schnappt noch immer nach den Flocken, bis die Mutter es ihm verwehrt. Was soll sich sich denn die gnadenspendende Gottesmutter denken, wenn das Wallfahrtskind vor sich hin frisst, und die allerheiligste Jungfrau muss zuschauen. Blasius murrt, aber als die Mutter ihm eine gerahmte Holztafel um den Hals hängt ist er schon wieder umgestimmt ins Lustige und trommelt mit allen zehn Fingern drauf.
Zirngibl Blasius ward errettet ist da aufgemalt von der Maria von der Gnad von dem angeborenen Gebresten im Jänner anno domini 1806.
Blasius weiß, dass er auf der Tafel dargestellt ist.
„Da da Blasius !“ tippt er auf das Holz, auf seine rote Weste, in Ka-seinfarben abgemalt, und dann tippt er auf die andere rote Weste, die er auf dem Leib trägt.
„Schens Westerl, scheeeeeeeeeeeeeeeeeeeee !“
Ihm zu Häupten ist die Mutter Maria gemalt, wie sie auf bauschigen Wolken sitzt. Sie schaut rotbackig und gnädig herab auf den ebenso rot-backigen Blasius, der vor seinem Hof kniet, neben seiner Mutter und zwischen vier Kühen, fünf Schweinen, zwölf Gänsen, die allesamt him-melwärts blicken und fein aufgereiht stehen, weil sie wissen, dass sie von den Himmlischen genau durchgezählt werden, ehe man sich dort zu einem Wunder entschließt.
Käpernick gefällt die Erlösungsgewissheit der frommen Darstellung und lacht. Und weil er lacht, lacht auch Blasius, fühlt sich aufgefordert, vor Freude auf und nieder zu hüpfen und die Arme dabei in die Luft zu werfen. Und als Käpernick die Mutter umarmt ich bin mit von der Partie, gute Frau, trommelt Blasius auf die Holztafel vor seiner Brust und kräht vor Ausgelassenheit.
Die Bauersfrau entzündet eine Kerze und schiebt ihren Sohn auf den Weg.
Wunderschön prächtige/ Holde und mächtige / himmlische Frau. Blasius lallt den Gesang mit und verziert ihn mit tiefen schnorchelnden Tönen, als hätte er ein Bombardon in seinem Bauch und stapft den Gnadenweg aufwärts, die Beine links und rechts so glücklich wie weit hinaus schleudernd. Gut Blut und Leben will ich dir geben.
Und Käpernick lacht.
„Wie kannst du dich auf so einen frommen Zirkus einlassen“ träufelt Schuff leise Saures in die Ausgelassenheit „keiner von uns ist gläubig, und du schon gar nicht.“
Aber was denn, lacht Käpernick, und er hat Atem genug um zwischen dem Singen Schuff herauszugeben, warum nicht einspringen bei einer auswärtigen Inszenierung, wenn bei den andern die Besetzung nicht reicht, wir laufen uns doch warm dabei.
Ein Intrigant und ein Komiker auf Wallfahrt ! Wie neugierig die himmlischen Herrschaften da werden. Und die Schneewolken beiseite schieben von ihrer himmlischen Loge. Gar Bravo rufen wenn die zwei Gast-Chargen das Stamm-Ensemble überbieten. Spielastisch, verstehst du. Und er pustet Schuff ins Ohr :
„Dem Affen endlich mal wieder Zucker geben, Alter, sonst vergessen wir noch dass wir Komödianten sind.“
Aus dem Schnee ragen die grauen Kreuzwegstationen, ungnädige moosige Ungetüme inmitten von bettlakenbleichem Weiß. Vor der ersten kniet die Wallfahrerin nieder und betet. Auch Blasius muss knien. Er schleckt schon wieder Schnee. Sonnenumglänzete Sternenbekränzete. Damit er die Schneeschleckerei endlich lässt, bekommt auch Blasius eine Kerze angezündet. Die muss er nun hüten. Er tuts mit großen Staune-Augen. Leuchte und Trost auf der nächtlichen Fahrt.
Bis nur noch Käpernick singt. Schuff ist außer Atem und der Schnee wird immer tiefer. Jungfrauen hat Käpernick immer schon freudig ange-sungen, nun erst recht, wo er eine becircen soll damit sie einen Hoferben erlöse, auf den dreißig Tagwerk warten und sechs Stück Vieh, da wärs doch ein Jammer dass er im Mongolenmorbus dahingurckst, wo er im Stall und auf dem Viehmarkt seinen Mann stehen soll und wiederum einen Hoferben zeugen, hörst du da oben, heiligste Jungfrau auf deiner himmlischen Betbank ?
Forte also, vibrato du makellose himmlische Rose zumal bei der Bäuerin eine kräftige Bauernbrotzeit zu gewärtigen ist als Entgelt für Käpernicks Mitwirkung.
„Krone der Erde
der himmlischen Zier – „
Blasius lässt seinen Kopf schlenkern und summt dazu eine Melodie, die nur er allein hört, aber die Kerze gerät ihm nicht ins Schiefe dabei. Schlenkert er im Takt, weil er betet ? Und was er sabberig vor sich hin brummelt, meint ers als etwas das einer Bitte um Hilfe ähnlich sein mag ? Käpernick hat er herzhaft gebissen, Käpernick erinnert sich daran mit rauer Zärtlichkeit. Wie für einen beißfreudigen Welpen, der dann zu einem stattlichen Vorstehhund heranwächst ist, und dieser Biss lässt ihn um so zärtlicher singen.
„ - Himmel und Erde
sie huldigen dir.“
Aber Schuff advokatet ( wozu auch ist er Intrigant ) Mongolismus sei von Geburt an einem Menschen mitgegeben und weder weg zu beten noch weg zu mirakeln. Als es vom Throne / der ewigen Macht / Gnade und Rettung / den Menschen gebracht. In Frankreich tun sie solche neuerdings in eigene Pflegehäuser, und da bringt man ihnen wenigstens ein Handwerk bei und nicht bloß dieses meilenlange Litaneiengebrabbel.
Und schon bleibt Schuff, beim Ausschreiten durch den Schnee, wieder die Puste weg.
Käpernick dagegen kostet es aus, wie sich sein alter Adam behauptet gegen Kälte und winterliches Ungemach, stimmlich wie körperlich. Wie die Flocken respektvoll in seinem warmen Singe-Atem schmelzen, wie der Schnee unter ihm quietscht, wie Blasius der Beißer immer wieder die Kerze hochstößt auf geht’s wir machen einen Ausflug !
Während seine Mutter vor der nächsten Station niederkniet.
Käpernick spürt dankbar, wie die kalte Luft in seinen Lungen heiß wird und ihm den Brustkorb aufheizt. Schuffs Lungen, im Theaterbrodem nur zu bescheidener Größe erstarkt, schmerzen von der Eisluft.
„Halleluja rufen halleluja halleluja, lautet die Regieanweisung, alter Graubalg !“
Der Graubalg Schuff wird von Käpernick durchgeklopft, er reißt ihm die Arme hoch auf-nieder-auf-nieder-auf ! und wird wieder durchgeklopft, bis er japst.
„Wir wollen mit voller Kraft zupacken bei der Wundermacherei, Schuff. Wir sind doch selber Wundertäter bei uns auf der Bühne !“
Jetzt ist ihre Bühne der zugeschneite Wallfahrtsweg.
„Zwdrrrrrssssssvieh gangen Fuhs !“ schreit Blasius.
Schuff und Käpernick verstehen. Blasius freut sich dass er so weit zu Fuß gegangen ist, einen so weiten Weg auf seinen Füßen zurückgelegt hat, befreit aus dem Leinwandkasten.
Aber Blasius klopft ihnen mit seinen dicken Fäustlingen wütig vor die Brust, dass er eben das nicht meint.
„Zwdrrrrrssssssviiiieh gangen Fuhs !“
Ist doch leicht zu verstehen, ihr Deppen.
„Zwdrrrrrssss…“ wiederholt Schuff, aber kann sich keinen Reim darauf machen. Bis Blasius zwei Finger hebt. Zwei, ihr Deppen !
„Zwei -“ übersetzt Käpernick.
„Drrrrrssssss…“
„Dreißig - ?“ rät nun auch Schuff.
Blasius frohlockt.
„Und viiiiieh !“
„ Meint er vielleicht vier ?“
Blasius gluckert vor Behagen, aber die Kerze hält er still.
„Zwdrrrrrssssssviiiieh Fuhs…“
Zweihundertvierunddreißig Fuß, ihr Deppen. Zweihundertdreiundvier-zig Fuß sind sie bis jetzt gewallfahrtet. Blasius hats mitgezählt. Blasius zählt immerzu alles mit, ohne dass die anderen es merken, bewahrt es in seinem Kopf auf und multipliziert es mit anderem, das er dort bereits kreuz und quer gestapelt hat. Um damit wieder neue Rechnungen anzu-stellen. Solche : vier Wallfahrer sind sie, an siebenundachtzig Bäumen sind sie schon vorbei gekommen, das macht 348mal 234 Fuß, das sind schon -
„Achhunnnnnnnvizzzzdrrrrzwei !“
81432 Fuß sind das. Er freut sich so über das Ergebnis, dass er die Zahl aus sich heraus prustet, aus sich heraus spuckt bis ihm Schaumblasen vor dem Mund tanzen.
„Er ist ein Meister im Rechnen“.
Die Wallfahrerin gibt sich so mürrisch, als wäre das begnadete Rech-nenkönnen nur ein weiteres Siechtum, das es weg zu beten gilt.
81432 geteilt durch drei, denn es sind drei Finger, die aus dem Loch in seinem Fäustling schauen. Das ergibt 2714. Und jetzt die Wurzel daraus gezogen, das macht 285. Blasius teilts wieder freudeschäumend mit, aber wieder versteht nie-mand, was ihm da aus dem Mund gischtet.
Lauter Deppen. Dafür kriegen sie Schneebälle vor die Bäuche.
Als Käpernick sich revanchiert und seinerseits Schneebälle knetet, flüchtet Blasius. Glucksend pflügt er sich durch den Schnee. Die Kerze geht ihm dabei nicht aus, er hütet die Flamme mit der flachen Hand. Auch wenn der Fäustling dabei ankokelt. Das Gekokel gefällt Blasius so sehr, dass er mitten im Tiefschnee stehen bleibt. Er muss die rauchende Wolle an seiner Hand bestaunen und vergisst Flucht, Schneeballerei und Wallfahrt.
„Du Haderlump ! Hab ich dich erwischt !“
Käpernick packt ihn von hinten und kitzelt ihn. Blasius qäkt, seine Bei-ne strampeln in der Luft, der Schnee stiebt, aber die Kerze bleibt hoch-gereckt. Auch als sie beide ausrutschen und den Abhang hinunter sausen. Dabei entdeckt Blasius, wie wonniglich so ein Schneegerutsche ist, und wenn er sich das Holzbild von seinem Hals unter den Hintern schiebt, werden die Wonnen noch größer und beschreienswerter und er kann seinem bösen bösen bösen Verfolger entrinnen.
Käpernick. Denn der will ihn fressen, er röhrt schon wie ein hungriger Bär und stößt die Arme in die Luft. Aber Blasius will sich nicht fressen lassen und seine Kerze schon gar nicht. Also Reißaus nehmen, die Kerze retten, einen noch steileren Hang hinunter. Und noch einen.
Und noch einen.
Die Mutter kniet derweil vor der vierzehnten Kreuzwegstation. Der letzten. Der vierzehnte Kniefall, das vierzehnte Vaterunser. Und danach O du einst selbst so tief erniedrigter und jetzt erhöhter Jesus !
Auch zum vierzehnten Mal Auf dich will ich hinsehen im Leben Leiden und Sterben…
Oben auf der Höhe die Wallfahrtskirche. Unsere Liebe Frau zur Gnad. Wie eine weiße Heilige, die ihren Mantel auftut, steht sie da. Der Mantel ist der Schneefall, der nun eben aufhört, als wollten die Himmlischen auf sich hinweisen : wir stehen bereit. Fällts dir schwer nach Gottes Willen / Deine Pflichten zu erfüllen/ Denke : Jesus saget dir/ Nimm dein Kreuz und folge mir. Händchenfaltende Versenkung jetzt, Hingabe ans Gött-liche verdammtnochamal, und Schluss mit der Schneebalgerei !
Blasius wird von seiner Mutter eingefangen, der Schnee von ihm abgeklopft. Und Käpernick mit Nichtachtung gestraft.
Aber wo ist das Votivbild, das seine Heilung vorweg darstellt, das als Instrument der Mirakelvollziehung mit eingeplant war ? Als Hilfsschlit-ten missbraucht, ist es im Schnee versunken. Wie sollen die Himmlischen da noch Lust zu einem Gnaden- und Wunderakt verspüren wenn sie im vorhinein schon sehen dass für sie nicht einmal ein Fleißbilett dabei herausschaut ?
Zuzüglich zur Nichtachtung versetzt die Wallfahrerin Käpernick auch noch einen Fußtritt.
Auf Schuff aber ist Verlass. Noch immer sind er und Käpernick ein Ensemble, der Torso eines Ensembles zumindest, in dem einer dem an-deren aus der Bredouille hilft.
„Die Kerze, Frau !“ ruft er, um ihren Zorn zu dämpfen. „Schaut die Kerze !“
Sie reckt sich immer noch in des Blasius Hand, den man selber kaum erkennen kann unter den Placken von angefrorenem Schnee die er sich bei der Schlittenpartie erworben hat.
Aber die Kerze brennt.
Ein hoffnungsreiches Omen sei das, redet Schuff auf Notburga ein. Schuff, der vorhin noch die Wallfahrt einen frommer Zirkus genannt hat. Ein Fingerzeig des Überirdischen sei das mit der Kerze, um nicht zu sagen ein Mirakel, wie es sonst nur in einem Rührstück von Ernst Raupach vorkommt. Der Kaiser, der in einem solchen Stück gewisslich auch vorkäme, würde angesichts der brennenden Kerze die kaiserlichen Fanfaren blasen lassen und auch die Kirchenglocken wären im Einsatz, von Strönebald auf der Harfe zum Läuten gebracht.
Notburga, rotgesichtig und großäugig, betrachtet die Flamme und hat schon ein Gebet auf den Lippen, in dem sie Abbitte für ihren Jähzorn leistet. Schuff winkt hinter ihrem Rücken Käpernick, er solle zur Buße das verlorene Votivbild suchen gehen.
Nun pufft die Pilgermutter einen kleinen Pilgerzug zurecht. Blasius in der Mitte, dahinter Schuff Fällts dir schwer nach Gottes Willen / Deine Pflichten zu erfüllen, denke : Jesus saget dir / Nimm dein Kreuz und folge mir. Einer muss hinter dem anderen gehen, den Blick demütig nach unten. Vor ihnen lässt sich Notburga, den Rosenkranz eng um die Hände gewickelt, auf die Knie nieder wie vor den Kreuzwegstationen, nur dass sie jetzt auf den Knien bleibt und sich so voran schiebt, wobei sie steile Schneebuckel aufwirft. Der du für uns Blut geschwitzt hast. Noch einmal alles Erbarmungswürdige bündeln, der für uns ist gegeißelt worden, damit die Muttergottes den Blick nicht mehr losreißen kann von so viel Elend, der für uns mit Dornen ist gekrönt worden, bis sie den Anblick der durch den Schnee Krauchenden nicht mehr erträgt und abwinkt : ich helf dir ja, aber hab Mitleid mit deinen Knien.
Der für uns das Kreuz getragen hat
Aus den Fenstern des Klosterbaus wird heruntergeschaut. Wir haben Publikum, bemerkt Schuff. Ich der Graue, habe Publikum ! Und Käper-nick ist nicht mit auf der Bühne.
Der für uns ist gekreuziget worden
Käpernick hat sich fahrlässig um diesen Schluss-Auftritt gebracht.
Der für uns von den Toten auferstanden ist
Seit eh und je hat der dünne Schuff hinter dem fülligen Käpernick zurückstehen müssen, die Rampensau hat ihm noch immer die aasigsten Trümpfe vor der Nase weggespielt. Aber jetzt -
Der in den Himmel aufgefahren ist
- erteilt der Graue sich selbst die Regie-Anweisung : auf die Knie, Schuff !. Auch vor seinen Oberschenkeln wachsen nun zwei Schneeberge hoch, die immer höher werden und die ihn fast nicht mehr vorankommen lassen. Es ist mühselig, es ist beschwerlich, es tut weh.
Aber es zieht immer Publikum an.
Der dich o Jungfrau ! in den Himmel aufgenommen hat
Die da oben in den Fenstern tippen mit den Fingern an ihre kahlge-schorenen Köpfe. Dafür wirft ihnen Blasius Schneebälle ins Gesicht und Bejubelt quiekend, wie genau er die trifft. Verzweifelt aber im nächsten Augenblick daran, dass seine Geschosse knapp vor diesen Gesichtern vom Fensterglas abgefangen werden und zerplatzt an den Scheiben he-runterrutschen.
Die hinter den Scheiben lachen, spotten, schneiden Grimassen.
Der dich o Jungfrau ! in den Himmel aufgenommen hat
Die Schneeberge, die Blasius beim Rutschen vor sich herschiebt, haben alle seine Kräfte aufgezehrt. Er fällt vornüber in sie hinein und bleibt liegen. Als Notburga es bemerkt, hat Schuff ihn sich schon auf die Schul-tern gesetzt und rutscht knielings weiter, Blasius im Huckepack. Für den sich wieder einmal flott Verzweiflung in Glück verwandelt.
„Kuh reitn !“
Denn nun ist Schuff seine Kuh, wie er sie zu Hause zum Draufsteigen hat. Und Blasius ist zum Riesen geworden mit Schuff als Beinen, hopp hopp ! Blasius darf der Großkotz sein, der denen hinter den Fenstern seine Zunge zum Gruß entbietet und ihnen nun seinerseits Grimassen schneidet. Und er kann weißgott grauslichere, schaut her ! Wenn das Lachen sie ihm nicht aus dem Gesicht wischt. Und sogleich ist er wieder der blubbernde Rechenmeister.
„Achtttthunnnnnnzwwwwwwww….“
8219 Fuß ! 82318 Fuß ! 8217 Fuß ! 8218 Fuß von der Floßlände bis hierher herauf, hoch drei, und dann die Wurzel draus…
Bei einem Wall aus Schnee, vom Dach heruntergerutscht und wie eine Schanze vor der Toreinfahrt aufgetürmt, sackt Schuff seiner ganzen Länge nach in den Schneehaufen. Dem Jungen bleibt das Einsinken erspart, er reitet ja auf Schuffs Nacken und feiert seine Landung mit Gegluckse und hochgestemmter Kerze. Der Wunder-stängel brennt noch immer.
Blasius hat sie mit der anderen Hand gegen die bösen Blasewinde verteidigt, nun streckt er sie vor sich her wie eine Laterne und späht durch den dunklen Torbogen in den Vorhof der Kirche. Ehe Schuff sich aus dem Schnee hochgerappelt hat, ist Blasius hineingestürmt. Reißt Tür nach Tür auf, findet hinter allen nur Leere, haut sie wieder zu, bis er in einer Stube mit einem warmen Ofen auf zwei Männer trifft, die an einem Tisch sitzen.
Er legt psssssst ! den Finger auf den Mund.
„Blasius Wallfffffahhh……“
Er ist auf Wallfahrt, hat er gelernt. Darum kniet er vor den beiden Un-bekannten nieder, es könnten ja Heilige sein oder andere himmlische Herrschaften, und legt die brennende Kerze neben sich. Wenn es Heilige sind, gehört es sich dass er die Hände faltet. Er blinzelt gutwetterma-cherisch zu den beiden hinauf und murmelt, wie er seine Mutter hat mur-meln hören -
„Dehinhimmmmmmauffffffahhhhis…..“
Der in den Himmel aufgefahren ist.
„DehhhdihhhoooooJummmmpfrrrrrr…“
Der dich o Jungfrau ! in den Himmel aufgenommen hat.
Und wartet darauf, dass die beiden Heiligen als Gegengabe nun ein Wunder spendieren. Aber die sind in Eigenes vertieft. Der eine diktiert, der andere schreibt.
„Da die Klosterumfangsmauern weder gleich dick noch gleich gut, so könnte der Klafter… haben Sie’s ?„
Die Kielfeder ratscht übers Papier und hinterläßt zackige Männlein, die sich gegenseitig die Hände geben und so gemeinsam auf dem Wei-ßen hin wandern, zu fünft, zu siebent, zu zehnt. Fünf mal sieben mal zehn, rechnet Blasius, und das in elf Reihen, das macht –
„Dreeeeiiiachtfumzzzzzi.“
Andere Männlein aber sind nicht behände gewesen mit dem Hände-geben und müssen bescheiden zu zweit hinterher zuckeln. Und hier und da steht sogar einer ganz allein. Und tut Blasius leid.
„- so könnte der Klafter in der Länge nach Höhe als auf einen Gulden dreißig angenommen werden -“
Blasius zieht einen Fäustling aus, damit er mit seinen Fingerchen die schwarzen Linien entlang fahren kann und die trösten, die alleine geblie-ben sind. Die beiden am Tisch lächeln und machen weiter.
„ - angenommen werden weil beym Abbrechen Arbeit und viele Steine zu Verlust gehen würden - “
Blasius möchte den einsamen Männlein Brüderchen beigeben, damit sie nicht so allein auf dem großen Weiß herumstehen müssen. Dazu braucht er dieses schwarze Wasser, das die kracksige Gänsefeder auf das Weiß schmiert. Das Schwarze ist in einem gläsernen Topf gefangen. Blasius steckt einen Zeigefinger hinein, bis die Verengung des Fla-schenhalses sein Vordringen aufhält.
„- zu Verlust gehen würden. Nach 533 Klaftern wäre also der Wert 799 Gulden 30 Kreuzer.“
Blasius drückt mit aller Kraft seinen Finger in die Öffnung, hält das Tintenfass mit der anderen Hand fest dabei und erreicht die Tinte mit der Fingerkuppe. Stolz zieht er den schwarzen Finger hervor und verkündet :
„Fümmmfffhunnertdreiissigdrei Klafter mal ssssiebenhunnnnneun-zigneun is viiersigtausendundzweitausendzweihunnert– „
425867. Ein Wunder ist geschehen. Nicht das Wunder seiner Gene-sung, aber ein Zungenwunder. Er kann auf einmal Zahlen so ausspre-chen, dass man sie versteht.
„ - geteilt durch dreissig Kreuzer ist 14195 ! Ava Maria und Amen-amenamen !“
Der eine Beamte hört auf zu schreiben, der andere vergisst zu diktie-ren. Blasius sonnt sich in beider Aufmerksamkeit und gickst, als würde er von beiden gleichzeitig gekitzelt.
„Mal dreiundreißich Amen is ….“
Nicht dass er die nächste Zahl nicht schon in seinem Kopf bereit hätte, er hat auch bereits die Wurzel aus ihr gezogen, aber noch mehr in An-spruch nimmt ihn jetzt das schwarze Häubchen Tinte auf seinem Finger und wie es an seiner Haut herunterläuft. Er lässt es auf seiner Finger-kup-pe reiten es, ohne das kleinste Tröpfchen davon zu verschütten, und über-führt es an das Ende der Zeile, die der Protokollbeamte zuletzt geschrie-ben hat. Unter tiefen Schnauferern überdenkt Blasius, mit welchem Krakel er die unvollständige Reihe angemessen fortsetzen soll. Aber die flache Hand des Protokollanten fängt seinen Tintenfinger ab. Freilich kann der nicht verhindern, dass aus des Blasius Nase ein dicker Strahl Rotz niedertropft auf die säuberlich kalligrafierte Kalkulation.
Draußen wird gesungen.
„Schuldlos Geborene
einzig Erkorene
du Gottes Tochter und Mutter und Braut – „
Der Beamte reißt die Tür auf.Über die Fliesen her rutscht knielings die Bäuerin, hinter ihr Schuff.
„ - die aus der Reinen Schar
Reinste wie keine war
die selbst der Herr sich zum Tempel gebaut.“
Sie ziehen zwei Bahnen aus schmutzigem Schneewasser hinter sich her.
„Was nehmt ihr Bettelvolk euch heraus ! Ich lasse euch in Gewahrsam nehmen !“
Die beiden wissen nicht, wie kurz der Weg ins Gefängnis ist, nur eine halbe Stiege höher, denn das Kloster ist zum Kerker umgewidmet wor-den.
Blasius hat seine Kerze aus der Amtsstube geholt, die er dort verba-selt hatte. Nun ist sie doch erloschen. Die Trauer darüber ist groß, aber ehe ihn das dazu passende Greinen schon wieder überkommt, fährt sein schwarzer Zeigefinger auf den Beamten zu und er stippst ihm die Kerze unters Kinn.
„Feeeeeuu machn !“
Und deutet mit dem schwarzen Finger auf den Docht, wo er das Feuer hin haben will. Blasius hat den Beamten mit so vielem nutzbringenden Zahlenwerk versorgt, der muss dafür seine Gegenleistung erbringen und ein Flämmchen springen lassen, gilt er ihm doch nun schon als Kumpan und Spielgefährte. Und als der Beamte seine Schwefelhölzer hervorgeholt hat, findet auch ein blauer Vogel den Mut, aus Schuffs nassem Pelerinen-mantel hervorzuflattern, schlägt aufmunternd mit den Flügeln, dreht eine Runde über dem Scheitel des Blasius und piepst eine kleine Melodie.
Der Beamte dreht sich um, damit man sein Lachen nicht sieht und kehrt zu seinen Amtspflichten zurück. Blasius stampft mit den Füßen auf und ist beleidigt. Ist aber sogleich umgestimmt, als er vertraute Geräu-sche aus der Kirche vernimmt, das Schnauben und Heumampfen von Kühen wie daheim auf dem Hof. Und er quiekt begeistert, als er auf dem Marmorboden des Gotteshauses warme Kuhfladen entdeckt. Sie schme-cken ihm vorzüglich und tun seinen Magen wohl nach all der Kälte und es schmeichelt ihm, dass die Kühe ihre Köpfe nach ihm drehen, so ver-traut als wäre Blasius ihr Kalb.
Weil sie an den Beichtstühlen vertäut sind, erreichen sie ihn nicht mit ihren Zungen, um ihn gehörig abzuwaschen. Wie ers von daheim ge-wohnt ist. Er hält ihnen seine Kerze hin zum Willkomm, und der ersten Kuh, die höflich daran schnuppert, malt er mit seinem tintenschwarzen Finger jene Zeichen und geheimen Mitteilungen auf die Nüstern, die er eigentlich in das Protokoll hatte malen wollen.
Die Kerze hat er kippsicher in einem Kuhfladen versorgt, inmitten der Streu, die den Kirchenboden bedeckt. Ihre Flamme, nun nicht mehr be-helligt von den Winden draußen und der schnaubenden Neugier der Kühe hier drinnen deutet erwartungsvoll steil hinauf ins Kirchenschiff : das für ihn bestimmte Wunder hat noch immer Gelegenheit nun endlich zu geschehen.
Von der Kanzel hängt nur noch der Rumpf als vergoldeter Bottich an der Wand. Rostige Eisenträger ragen aus den rohen Backsteinen, wo der Schalldeckel gewesen ist. Von den Altären sind nur noch die Mensen geblieben. Sie nehmen sich wie Kommoden aus, die man bei einem Umzug vergessen hat. Das rohe Backsteinwerk darüber deutet an, wie weit ausgreifend die Aufbauten der verschwundenen Altäre einmal gewesen sind.
Was die Kirche anbetrifft, so ist diese ganz gut und dauer¬haft bestellt, mit doppeltem Plattendach versehen, auch die Kirchenthüren ganz von Sandquaderstein, und obwohl dieses Gebäude, wie es gegenwärtig steht, unter 70 bis 80 000 Gulden nicht aufzuführen wäre, so kann man doch den gegenwärtigen Werth nicht höher be¬stimmen als etwa auf 15 000 fl.
Weil Schuff zum ersten Mal in einer katholischen Kirche steht, weiß er nicht, dass der Beichtstuhl, aus dem die Kühe ihr Heu rupfen, vordem ganz anderen Zwecken gedient hat. Wie auch die Weihwasserbecken, als Muscheln in roten Marmor gehauen, nicht von jeher Viehtränken waren. Er hält sich an einem fest, denn ihm schwindelt beim Hinaufschauen.
Über ihm spannt sich nicht der offene Himmel, wie es ihm beim ersten flüchtigen Blick erschienen wr, sondern ein Himmel aus Farben. Was für eine verschwenderische Ausleuchtung. Kein Theater, in dem Schuff aufgetreten ist und bei denen im Halbdunkel funzlig Talglichter blakten, hätte da mithalten können, auch nicht alle zusammengenommen.
Durch weite Fenster stürzt das Tageslicht in den Raum, aber der nimmt sich schon wieder fast dämmrig aus gegen die Helligkeit, die aus dem Deckenfresko strahlt. Hoch oben in der Kuppel, behauptet des Malers Pinsel, platzt vor lauter Überschwang sogar der Zenit entzwei und erbricht Gold.
Von goldenen Strahlen übergossen, sitzen, nein : thronen dort die allerheiligsten der heiligen Hauptdarsteller der himmlischen Haupt- und Staatsaktion und halten, mit kapriziösen Gesten wie Schuff sie bisher nur bei den Schönen vom Ballett gesehen hat, teure Requisiten in das allge-meine Gestrahle.
So üppig viele Rollen, Roben, Dekors. Keine von Schuffs Schmieren-klitschen konnte sich solch einen Auftrieb an Figuranten leisten, an Dro-medaren und Baldachinen und Pferden und Rauchpfannen. Solche Maschinerien, die, mit Wolken verkleidet, das wimmelnde Völkchen der Solisten und Kleindarsteller höher und immer noch höher in den Plafond des mittelmeerisch azuren freskierten Himmels hieven. Schuff achtets nicht, dass die Kühe an ihm lecken, er legt den Kopf weit ins Genick und setzt für sich zusammen, was da oben wohl aufgeführt wird. Die Sze-nerie, entziffert er, muss dem öffentlichen Tod eines Märtyrers gelten.
Blutzeuge des Glaubens, was für eine Prachtrolle ! Wer bei diesem Hinmetzeln dabei war, wird noch seinen Enkeln und Urenkeln davon erzählen. Sogar die Sperlinge tun kund, wie aufgewühlt sie sind indem sie sich stumm kreischend durch den azurnen Fresko-Himmel fast bis auf den Kirchenboden herab stürzen.
Gli spettacoli divini sind abgesetzt für immer, Grauer, so wie auch deine Zeit vorbei ist ohne dass du je eine hattest. Nie hast du in solchem Licht gestanden, nie auf den Fürstenbühnen, dem Göttertheater, zwischen Wolken und Wolkenmaschinen und Flügelwesen, Lanzenträgern, Rauch-beckenschwingern, Dromedaren, aufgeschlitzten Märtyrern. Und nie vor mehr als zweihundert Zuschauern. Du warst immer nur am unteren Rand Schuff, und bei Propodonsky, alter Freund, da war nicht einmal mehr ein Rand.
Schuffs Genick tut weh vom Hinaufschauen, aber davon nicht allein. Grauer Neid reitet ihn, wo vorhin Blasius geritten ist.
„Aaaaaaaaaaah ! Was für eine Akustik !“
Käpernick ist eingetreten, das wiedergefundene Votivbild in der Hand. Käpernick muss sich nicht erst zurechtfinden. Käpernick fühlt sich wie der Dotter im Eiweiß. Die Kirche vervielfacht sogar sein Schnaufen. Zur Belohnung für den einen so willigen Resonanzboden lässt Käpernick seine Stimme im tiefen Register gurgeln.
Dann rollen, rrrrrrrrrrrroooooollllllllleeeen ! Und siehe da, und höre da : das Kirchenschiff zollt Käpernicks die Achtung, wie sie ihm vorher noch nie zuteil geworden ist unter den viel zu niedrigen, viel zu stickigen Holzdecken kleinstädtischer Komödienhäuser.
„Tonne Nonne Sonne so ne Woooooooooooooooonnnnnneeeeee !“
Käpernicks Stimme erobert sich das Gewölbe, verzweigt sich in die Kapellen und Seitenschiffe. Sogar die ferne Sakristei gibt ihm Antwort. Sein Organ spielt mit dem Raum wie die Bälge und Windladen mit den Orgelpfeifen, schlürft seine eigenen Echos wie die Antworten einer jubelnden Zuschauerschar.
„Hör dir das an, Schuff ! Sei doch auch mal Klöppel in dieser Glocke ! Trau dich !“
Und schubst Schuff. Und Schuff traut sich :
„Laaaaaaaaaang lauscht Lilliiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii….“
Sogar Schuffs Stimmchen wird hier mit einem Echo beschenkt, um-kleidet von einem Passepartout von Klängen und Nachklängen. Was er ins Gewölbe hinaufwirft, wird, wie von einem schäkrigen Hündchen aufgesammelt und ihm wieder vor die Füße gelegt. Wirf nochmal !
Und Schuff wirft.
„Lirizi larizi Zissifuuuuuuuuuuuuuuuhhh…“
Die Reibelaute bleiben irgendwo in den Bögen hängen, aber die Iiiiiis kriegen dort oben Junge und flattern munter umher wie die Sperlinge auf dem Deckenfresko.
„Lurizi liiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii…“
Nun ist Käpernick wieder dabei mit seinen Oooooohs, die Gewölbe gebens ihm zurück, die Kühe haben schon lang mit eingestimmt, Schuff steuert seine Iiiiiiis bei und es versteht sich, dass sie dabei beide nicht stille stehen können. Sie tanzen umeinander ein maliziöses Menuett. Käpernick röhrend, Schuff fiepsend und schrippschrappschrillend.
Schuffs lange Spindelbeine säbeln durch die Luft und Käpernick schlägt quer über sie Purzelbäume. Käpernicks Purzelbäume haben im-mer großes Hallo ausgelöst, meistens hat Propodonsky sie eben darum gestreng unterbunden. Die Grazie seiner Purzelbäume besteht darin, dass beim Springen Käpernicks Masse unheilvoll durch die Luft saust, seine Patschhände ihn aber kurz vor dem Aufprall abfangen und sein Körpersack flaumweich auf dem Boden landet.
Mit so weit gegrätschten Beinen wie keiner sie ihm zugetraut hätte. Am wenigsten, so scheint es, er sich selber, der mit nun komischem Ent-setzen um seine Zehen barmt, die sich so unfasslich weit von ihm entfernt haben und ihm frech herüberwinken.
Er winkt ihnen befehlshaberisch zurück : her mit euch, werdet ihr gefälligst zu Herrchen 0kommen ! Aber sie wackeln frech mit den Ohren. Ja, Käpernicks Zehen haben auf einmal Ohren, sie sind bockige Maul-tiere, und wollen nicht in den Stall.
Schuff liegt auf den Marmorfliesen, hämmert mit den Fäusten und kringelt sich vor Lachen.
„Ssschttt doch, Pietät bitt ich mir aus. Wir sind doch auf Wallfahrt.“ zischt Käpernick „ Madame Henriette da hinten kuckt schon gestreng und nimmt Anstoß.“
Mit Henriette meint Käpernick ist ein Skelett, das in einem Glaskasten liegt, auf einem leer geräumten Altar. Der Glaskasten strotzt von reichem Schnitzwerk, aber seine Scheiben sind herausgebrochen. Und wenn Henriette mit einer reich bestickten Robe angetan gewesen sein sollte, so ist sie jetzt so entblößt wie ein Gerippe nur entblößt sein kann.
“Oh, man hat mich beraubt !“ Schuff spricht Henriettes Text. Gerippe, das fällt just in sein Fach. “Ausgeraubt bis auf die Knochen !“
Schuff ergreift eine Knochenhand und führt sie vor Henriettes leere Augenhöhlen. Das Gerippe schämt sich, aber in tiefem Groll.
„Und ich hab nicht mal schreien können, als sie mich gefleddert haben. Schamlos haben es die Barbaren, dass ich schon seit zweitausend Jahren keine Zunge mehr habe.“
Schuff läßt den Schädel verhärmt das Kinn senken. Das Unterkiefer ist mit einem Draht festgezurrt und gibt ein betrübtes Knirren von sich.
„Sie hätten mich sehen sollen, junger Mann damals, in meinen großen Zeiten ! Smaragde und Rubine und Korallen und Türkise und Perlen rundum. Ich war der attraktivste Kadaver von ganz Alexandria.
„Ich habe sogar mit diesem Jesus eine Poussage gehabt, denken Sie nur. Als anerkannt gottselige Jungfrau. Als Kaiser Nero davon erfuhr hat er mich selbstverständlich auf der Stelle rädern lassen. Und dann zweimal enthaupten, des großen Zuspruchs wegen. Mit Ballett und Orchester !“
Käpernick nimmt die Knochenfinger zwischen seine Pranken und küsst sie.
„Nicht zu reden von meiner heißen Liaison mit diesem hysterischen Apostel, wie hat er gleich noch geheißen…ach ja Paulus. Er hat immer ein Stück für mich schreiben wollen. Es käme en masse was mit Sodomie drin vor, hat er mir versprochen, und mit Göttererscheinungen,. Aber dann hat er’s liegen lassen und sich verzettelt mit Prosa. Evangelien hat er’s genannt. Postum erst veröffentlicht, in hohen Auflagen, aber da war er längst tot und ich warte immer noch auf nein Stück.“
Sie haben nie dalbern dürfen bei Propodonsky, auf Extempores stand Arrest bei Wasser und Brot. Die höchste Instanz auf den Brettern ist gedruckte Wort des Dichters ! schrie Propodonsky wie Jahwe vom Sinai herab. Dabei wusste jeder, noch viel höhere Instanz hatte ihn beim Wickel. Die Zensurbeamten von Erfurt, Dessau, Leiningen, von Wo-auch-immer-man-hinkam, schnüffelten die Stücke des Repertoires Zeile für Zeile durch. Gleichviel, ob Goethe auf dem Deckblatt stand, Lessing, Shakespeare oder Kotzebue. Jeder nicht gedruckte Satz, jedes frei hinge-worfene Apercu bedeutete Bepissung der Obrigkeit und wurde geahndet mit strackser Verweisung aus der Stadt..
Jetzt wo Schuff und Käpernick nur noch Kühe als Publikum haben, halten sie sich dafür schadlos.
„Ich schleudere Ihnen jetzt eine nackte Wahrheit ins ebenso be-schaffene Gesicht, Sie heiliges Huschi.“
„Schonen Sie mich nicht. Gott wird es Ihnen lohnen am jüngsten Tag“
„Die Perlen die man Ihnen weggeräubert hat, die waren alle aus Glas .“
„Man hat mich betrogen ?“ wackelt der Schädel.
„Nach Strich und Faden“.
„Das trifft sich vortrefflich. Ich habe mein frommes Publikum ja auch betrogen ! Denn wahrlich, ich bin weder Märtyrerin noch Jungfrau noch ägyptisch. Ich bin ein Bauernbursche aus dem Münsterländischen.“
Eine Knochenhand patscht spitzbübisch aufs Knochenknie. Es klirrt bis hoch ins Gewölbe.
„Meinem Vetter Jockel hat mich erwischt, wie ich gerade auf seiner Liese lag. Zusätzlich, dass er mich erschlagen hat, hat er mich als Reliquie verramscht und den Erlös versoffen im Dorfkrug.“
Jetzt hat Schuff es heraus, die Kinnlade spitzbübisch lachen zu lassen. In der Mundhöhle sitzt der blaue Vogel und lacht mit.
„Seither ist mein Künstlername Sankta Hirundomirifica.“
“Hi…rund…Wenn Sie das buchstabieren könnten, bitte.“
„Du bist gemein“.
Schuff fällt aus der Rolle.
„Du nützt es aus dass Strönebald nicht da ist zum Soufflieren.“
Nun lachen sie zu dritt, Schuff, Käpernick und der Totenschädel.
Und noch ein vierter lacht mit, der schon eine Weile zwischen den Kühen gestanden hat als ihr Publikum. Der Beamte, der nun seine Virginia zwischen die Lippen klemmt, damit er die Hände frei hat, spendet Applaus.
Es hallt nach bis unter die Kuppel und in die Sakristei.
„Herzerfrischend, dass die Immobilie hier zum Abschluss nochmal prallvoll mit Leben gefüllt wird.“
Die Pfeifen der Orgel sind bereits umgegossen zu neuen Läufen für die frisch mobilisierte Armee. Die Immobilie wird gleichfalls mobilisiert werden, gewissermaßen. Abgetragen, in ihre Bestandteile zerlegt, seinen Berechnungen nach für 15.000 Gulden. Die Kühe, item mobil, werden mithin dieses Quartier zum Frühjahr verlassen. Der Beamte fühlt sich ihnen warm verbunden, avec des sentiments délicats.
Wie auch den Schauspielern.
“Umweglose Kreaturen beides, wenn Sie mir die Einschätzung gestat-ten. Kreatürliche Kreaturen !“
Er bietet Schuff wie Käpernick eine Virginia an. Nur Käpernick greift zu, mit schleckrigem Grinsen.
„Lob dem Leben und Wirken hier auf dem Lande !“ lacht der Beamte, während er Käpernick die Virginia ansteckt. Wie er den Sauerstoff ge-nießt hier draußen in freier Wildbahn, die Dramatik im Wechsel der Jah-reszeiten.
„Und das Ungeschlachte bei Nutzvieh und Mundart !“
Öd und aktenfahl ist seine Existenz gewesen bislang, aber jetzt erlaubt es sein Amt, dem Fortschritt noch und noch Bahn zu schaffen. In diesem Abbbruchobjekt hier par exemple wird er eine Meierei etablieren. Einen Milchbetrieb, in dem modernste chemotechnische Methoden zur An-wendung gebracht werden. Und bläst den Rauch seiner Virginia hoch ins Gewölbe als fröhlichen Furz der Zukunftshoffnung.
„Zwischenzeitlich sei Ihnen diese gipserne Kulissenwelt zur Nutzung überlassen, messieurs artistes!“
Mit der Virginia deutet er auf die Säulenstaffelungen und Kapitelle, den Stuck, das Deckengemälde.
„Machen Sie Erquickendes daraus. Ich habe ein Herz für die Dar-stellenden Künste.“
Wenn sein Papa selig ihn nicht in die Beamtenkarriere beordert hätte – Tradition, Familientradition ! – hätte er gleichfalls den Schauspielerberuf gewagt und würde die selbe Unbeschwertheit an den Tag legen wie die messieurs artistes.
„Dieses freie, dieses so viel freiere Leben in der Kunst ! Nichts für un-gut, aber ich neid‘s den Herren“.
Und ob Käpernick noch einmal sein Organ rollen lassen könnte wie vorhin ? Das mit den vielen Rs und Os ?
Und ob Käpernick kann.
„Tonne Nonne Sonne so ne Woooooooooooooooonnnnnneeeeee !“
Käpernick erobert sich das Gewölbe, die Kapellen und Seitenschiffe. „Wenn das Gewölbe einen Respekt hat vor Ihrem Können stürzt es jetzt ein und erspart dem Fiskus 15.000 Gulden.“
Aber es stürzt nicht. Es liefert nur Käpernicks Echos ab, vom Gewölbe bis in die Sakristei.
„Und jetzt Sie, Kunstfreund“ lacht Käpernick. “Lassen Sie hören, ob Sie das Zeug zum Othello gehabt hätten.“
Der Beamte räuspert sich die Stimme frei, verscheucht den Rauch sei-ner Virginia und setzt an :
„Tonne Nonne Sonne so ne Wo -“
Aber nichts kommt zurück aus Gewölbe und Kapellen, schon gar nicht aus der Sakristei. Die Kühe wackeln geringschätzig mit den Ohren.
„Da hören Sie, warum ich mich gar nicht erst bemüht habe Privatstunden bei Ihrem Gott Iffland zu nehmen. Adieu.“
Als er, mit schier betreten höflich gezogenem Hut hinaus ist, sieht Schuff auf den Fliesen zwischen Kuhfladen und Streu das hölzerne Votivbild der Wallfahrerin liegen. Zirngibl Blasius ward errettet von der Maria von der Gnad von dem angeborenen Gebresten im Jänner anno domini 1806.
Als das Bild Schlitten unter dem Hintern des Blasius war, wurde es arg mitgenommen. Jetzt ist es nur noch ein zerkratztes Stück Holz. Den gemalten Bauernhof der Notburga kerben tiefe Rillen. Wo die allerheilig-ste Jungfrau gesessen hat, ragt ein Splitter heraus, auf dem gerade noch ihr Wolkenthron zu erkennen ist, und fährt Schuff in den Handballen.
“Man soll halt nicht vorweg Kredit nehmen auf Wunder“ grient Käper-nick und bläst den Rauch der geschenkten Virginia zum Kuppelfresko hinauf.
„Wunder sind wie Theateraufführungen. Erst wenn der Vorhang wieder zu ist, kann man verlässlich drauf wetten dass es kein Debakel geworden sein wird.“
Und hängt das Votivbild, damit es nicht gänzlich für die Katz gemalt worden ist, an den leeren Eisenträger, der die Kanzel gestützt hat. Nun darf er das Wunderbild tragen und braucht nicht mehr trübsinnig aus der Wand zu stehen als würde er um Hilfe schreien.
Die Kerze des Blasius ist endlich heruntergebrannt. Und hat nicht, wie Schuff sich auf einmal wünscht, die Streu auf dem Boden entzündet und damit die ganze Kirche.
„Du wirst doch nicht flennen, Schuff.“
Schuff dreht sich weg.
„Woher denn. Das ist bloß Schnee. Der taut in meiner Mütze.“
Kirchenbänke, zu je dreien übereinander, daran gelehnt die Holzver-kleidung der Orgel, und daran wieder gelehnt die Brüstung der Orgel-empore.
Auf dem Klosterhof ist gestapelt, was amtlich als meublement superflu geführt wird. Grundsolides trockenes Eichenholz, so steht es im Be-standsaufnahmeprotokoll, das grundsolide Ofenwärme liefern wird.
In einem Beichtstuhl, im Schilderhäuschen Gottes, wo vordem der Pater die Sünden entgegennahm und gegen Absolution eintauschte, hat sich der Aufseher eingerichtet samt einem Kohlebecken für seine Füße. Vor drei Jahren war er noch der Kalfaktor des Klosters und hat eigen-händig und eigenbucklig das Brennholz heranschaffen müssen aus den Waldungen der Mönchsgemeinschaft.
Dann, nach dem Reichsdeputationshauptschluss, ist er erhöht worden vom Klosterknecht zur Amts- und Respektsperson. Und nun liegt ihm das Holz zu Füßen wie der Herrschaft das erlegte Wild, ohne mühseliges Herbeigeschleppe von weither und weist, der langen Trocknung in der Kirche sei’s gedankt, eine ergiebigere Brennqualität auf als seinerzeit die frischgeschlagenen Bäume aus dem Forst. Schon beim Anschauen freut sich der Aufseher, wie das Feuer bei so nahrhaftem Futter zubeißen wird.
Wie Winzlinge nehmen sich die Sträflinge aus, wenn sie zu dritt und zu viert eine Heiligenfigur schultern, die sie um viele Köpfe überragt. Die Arme der Apostel in ihren pathetischen weiten Faltengewändern deuten mit großen Gesten ins Leere. Mag sein in die Heiligen Schrift, mag sein auf die Leiden Christi oder auch die Sündigkeit der Welt.
Strizzi alter Saubär elendiger werden sie beschimpft wie Betrüger beim Kartenspiel, Herzjesusstinker scheinheiliger, und gescholten wegen ihres Gewichts. No schwaarer hatten‘s di net schnitzln kenna, hundsheiterner Betbruader, und werden zu Schragen geschleppt, die im Klosterhof bereit stehen.
„Gwamperter Ablassruach gwamperter“.
Die aufgeschraubten Heiligenscheine halten sich nicht lange auf den Köpfen der Apostel. Ein paar Axthiebe, und sie springen in hohem Bogen davon. Viele Messer haben vorher schon versucht, das Blattgold von ihnen abzukratzen, unter den Schabespuren schaut die ockerfarbene Grundierung heraus. Glücksverheißend wie Sonnenscheiben, hilflos wie versprengte Spiegeleier, landen sie nun im Schnee. Blasius, um den Mund noch verschmierte Kuhfladen, hüpft von einem Heiligenschein zum nächsten. Bestaunt ihn, gluckst, hält die Hände über ihn, um sich an ihm zu wärmen.
„Sonne ! Waaaaaaaaaaaaaaahmmm…“
Aber erst als ein Gefangener, er ist wegen heimlichen Versetzens ei-nes Grenzsteines hier, eine von den Scheiben über den Kopf von Blasius hält, kommt der darauf, dass der Heiligenschein ihm als Kopfbedeckung taugen könnte.
Ein anderer Gefangener, inhaftiert wegen Schwarzbrennerei, bindet ihm eine Sonnenscheibe auf dem Schädel fest, und alle, Messerstecher wie Zechpreller und Wilddiebe, delektieren sich daran, dass Blasius nun ein König ist und ihre Fußketten klirrren vor Freude mit.
Ein König mit Kuhscheiße am Kinn, der das Gelächter seiner Unter-tanen genießt, zwischen denen er hechelnd herumspringt und von denen er sich sogar huldigen lässt.
Bis der Aufseher auf zwei Fingern pfeift und sie wieder zu ihrer Säge-Arbeit ruft. Blasius aber darf seinen Heiligenschein behalten.
Jeder Apostel, frotzeln die Gefangenen, hat schon das Werkzeug bei sich, das ihn vom Leben zum Tode gebracht hat. Damit er überhaupt ein heiliger Märtyrer hat werden können, verbunden mit dem Privilegium, von einem hohem Postamentl auf die Kirchengemeinde herabzuschauen. Ein Schwert zum Köpfen der eine, ein Messer zum Hautabziehen der andre. Warum, wird weitergefrotzelt, hilft er nicht selber mit beim Sich-Tranchieren zu Kantscheitern ?
„Aber na, er lassts uns machen, der Pfaff der odraahte…“
Blasius steht dabei, lutscht an den an seinen Lippen, und schauz mit gibbelnder Lust zu, wie je drei oder fünf Gefangene einen riesigen Weißen an seinen Gewandfalten festhalten und zwei andere ihre Säge ansetzen.
Die Säge hat achtundneunzig Zähne und zwei Männer ratzeratzen damit an dem riesigen Weißen herum. Das macht schon hundertsechs-undneunzig. Jetzt ratzeratzen sie schon das sechste Mal hin, jetzt das sechste Mal her. Jetzt sind es schon siebentausendeinhundertachtund-zwanzig Ratzeratzer..
„Siemtausendhunnertachtnzwannnnnnnzzzzz…“
Rotz rinnt ihm in Strömen in den vor Staunen offenen Mund und vermischt sich mit der Kuhscheiße. Der Heiligenschein ist ihm über die Backe gerutscht. Aus dem Heiligen regnet Sägemehl in den Schnee, ockergrau ins Weiße. Begierig kostet Blasius davon. Schmeckt es hui, oder schmeckt es wie Blut ?
Es schmeckt unbekömmlich, trockener Holzgrieß, und Blasius spuckt ihn zurück in den Schnee.
„Wer da sagt des ist ein altes morsches G’raffel, dem schlag i‘s Kreuz krumm.“
Der Aufseher stopft seine Pfeife, die Wallfahrerin steht neben ihm am Beichtstuhl.
„Weil, des Holz da, des is für mi Familiensach.“
Sein Urgroßvater, Kistlermeister dahier, hat die hölzernen Bildwerke hergestellt, die nun zersägt werden. Dahier bedeutet, der Urgroßvater war eingesessen hier im Dorf, das zum Kloster gehört hat.
Herrgottsakra, das war noch grundsolide Arbeit !
“Da hat si über Generationen koa Holzwurm net neitraut.“
Stolz auf den Urgroßvater stopft der Aufseher an seiner Pfeife, und gibt der Wallfahrerin zu bedenken, wie auch der Urgroßvater jetzt stolz sein könnte. Auf seinen Enkel, weil der ein Avancement gemacht hat vom Häuslersbuben hinauf zum Beamten Seiner Majestät. Wo er selber, der Urgroßvater sein Leben lang bloß ein Holzhandwerker hat bleiben müssen mit kleiner Landwirtschaft und einer einzigen Kuh für elf Kinder.
Und die Wallfahrerin gibt dem nunmehr königlichen Beamten zu bedenken, dass es womöglich eine göttliche Verhängung gewesen ist oder wia ma si da ausdruckt, dass ihr Blasius nun doh nicht erlöst wird.
Denn wenn der Himmel nichts unternimmt gegen das Zersägen des Kirchenmobiliars, dann ist auch für den Blasius nicht mehr zu erhoffen, dass er Erbbauer wird und den Hof übernimmt und angemessen viel Kinder zeugt..
Zu Klötzern zerschnitten liegen nun Petrus, Andreas, Jakobus Zebedäi, Johannes Evangelist, Jakobus der Ältere und der Jüngere, Matthias, Philippus, Bartholomäus und Thomas, der nichts hat glauben wollen und deswegen bis nach Indien hat wandern müssen. Nun ist er in lauter gleich starke Rundlinge zersägt wie Thaddäus und Simon der Eiferer, und ist nicht zu unterscheiden, wer einmal der eine und wer der andere war.
Aus dem Holz der Orgelverschalung ist das Pange lingua herausge-fahren. Aus den Beichtstühlen sind die Sünden herausgefahren, die sie haben anhören müssen. Aus den Kirchenbänken die Gebete, und aus den Aposteln das Gehet hin und lehret alle Völker. Säuberlich aufgeschichtet liegt einer über dem anderen.
Blasius hat auf einem Schragen jemand Weißes entdeckt, feinglied-riger als die Apostel. Durch die Fassung und das Gold hindurch atmet noch immer das Lindenholz.
„Frau Eeeeeeeeengel…“
Blasius hat noch nie ein schöneres Gesicht gesehen und noch nie solche Locken, die sich den Hals hinunter bis auf die Schultern kräuseln. Er setzt dem Engel seinen Heiligenschein auf, ihm gebührt er, er singt für ihn und lauscht, ob er zurück singt.
Aber der Engel bleibt stumm, und Blasius lässt ein Gedröhn aus sich heraus, das sich anhört wie die Bass-Tuba beim Kirchweihfest. Blasius legt sein Ohr an das Holz, aber da dröhnt nichts zurück und wird mit keinem noch so kleinen Ton erwidert. Blasius versteht, dass er zu laut und zu grob war. Er hat die Schöne verschreckt, er muss seine dröhnigen Überschwang wieder gutmachen.
Wenn er eine Margarite zur Hand hätte, könnte er sie ihr in die Locken stecken oder in den Mund, aber der Schnee hat alle Blumen zugedeckt. Blasius bleibt nur der Rest Kuhfladen an seinen Lippen, und den macht er der Schönen zum Geschenk, indem er ihr einen Kuss auf die geschnitzten Lippen pappt. Die Kuhschmiere bleibt dort haften. Der Engel hat sein Geschenk angenommen und nicht das Gesicht von ihm abgewandt. Stolz zieht Blasius den Kuhdung mit dem Finger als braunen Strich weiter über die Wangen des Engels, den Nasenrücken hinauf und über die Augenbrauen zu hinüber zu den engelischen Ohren.
„Schööööööööööön….“
Und wartet, dass der Engel ihm dankt. Aber der schweigt.
„Mit Blasius reden…“
Als die Mutter ihn am Arm fortziehen will, tritt er nach ihr, denn er muss dem Engel ins Ohr flüstern, dass er sechsundzwanzig Federn an seinem Flügel wahrgenommen hat, an dem andern aber dreiunddreißig, das macht zusammen achthunderachtundfünfzig, und dass er achthundert-rachtundfünfzig Gebete darbringen wird damit das schöne stumme We-sen mit ihm singt.
Dann lauscht er, das Ohr ans Holz gedrückt, ob der Engel ihn nun endlich erhört. Erst als das Holz vibriert, merkt er, dass es zersägt wird. Achtundneunzig Sägezähne hat er gezählt, achtundneunzigfach ist der Schmerz, wenn die Säge durch das Fleisch schneidet.
„Nicht weh tuuuuuuun …“
Blasius kreischt und wirft sich der Säge entgegen, ihr Blech dröhnt unter dem Hämmern seiner Fäuste. Zuerst wird noch grob gelacht, dann nur noch verlegen, schließlich sind alle still. Blasius steckt einen Finger in das Sägemehl, das aus dem Engel herausgerieselt ist.
„Bluuuuuuuuuuuuuuut…..“
Notburga kann Blasius nun bei der Hand nehmen, ohne Widerstand. Er ist bei seinem Schmerz. Er schreit so gellend, das sogar der Aufseher in seinem Beichtstuhl sich die Ohren zuhält. Und die Sträflinge werfen sich ins Zeug, damit ihr Sägen den Schmerz übertönt, aber der Schmerz gewinnt.
Bis in die halbe Nacht hinein werden Stämme aus dem Floß herausgenommen. Bauholz hat Nachfrage, das Floß hätte gut dreimal um-fänglicher sein können. Am Ufer deuten Pionieroffiziere mit ihren Reit-peitschen auf Langholz voici le tronc de hêtre la ! das sie für die Armee ausgemustert haben möchten et les deux sapins ! und daneben steht schon dienstbereit der bairische Zahlmeister.
Kunterkasten macht sich nützlich, um das Versprechen von ein paar Schluck Bier. Nun braucht er nicht mehr tagediebisch und ohne Regiean-weisung herumlungern. Wenn er den Stichel in einen Stamm hacken darf und den mit den Knechten ans Ufer zerren, fühlt er sich unter Wilhelm Tells Leuten und werkelt mit dem Volk von Uri.
Schiffe mit Soldaten ziehen vorbei, die Franzosen am Ufer begrüßen die Franzosen zu Wasser, als wären beide auf einer Landpartie. Wenn ein Schiff weitergefahren ist, werden seine Essensdüfte herübergeweht, und Kunterkasten rät aus, ob es da drüben Linseneintopf gibt Lungenhachée.
Das Holz, das auf dem Floß verblieben ist, soll von einer Nachtwache gehütet werden. Getroffen hat es den Floßknecht dem die Katze abhanden gekommen ist. Der Flößer friert, die Katze könnte ihn dabei wärmen, sie hat ihn noch immer gewärmt. Und aus seiner Trübsal heraus holen, wie sie ihn noch immer aus seiner Trübsal bei der Nachtwache herausgeholt hat, wenn sie auf ihm herum kletterte und sich hat kraulen lassen. Und zum Dank dafür schnurrte. Wenn er denjenigen ausfindig macht, der sie gefressen hat, muss der sterben.
„Wann no oaner weniger is aufm Floß, nacha woass ma wenigstens warum.“
Das Weib bei den Schauspielern ist abgängig, der Lange mit dem Pelz-kragen ist abgängig. Der dicke Spaßmacher wird der nächste Abgang sein. Ihn hat der Flößer in Verdacht als Katzenfresser.
Todesstrafe wegen Fresssucht.
„Obst du s’Bier überhaubz bei dira g’halten kannst“ sagt er zu Kunterkasten und haut ihm auf die Schulter „des muas si erst no weisen.“
Diesem groben Spruch hört man die Einladung zum Umtrunk nicht an, trotzdem ist es eine. Sie haben den Tag über zusammen Stämme aus dem Floß gelöst und an Land geschafft, nun darf Kunterkasten dem Flößer auch dabei helfen, die
Wärme seiner Katze mit Bier zu ersetzen.
Als Kunterkasten dem Flößer zur Schenke am Ufer folgen will, hört er Musik. Keinen Soldatengesang, sondern gezupfte Saiten. Und nicht vom Fluss her, sondern vom Floß. Kunterkastens Ohren führen ihn zu der Hütte. Hinter den Brettern war eben noch etwas wie Harfentöne, nun sind da die Stimmen einer Frau und eines brummbassigen Mannes.
„Strönebald ?“sagt Kunterkasten zu den Brettern.
Drinnen ist es still. Er pocht an die Bretter. Niemand antwortet, keine Saitenklänge. Seine Ohren können ihn getäuscht haben, seine Ohrmu-scheln sind glasig vom Frost. In der Ferne wird immer noch gesungen, auf einem fernen Schiff amüsiert sich ein Dudelsack. Kunterkasten tastet sich im Dunkeln zu der Luke, durch die sie alle so oft gespäht haben, das einzige Glas an der Hütte. Hinter dem es aber nichts weiter zu sehen gab als einen Vorhang aus Sackleinwand. Jetzt klopft er mit den Knöcheln dagegen.
„Strönebald !“
Hinter der Scheibe starrt einer zurück, der rothaarig ist. Seine breite Nase bekommt von der Seite her mattes Licht weil er den Vorhang hinter der Scheibe halb weggezogen hat.
„Schere Er sich von dannen !“
Die ganze Reise lang haben Schuff, Käpernick, Langebehn und alle die auf dem Floß fuhren, diesen Bretterverschlag aufgebläht zur Räubertruhe, zum Spukschloss, zum Kabinett eines geheimen Kuriers. Und nun schrumpfen diese
bubenseligen Hirnfürze auf einmal das Maß eines Scheiß- und Taubenhauses, aus dem der histrio primus herauskeift wie ein
Tagelöhner, der mit einer gestohlenen Pfeffermühle unterm Hemd ertappt worden ist.
„Fort mit ihm vom Floß ! Das ist ein Territorium, das ihm zur Nacht-zeit verboten ist !“
Ein Löwe, der sich den Fauxpas leistet aus einer Mausefalle heraus zu brüllen und damit die von ihm beherrschten Tiere zum Lachen bringt. Wie jetzt Kunterkasten. Der muss seine Hände und Füße mitlachen lassen und mit wüten, sie traktieren die Fluchtburg des histrio primus mit Tritten und Fausthieben.
„Ich werd ihm Mores lehren…“
Der Prinzipal entblödet sich nicht, seinen schützenden Stall zu ver-lassen, um seinen aufmuckenden Jungmimen beim Genick zu packen. Er muss höher hinauf fassen als es einem Löwen von Prinzipal ansteht.
Aber seine Wut wächst gerade an diesen zwei Handbreit die ihm fehlen, um Kunterkastens Genick zu erreichen.
Steht jetzt ein Kampf zu erwarten? Unter der Regieanweisung der Prinzipal ringt mit dem Insurgenten unter allen Anzeichen entfesselten Zornes und stößt denselben in den Strom ?
Die Szenerie wäre bestens vorbereitet, die Stämme sind günstig vereist, um beide darauf ausgleiten zu lassen, die Strömung ist angemessen dra-matisch hastig. Her also mit Ringenden, die ineinander verkrallt ins Was-ser klatschen und von der Strömung fortgerissen werden.
„Wir bitten den unverhofften Gast herein.“
Das kommt von einer Gestalt, die als schwarze Silhouette in der offenen Tür steht, ein silbernes Kreuz vor der Brust. Das wir ist ihr pluralis maiestatis. Nicht der Prinzipal lädt in die Hütte, sondern die schwarze Silhouette, die ihren Auftritt anlegt wie König Philipp im Richter von Zalamea, letzter Akt.
Die wahre Obrigkeit, die den Gewalttätigen als Tölpel dastehen lässt. Propodonsky, nun der Tölpel, lässt Kunterkasten sogar den Vortritt, damit der eine hingestreckte, sehr weiße Hand entgegennehmen kann.
An der der Ring ungeküsst bleibt, weil dem Pastorensohn Christian Asmus Fürchtegott nicht gesagt wurde dass der geküsst gehört.
„Mein Sohn…“
„Man redet die Dame mit Ehrwürdige Mutter an“.
Propodonsky hat sich im Rollenfach zum Souffleur heruntergestuft.
„Es ehrt dich, mein Sohn,„ lobt die Ehrwürdige Mutter “dass du unserm Kranken die Aufwartung machst.“
Die Ehrwürdige Mutter zieht die Tür zu, es strömt Eiseskälte herein, und hinten im Winkel hockt ein Kranker. Seine Arme hängen in seiner Harfe wie in einem Gitternetz. Aber er bringt ein müheloses Lächeln zu-stande, als er Kunterkasten sieht und greift ein paar Akkorde, die wie ein Vogelzwitschern klingen sollen : dank der Nachfrage, bin aus dem Gröb-sten heraus ! Und das in einem f-dur, wie für einen Frühlingsabend.
Der ferne Dudelsack der Franzosen antwortet.
Die Ehrwürdige Mutter hat Strönebald, als am Erfrieren war, mit The-riak geatzt nach altem Klosterrezept, heißer Suppe mit geröstetem Sem-melbrot darin und Butter, und ihn mit Kranewetswurzeln durch das Meer der Fieberanfälle geführt
„Wahrlich durch ein Meer. Er hat immerzu vom Atlantischen Ozean geradebrecht.“
„Hab ich ?“
„Du hast nach Amerika wollen.“
Und sich auf einen Schoner geträumt, woher hatte er nur das Wort, der ihn über den Atlantik trägt.
„Bin ich jetzt seekhank ? hast du mich gefragt.“
Und ob er die Schiffsreise noch durchstünde bis Boston oder Loui-siana.
„Die warten da schon alle auf mich, hast du gelallt. Sie schätzen da noch die Kunst der weißen Stimmen.“
Was sind das, weiße Stimmen ? Aber statt einer Antwort greift Strönebald in die Saiten, dass die Hütte dröhnt.
„Ich hoffe auf deine unendliche Güte und Barmherzigkeit hat die Ehwühdige Mutter mit mih gebetet. Ich kann meine Sünden nicht mehh ungeschehn sein lassen, aber beheuen kann ich sie, als dein unge-hohsames undankbahes Kind. Und schau, Kuntehkasten, um mich hehum ist schon wiedeh Licht.“
Er meint die Kerzen auf silbernen Kandelabern, die ihn umstehen wie einen Aufgebahrten. Und ein Kohlenbecken, wie Langebehn es verge-bens gefordert hatte, das nun Strönebald die Füße wärmt.
Die Prinzipalin hat kein Kohlebecken, sie muss dem Novizen die Füße mit den Händen rubbeln. Sie knetet ihm dabei den Rhythmus der Verse ein, an denen er sich versucht.
„Wenn Phöbus hell des Morgens weiht den Himmel / mit seinen hurt‘gen Beinen …“
Aber wer ist bloß Phöbus, kleiner Novize ? Und was ist Phöbus dir, abtrünniges Mönchlein? Auch Lucille de Brée kennt den Griechenknaben nur vom Hörensagen. Die in Mythengewölk verirrte Lucille, klandestine Niederschreiberin gischtender Großgefühle. Viel zu groß für eine klein-geborene Bretznerische. Die sie aber dennoch alle einmal selber verspürt zu haben glaubt. Und denen sie unter Mühen mit der Kielfeder hinterher geeilt ist, um sie im Kaninchenstall ihrer Bühnensprache einzubuchten.
„Wenn Phöbus hell des Morges den Himmel weiht / mit seinen flinken Beinen schreitend hin, den Tag eröffnend …“
Was für harte Sehnen das Mönchlein hat. Einen dürren Leib, verspannt von Kälte, Fastenriten und Gebeten, aber harte Sehnen. Wie gut der Phöbusmorgen zu ihm passt, wenn auch nicht so recht der Sonnenaufgang, in seinen zusammengebettelten Klamotten. Die immer noch aussehen, als trüge er eine Kutte.
Unter Lucilles rubbelnden Händen werden seine Zehen warm bis herauf zum Spann, und sie stellt ihn sich vor, wie er auf der Bühne aussehen wird, wenn das Rampenlicht ihn von unten beleuchtet.
Vorab seine bäuerischen Waden, die sie so erhitzen.
„…mit seinen hurt‘gen Beinen schreitend hin, den Tag eröffnend / auf-tuend auch den Sinn der Menschen tief dort unten / die nicht ahnen noch was der Tag für sie bereit hält …“
Sein Kopf ist noch immer geschoren, obwohl sein Kloster schon vor drei Jahren wurde. Er ist unschuldig treu, wo alle untreu schuldig sind. Nein, er ist nicht treu. Unschuldig allein ist ihr auch schon genug. Er genießt ihr Geknete an seinen Füßen und dass er ihre Verse sprechen darf. Er ist verführbar, aber er weiß es nicht. Ein junger Feldhase, der von der Fallenschlinge nichts ahnt, obwohl er den Drahtbügel schon um den Hals hat.
Dieser Hals ! Über den gehören eigene Verse gemacht. Erzen gegossen muss darin vorkommen, auch vorausgereckt schon ins Abenteuer das ihm erst noch soll begegnen. Der Hirsch gehört herangezogen, metaphorisch, der den Hals weit vor sich auskragen lässt sehniger Stamm daraus das Kinn wächst / Klüverbaum du eines kühn voraneilenden Seglers. Und was andere verstecken unter Perücken, Haarteilen, Zöpfen, mit Krägen, Jabots und Vatermördern verhüllen, stellt das Mönchlein unschuldig stolz zur Schau : Vermummte Krummlinge ihr / seht mit welcher Anmut dieser hier euch Jugend vorlebt in der Kraft des Säulenschaftes / welcher bestimmt ist ihm das Haupt zu tragen !
„Wenn Phöbus hell am Morgen…“
Wenn er es in den Mund nimmt, klingt es gegrüßet seist du Maria. Ein Singsang, um dabei einzuschlafen.
GegrüßetseistduMariavollderGnadenderHerristmitdir.
Der Litaneienton, den er im Kloster gelernt hat. Der Geist des Betenden schläft und leiert trotzdem weiter. So lange bis die Angebeteten erwachen, die das Gebet erhören sollen. Und das kann Jahre dauern, Jahrzehnte, Jahrhunderte, denn sogar die Jenseitigen duseln fort und fort bei diesem Singsang.
„Mach ichs recht, Frau ?“
Ach Knabe, wer Lucilles mit Herzblut Geschriebenes so warmherzig in den Mund nimmt, wie kanns der unrecht machen.
„Das sind so viele Wörter mit dabei, die wo ich nicht gewohnt bin.“
Und bemüht sich, nun gewärmt von den Füßen herauf, den edlen Geist zu rühmen der in dem Text west den er in seinen unwürdigen Mund neh-men darf. Gleich wird er fragen, wer ihn geschrieben hat.
Aber er fragt nicht. Was so hehr geschrieben ist, kann nur vom Heiligen Geist kommen. Überhaupt alles was geschrieben ist, kommt vom Heiligen Geist. Der hat der irdischen Feder nur die Hand geführt, schon weil der Heilige Geist sich schwer tut mit der irdischen Orthographie.
Und darum nimmt der kleine Mönch die Worte der Lucille de Brée in den Mund wie eine Hostie.
Neinneinnein, alles keine Pretiosen das, nicht doch, keine Zierstücke, bewahre, kein Tand wie Juweliere ihn feilbieten !
Gott ist auf der Flucht heutzutage und muss sich verbergen. Kunter-kasten begreift, dass die Ehrwürdige Mutter die Kisten meint, mit denen die Kajüte vollgestapelt ist bis unters Bretterdach. Das Fluchtgepäck Gottes. Messkelche und Monstranzen seien in dieser Kiste dort, Kuss-Tafeln in der Kiste darüber. Pyxen, Hostienbüchsen also, in der da und in der da. Ziborien und Aquamanilen in denen unterm Dach.
Benamsungen die bald niemand mehr verstehen wird, die Herren Staatskommissare einmal ausgenommen, die diese erlauchten Gerätscha-ften in ihren Inventarlisten stehen haben als wären es Zinnbecher. Und recht besehen sind die erlauchten Gerätschaften in den Kisten der Äbtissin auch nur Becher und Näpfe. Freilich vom Tische des Herrn, der nicht will dass Verschwendung geübt werde in seiner Kirche. Nicht Protz will der über da uns, Bescheidung und Armut will er, Wasser und unge-säuertes Brot.
Denn was bedeuten Wasser und was Brot ? Jesu Blut bedeutet es, das aus seiner Brustwunde geflossen ist um unsretwillen. Und das Brot bedeutet jene Semmel, die er beim letzten Abendmahl in den Lammbra-ten getupft hat und gesprochen nehmet hin und esset dies ist mein Leib.
Sein Leib ! In Ehrfurcht umfasst von einem goldenen Rahmen in der Monstranz. So ist es das Tafelgeschirr zu Gold geworden. Wegen dem Symbolischen, wiewohl es eigentlich immer noch Blech ist, wegen der Demut.
In der Residenzstadt dieses neuen, gottunseligen Königreichs stehen Gottes Tafelgeschirr jetzt auf den Schlemmertischen der Gottlosen. Der jakobinischen Stiefelauszieher, die Napoleon zu seinen Feldmarschällen gemacht hat. Die Ehrwürdige Mutter hört ihr Geschmatze bis hierher aufs Floß, sie hört ihr Herumgekratze auf den Tellern, die geschaffen wurden fürs Allerheiligste Abendmahl. Sie hört sie furzen auf Polstersesseln, die die mit den Messgewändern der Erzbischöfe bespannt sind. Sie sieht sie schweinigeln auf die Tafeltücher, die vordem auf Altären lagen.
Aber die Ehrwürdige Mutter hat die Perlen vor den Säuen gerettet. Wenigstens eine Handvoll. Und die Säue vor dem Säuischen in sich selber. Das Altarsilber vor dem Einschmelzen, die Paramenten vor dem Verbrennen und die Monstranzen vor den Altwarenverramschern, die Eheringe daraus machen.
„Nun geleiten wir das Gottesgeschirr den Fluss hinunter wie das Kind Moses im Weidenkörbchen“
Mit wir meint sie wieder sich selbst. Strönebald lässt dazu auf seiner Harfe ein zuversichtliches Andante hören.
„Und wird werden an einem glückhaften Gestade landen, Gott mit uns.“
Während die Sündigen ersaufen, ohne einen rettenden Balken unterm Hintern.
„Mit dieser Monstranz in den Händen werden wir landen. Und der Leib des Herrn wird uns weiter geleiten.“
Der Schein des Talglichts bricht sich im Gold der Monstranz und weil Strönebald es ist, der sie in die Hand nehmen darf, geistert über sein Ge-sicht eine dünne goldene Sternschnuppe. Um die Monstranz rankt sich Weinlaub, in dem Trauben hängen. Auf den Trauben sitzen Vögel und lassen es sich schmecken, und nach den Vögeln haschen grinsende Putten.
Man nehme wahr, lächelt die Äbtissin, wie ein solches Gefäß die Hände adelt die es halten dürfen. Die Finger greifen ganz anders zu als bei einem, sagen wir Bierkrug. Die flache Linke schiebt sich wie von selbst unter den Fuß, lässt die Monstranz gleichsam schweben, und der Körper schwingt dabei mit, die gravitätische Gestik überträgt sich auf die Arme, auf die Beine, auf den ganzen homo pauper, der Gott dienen darf indem er seinen Leib Messkelch trägt.
„Pulchritudo coelestis, Kindlein !“
Auch Propodonsky darf die Monstranz in die Hände nehmen. Er hat viel zu vierschrötige Pranken dazu, finden Strönebald und Kunterkasten, ohne es sich erst zuflüstern zu müssen. Er ist nur den Umgang mit grob kaschierten Requisiten gewohnt, bei seinen Auftritten stößt er sie von sich als wollte er sie auf den Kehricht schleudern, weit fort von seiner Person die der Mittelpunkt seines Theateruniversums zu sein hat. Man soll den histrio primus bestaunen und nicht seine Requisiten, aber –
Aber ? Kunterkasten und Strönebald sehen sich an. Der rex leonorum zeigt sich als fügsamer Messdiener. Gemessen langsam soll er sich bewe-gen, verlangt die Ehrwürdige Mutter, die Beine eng beisammen halten, kein Aufstampfen, kein Hin- und Hergewoge von Standbein auf Spiel-bein. Nicht einmal Mimik erlaubt sie ihm, die schon gar nicht. Denn der Held des Stückes, in dem der Prinzipal jetzt auftreten darf, ist diesmal nicht Propodonsky. Wie sonst immer. Der princeps spectaculi ist ein ganz Anderer. Er ist anwesend, aber er tritt nicht auf. Er ist kein histrio, aber er ist der primus, der Allererste von allen.
Propodonskys rote Haare, die er sonst unter schwarzen oder blonden Perücken versteckt, seine roten Brauen, seine Sommersprossen werden eins mit dem warmen Gold des Kelches. Und Kunterkasten, er kann nicht anders, muss seinem Prinzipal eine kleine Ovation bereiten.
„Dabei ist dieser Jungstier immer ein Widerständler zu mir gewesen.“
„Verzeiht euch. Man muss sich jeden Tag verzeihen.“
Auch Kunterkasten darf die Monstranz in die Hände nehmen. Vor ihm da oben in der Höhe sind alle hier unten gleich. Aber wer sein Gold tragen darf, ist gleicher. Und wer von ihm angestrahlt wird, ist selber erhöht. Der König von Baiern lässt Gottes Sonnenpracht einschmelzen und zu einer Krone umpfuschen die er sich dann nicht einmal aufzusetzen traut. Weil sie aus Raubgut vom Tische des Herrn geschmiedet ist. Pferdeäpfel ihm dafür auf den jakobinischen Quadratschädel !
„Wir aber verbringen Gottes Sonnenstrahlen dorthin, wo sie unter ihresgleichen sind.“
In ein Stift im Oberösterreichischen, flüstert Propdonsky Kunterkasten zu. Und mit diesem kleinen Löffelchen Vertraulichkeit, das der Prinzipal ihm zuträufelt, bringt er Kunterkastens Gemüts-See zum Überlaufen.
Der Kulissenwechsel vom eisigen Hafengelände herein in die Geheimnistruhe der Äbtissin, die Verwandlung des Prinzipals vom Türsteher zum Katakomben-Weisen, die Verwandlung der Bretterbude in eine Arche der Liturgie ist mehr als ein Christian Asmus Fürchtegott verkraften kann, Pfarrerssohn aus dem tiefsten Niederdeutschen
Und wenn nun auch noch Strönebald, der bereits Ertrunkene und dazu Erfrorene, grinsend ein Weihrauchfass entzündet und es Kunterkasten zum Schwenken gibt, damit er selbst die Hände frei hat, um auf seiner Harfe Läufe zu spielen, die sich nach levitiertem Hochamt anhören, wenns auf die Wandlung ( schon wieder Wandlung ) zugeht, und sich dazu eine Tiara aufsetzt, die sein abgemagertes Gesicht darunter aussehen lässt aus wie den abgefleischte Schädel eines ersäuften Märtyrers in einem goldenen Reliquiar -
Dann bricht in Kunterkasten der Sohn durch. Ein dankbarer Sohn, in den innersten Kreis des Mysteriums aufgenommen. Der Pastorensohn, der dem Vater Prinzipal alle Zurücksetzung und Nichtachtung verzeiht und nur noch Liebe und Anbetung ist. Wie gut dem Prinzipal die Monstranz doch stünde, hört er sich sagen. Wie sie ihn veredelt. Wie sie sein wahres Wesen leuchten lässt, wie sie…
Vorübung für den Auftritt vorm Kaiser in Wien, Kunterkasten.
„Und wir bezahlen die Passage zum Kaiser.“
Mit wir meint sie wieder sich. Aber die Konviktsschatulle ihres aufge-hobenen Nonnenstifts. Dabei küsst sie ihren Ring, wenn es schon sonst niemand tut, obwohl es uralter Christenbrauch ist.
„Qui tacet numen dei conticet.“
Lucille de Brée
Käpernick greift sich aus der Requisitenkiste gleich mehrere Waffen. Munition haben er und Kunterkasten keine und ihre Waffen haben keine Schlösser und keine Schusskanäle, sie sind einfach nur Eisentangen. Aber Hunger haben der jugendliche Held und der Komiker um so mehr, und der treibt sie in den Wald.
Der Wald steht voller Wild, weiß Käpernick. Er ist oft genug als Sir John Falstaff aufgetreten um zu wissen, wie sehr Wildbret den prallen Macker im hungrigen Fettsack wieder aufrichtet. Wie es den Mannskerl adelt, wenn er gerüstet geht, wenn Schwerter, um seinen Wanst gegürtet, beim Ausschreiten gegen seine Schenkel klatschen. Alle Kraft, die in den Klingen aufgestaut ist, ballt sich im Mannskerl zusammen, und der wird zum jüngeren Bruder von Nimrod und Herkules.
„Parbleu, wir kleinkleckern nicht, wir sind heute Herkules persönlich ! “
Kunterkasten ist auch Herkules und Nimrod und muss für beide die Lanzen schleppen. Das mächtigste von allen Schwertern aus Propodonskys Arsenal gibt Käpernick nicht aus der Hand.
„Bidhänder nennt sich das. Mit dem durft ich einmal sogar den Prinzipal kaltmachen. In einem Ritterdrama, in Neustrelitz.“
Den Schmierenjockel Propodonsky in seinem Blut liegen zu sehen, das war Theaterglück. Nun muss der Bidhänder Jagdglück verheißen auch für heute. Propodonskys Blut seinerzeit war ein roter Seidenschal, und der Prinzipal hat sich immer und immer nochmal in Zuckungen gewunden damals in Neustrelitz, um die Aufmerksamkeit von Käpernick fort auf sich selbst wegzuschinden. Aber Käpernick ließt den Seidenschal verschwin-den, das Blut des Prinzipals war alle, und Käpernick rammte den Bid-händer so unwiderruflich in den Schmierenjockel, dass Neustrelitz allein ihm gehörte.
„Vitichab und Dankwart die alemannischen Brüder von Benjamin Eph-raim Krüger, ein herrliches Stück, man hätte es en suite jeden Tag zweimal spielen sollen. Aber nein, ganze zwei Vorstellungen. Dann hat der Prinzi-pal es abgesetzt, ist ja einleuchtig warum.“
In einer Lichtung wird das mitgebrachte Arsenal auf den Waldboden geworfen und Heerschau gehalten über Schwerter, Spieße, Hellebarden und Dolche. Auch ein Schild ist dabei, falls ein Rehbock zum Gegenangriff übergehen sollte. Sie sind gerüstet. Wie aber das Wild angehen ? Heda Bache, empfange meinen Hieb ! ! Verharret Hasen ! Wenn du ein Mann bist, Hirsch, so biete deine Flanke !
Ein Wald ist erhabener, zugegeben, als ein gemalter Prospekt, der einen Wald bloß andeutet. Der Wald prunkt mit seiner Unergründlichkeit, während der Prospekt auf dem Theater nach ein paar Ellen regelmäßig einen Schlitz hat, durch den man in die Garderobe schlüpfen kann. Des Waldes Unergründlichkeit ist seine Grandeur und seine Tücke zugleich. Denn vor dem Theaterprospekt, auf den die Bäume nur aufgemalt sind, trifft man inmitten tiefster Waldeinsamkeit günstigerweise alle anderen Akteure an, die der Dramenschreiber dorthin bestellt hat. Ha wen seh ich dort nahen / so gänzlich unvermutet ! Und niemand im Publikum ver-schwendet einen Gedanken daran, dass es von der Garderobe in die Wald-einsamkeit grade einmal elfeinhalb Schritte waren.
In dem leibhaftigen Walddickicht aber lässt sich niemand blicken.
Also müssen sich Käpernick und Kunterkasten an die Spuren im Schnee halten. Aber welches Tier hat sie verursacht ? Und wie lässt sich an der Spur bereits erkennen, ob das Tier essbar ist, und wann ist es hier durchge-wechselt ist. Vor drei Tagen, drei Minuten oder drei Wochen ?
Und wenn es denn gelungen sein sollte, mit dem Speer des Antiochus aus der Tragödie Melinda das Wildschwein zwischen die Augen zu spießen – wie wird sich die Szene dann weiter entwickeln, hin zu einem günstigen Aktschluss für Kunterkasten und Käpernick ?
Sie verabreden, dass jeder einer Spur folgen soll, bis er das zugehörige Tier findet. Der Waffenvorrat wird geteilt, und jeder sieht nun aus wie ein wandelndes Zeughaus. Und vor allem heißt es, scharf entgegen Bühnen-brauch ha, man höre mich nahen ! geräuschlos sein, piano, pianissime. Unhörbar.
Wie es nur einer in der Compagnie kann. Strönebald.
„Glückauf bei der Jagd, Käpernick.“
„Komm mir heil wieder, Kunterkästchen.“
Lucille hat den Novizen im Heu entjungfert. Er hat sich nicht gewehrt, hat nicht nach der Muttergottes geschrien, auch nicht nach der eigenen. Er hat gehalten, was seine sehnigen Waden versprachen.
Nun schläft er sich aus. Lucille streicht ihm über die schwitzige Glatze. Sie ist stolz auf seinen Schweiß, sie nimmt ihn als Liebesgeschenk, er hat ihn für sie vergossen. Ihre Finger spüren, dass aus seiner Kopfhaut Stop-peln heraus spitzen. Zarte Stoppeln, wie sie zu seinem Kinder-Blond ge-hören. Aber eben doch Stoppeln. Er schert sich nicht mehr, er will kein mehr Klosterbruder sein. Sondern ein Weltmensch, und sie schreibt es ihrer Erziehung zu. Für die sie ihn eben in Klausur genommen hat.
Ihr Kopf sinkt in ihre geöffnete Hand, sein Mund springt auf, lässt eine kleine dicke Kaskade aus Speichel rinnen. Als sie ihm den Mund wieder schließt, bringt sein Rachen ein Krächzknurren hervor, das nach wütigem Hofhund klingt. Der Mund springt wieder auf, der Speichel rinnt wieder, er wendet den Kopf weg. Als sie ihn sich wieder zurück holt, spürt ihre Tochter hinter der Scheunenwand, dass da drüben ein zärtlicher Kampf vor sich geht.
Die Demoiselle wird eifersüchtig. Ihr hat die Mutter nie Zärtlichkeit zukommen lassen. Die Mutter gehört bestraft. Die Demoiselle sucht eine Lücke zwischen Brettern, findet sie, schiebt ihre Klauhand hinüber in das Liebeslager aus Heu, und vertraut ihren geübten Fingern, dass sie die Kleider der Mutter ausfindig machen werden. Hingeworfen ins Grummet, die Mutter wird nicht drauf achten. Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, her mit ihrem Mieder, drei Unterröcken, Strümpfen und Schuhen.
Aber ehe sie Beute machen kann, wird die Hand entdeckt und fünf Fingernägel fahren hinein. Der Rückzug hinter die Scheunenwand wird nicht von Schmerzgewimmer begleitet, sondern vom postkoitalen Gekicher der Demoiselle. Sie zerkichert den Beischlaf, den die Mutter gehabt hat. Wie heißer Wasserdampf stößt es aus ihr heraus, will zu keinem Ende kommen, und die Mutter muss dem Mönchlein die Ohren stopfen.
Wenn Kunterkasten wieder auf den Jagdkumpan trifft, hat Käpernick seine Beute längst schon gehäutet und zerwirkt. Auch zubereitet ist sie schon, ein Feuerchen brennt, und Kunterkasten wagt nicht, den Älteren, den Tausendsassa zu fragen wie er das alles angestellt hat. Umgeben von Holzvorrat, Fellfetzen und Propodonskys blutigen Schwertern sitzt Käper-nick und schmaust, gut käpernickisch..
Ein Wild, mit einer Hand zu tragen, baumelt auch an Kunterkasten. Aber Käpernicks Wild erheischt mehr Aufmerksamkeit. Obwohl schon fast verzehrt, ist es immer noch größer als Kunterkastens Beute, und der wird
( unter dramatischem Gemampf und mit dringlichen Gesten ) aufgefordert, sich einen Anteil daran zu sichern, sonst wird es gleich gänzlich in Käpernicks Bauch verschwunden sein, ohne je mit Salz, Öl oder Pfeffer gesalbt zu werden.
„Bloß als hors-d’oeuvre. Und danach deins als Hauptgericht.“
Welche Tierart Käpernick da verzehrt, will Kunterkasten aber schon wissen, ehe er zulangt. Die Katze des Flößers ? Käpernicks Gesten werfen den Zweifler mit beiden Händen hinauf in die Baumäste : was er ihm da zutraut ! Er solle einen Happen nehmen, ob der etwa nach Katze schmeckt, einem dürren Flößerbiest, das sich von Fischschwänzen und Kautabak ernährt hat ?
Kunterkasten, einen Schlegel in der Hand, rät weiter.
Fuchs ? Wildschwein ? Käpernick, kauend, damit er nicht reden muss, formt mit den Händen eine vierbeinige Kreatur.
Einen Luchs ? Einen Dachs ? Käpernicks hochgerissener Zeigefinger bestätigt dass ers getroffen hat. Und obwohl Kunterkastens Schlund erst Bedenken angemeldet hatte, mundet ihm das Wildbret nun doch. Wer Tierisches in sich eingehen lässt, und dazu noch ohne Öl und Salz und Salbei, räsoniert Käpernick, in dem aufersteht wieder der Urfreie des Goldenen Zeitalters.
Der Urfreie ? Etwa Wilhelm Tell ?
Getroffen, die ganzen Urigen aus den Ur-Kantonen. Denn nicht das Hausschwein, nicht der degenierte Stall-Ochse, nicht das schwindsüchtige Lamm sind die wahre Männernahrung und machen die Verdauungsorgane stark, sondern das Tier der Wildnis ! Das den Kampf fordert ehe es sich ergibt, Manntier gegen Tiermann. So wie dieser Dachs gotthabihnselig, der jetzt in seinem Magen rührt.
„Seinen letzten Bau bezogen hat, gewissermaßen.“
Wie Langebehn hat der Dachs sich gebärdet. Langebehn in seinen besten Momenten als Orlando furioso, du erinnerst dich. In Braunschweig. Eitel aber ritterlich !
„Den Bidhänder schon im Leib, hat der Rehbock noch einmal mit letzter Kraft – „
„Der Rehbock ? Eben wars doch noch ein Dachs“.
Kunterkasten soll da nicht kleinlich sein. Rehbock hin, Dachs her. Aber ihnen gegenüber steht ein Herkules, ein Nimrod von mir aus, mit was für Waffen in der Hand ? Propodonskys Requisiten. Beim ersten Aufprall aufs gegnerische Fell schon verbogen.
„Und mit sowas lässt der einen auf die Bühne, was sag ich, in den Wald.“
Ja wer sind wir denn.
„Trotzdem, auch die schwächliche Waffe wird zum starken Symbol. Wenn ein Mann eine Waffe in der Hand hat und das Tier ist unbewehrt, wird die alte Rangordnung der Natur wieder hergestellt, die Propodonksky uns vergessen machen wollte, und wir sind wieder Herren unserer selbst geworden durch die Ausübung des Waidwerks“.
Jagdrecht in den freien Wäldern ist Befreiung von Zwangsherrschaft, von Propodonsky und Gessler auf einmal.
„Den Brüdern gönn ichs, dass sie zusammen untergehn.“
Käpernick lutscht an den kahlen Knochen, das Fleisch daran hat er besiegt. Fett und Fasern pappen ihm an den Backen bis hinüber zu den Ohren, und der Wald um ihn herum wird ihm zum Dom der Freiheit. Er lässt Arminius den Cherusker hochleben, der über die Römer gesiegt hat wie er über den Dachs, und als er sich dessen letzte Fasern zwischen den Zähnen heraus stochert, auch noch das Volk von Uri.
„Von allen Völkern, die tief unter uns / schweratmend in dem Qualm der Städte / lasst uns den Eid des neuen Bundes schwören“.
Und wildert damit, schmatzend in Kunterkastens Revier. Der sich immer noch schwer tut mit dem Nichtbraten. Die Zähne zerlegen ihn brav, aber die Zunge leistet Widerstand.
„Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern / in keiner Not uns trennen und Gefahr.“
Käpernick wirft den abgenagten Knochen in feierlichem Bogen von sich. Sie sind Männer geworden im Wald, nicht mehr nur windige Mimen, die Sperenzchen machen vor jedem der sie bezahlt.
„Wir wollen frei sein wie die Väter waren“
Sie stehen lange. Jeder muss aufstoßen, der eine voller Behagen, der andere im Ekel.
„Eher den Tod als in der Knechtschaft leben.“
Kunterkasten presst sich die Hand vor den Mund damit er nicht brechen muss, als er Käpernick fragt :
„Und weißt du auch, wie Schiller die Szene weitergehen lässt ?“
„Sag.“
„Indem sie zu drei verschiednen Seiten in größter Ruhe abgehen, fällt das Orchester mit einem prachtvollen Schwung ein.“
Käpernick schluchzt. Mit dem Salz seiner reichlichen Tränen hätte er sein Fleischgericht würzen können.
„Wir haben kein Orchester. Und auch bald kein Feuer mehr.“
Her darum mit Kunterkastens Beute. Dem Hauptgericht, nach dem hors d‘oeuvre Ein Hase, weiß Kunterkasten, immerhin ein Hase, an dessen Hasentum kein Zweifel bestehen kann, denn es ist noch viel Balg dran.
„Ein recht dunkles Exemplar. Ein Nubier geradezu, unter den Hopplern. Und das mit weißen Flecken“
„Sein Winterfell. Im Januar haben sie Rammelzeit, da sind sie leicht zu überlisten.“
„Und, wie war dein Kampf ?“
Schneeknollen und Laub sind im Fell eingefroren.
„ Da war kein Kampf“. Kunterkasten schluckt. „Es war Aas.“
Er hat seine Beute aus einer Falle gezogen. Käpernick, ohne Ant-wort, päppelt mit dürren Ästen die Glut wieder zum Feuer hoch. Der Hase wird gehäutet. Mit einem Dolch, der auf Propodonskys Bühne bei der Ermordung Julius Cäsars gedient hat und dessen Schneide im Griff verschwindet. Es gehört Geschick dazu, die Spiralfeder mit einem Eisbrocken festzuklemmen.
„Wär doch gelacht. Wozu sind wir Komödianten.“
Kunterkasten braucht sich nicht zu schämen für sein gefrorenes Aas, das einen Hasen.darstellt. Hat je das Publikum dem Propodonsky den König Artus geglaubt, der Demoiselle jemand die Emilia Galotti ?
Das Tier, das nun bestattet wird in beider Komödiantenmagen dagegen war alles andere als ein Kulissenreißer, es war ein ehrlicher Bekenntnis-schauspieler wie sonst bloß noch der Schuff bei uns im Ensemble.
„Und der Braten hat schmeckt längst nicht so streng wie man immer sagt dass Hofhunde schmecken sollen.“
Indem sie zu drei verschiednen Seiten in größter Ruhe abgehen, fällt das Orchester mit einem prachtvollen Schwung ein, die leere Szene bleibt noch eine Zeitlang offen und zeigt das Schauspiel der aufge-henden Sonne über den Eisgebirgen.
Erst jetzt da sie den Prinzipal sehen, der sie gleich zur Rede stellen wird, schauen Kunterkasten und Käpernick auf ihre leeren Hände hinunter. Sie haben die Waffen aus seiner Rüstkiste in ihrem Jagdrevier zurück gelassen. Schlicht vergessen
Aber der Prinzipal, im Mantel Langebehns, in dessen unerforschten Tie-fen er Langebehns verschwiegenes Kapitalchen eingenäht weiß, stellt sie gar nicht zur Rede. Er späht hinunter zum Floß.
Die Tür der Hütte steht offen. Von weitem kann schon kann man es sehen, denn die Balkenlager sind abgeräumt und verkauft und Männer in griesgrämig grauem Tuch haben die Gaffer beiseite geschoben wie Gott das Wasser des Roten Meeres und einen erwartungsvoll leeren Raum geschaffen für einen großen Auftritt. Durch diese hohle Gasse muss er kommen fällt Kunterkasten ein, ganz ohne Strönebald.
Auftritt Ehrwürdige Mutter. Hinter ihr ein grauer Sergeant.
Keine große Geste, kein Pathos. Sie ist anzusehen wie eine Marktfrau, die alle ihre Rettiche verkauft hat und nur wer ( wie die Bühnenleute ) genau hinschaut, der bemerkt dass sie sich nicht von selbst bewegt sondern dass der graue Zweispitz hinter ihr sie vor sich herschiebt. Mit dem linken Arm. Mit dem rechten weist er ihr und den Gaffern wohin es gehen soll.
Kein Geraune, kein Gelächter, nicht einmal ein Grinsen, die Menge steht so grau wie die Monturen der Gendarmen grau sind. Nur ein Ochse brüllt als beschwere er sich, dass da eine hochdramatische Szene verschenkt wird, weil keiner einer Satz hat.
Der aufmüpfige Ochse gehört Gmeinwieser. Sein Vieh steht wieder vollzählig auf dem Floß. Aber nur Käpernick belacht dankbar den Einwand des Ochsen, der nach Possen verlangt, weil Possenreißerei Käpernicks Geschäft ist.
Alle, die die Hütte umstanden haben, trotten mit, die Uferböschung hinauf. Das stumme Gefolge wird durchpflügt – ausananda Leit, ausananda ! - von Gendarmen, die die Kisten aus der Hütte geräumt haben und nun zu je vieren oder fünfen den Hang hoch schleppen. Wie schwer die Kisten sind, hört man ihren Verwünschungen an. Kunter-kasten ist der einzige, der das Wort an die Äbtissin richtet.
„Ehrwürdige Mutter … „
Der Gendarm, der sie noch immer vor sich herschiebt, schiebt nun auch Kunterkasten weg, beiläufig, als mache er im Vorübergehn eine Stalltüre zu.
„Ehrwürdige Mutter, ich habe bei Ihnen großes Theater erlebt. Chapeau dafür, wie Sie Ihre Rolle gespielt haben.“
Sie spuckt nach ihm. Und trifft. Ihre Spucke gefriert an Kunterkastens Lippe. Der Prinzipal, an dem vorbei sie über die Kieskante geschoben wird, senkt den Blick und schweigt.
Seine Komödianten wissen noch nicht, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen haben.
Nebel über dem Fluss. Der Novize flüchtet aus dem Heuschober der Herberge, als würde auch er von Gendarmen verfolgt. Aber es ist niemand hinter ihm her als der beobachtende Blick der Demoiselle. Der mit seinen bäuerischen Waden, die pure Verheißung. Sie, die Demoiselle, hat ihn entdeckt und engagiert wegen dieser verheißungsvollen Waden, mit denen er dann ihre Mutter bestieg.
Nach ein paar Schritten bleibt er stehen. Es ist ihm bewusst geworden, dass er noch immer in Theaterkostüme gewickelt ist. In Damenkostüme, mehrere, wegen der Kälte. Er reißt sie sich vom Leib. Die Roben der Königin von Saba, der Medea und der Euryanthe bleiben im Raureif liegen. Er rennt weiter, in den Nebel hinein. Der kann durchfährt es die Demoiselle, auf dem Wasser gehen wie Jesus.
Obwohl ihm die Heiligkeit abhanden gekommen ist in dieser Nacht. Erst jetzt bemerkt die Demoiselle, dass die Donau zugefroren ist. Wenn sie beten könnte, würde sie darum beten dass das Eis dünn ist wie ein Blatt Papier. Und der Novize einbricht und ersäuft.
Sogar das Tuten des Stierhorns, die Antworten der anderen Schiffer klingen durch den Nebel wie durch gebauschte Schafwolle hindurch. Habt ihr gehört, sie haben sie in die Hauptstadt gebracht. Veruntreuung von Klostergut, neuerdings ein Offizialdelikt. Da kann man aufgehängt werden dafür. Alles gedämpft, alles wie durch Schafwolle.
“Oder derschossen. Im Winter is eh besser ma wird derschossen, weil im Winter friert der Strick steif und du hängst stundenlang lebendig rum in der Kältn.“
Das Floß liegt eingefroren an der Lände fest. Gmeinwieser, gedämpft nun sogar er, weiß dass das Zufrieren ein Fluch ist. Wenn es keine Frömmigkeit mehr gibt, die wo sich im Wallfahrten erweist, verhängt der Herrgott Blindheit über Mensch und Tier, so dass niemand mehr erkennen kann, ob das da vorn ein Wegkreuz ist, ein Apfelbaum ohne Laub oder der Gottseibeiuns persönlich. Und niemand mehr seinen Weg findet, Mensch, Tier und Floß. Aber Gmeinwieser sagt nichts ( wie sonst immer ) von einem jüdischen Machwerk, und dass sich hier Jud und Teufel da zusam-mengetan haben und den Christenmenschen ins Nichts führen um ihn abzubringen vom Pfad Gottes.
Gmeinwieser bezieht die verwaiste Hütte der Ehrwürdigen Mutter. Er hat dem Floßmeister dafür frisch eingenommenes Geld zugeschoben und hält die Flößer bei Schreckenslaune mit Erzählungen von Treidelpferden ohne Kopf, die bei Nebel urplötzlich am Ufer auftauchen und Flöße geradewegs in die Hölle ziehen.
„Denkts dro, der Fluss hat eier Opfer verworfen.“
Der Fluss hat die zwielichtige Mamsell nicht angenommen, sondern wieder ausgespien mitsamt ihrer Harfe. Der Fluss umhüllt den Gesichts-sinn der Flößer mit Nebel weil er drauf wartet, dass sie dadurch sehend werden, weitsichtig, weitblickend, und er sein zweites Opfer kriegt. Ein solides diesmal. Derweil sich das Weiwaz mit der Harpfn im Nebel ver-steckt hat und sich eins kichert über die tumben Floßknechte.
Paxvobiscum drauf und Amen.
Aber das Eis macht das Laden auch leichter. Auf Floß, das nun schmaler geworden ist, steigen Kavalleristen zu mit ihren Pferden, die Nüstern des einen Pferdes am Schwanz des anderen, so finden sie sich auch im Nebel zurecht, und der Dampf der Pferde vermischt sich mit ihm. Artillerie-Lafetten werden aufgefahren, das Vieh muss zusammenrücken. Es ist mehr Vih als zuvor, denn Gmeinwiesers Bestand hat zugenommen.
Mit dem Prinzipal ist auch der Generalpass der Komödianten abhanden gekommen, der ihnen bis zur Residenzstadt ausgestellt worden war. Und, wenn die Obrigkeit denn gewogen war, auch weiter. Der Pass mag nun in Langebehns Mantel mit dem Pelzkragen stecken, auf Propodonsky Reise werweißwohin, aber Lucille de Brée ist so gut wie eine Witwe.
In der Nacht mit dem Novizen hat sie seine heißen großen Kinderohren gestreichelt, und er hat ihr wieder und wieder versichert, dass er niemals bisher von Geschriebenem so tief ergriffen worden sei wie von den Versen, die er ihr verlesen durfte. Als ob sie die Seraphim aufgesetzt hätten, und er meinte damit die Schreibstube der Engel im Himmel.
Litaneiartig, immer wieder und unentwegt, zwischen ihren Küssen auf den blonden Flaum seiner Oberlippe. Bis sie ihren Lobpreiser am Morgen über das Eis davonrennen sah. An alle die Männer, die ihr Lager geteilt hatten war sie geraten, weil sie nach einem suchte, der ihr Geschriebenes begutachten sollte. Lucille war im Sternzeichen Löwe geboren, von der Sonne regiert, und im fünften Haus stand ihr eingeschrieben dass sie eben zur Schreiberin bestimmt sei. Auch ihr Vater war ein Schreiber, ein peni-bler dazu, aber seine Feder diente dem Magistrat in den Betreffs Grund-buchwesen, Rechnungsführung und Leibsteuer. Seine Unterlängen waren beträchtlich und edel geformt wie Damaszener Klingen, seine Oberlängen ragten wie Ritterspornstengel auf und sein Geschriebenes insgesamt war in seiner Regelmäßigkeit von Gedruckten kaum zu unterscheiden, zumal wenn er es in Fraktur ausführte.
Lucille aber war es nicht um Kalligraphie zu tun, ihr ging es um die Niederschrift von Selbsterdachtem. Der Vater jedoch, von Stolz auf ein schreibbeflissenes Kind weit entfernt, lobte sie zwar für die energischen Unterlängen, die sie von ihm geerbt hatte, und hieb sie elendiglich durch für ihren Hang, Personen, Sachen und Ereignisse zu erfinden die es im Lippischen nicht gab.
Will sagen, alles was nicht Protokoll war, galt dem Secretarius Bretz-ner, ihrem Vater, als unnützes Larifari-Gefasel mit dem Stigma des Ver-derbten. Dass seine Tochter kostbare Papierbögen missbrauchte, um ihre Dönskes darauf zu sudeln versetzte den Schreibervater in alttesta-mentarische Wut und die Mutter hatte allwöchentlich Lucilles Kammer auf Sudelzeug zu filzen und Beschlagnahmtes zu verbrennen. Bis sich kaum noch ( da fand die Durchsuchung bereits alltäglich statt ) Papier im Haushalt des Schreibers Bretzner befand. Und Strafen über Lucille ver-hängt wurden wie heute kein Nachtmahl und Sonntag nicht auf die Promenade !
Und endlich, als grimmigste Strafe, das Anfertigen einer standesgemä-ßen Aussteuer. Wenn Lucille da nun an den endlosen Ellen Weißwaren nadelte, bespannen sich ihr die ödweißen Gevierte der Tischtücher und Bettbezüge bleich wie Grabtücher und gefertigt für einen künftigen Gatten, mit Buchstaben, die dreist übers Weiß spazierten, sich zu Sätzen und Versen formten, und sie kicherte beseligt vor sich hin. Hör dir das an, sprach die Mutter zum Vater, sie findet sich ins Schickliche und delektiert sich am Weiberwerk.
Aber Lucille delektierte sich nicht an den Laken, sondern an der Dicht-kunst, ersann Sonette und kleine Epchen. und je enger ihre Eltern sie ein-schnürten, desto ungestümer brach ihr Fabulieren aus ins gänzlich Un-Lippische und noch weiter hinaus ins Dramatische, und es wurden Co-moedien und Trauerspiele daraus, und sie hatte Anlass, immer zufriede-ner zu kichern dabei.
Des Nachts übertrug sie ihre Erfindungen an einen sicheren Ort, nämlich auf die Seitenränder ihres Gesangbuches. Und siehe da, dort blieben sie unentdeckt, Paul Gerhardt behütete die Werke der jungen Kollegin.
Als sie den Aktuarius Klöfkorn, Lippischem Ratssubistiut Zweiter Klasse, diese heimlichen Poetereien sehen ließ, erblasste der und färbte sich zugleich rosafarben, was auch im Lippischen eine pikante Melange ergibt, welcher er das Bekenntnis folgen ließ, er sei kein Mann des Dra-matischen, habe das Theaterwesen schon als Jüngling gemieden, habe man doch allzuviel vernommen auch beim letzten Gastspiel wieder hihi von gewissen Eclats mit liederlichen Soubretten hihi, dennoch brenne er darauf, Lucille seinerseits einzuweihen in sein eigenes heimliches Dich-ten. Verwahrt im Bettkasten seines Logis, einer junggesellischen Mansar-de, denn sein schmales Salär verunmögliche vorderhand Verehelichung, im Falle einer so musischen Mamsell jedoch wie Lucille hihihihi und von gleich zu gleich von Poet zu Poetin, hihihihihi….
Und lief rot an, diesmal ohne vorher zu erblassen.
Dies sollte ihr eine Lehre sein, wie sie ihre Dichtwerke bestimmt nicht an den Leser zu bringen hatte, der, zumindest im Lippischen, nur allemal männlichen Geschlechts sein konnte. Und sie überreichte dem Helden-vater der nächsten durchreisenden Schauspieltruppe ihr Drama Thertos oder Die Wandlung in dessen Garderobe, weil die Sterne ( Steinbock im zehnten Haus ) ihr günstig waren.
Günstig freilich auch für Frau Venus ( im vierten Haus ) denn der Heldenvater entjungferte Lucille auf der Stelle. Ungünstig für das Schrift-stellerische, denn als der Heldenvater acht Wochen später als Lessings Nathan der Weise wiederkam, hatte er ihr Manuskript nicht nur nicht gelesen, sondern verschludert, wollte aber trotzdem wieder, diesmal auf einem zusammengerollten Hauptvorhang.
Beim nächsten Gastspiel ( nun in der Titelrolle von Gottscheds Sterben-dem Cato ) war ihm ihr jüngstes Werk wiederum unterwegs abhanden gekommen. Ungelesen. Lucille, die nun aber wusste dass der Heldenvater Wassermann mit Aszendent Widder war, gab ihr neues Opus ( Sarzo und Sarzone Ein Schäferspiel ) nicht mehr aus der Hand, sondern trug es, während sich der Heldenvater und Kollegen schminkten, beherzt wenn auch mit umkippender Stimme selbst in der Garderobe vor.
„Was kann das Mädel trefflich rezitieren !“ wurde gerufen und sie geriet unversehens auf den Personenzettel. Denn es traf sich, dass einer Darstellerin, die in drei Nebenrollen aufzutreten hatte, die Leibesfrucht derart im Bauch rappelte dass Lucille stantepede ihren Part auf der Bühne übernehmen musste.
Und die Dichterin zur Aushilfe-Mimin mutierte.
So war sie aus dem Lippischen unters Theater geraten, wurde aus einer geborenen Bretzner zur la Brée, von Luzie zur Lucille, von einer Pome-ranze zur Weitgereisten, durfte bei der Neuberin fünf Sätze aufsagen und unter Ekhof im Schweriner Hoftheater schon eineinviertel Seiten. Freilich stets fremde Texte. Die Lesungen eigener ( vor den Honoratioren, Skri-benten oder Stadtschreibern der jeweiligen Gastspielorte ) führten zu nie zu anderem als dass die Herren Zuhörer ihr am Morgen danach Nasch-werk hinterließen, Zuckereier oder Löffelbiscuits.
Wenn sie diese auf der Bühne verzehrte ( etwa als Gräfin in Miss Sarah Sampson ) wurde der Spender entlarvt, denn in der zweiten Reihe wurde aufgeschrien und die Biscuits unweigerlich von seiner Gattin iden-tifiziert. Die Kleinstadt hatte ihren Skandal, und es konnten somit glückhaft drei, vier Vorstellungen mehr angesetzt werden, wenn auch ohne Löffelbiscuits. Dafür lag am Morgen nach der fünften Vorstellung ein vom Zuckerbäcker verfasstes Drama neben ihrem Bett, in fünf Akten und mit Vor- und Nachspiel, und die Titelrolle war Lucille gewidmet.
Beim Gastspiel in Halberstadt lächelte ihr Fortuna verheißungsvoll aus dem Tageshoroskop heraus entgegen, denn die Sonne stand mit seiner weiblichen Poralität im Steinbock, und der Mond im Exil. Folglich huschte Lucille an ihrem spielfreien Abend zum Haus des weitberühmten homme de lettre und befahl sich zu warten, bis der Gefeierte zufällig ans Fenster träte und sie ebenso zufällig auf der Gasse ein Veilchenbukett verlöre.
Vor seinen Augen.
Er würde herausstürzen und statt des Veilchenbuketts ihr neues Opus auflesen, das sie flink gegen das Veilchenbukett ausgetauscht hätte, wür-de stutzen, rufen Ha ! Ein Drama ! und das weitere beschmunzelte sie schon jetzt im voraus.
Sei es nun, dass das Tageshoroskop bereits das Horoskop des darauffolgenden Tages war oder dass es nur für Städte galt, die vom Saturn regiert werden, mithin nicht für Halberstadt, der Weitberühmte zeigte sich Stunde um Stunde nicht am Fenster. Die Zeit, da eine weibliche Komödienspielerin sich auf öffentlichen Straßen ergehen durfte, verstrich und bald auch diejenige für männliche Komödienspieler. Als die Stadtwache ihren Patrouillengang auf- und die Drohung der Karzer-Einweisung und Stadt-Verweisung mehr und mehr Gestalt an-nahm, hängte sie sich ans Fensterbord, linste ins Innere des berühmten Hauses und musste sich strikt verbieten wieder umzukehren, als sie hinter dem Fenster so einschüchternd viele Bücher drohen sah wie sie noch nie beisammen gesehen hatte. Hekatomben von Büchern, Miriaden von Bü-chern. Wenn der Berühmte auch nur ein Zehntel davon gelesen hatte, würde er Lucille noch unter der Tür als leeres Blatt Papier erkennen.
Von drinnen aber war ihr Hereinspähen wahrgenommen worden. Die Haustüre wurde geöffnet, und sie warf geschämig ihr Veilchenbukett fort. Als ihr der Berühmte, Ersehnte, Erhoffte nun gegenüber stand, erkannte sie dass die vielen Bücher die sie so ängstigten an ihm ihre Spuren hinter-lassen hatten. Sie hatten seine Augen ins Innere gezogen, die Augäpfel standen wie umgedreht im Schädel und der Lectorissimus war mit Verglasung geschlagen.
Die ihn noch tiefer in seine Bücher-Katakomben hinabsteigen ließ, weil er draußen auf der ruchlosen Gasse beständig über Hühner, Hunde und Sänftenträger gestürzt wäre. Lucilles Lampenfieber milderte sich erst, als sie sich in den Gläsern des Dickbrilligen gespiegelt sah, und es wuchs zugleich, denn in ihrer Männergalerie waren Brillenträger bislang rein gar nicht vorgekommen. Geschliffene Augengläser waren höchst kostspie-lig, und die uneingestanden Kurzsichtigen unter ihren Bisherigen bekann-ten sich schon deshalb nicht zu diesem ihrem Gebrechen, hätten sie sich doch als Habenichtse entlarvt. Und die Theaterer bekannten sich sowieso nicht, aus berufswüchsiger Eitelkeit, einem Romeo oder Egmont passt kein Brillengestell auf die Nase.
Der Berühmte aber, der mit Herder, Wieland und sogar Goethe im Briefwechsel stand, rieb nun wegen Lucille seine Augengläser blank, um ihr Geschriebenes in Augenschein zu nehmen. Und ihre Handschrift ( no-tabene die Unterlängen ihres Lippischen Vaters ) zu belobigen bis sie ihm gestand, sie sei nicht wegen Kalligrafie hergekommen. Sie habe Vorlie-gendes auch selbst erdacht.
„Die Mamsell hat selbst….“
Und putzte seine Augengläser ein weiteres Mal, senkte sie noch tiefer aufs Geschriebene und, da er gebundene Sprache vorfand, skandierte er sich bei der Lektüre selber zu, mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand.
„Verfasst mit höchster Kundigkeit, wenn Mamsell mir gestatten dies zum Ausdruck zu bringen. Schlechthin maiestoso.“
Seine Lippen bewegten sich stumm, als er sich weiter voran las, seine Finger dirigierten dabei, bis die Rechte plötzlich in der Luft stehen blieb und sie einen Ausruf des Missfallens gewärtigte.
„Nein doch, nein !“
Das Herz gefror ihr.
„Nein, dieses Textgewebe erschließt sich nicht im partnerlos ab-geschiedenen Lektorieren. Wir sollten ihm die Ehre erweisen und es zweisam angehen.“
„Mit verteilten Rollen ?“
„Mit verteilten Rollen.“
Wofür es ja auch geschrieben war. Á la bonne heure ! In der Schrift-stellerei mochte Lucille Lehrmädchen sein, allenfalls Kleingesellin, in der Deklamation war sie Herrenreiterin.
Eine neue Kerze wurde entzündet, eine ausreichend lange für lange Lektüre, und nun ritt die Herrenreiterin par force den Foliantenblässling, der ihre Silben in den Mund nahm wie Lebertran, und ließ ihn rhetorisch über Gräben springen.
Ihre Gräben, tief und voller Wasser der Inbrunst.
Während er an ihren Versen kaute, mannhaften Tiraden kraftstrotzender Römergriechen, meldete sich in ihm kleinlaut das Bewusstsein, ein wie bescheidenes Dasein das Kraftstrotzende und ganz allgemein das Mannhafte in seiner Bücherburg bislang doch gefristet hatte. Seine Stimme wuchs daran, wie auch sein Schatten an den Bücherwänden. Nicht nur, weil die Kerze sacht herunterbrannte, sondern auch weil er sich reck-te und immer mehr streckte, aufgebläht vom Feuer ihrer Metaphern.
Zur Erwärmung Lucilles hatte er eine Karaffe bereitgestellt mit Holun-derwein, selbstgezogenem, wie er anmerkte, woher auch anderen Wein nehmen im Südharz, aber ihre Hochgefühle wallten gleichwohl auf wie von Muskateller, ungeachtet der Kälte des Südharzes. Wie warm ihre Hände seien, die Hände einer Dichterin von feurigem Gemüt, hauchte er und ob er die seinen an den ihren wärmen dürfe.
„Sie erblühen mir wie eine Petunie“ getraute er sich nun schon zu gestehen.
“Eine Petunie im Winter“.
Denn es war Februar, unter dem Sternzeichen der Fische. Nun getraute er sich bereits an ihr zu schnuppern, als ob sie diese Blume leibhaftig sei, petunia violacea, und schenkte weiter das Glas voll mit selbstgezogenem Holunderwein. Was das sei, eine Petunie ? Eine Blume von sehr weit her. Nachtschattengewächs. Brasilien. Lucille wollte wissen, wie sie aussähe, Lucille, als Blume.
„Das Fräulein wünscht eine Abbildung ?“
Das Fräulein wünschte, der Holunderwein moussierte in ihm. Die Bibliothek war allumfassend, die Bände zur Botanik allerdings fast so entlegen wie Brasilien, und das Fräulein möge ihm folgen. Die Kerze, nun schon kürzer, blakte an nimmer endenden Buchreihen entlang treppauf das ist die Metallurgie hier und nochmals treppauf das ist die Abteilung Religionswissenschaft und nochmals treppauf …
Obs ihr nicht auch genügte, wenn er die Petinie skizzierte auf einem Blatt Papier ? Zum Schreibpult also. Das Fräulein möge folgen, abermals treppauf. Als er aber endlich die Feder eingetunkt hatte, war ihm entfallen wie die petunia violacea aussieht. Zumindest die in Brasilien.
Sie nahm ihm die Feder aus der Hand, fantasierte eine Petunie, also sich selber aufs leere Papier, und wie Blütenblätter aus ihr sprossen, petunia felix, bevölkerte sich mit Käfern und gefiederten Raupen und einem Heuschreck mit langen brasilianischen Fühlern. Ehe er sich ein weiteres Mal die Brille geputzt hatte um sich in dem Heuschreck wieder-zuerkennen und mit Fühlern wie eine Brille, war die Kerze gänzlich he-runter gebrannt.
Ihre Hände, flüsterte er, fühlten sich nunmehr noch wärmer als vorhin da er diese Bemerkung bereits einmal gemacht habe, die seinen würden an den ihren schier verbrennen.
Allerdings nur die Hände. So dass die Frage sich erhebe ob sie ihre Temperatur nicht mit ihm teilen wolle, dergestalt, dass sein, mit Verlaub, gesamter Adam mit derselben beschenkt werde. Als er diesen Adam nun umständlich zu befreien begann von Leibchen, Unterziehpantalons, Wa-denwärmern, all den Schutzwällen wider die Kälte des Südharzes, genoss sie nicht nur die Nach-und-nach-Enthüllung eines berühmten Skribenten sondern vor allem seinen Geruch nach Südharzer Kernseife.
Zum allerersten Mal roch einer ihrer Bettgesellen nicht nach wo-chenaltem Schweiß, Fußkäse, angetrocknetem Bier, Abschminke und talgigem Hodensack. Dieser Kandidat hier roch nach Saubersinn. Im Zentrum seines Körperdufts war rein gar nichts, dies aber als ein säuber-liches Nichts. Und drum herum Kernseife, und noch weiter drum herum der Duft von unendlich viel Papier, frisch aus der Papiermühle, gewalzt aus jungem Pappelholz.
Er war gesegnet mit dem Parfüm einer Buchseite. Bücher waren die Wollust schlechthin gewesen für Lucille als sie noch ein eingesperrter Backfisch im Lippischen war, Bücher raunten und schnurrten hinter der Mauer der neunhundertneunundneunzig Sünden. Bücher waren wie fer-nes Matratzenquietschen aus dem Serail. Außer der Bibel und dem Lip-pischen Handelsregister hatte nichts Gedrucktes Zutritt gehabt in ihrem Elternhaus. Nun roch sie, warum. Papierduft war Verführungsduft.
“Jetzt, Fräulein, halte ich bereits den Blütenkelch in der Hand“ sagte er. Er meinte der Petunie.
Und als er sich nun an die weitere Aufgabe wagte, auch eindringlich zu werden, kam Luille um die Erkenntnis nicht herum, dass der Berühmte in ihr ein Erstlingswerk zu verrichten sich anschickte. Und dass es ihr oblag, ihn umsichtig hinzuleiten zum Schauplatz seiner Bemühungen.
„Und ich halte den Blütenstengel“ sagte sie. Und meinte nicht die Petunie.
Als endlich die Ergießung vollbracht war, wusste noch nicht dass auch eine Zeugung vollbracht worden war, über der Mars und Venus günstig standen in dieser Nacht. Aber das bloße peut être, dass sie als Dichterin den Sohn eines Dichters austragen dürfte, der mithin ein gedoppelter Dichter würde, erhellte ihre Sinne wie ein Kometenschweif und das Licht ihrer Fantasie fiel wiederum auf petunia felix, einen Dschungel von sich aufstülpenden roten Petunien, rot und feucht wie Schamlippen und der Regenwald im Gran Sasso.
Unten wurde ein Kutschenschlag zugeworfen und dann die Haustür.
“Liesegang, wo steckst du denn ?“ rief jemand in der Diele.
Ihr Bettgenosse fuhr auf, mehr als zuvor nach Kernseife riechend und frisch gewalztem Papier.
„Liesegang ! Warum hast du nicht geheizt ?“
Lucille stellte sich schlafend als er aus dem Bett glitt und nur noch die Kernseife blieb. Er fand sogar noch die Zeit, ihr mit einer neu ent-zündeten Kerze ins Gesicht zu leuchten, ob sie auch sicherlich schliefe, als sein Herr drunter ein drittes und viertes Mal Liesegang ! rief, immer ungehaltener.
Während Lucilles Gespiele die Treppe hinunter stürzte, ja wortwörtlich stürzte, denn er wusste das Anziehen seiner Hose und das Abwärtsrennen nicht ersprießlich in eins zu bringen, so dass sein Herr ihn, den Stür-zenden und erst teilweise Behosten, am Fuß der Treppe auffangen muss-te.
Nun freilich lachend, denn Liesegang dauerte ihn wie er auch Lucille dauerte. Die bereits ihre Kleider gerafft und sich davongestohlen hatte. Erst draußen, als sie in der südharzischen Winterkälte die letzte Öse einhakte und ihrem Gespielen beim Ofenschüren durchs vereiste Fenster zusah, sah sie dass auf dem Schreibpult noch immer ihr Manuskript lag. Aufgeschlagen beim dritten Akt, siebente Szene.
Es erschien posthum unter des berühmten Hausherrn Namen. Als, so beklagten Herausgeber und Rezensenten, Johann Wilhelm Ludwig Gleims einziger Versuch im Theaterfach. Hätte er doch wie das exemp-lum erweist, das Zeug zum richtungweisenden Dramatiker gehabt.
Porpora dagegen ! Er roch nicht nach Kernseife und schon gar nicht nach Papier. Über seine Herkunft verweigerte er Lucille ihre ganzen gemeinsamen Jahre lang die Auskunft, und der Raubierduft seiner Fremdheit verlor sich nie. Kam er aus dem Baltischen ? War er Wirtssohn aus dem Westfälischen ? War er Sohn einer großen Stadt oder zwischen Ackergäulen geworfen worden ? War er ein illegitimer Spross einer Für-stenfamilie ? Welchen Aszendenten sollte sie für ihn annehmen, im Trigon zu Lilith ?
Porpora oszillierte in allen Farben und Sternbildern, beglückte sie in allen vorgestellten Rollen und Herkünften, versetzte sie mit allen seinen Personalitäten in Erregung. Als abgemusterter Kriegsmann, gewesener Tierbändiger, entlaufener Priester, verkannter Prediger oder als Steuer-mann eines Schoners, der in durchwachten Nächten ums Kap Hoorn herum seine Begabung als Menschengestalter erkannt hatte. Sie hätte - meine Epiphanie ! - neue Tierkreiszeichen erfinden müssen, um Porporas geheimnisvolle Erscheinung zu fassen,
Und weil er seinen Geburtsort ebenso für sich behielt wie den Geburts-tag, pendelten sich ihre astrologischen Mutmaßungen ( nach anfänglichen Versuchen mit Löwe und Wassermann ) beim Sternbild Stier fest. Die er aufs befriedigendste einlöste, breit von Brust, stinkend aus allen Talgdrü-sen, dauerschwitzend, stimm- und rammelkräftig, und Bücher ließ er allenfalls gelten, um sie unter seine Schuhsohlen zu legen damit er größer erschien, wenn er hinter einem Tisch stand.
In der Höhe hätte ihm der Theatergott ein paar Zoll mehr gewähren können. In einer fremden Compagnie, die nicht auf seine Ordres zu hören hatte, wären die Heldenrollen folglich für ihn rar gewesen.
Aber dieses Organ ! Es glich die Statur mehr als aus. Diese Röhre ! Wie ers selbst benannte, tiefstapelnd. Diese bronzene Glocke, wie Lucille sie bibbrig beschrieb, auf tiefes f-moll gestimmt ! Jedenfalls in der ersten Zeit der schleckenden Verliebtheit, ja Verfallenheit. Die begann, als sie hinter der Bühne Zeugin wurde, wie er sich das schwarze Trikot des Todes, mit aufgesteppter weißer Rippenleiter bis hinunter zum Nabel aufriss und seine triefende haarige Brust entblößte. Der Schweiß dampfte aus dem Totenschwarz und schlug sich auf Lucilles verklärten Gesicht nieder. Auf der einen Brustseite das Knochengerüst, auf der anderen seine kochende Fleischlichkeit, überwölbt von seiner Stimme, die aus dieser brusthaarigen Region aufstieg und in der beides mitschwang : das Irrlichtrige des Knochenmannes und das Viehische des Mannmannes.
Lucille, seine Schweißtropfen auf den Backen und selber in Hitze geraten, strich rechts mit den Fingern über die aufgenähten Rippen, links über seine schwitzeschmierigen Bauchmuskeln.
Und es war um sie geschehen.
Porpora wars ! Denn damals nannte er sich noch Porpora, einem on-dit zufolge aus Parma vertrieben, und Lucille hatte damit einen zuverlässigen geografischen Ort, an dem sie ihre astrologischen Luftfäden festzurren konnte. Sein Aszendent war derselbe wie der des Augustus und Porpora im nachhinein der Römer in allen Dramen, die sie lange vor seinem Auf-treten schon intuitiv für ihn geschrieben hatte. Sie hatte nur noch nicht gewusst dass ihr Römerheld so römisch aussehen würde wie Porpora.
Zu seiner Gefährtin erhöht, schrieb sie ihn nun so nieder, wie er sich selber sah und gesehen werden wollte. Ödipus bekam die Tonnenbrust von Porpora, El Cid stand auf Porporas Beinen, kurz aber mit ausla-denden Waden gesegnet , Alexander der Große warf seine Jamben über seine Griechen hin mit Porporas Stimme, Orlando furioso gestikulierte mit Porporas Armen, Graf Norrington warf das Kinn in die Höhe wie Porpora und wurde damit zum britischen Römer, Arminius der Cherusker zog die roten Brauen kraus.
Und sie alle zusammen fanden so schnell kein Ende, wenn sie einen Monolog begonnen hatten. Weit vorn an der Bühnenkante, die Rampen-beleuchtung warf dämonisches Unterlicht auf Porporas Jochbögen und Kinn, und während er seine Sätze in die Reihen schleuderte, fasste er diesen und jenen ins Auge, als sei seine Suada ausdrücklich an desen ganz Bestimmten auf dem Parkettplatz 34 gerichtet.
Die dermaßen festgenagelte Person wagte keinen Schnaufer mehr. Kein Hüsteln, kein Ruckelchen, nicht einmal zwei Finger trauten sich mehr schützend über seine Augen. Wenns einen Mann traf, fühlte er sich beim anschließenden Applaus zwar schweißgebadet, aber als Mittäter geehrt. Wenns eine Frau traf, wurden nach der darauffolgenden Vorstellung Rosen in der Garderobe abgegeben, in Vorausfreude auf ein Wiederfix-iertwerden am nächsten Abend. Was die Rosenspenderin bitter zu bereu-en hatte, denn bei der Aufführung am nächsten Abend wurde nicht mehr sie, sondern eine Zielperson in Reihe drei von Propodonskys Blick malträtiert, zweiter Sitz von außen. Ein Schwerhöriger, der bei Propo-donskys Monolog eingeschlafen war.
Die Kollegen hatten derweil weit hinten zu stehen, bewegungslose Versatzstücke, fast an die Leinwand des Prospekts gedrückt, damit sie vom Parkett aus wie kleinwüchsige Dünnlinge wirkten. Und niemand da unten gewahrte, dass der Prinzipal, princeps spectaculorum, Schuff nicht einmal bis zum Schlüsselbein reichte.
Niemand in der Compagnie ahnte, Strönebald als Souffleur ausgenom-men ( und auch der erst allmählich ) wem die akkurate Handschrift ge-hörte, in der das Repertoire der Truppe reinlich zu Papier gebracht war. Auf neues Papier, ohne Eselsohren und Dazwischengekritzel.
Immer die selben Oberlängen, wie Rittespornstengel, immer die selben Unterlängen, wie Damaszener Klingen. Immer die selbe Tinte, ob sie nun von einem sonst unbekannten Charles Ratroit de LaCuif stammte, einem Sir Henry Shornourk oder den Dichterbrüdern Renato und Donato Barba-gallo.
Lucille erfuhr in den Jahren mit Porpora, der immer mehr zu Propo-donsky verkam, dass er vor allem Stimme war, die Stimme des vielleicht Gastwirtssohns, gestählt in der heimischen Wirtsstube. Kein Rauch konn-te ihr etwas anhaben, keine Gelärme Betrunkener und auch nicht der Mief von Kohlsuppe. Vielleicht aber auch die Stimme des Steuermanns, der gegen den Wind geschrien hatte, des verkannten Predigers einer längst ausgetriebenen Sekte oder eines Tierbändigers, der seine Löwen brüllend Mores gelehrt hatte.
Aber eben nur die Stimme. Propodonsky war nur bei sich selber, wenn er seine Stimme orgeln ließ, durch ihre Register hindurch donnerte. Das Drama, dem er seine Stimme lieh ging ihn nichts an. Er war der rex leo-norum in den Vokalen, Konsonanten und Tönungen die seine Rolle verlangte, jenseits davon war sein Reich zu Ende. Der Vorhang hätte fallen können, wenn er abging, und wärs im ersten Akt. Was das Schreibweib ausfantasierte, mit der er das Lager teilte, war ihm Hekuba wie der Samen, den er in sie schüttete, ( sein ständiger Begleiter als Sinnspruch, dabei wusste er nicht einmal mehr, aus welchem Stück er sich die Hekuba gemerkt hatte ). Wie auch die Föten die durch ihn in ihren Bauch gerieten alle Hekuba hießen, ob Mädchen oder Knaben. Alle erblickten sie das Dunkel des Kanalrohrs statt das Licht der Bühne.
Ein einziges Mal hat Lucille durchgesetzt, ein Kind ausgetragen. Er setzte dafür ihre Stücke auf den Index, neun Monate lang, spielte Gott-sched und betrog sie mit der Jugendlich Naiven. Damit er nicht auch sie verstieße wie zuvor ihre Stücke, legte Lucille den Säugling, einen Kann-ben, einem Posamentenmacher in den Hintergarten, den sie eigentlich nur hatte betreten wollen um darin Pflaumen zu stehlen.
Ihr Weg zum Drama drehte sich um. Wenn sie als Mädchen bei der Näharbeit gedichtet hatte, so legte sie nun die Feder aus der Hand und nähte. Sie hatte gelernt, dass Schauspieler die Texte hassen, die sie in den Mund nehmen müssen, und Lucille wollte doch geliebt werden von ihrer Compagnie. Die für die Premiere am kommenden Samstag eine Gene-ralsuniform brauchte, eine Priesterrobe, einen Krönungsornat. Es mussten Vorräte aus alten Fensterportieren angelegt werden für künftige Krö-nungsornate, zerschlissene Bettbezüge umgefärbt zu künftigen Hoftrachten.
Und genäht, genäht, genäht. Die Erfindung neuer Figuren und Stücke verschwand für Lucille in Abnähern und Innensäumen. Hat Shakespeare seinem Othello je einen Rock geschneidert, hat Lessing dem Nathan einen Knopf angenäht, hat Kotzebue zerrissene Kniehosen geflickt ? Und wer, wenn das Stück abgespielt war, wusch die verdreckte Garderobe ?
Langebehn bestand auf täglich sauberer Garderobe, sonst trat er nicht auf. Das Durchgeschwitzte in Ballen geschultert, musste Lucille in die Waschhäuser und auf die Waschschiffe, um mit Schmierseife die Roben der Könige, Helden und Götter zu schrubben. Und die Hand-werker-frauen und Bürgermägde reckten die Hälse Igitt was schleppt die denn für Plünnen an ? Nisten da nicht Flöhe drin, Blattern, und Krätze ? Und wie ist es mit der Syphilis, man hört doch allgemein, Wanderkomödi-anten lassen die locker in ihrem Unterzeug logieren, weil sie vor lauter Verworfenheit immun dagegen geworden sind.
. Und wenn die Wäsche auf der Bleiche lag, die Göttertoga neben den Hemden des Seilermeisters und den Nachtjacken der Droschkenbesi-tzersgattin, wenn auch deutlich abseits wegen der Schicklichkeit : Ich zähle und zähle schnatterten die Bürgerfrauen dann, aber ich könnte beschwören ich hab fünfundzwanzig Stück ausgelegt und nun sinds nur noch siebzehn. Meine Rede, schnatterten die anderen, man hört doch allgemein Wanderkomödianten sind noch mehr ruckizucki im Klauen als wie die Zigeuner.
Propodonsky, princeps spectaculorum, gefiel sich, wenn er seine Auf-wartung bei den Honoratioren einer Stadt machte, in der Rolle des heim-lichen Poeten, der sein Repertoire eigenhändig zimmerte, was aber unter bitte uns bleibt, und unter der Maske vieler Pseudonyme auch noch der rex leonorum der Bühnendichter war.
Wie sein Kollege Molière oder Dergewisseda da am Weimarer Hof.
Bei Propodonsky war der Weimarer stets nur Dergewisseda. Ein dilet-tierender Jurisprudent in der thüringischen Provinz. Sein Götz, gewiss eine passable Partie, ich habe sie achtzehnmal gespielt, aber dieser Herzog da in der thüringischen Provinz hatte Dengwissenda auf einen Theaterthron erhöht, der eigentlich Propodonsky zustand.
Und Lucille versickerte in sich selbst. In den ersten Jahren an Propodonskys Seite verschwand sie aus den Rollen der Liebhaberinnen, dann aus denen der Königinnen. Dass sie nun im Rollenlosen dahinvege-tierte, dafür hatte sie sich selber zu danken. Heldenmütter nämlich hatte sie, als sie noch jung war, in ihre Stücke hineinzuschreiben vergessen. Sogar selbstverfasste komische Alte und weibliche Wurzen fehlten ihr nun. Sie war nur noch in der Rolle der Gewändermagd besetzt, die in den Abnähern von Figuren herumkroch, die sie vor Zeiten erfunden hatte.
„Meine Blume“ schnurrte er, wenn sie ihm sein Kostüm auf den Schminktisch legte, “du hast noch immer Hände wie Samt.“
Und holte sich diese Hände unter das Kostüm, das sie ihm gerade genäht hatte. Nur noch ihre Hände, nie mehr sie selbst. Und schickte sie mit Klaps wieder an die Arbeit. Meine Einzigartige wird mir wieder ein Kostüm zaubern für den Macbeth, ich möchte ihr jetzt schon die Füße küssen dafür. Wenn er auf der Bühne dröhnte, längst ohne sie, und sie in der Garderobe schneiderte, wurde diese Garderobe wieder zum Wä-schezimmer ihrer Eltern im Lippischen, in dem sie an ihrer Aussteuer na-deln musste, nur viel schäbiger. Je weniger Zärtlichkeit er ihr gönnte, desto weniger gönnte sie ihm Text. Sie wünschte ihm Rollen die schon auf Seite vier oben endeten, durch Meucheltod.
Ja, du bist ein besessener Theatermann, Propodonsky, ein besessener Theatermann, ein besessener Theatermann, ein besessener Theatermann, ein besessener –
Das Wort besessen verursachte ihr schon lange Übelkeit. Ihr Gatte, ihr Inhaber, ihr Nicht-mehr-Liebhaber lebte nicht. Er agierte nur, besessen von der Erhöhung seiner selbst. Er umgab sich mit seinem Ensemble nur deshalb, weil er nicht allein den ganzen Text lernen wollte. Er hätte sich bei seinen Irrfahrten von der einen Erfolglosigkeit in die nächste Erfolg-losigkeit genausogut vor seinen Schminkspiegel stellen können und sich einen runterwichsen.
Lucille schaute in kein Horoskop mehr, Mars war allerwege im Krebs und im Fall. Der Fortgang der Zeit war allein daran zu ermessen, dass der Ihrige sich nicht mehr auf die Seinige warf, Lucille, sondern auf ihre Tochter. Ein rammelnder Philipp August Theophil, unbekannter Abkunft und bekannter Finessen. Kein princeps spectaculorum mehr und kein rex leonorum.
Und so gesehen gönnte sie es ihm, dass er vor aller Welt ihr Werk als das seine ausgab.
„Öha“.
Des Floßmeisters Ein- und Alleswort, in dem er weitverzweigte Ge-schichten raumsparend zusammenzieht, an denen andere, mit dem Maul Geläufigere, Stunden zu erzählen hätten. Öha bedeutet zuvörderst wir sitzen fest im Eis und sind festgefroren. Was dagegen zu tun sei, das erspart er sich mit seinen drei Buchstaben öha, es ist nämlich gar nichts dagegen zu tun und auszurichten, öha, außer geduldig warten und im-merweiterzu warten. Und dabei den Kautabak wandern lassen von einer Backe in die andere.
Mögen andere Opfer darbringen und wildfremde Zuchtln ins Wasser schmeißen öha ! im Glauben, der Flußgott frisst sie und gibt dafür das Wasser frei zum Weiterfahren. Der g‘standene Flößer aber wartet in holzgeschnitztem Gleichmut, bis das Eis ein Einsehen hat. Und sich verzupft. Weil nämlich die Strömung unter ihm arbeitet, an ihm rumpelt und schleckt, der Fluss hört ja nicht auf zu fließen, weil das Eis auf ihm hockt, es bricht ihn auf in Schollen bricht und auf einmal ist ein Eisstoß da. Ein verkantetes Gebirge von Blöcken, das für das Floß noch gefährlicher ist als die glattgefrorene Eisdecke. Man muss Stämme aus dem Floß lösen und sie als Eisbäume vor das Floß legen, damit die Blöcke daran abrutschen.
Wenn man Geduld hat und immer wieder Tabak zwischen die Zähne stopft ( schon damit die Verfluchungen dessen der eine solche Erzsauerei erschaffen hat gedämpft werden ) kann es geschehen, dass das Eis brüchig wird, der Stoß abfault, wie der Flößer sagt, und das Floß sich durch offene Rinnen seinen Weg keilen kann.
Öha !
Was dabei auf dem Floß im Weg steht, liegt oder gestapelt ist, muss eiligst für sich selber sorgen, sonst genügt ein weiteres Öha und es plumpst gnadenlos in den Strom. Wie die Kiste mit den Requisiten der Schauspieltruppe, die schon halb darin versunken wäre, wenn Schuff und Käpernick sie nicht gerade noch herausgezerrt hätten.
Um sich gleichzeitig selber zu retten vor den Floßhaken der Knechte, deren Stöße zwar dem Staksen durch die Eisfurt gelten, aber auch auf ihrer beider Knie zielen.
„Öha !“
Blasius muss nicht mit einem Öha beiseite gestoßen werden. Blasius liegt weit weg draußen auf dem Eis. Bäuchlings, dort wo die Strömung Wasserrinnen in die Schollen gerissen hat. Blasius ist ganz seinem Spiel hingegeben. Wer wie seine Mutter am Ufer steht, kann durch den schlie-rigen Nebeldunst sehen wie er sich freut, dass ein Klumpen Holz ihm zuliebe auf den Wellen schwimmt. Sobald aber die Wellen den Klumpen mit sich fort spülen wollen, quäkt er unwirsch und angelt ihn sich zurück Dass er einen Haltestrick drum binden könnte, darauf kommt er nicht.
Aber ein Haltestrick würde sein Vergnügen mindern. Denn dass sein Spielzeug sich ihm entzieht ( er treibt es mit einem kleinen Stecken an wie einen Holzkreisel ) dass er um sein Spielzeug immer wieder bangen muss, lässt ihn vor Spannung gibbeln, trenzen, jubeln.
Der Stecken treibt an, die Angst ums Verlieren steigt ins Uner-messliche, als aufgeregter Seehund auf dem Trockenen robbt Blasius hinterher. Wird er sein Holzstück mit letzter Mühe noch erhaschen ? Oder wird es entschwinden und entschwimmen, ihn allein zurück lassen ?
Blasius wirft sich bäuchlings hoch, wenn sein Spielzeug auf den Wellen hüpft, und sein Hintern hüpft mit dabei. Die nächste Eiskante hält sein Spielzeug auf und er frohlockt und quiekt, weil es bei ihm bleiben will. Um es gleich wieder mit dem Stecken anzutreiben, damit es ihm wieder entwischt.
Die Strömung wird eiliger, das Entwischen auch. Seine Dickhändchen erreichen den Holzklotz nicht mehr. Blasius wird nun gänzlich zum Seehund und gleitet ins Wasser. wo das Holz ihn schon erwartet. Es lässt ihn auf sich reiten, sein Hintern hüpft wieder in die Höhe, aber nun ist keine Hose mehr darüber.
Wer auf dem Floß oder am Ufer steht erkennt, dass es kein gewöhn-licher Holzklotz ist, auf dem Blasius reitet.
„Frau Eeeeeeeeengel !“
Nass vom Eiswasser, glänzt das Weiß und das Gold auf dem Schnitz-werk. Die Wunden, die die Säge ihm gerissen hat, sind vom Wasser aufgeschwemmt und verfärben sich ins Rotbraune, wie Blut. Der Engel des Engels dreht sich um sich die eigene Achse in der immer schnelleren Strömung, Blasius dreht sich mit ihm.
Aus dem Wasser heraus, ins Wasser zurück, aus dem Wasser heraus. Und Blasius jauchzt.
„Gut tun….liiiiiiiieb….“
Nun ist Blasius wieder oben, liegt auf der Brust des Engels, hält sich an seinen weißen Gewandfalten fest, seine Zunge stößt in den Engelsmund, der sich ihm weit öffnet. Ein Stengel von einem Umfang der dem Kleinen nicht zuzutrauen war, glitscht an dem weißen Holz entlang, aber da unten will sich nichts öffnen.
Sein Kolben zittert blöd und rot in den Himmel.
„Liiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieb….“
Der Engel lächelt. Seine üppigen Lippen, sinnlich geöffnet, haben immer schon gelächelt, und es war für himmlische Seligkeit zu halten. Nun aber erweist sich, der Engel hat immer schon darauf gewartet von Blasius geritten zu werden, und nun lacht er frei heraus in irdischer Wollust.
Und Blasius tut alles, dem Engel wohlzutun, seine weißen Hinterbacken, nur ein wenig rosiger als das Weiß des Engels, glänzend vor Wasser, ploppen auf und nieder, auf und nieder, sein Gesicht ist violett vor Mühe und Verzückung und sogar die Flügel des Engels scheinen nun weiter gespreizt als vorher. Sie pflügen wie Flossen durchs Wasser lenken ihn und seinen Reiter in ein Rinnsal, das immer breiter wird. Der Engel pflügt sich dem Floß voraus, das Floß arbeitet sich hinterher, die Stangen der Flößer stoßen die Eisschollen beiseite.
Die Mutter ist starr wegen dem was ihr Sohn vor aller Augen begeht, sie verwünscht den Engel, ertappt sich bei der Sünde, einen Engel des Herrn zu lästern und verdammt sich sogleich dafür. Als sie nur noch den Kopf des Engels aus dem Eis ragen sieht und nicht mehr ihren Sohn, springt sie auf die Schollen.
Nicht mehr grinsen sollen die Flößer, sondern mit ihren Stangen nach dem Blasius angeln Das Kind muss jetzt unter ihr sein, so schnell kann es noch gar nicht abgetrieben worden sein, die Floßknechte sollen ein Loch aufmeißeln mit ihren Stangen. Das Eis rollt, gibt ein bedrohlich-ungnä-diges Knurren von sich, es grollt, es knurrt wie ein Hofhund der gleich zubeißt.
Da schaltet sich Gmeinwieser ein.
„Basius is das Opfer an den Fluss. Und der Fluss nimmts o.“
Kein Lamento jetzt, der Herrgott hat entschieden.
„Da g’hört si Buße und net Flennen, Weiberts.“
In das Weiberts steckt er seine ganze Verachtung und verschleift es bis zum angeekelten Weiwaz,
„Weil Geflenn ist Hoffart gegen den Herrgott da drobn.“
Lucille zieht die Mutter vom Eis wie einen Sack. Ihre Füße schleifen durch den Reif, der auf dem Eis liegt.
„Tu Buße. Sonst triffts uns noch alle.“
Alle, das sind die Zeugen der Unzucht des Blasius. Gmeinwieser sagt eilends die verfügbaren Gebete her, damit nicht noch mehr Verhängnis ausgeschüttet wird. Wer soll es schon sonst tun, es ja kein geweihter Priester mehr aufzutreiben. Der Viehhändler springt in die Bresche der Gottesabkehr, in nomine patris et filii et spiriti sancti, und die Flößer stehen dabei und ziehen ihre Hüte.
Zum Dank, dass das Eisopfer angenommen wurde, das der Himmel eingefordert durch Verhängung plötzlichen Frostes. Und Dank dass Floß wieder in Fahrt kommt durch eisbefreite Gewässer.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
Der Leichnam des Blasius wird unter der Eisdecke dahin treiben, ruhelos, unbestattet, in unheiligem Abwasser statt in heiliger Erde, hinab hinab die große Vielvölkerrinne ohne Stillstand und ohne Erbarmen, unter den namenlosen Gründlingen selber namenlos zwischen dem Gewusel der Schmerlen, der Bitterlinge, der Nerflinge und Zingeln und Schleien und Schlammpitzgern und Rotaugen, ein verwesender Mitwanderer der Wan-dermuscheln und Molche und Wasserspinnen, Kaulquappen, Schlammschnecken, Kugelmuscheln, Wasserlinsen der fauligen Verdammnis, abge-schieden durch die Eisdecke vom Blicke Gottes und seiner Gnade, lässt der doch zu Schwemmgut verkommen was sich seiner gütigen Hand entwunden hat, so wie den Pfaundler Kaspar, der Teufel sei seiner Seele ungnädig, der Gmeinwieser hat ihn gut gekannt, ein Viehdieb ist er gewesen ein hundsheiterner und ein Brandzeichenfälscher, die zusammen gegaunerten Münzen in seinen Taschen haben ihn aus seinem nixigen Leben gezerrt hinunter in die Donautiefe, in die Düsternis des Fluss-grundes, schwarze Seele in schwarzes Wasser, justament vor die Mäuler der Welse, die zu schwerleibig sind um es mit der Strömung aufzunehmen, unter den Planken uralter Schiffswracks lauern sie auf Beutefleisch das zu ihnen hinunter sinkt, Blutegel ringeln sich als Bärte in ihren bösen Grinsgesichtern, die Blindheit ihrer winzigen Äuglein erspart ihnen den Anblick ihrer eigenen Hässlichkeit, vor Gier verbeißen sie sich ineinander, Gier-Wels in Gierwels, das lilane Blut das dann aufschießt saufen die Mollusken, die gespensterbeinigen grünspanigen Krebse säbeln sich ihren Anteil davon weg, zersäbeln die Beute, die abgesoffenen Hunde und Schiffsleute, vorgegerbt vom finstren Grundwasser, nur die Sehnen ver-schmähen sie, speien sie aus, und die flattern, zerfasert wie Efeustrünke, Miesmuscheln setzen sich ihnen fest, machen die zerrissene Kehle eines Ruderknechts zu ihrer Heimstatt, verschnürte Gefangene die man vor Zeiten in den Fluß geworfen hat, finden keine Ruhe im Tod, stoßen Verwünschungen auf ihre Ertränker aus die als Blasen zur Oberfläche steigen, in der Sommerhitze platzen und Miriaden von Stechmücken und Moskitos aus sich entlassen, durchbohrte Hunnen strudeln neben ihnen her, die Reisigen Etzels, römische Legionäre mit eingedellten Helmen auf den moosigen Schädeln, Janitscharen aus irgend einem Feldzug der Türken den sie schon damals nicht verstanden, denn Janitscharen, der türkischen Sprache nicht mächtig, haben niemals irgend etwas verstanden, paukend, blasend, die Schellenbäume schlagend waren sie dem Heerhaufen voraus marschiert wie es die Order verlangte, in ihre riesigen Tuben blasen sollten sie und die mannshohen Schellenbäume rühren und die Kesselpauken schlagen auf dass die Feinde sich entsetzten und Reißaus nähmen schon vor der Schlacht, und die Janitscharen marschierten, die Janitscharen bliesen, die Janitscharen rührten die Schellenbäume, aber die Schlacht war weit von ihnen fortgerückt, der Heerhaufe hinter der Janitscharenkapelle war längst abgeschwenkt, die Befehle des osmanischen Generals verfehlte sie denn sie waren ja des Türkischen nicht mächtig, aber die Janitscharen marschierten weiter, trommelten, bliesen, schellenbaumten, marschierten stracks hinein in die Donau, ertranken nicht vor lauter Pflichtgefühl, mar-schierten nur langsamer nun voran, aber dass sie gegen die Strömung an-kämpfen mussten nunmehr, machte ihnen das Lärmen nicht leichter, die Strömung schob sie dahin wie Rollkiesel und immer weiter fort, die Schellenbäume hallten nicht mehr, Tang umschleierte die messingnen Plättchen, die Pauken dröhnten nicht mehr, Aale laichten darin, die Tuben erschreckten nur noch die Weißfische, glagolitische und orthodoxe Mär-tyrer, an Holzkreuze gefesselt, mischten sich zwischen sie sowie Ketzer, mit Steinkreuzen um die Hälse, die sich noch immer begeiferten, die Gesichter entstellt von Bigotterie, Grundschwämmen und Medusen, die Fußknochen calvinistischer Prediger, die die Habsburger hatten ertränken lassen, verhakten sich im Strudel von Grein, aber die Strömung trieb ihre übrigen Leiber fort stromabwärts, überwachsen von Schwimmfarnen , und zog sie in die Länge bis hin zur Stadt Budapest, wo die Gerippe sich verhakten mit anderen Gerippen, die Strömung lagerte Bettkästen in ihnen ab, Sudkessel, Rüstungen, Speere und Gewehre, Brat- und Kriegsspieße, ins Eis eingebrochene Hirsche, Scheiße und abgetriebene Föten, und die giftige Waschlauge der großen Städte ließ aus alldem neue grausige Wesen aufwuchern woraus wiederum die Gliedmaßen der Ertrunkenen ragten. Das schwemmt und schlammt und schludert sich hinunter ins Ungarische, zu den Hunnen, durchs Eiserne Tor, in die Walachei, in die Dobrudscha zu den Türken, den Ungläubigen die unsrer aller Abmurksung im Sinne haben just bei denen entlädt sich das in die Sickergrube, ausgespien in das schwärzeste der schwarzen Meere. In den Sudkessel, in den Suppentopf des Antichristen woraus es keine Auferstehung geben wird am Tag des Jüngsten Gerichts, denn nichts steht in der Offenbarung des Johannes dass da jemand heraufgeholt wird aus der großen Kloake, dem Abtritt der Osmanen und Tataren. Selbst dem Weltenrichter, dem Gütigsten der Gütigen, grausts vor dem pestilenzialischen Gestank der daraus aufsteigt. Denn, dessen sei der Christenmensch eingedenk ( so führt Johann Baptist Gmeinwieser aus ) die Donau ist ein Weib, eine Schickse von der Rasse der Lilith, welche aus der Heiligen Schrift hat gestrichen werden müssen. Der Ursprung der Donau ist ein unauffindbarer, weswegen ihre Länge von der Mündung her gemessen wird. Die Nullmarke bezeichnet den Ausfluss und die Mündung für den Quell genommen, mithin die Wiege, und es soll niemand ihm, dem Gmeinwieser, kommen und leugnen, dass dies eine Perversion ist von Anbeginn an, strömungsmäßig gesehen. Wie aber erst, wenn das tückische hurige Weib Donau sich umwendet und ihre Fluten stromauf strömen täten, wenn die Pelikane der Donaumündung auf einmal über München kreisten auf der Jagd nach Aas in der Residenzstadt des neuen Königreichs. Denn wie in eine Flöte verkehrt hinein vermag der Gottseibeiuns zu blasen, um die letzten Rechtgläubigen zu ersäufen in Abwasser.
Lucille de Brée und Notburga stehen umarmt. Die Bäuerin hält noch immer die Faust in den Mund gestopft, weil sie sich nicht traut ihren Schmerz laut werden zu lassen, und schon gar nicht den Jammer über den Tod in der Todsünde der Unzucht.
Lucille beneidet sie um ihren Schmerz weil er Notburgas eigener Schmerz ist. Lucille hat immer nur fremde Schmerzen hinausgeschrien. Verletztheiten von wildfremden Leuten, die sie nur obenhin kannte, weil sie sie selber auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. Cyclana oder Lukrezia, längst verwichene Römerinnen, die vorgaben, sich unter etwas vor Leid zu winden, das bereits in Blankverse verpackt war, während sie verhustet vor einem verhusteten Publikum auf einem schlecht beleuchteten Bretterpodium standen. Weit hinten, denn der histrio primus, Verursacher dieser Leiden, beanspruchte wie stets den Platz vorne an der Rampe. Fremder Schmerz vor fremden Leuten.
Die Bäuerin aber beißt die Klage über den Schmerz, der ihr eigener ist in ihre Faust. Und schweigt, bis auf ein gurgeliges Greinen, das tierisch in ihrem Kehlkopf rumpelt.
Wehe dem der dahingeht im Stande der Todsünde.
Lucille setzt es auf ihre eigene Rechnung. Das Kind der Bäuerin, das in Todsünde verstarb trotz seiner Unschuld, kommt ihr nun wie ein eigenes vor, in dem ihre abgetriebenen Föten sich zusammenschließen und sie ansehen mit dem Gesicht eines Mongoliden.
Des Blasius Hinterlassenschaft wird zusammengetan. Seine gute Joppe in der er vergebens auf Wallfahrt war. Seine Gebetbücher, in denen er nicht lesen konnte. Die geweihten Amulette die alle nicht Kraft genug gehabt haben sein Gebrechen von ihm zu nehmen. Seine Zähne haben die Heil-beutel zerbissen, weil er sie für Würste hielt, die Gebetszettel mit den Anrufungen der vierzehn Nothelfer, von denen auch sein Namenspatron Sankt Blasius einer ist, hat er durchgelutscht und seinen himmelsässigen Paten damit verstimmt, und die Ledertäschchen mit Steinbockhörnern und Schlangenschwänzen, zermahlenen Palmzweigen, Eberwurz, Dotterwurz und Lab-kraut, die ihm nachts unter die Schultern gebunden wurden, hat er statt ihre Wunderkräfte durch seine Poren aufzunehmen, mit seiner Schwitze durchmantscht.
In all dem dem Heiligen und Geweihten, mahnt Gmeinwieser, stecken unabgerufen und unbenützt noch immer unermessliche Kräfte. Während Notburga es in dem Segeltuchkasten verstaut, in dem sie schon Blasius ver-staut hielt, um den Makel der Missgeburt vor der Welt zu verbergen. Bei der Schwarzen Madonna von Altötting will sie beisetzen, was von Blasius hinterblieben ist. Vielleicht verrechnets die wunderschön prächtige / Hol-de und mächtige / Himmlische Frau ihr mit der Bußlast, die sie zu erbringen hat. Stellvertretend für Blasius selber, damit seine arme Seele nicht umherirren muss und als Irrlicht oder als Kröte unter einem Feldkreuz hocken und auf Erlösung warten.
Gut Blut und Leben / Will ich dir geben
Lucille de Bree, geborene Bretzner mit weichem B voran wie in Soubrette, gelernte Comoedienspielerin, leidend unter Liederlichkeit und der Absenz von Müttertugenden, schließt sich ihr an.
Als die beiden Frauen den Segeltuchkasten über den Schnee ziehen, poltern darin die Amulette und Heilbeutel. Die Segenskräfte werden durchgeschüttelt, als läge Blasius noch zwischen ihnen, steifgefroren.
Der Bauersfrau ist das ein ungutes Geräusch. Es ist ihr tröstlicher dass der Bub in der Strömung versenkt und versorgt ist. Am End hätte er, wäre er noch am Leben, die Muttergottes von Altötting und die anderen Herrschaften noch kopfscheu gemacht mit seinen Rechenkünsten.
Ich reise in die Ewigkeit / Wo komm ich dort einst hin ?/ Wohin der Weg am Ende führt / auf dem ich jetzo bin.
Langebehn
Der breite grüne Inn hats pressant, er stürzt sich con brio bei Passau, kurz vor der Grenze, in die schmale dunkle langsame Donau. Er stürzt sich auf die Donau, die ihn ins Österreichische hinüberträgt.
Eine gesunde Auffrischung, freut sich Gmeinwieser. Ein Strom, der ein Mannskerl ist, hupft drauf auf ein träges weibliches Gerinnsel, eine weibische Dahinschleicherin. Als ob ein markiger Stier eine träge Kuh bespringt und sie zum Trächtigwerden zwingt. Das Kalb, das dabei entsteht wird ein erzgesundes sein, wie Gmeinwieser es gern verkauft und das einen erzgesunden Stammbaum begründet. Er spricht das gesund mit einem x am Anfang so aus, dass es klingt wie der Hieb mit dem Beil im Schlachthaus.
Der Inn führt ein gesundes Wasser. Ein Wasser das wo über Rollkiesel gereist ist von seinem Anbeginn als Quelle her, das ist ein heilkräftiges Wasser. Weil es immerzu Sprünge hat vollführen müssen. Hupferer. Wie auch der Jordan ein xundes Wasser gewesen ist. Und wer hat nicht gelernt auf der Floßreise, dass Johann Baptist Gmeinwieser mit beiden Beinen im Jordan steht bildlich gesprochen, vastehngaS mi und dass dabei auch noch das Auge Gottes auf ihm ruht.
Denn wie hat Gott gesprochen seinerzeit bei der Taufe in diesem xunden Gewässer ? Das ist Gmeinwieser an dem ich mein Wohlgefallen habe.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
An da Grenz, sagen die Österreichischen. En frontière, sagen die Bairischen. An der Grenze stehen sich Königlich bairische und kaiserlich österreichische Uniformträger unfreundlich gegenüber. Als die Passpa-piere vorgewiesen werden müssen, schafft sich Gmeinwieser mit seiner Geißel Bahn durch das Gewimmel von Vieh, Passagieren und Grenzern.
„Habe die Ehre, ihr Hundling, ihr ausg’schamten.“
Er schart die bairischen Beamten mit seinem Geplausch und Gelächter um sich, formt sie zu einer Runde, als hätte man im Wirtshaus schon seit Stunden beisammen gesessen. Und als die bairischen Beamten Gmein-wiesers Lachen übernehmen, lockt das auch die österreichischen herzu, die von seinen Anekdoten ebenfalls ihren Anteil abkriegen wollen als zollfreie Zuwaage.
Oben am Ufer kampieren Truppen, die französischen Geschützrohre sind gegen die österreichischen gekehrt, Wachsoldaten vertreten sich frierend die Beine, lauschen aus ihrer Höhe herunter was da Unter-haltsames zum besten gegeben wird. Gehen aber leer aus, wenn Gmein-wieser freigiebig um sich streut, was der Bauer selbigsmal zur Zenzi g‘sagt hat und wie der Rossdieb gepfiffen hat und wie der Spitzbub sich vor dem Galgen gedrückt hat und der Henker dumm geschaut hat, und die Beamtenrunde kommt wie im Wirtshaus aus dem Lachen nicht mehr he-raus.
„Und da sagt der Herr Hochwürden von der Kanzel runter : Zentum draadentum‘…“
Die neu dazu gekommen sind, wollen die Pointe der vorigen Ge-schichte hören, die Umstehenden wollen die begonnene Geschichte fort-gesetzt haben, Rossdieb steht gegen Zentum draadentum. Gmeinwieser, bedrängt wie er ist, sieht sich außerstande die Beamten mit Spassetln zu bedienen wenn er so viele amtliche Schriebe dabei in seinen Händen halten muss, die Herren möchten ihn bittschön entlasten solang, aber nix durcheinanderbringen, gell.
Sie lachen, sie halten die Papiere, sie wollen weiter lachen.
„Also, was hat der Jud g‘sagt ?“
„Nebbich, sagt der Itzig zu mir…“
Eine neue Anekdote drängt sich in den Erzählfluss, und auch die nächste, Gmeinwieser erinnert an seine Papiere an. Er hat sie in vielen Händen verteilt sieht, weiß nicht mehr in welchen. Dabei soll das Amtliche doch endlich erledigt werden. Aber ein paar hintere Beamte sind mit dem Zentum draadentum noch nicht durch, kurz vor der Judenpointe muss Gmeinwieser abbrechen und die Rossdieb-Geschichte noch einmal aufwärmen. Neue Beamte drängeln sich dazu, Gmeinwieser schwört, ihnen allen Genüge zu tun.
Zentum draadentum also hat der Herr Pfarrer gesagt als er sich bei der Sonntagspredigt auf den Entenbraten gefreut hat der ihm gleich aufgetischt würde, aber seine Haushälterin, die Zenzi, saß ergriffen von eben dieser Predigt in der Kirchenbank und da -
„Nebbich, sagt der Itzig, was leid ich von Hämorrhoiden…“
Man möge ihm seine Papiere zurückgeben damit alles fein seine Ordnung habe, bitte auch das schwarze Portefeuille, da sind die vetrinär-medizinischen Zertifikate drin. Aber diese Lappalie könne doch später erledigt werden, lachen die Beamten, dringlich sei jetzt das Zentum draa-dentum, und Gmeinwieser lässt die verschiedenen um ihn versammelten Idiome moussieren.
Wenn er einem Beamten den Linzer anhört, nimmt seine Anekdote eine linzerische Wendung, bei einem Tiroler wechselt er ins Inntale-rische, bei einem Straubinger rutscht der Witz über den Postwirt mit dem Zipperlein, der mit den Blutegeln auf dem Hintern flieht, ins Niederbai-rische. Und sein Erzählchen von dem Viehjuden, der ihn jüngst hat übers Ohr wollen, lässt sie er in Krems spielen, und dann -
„Und dann war da no der Huberbauer von Krems, und wia si der in Wien s’erste Mal in a Freudenhaus neit raut hat -“
Was, in ein Freudenhaus ? Das wollen alle hören, der Kremser auf kremserisch, der Passauer auf passauerisch, zuletzt fügt Gmeinwieser für den Mariazeller noch eine speziell steirische Pointe hinzu, bis die Beam-tenschar, nun in Lüsternheit vereint, vor Geilheit faucht. Und als er sie alle festgezurrt hat an der Angel seines Witzes, sammelt er beiläufig seine ungelesenen Papiere ein und schärft ihnen ein auf diese Bagasch da auf dem Floß blicke, o Auge des Gesetzes !
Weil, denen ihr Häuptling ist bei Nacht und Nebel verduftet, die Legitimationspapiere genauso, wenn da je welche waren. Der junge Blonde ist ein Napoleonsjünger, frage nicht was der für eine geheime Mission hier im Feindesland auszuführen hat, wo die Franzosentruppen schon hinter der Grenze bereit stehn, womöglich auf seinen Pfiff lauern zum Einmarschieren. Zwei sind Wilderer, der Lange im Pelerinenmantel ein eingefärbter Jud, das Weibsbild eine diebische Zuchtl, der Gwam-perte ein Viehdieb.
Und wenn die Herren Visitatoren jetzt mehr gezählt haben als bloß vier von der Bagasch, so haben sie dennoch recht gezählt, denn ein jeder von vereinigt in sich so viel Frevelei dass so viel zählt wie eine ganze Räuberbande. Die sie auch sind, nach eigenem Bekenntnis, ausgerüstet mit Schwertern und Spießen, sie haben einen ganzen Kasten voll davon.
Paxvobiscum drauf und Amen.
Der Floßmeister lässt das Floß in die Flussmitte rangieren. Pio-nieroffiziere vom 3.Füsilierregiment Erzherzog Carl haben der Besatzung die Baumstämme unter den Füßen weggekauft, wer jetzt noch darauf herumsteht, steht auf Widerruf auf des Kaisers Grund. Artilleriestel-lungen müssen eiligst errichtet werden, Barrikaden, Ställe für die Kavallerie, Pontons für schnelle Übergänge für den Fall der Franzos greift no gaacher o als dem Generalstab eh schon schwant.
Und am Ufer warten und winken Bürger von Freinberg und Kaufleute aus Engelhartszell, ganze Familien, ihre Habe steht verpackt neben ihnen, der Napoleon wird sie ihnen wegnehmen, exproprieren heißt das bei denen da drüben. Sie suchen eine Passage Linz oder gleich nach Wien, und halten Zettel hoch mit den Summen die sie dafür bieten.
Der Floßmeister begrinst es.
Frischer Kautabak, erste Ware aus der Walachei, im Balkangeschmack fermentiert, wandert geruhsam von der einen Backe in die andere. Seine Arbeit ist getan, braune Fäden laufen über sein Kinn. Es wird durch-gemustert, wie viel Ware noch auf dem Floß lagert, das es bald nicht mehr geben wird. Gmeinwieser lässt ein Boot zu Wasser, niemand hat vorher bemerkt, dass es auf dem Floß war. Wer ihm zur Hand geht, den wird großzügig Trinkgeld zuteil. Ja, er hat seinen großzügigen Tag heute, zeigt großzügig goldene Stiftzähne, die vorher auch niemand bemerkt hatte. Sein Viehbestand ist rentabelst in Liquidation gegangen, und der Herr Teitelboim, gepriesen sei auch er als sein associé, hat ihm seine Rinder überschrieben.
Und, während er im Boot Platz nimmt, den Münzkasten unter der Ruderbank, lobpreist er noch Noah und den Bund der Tüchtigen, seid frucht-bar und mehret euch und füllet die Erde.
Und wie er die Erde füllen wird ! Vorab die alte Monarchie, weil in der Gottes Ordnung noch Geltung hat. Die alten Gewichte nicht durch das jakobinisches Kilo scharlatinisiert sind, ein Pfund stellt immer noch eh-renvoll ein Pfund dar á siebenkommasechs Lot oder dreiunddreißig Quentchen vor dem Angesicht Gottes. Ja, da ist noch die Handschrift des Allerhöchsten dahinter, der Tüchtige darf unterm österreichischen Kaiser noch selber gestalten was ihm eine Ware wirklich wert ist, und nicht nach fremdem jakobinischem Diktat. Und die Mutter Maria lächelt darauf her-nieder mit dem Gesicht der Kaiserin Maria Theresia und segnet mit ihren gnadenreichen Händen Ware, Händler und Gewichte.
Und als er sich schon anschickt, die Ruder zu ergreifen :
„Hörtsas ? De Glocken derfn läuten wann‘s wolln im Kaiserland !“
Damit rudert er sich davon. Nach ein paar Schlägen lässt er die Ruder und knattert mit seiner Geißel. Langlangkurzkurzkurz. Von der Lände her antworten andere Geißelschnalzer, von mehreren Viehpletten her, ein Konzert in vielen verschiedenen Stakkato-Rhythmen.
Gmeinwieser hält mit dem Boot auf den Geißelschnalzer zu, der ihm mit seinem eigenen Signal geantwortet hat, langlangkurzkurzkurz.
Von der Compagnie Porpora ist nichts weiter übrig geblieben als die Truhe mit ihren Requisiten. Und die Akteure Kunterkasten, Schuff und Käpernick, die zusammen mit der Demoiselle darauf hocken.
Keinem fällt ein, was er denn anderes tun sollte, keinem eine Regiean-weisung an sich selbst. Sie hocken nah aneinandergedrückt, eingewickelt in die letzten Kostüme, die ihnen geblieben sind. Sogar die Rinder, Scha-fe und Schweine haben ihnen nun endgültig Valet gesagt, an die sie sich drängeln konnten wie an Kachelöfen. Solange Gmeinwieser es nicht sah und sie mit seiner Geißel vertrieb.
Wenn jemand von den vieren das endlose Schweigen bricht, kann es nur Käpernick sein. Der noch immer alles Missliche in einen Jokus ver-dreht. Käpernick, mach dem Schweigen ein Ende, sonst erfrieren wir von innen heraus. Aber auch Käpernicks Repertoire ist vereist, unterm Schnee vergraben, es will ihm keine Drolerie einfallen die die Kollegen auch nur zum Schmunzeln brächte. Zuletzt verfällt er, der gleichmütig an ihnen vorbeiströmende Fluss legt es nahe, auf das Weidenkörbchen, in dem Moses den Nil hinunter angetrieben wurde, seiner einzigen Ausstattung und Mitgift. Ein starker Auftritt, und der Beginn eines starken Dramas, das heute noch gelesen wird.
„Also werden auch wir vier – „
Bloß dass Moses, wird der Vergleich von Schuff zurechtgestutzt, ein Leben als Hauptdarsteller vor sich gehabt hat.
„Und ein großes Ensemble hinter sich.“
„Und das einzige was wir hinter uns haben, sind unsere Karrieren.“
Wieder langes Schweigen. Die Flößer schmeißen die Essigfässer des Grenadiers ins Wasser. Während die vom Floß flussabwärts ziehen, wirft ihnen Käpernick Kusshändchen hinterher.
„Geh mit Gott, Beaujolais ! Adieu 1798er Merlot, lass den der dich genießt ein Schlückchen für mich mit trinken ! Bon courage und gute Reise, 1773er Chateauneuf Spätlese, und grüß mir den Kaiser !“
Schweigend sehen die anderen die Fässer davon schwimmen. Das Wasser übernimmt für sie die Regie, und eins reiht sich willig hinter dem anderen ein in die Strömung, vereint noch in der Sinnlosigkeit.
„Die reisen nach Wien und keiner kassiert dafür auch nur einen Sechser von ihnen.“
Die Schauspieler sind ohne Sechser, und endgültig ohne jede Regie-anweisung.
„Aber dafür sind wir endlich frei“ sagt Kunterkasten zu sich selbst mit dem Pathos, das einem Ersten Helden zusteht, dem die Antwartschaft sicher ist auf das Fach, wenn auch nicht mehr die Bühne dazu. Frei, zählt er für sich auf, vom Vater Pastor und Mutter Evangelenkleinstadt, frei von dem Monstum von Prinzipal, frei von der Tyrannei des Ersten Hel-den, frei von den laschdubbeligen Römerdramen, frei von der Demüti-gung, sich einem Hoftheater andienen zu müssen.
Die anderen werdens nicht als Freiheiten anerkennen, darum spart sich Kunterkasten sich das Missionieren, und schweigt mit ihnen, in Zwie-tracht. Das Floß liegt noch immer in der Flussmitte. Keiner fragt zu wel-chem Zweck und wie lange noch.
„Meine Zehen“ sagt Schuff “hören sowieso auf keine Regieanweisung mehr.“
Zwei Zehen sind ihm erfroren. Er kann nur noch humpeln oder still-sitzen. Wobei ihm weitere Zehen abfrieren werden, und dann die Füße.
„Dabei hatt ich mir die Schuhe vollgestopft mit lauter Fetzen von un-seren Kostümen.“
„Meinst du ich nicht.“
„Und ich.“
„In meinen Schuhen, die ich nicht mehr so zu nennen wage, steckt sogar die Weste die ich mal getragen habe als Marinelli in der Emilia Galotti. Wenigstens die Fersen kriegen warm davon Dabei wars doch meine Glanzrolle in meiner Ära in Zeulenroda.“
Wieder Schweigen. Das Floß ist abgeräumt bis auf die Hütte.
„Die Aufführung in Wien, vor dem Kaiser, wäre die Sternstunde gewe-sen in meiner Karriere.“
„In meiner auch.“
„Und meiner.“
„Sternstunde wärs erst gewesen“ missioniert Kunterkasten nun doch, „wenn wir dem Kaiser die Stellen wo die habsburgische Gewaltherrschaft drin vorkommt in sein habsburgische Ohrfeigengesicht gespuckt hätten, die Schiller eigens für ihn geschrieben hat“.
Und die Schillers Kurier Kunterkasten wie in einem Kassiber bei sich trägt.
„Es ist die Zeit angebrochen, da es keine Höfe mehr gibt. Es gilt für das Volk zu spielen !“
Kunterkastens innere Wilhelm-Tell-Aufführung ist immer noch nicht über den ersten Akt und die erste Szene hinaus gediehen. Die Flößer schieben den Schauspielern die Beine beiseite und klopfen die Fichtenstämme darunter mit ihren Äxten ab. Unter bestimmten Markie-rungen finden sie Aushöhlungen, und da drin haben sie Schmuggelgut deponiert.
„Da hast du dein Volk“ knurrt Käpernick, der sich härmt dass er nicht schon eher auf den Fichten herum geklopft hat.
Die Konterbande wird geborgen, wird mit tiefkehligem Hallo begrüßt wie lang vermisste Spießgesellen, und um sie zünftig zu entkorken, muss ein noch tiefkehligerer Gesang angestimmt werden.
„De Schiffsleit aufm Wasser
Fahrn auf und nieder
So vadeant ma a Geld
Und versaufts glei wieder.“
Diesmal singen sie gegen niemand an, sie singen aus Freude über den ausgegrabenen Branntwein, aber Schuff fürchtet sich diesmal mehr wie damals, als kraftmeierisch gegen die geschlagenen bairischen Truppen angesungen wurde. Er fürchtet für sich selbst.
„De Schiffsleit aufm Wasser
De stehn an Strauß aus
Bei der Nacht gehns zum Dirndl
Beim Tag ins Wirtshaus“.
Die Flößer, die den Schauspielern die ganze Reise lang keine Aufmerk-samkeit geschenkt haben, setzen sich nun breitärschig zu ihnen auf die Requisitenkiste. Schuff räumt seinen Platz, Kunterkasten fällt herunter. Die Flößer lachen.
„Wir hätten die Waffen nicht im Wald liegen lassen sollen“ brummt Käpernick.
„S Fahrn aufm Wasser
Is gfährli beim Wind
Uns s Schlaffn beim Deandl
Wann der Baur mitm Ochsenziemer kimmt.“
Der Gesang ist grölig geworden, vergurgelt im Trinkgluckern. Einer hat den Platz neben der Demoiselle erobert, die Flaschenöffnung zwi-schen den Zähnen. Die Zunge tief in den Flaschenhals gesteckt, reibt er mit dem Flaschenboden an ihrer Nase. Ein anderer fragt Käpernick, der seinen Platz neben der Demoiselle behauptet, ob er nicht aufgelegt sei zu einem Spielchen.
Und worin solls bestehen ?
Auf einem Bein aufeinander zu hüpfen. Dort auf dem Fichtenstamm. Wer den anderen runter schmeißt, der hat gewonnen und kriegt drei Schluck Branntwein.
Und der verliert ? Gelächter.
„Der fliagt in d‘ Donau.“
„Derjenige wo fliagt bist eh du.“
„ Wettma ?“
„Wir öffnen jetzt die Truhe“ flüstert Käpernick“, ohne Rücksicht ob einer von denen runterkippt“.
„Und verstecken uns da drin ?“
„Wir stellen uns ungezwungen, Kinder. Als ob wir ganz allein wären auf dem Floß. Und gehen souverän unsrer Arbeit nach.“
Und halten eine Probe ab, will er damit sagen. Wie gewohnt.
Keiner der Flößer kippt vom Truhendeckel, weil sie alle aufspringen sobald die Demoiselle sich erhebt. Die Truhe wird aufgetan, die Schau-spieler versorgen sich blindlings mit den Dingen und Dingelchen die ihn-en gerade in die Finger kommen.
Die Flößer sind fürs erste verdattert. Aber dem ersten Coup folgt kein nächster. Jetzt wäre ein Prinzipal vonnöten der die Probe eröffnet. Der ruft die Courtine geht auseinander.
Regieanweisungen her, wo bleiben bloß die Regieanweisungen ! Den, der sie ihnen gab, wünschen sie zur Hölle und nun doch wieder herbei. Käpernick scharrt, Schuff hüstelt, die Demoiselle beißt sich in die Finger, aber ehe die Flößer hellhörig werden für die Verstörtheit der Komödianten, greift Kunterkasten in den Fundus seines Tell.
„In Gottes Namen denn, gebt her den Kahn – „
Keiner der Flößer trinkt mehr, keiner ruft dazwischen.
Für einen Moment flackert bei Kunterkasten wieder auf, dass er das Volk mit Schiller zur Erstürmung der Zwingburg Uri führen wollte und damit zur Selbstbefreiung.
„ - ich will’s mit meiner schwachen Kraft versuchen.“
Und ob die schwach ist, sogar die schwungvolle Geste die dazu gehört hat er vergessen. Die Flößer geben ihm dummstolz heraus, sie überließen ihm gerne das Floß, auch wenn er es bloß einen Kahn heißt.
„Und z’ruck ruadern derfsta‘s aa.“
Er darf es sogar zurück rudern in die Residenzstadt.
Weil sie ihr Gelächter ins Schwanken bringt, halten sie sich an der Requisitentruhe fest und entdecken darin die Hilfsgerätschaften der Komödianten. Pfauenfedern, Parapluis und Parasols, wächserne Wein-trauben, Masken und Fächer, Handschellen und falsche Nasen..
Sie bedienen sich, mit je einer Hand, in der anderen die Schnapsflasche werden nicht preisgegeben, unter den Schleiern und Helmen angeln sich Königskronen, Herzogskronen, Erlauchtkronen, Papstkronen.
Kunterkasten wird gekrönt, Käpernick wird gekrönt, ein Flößer krönt sich selbst, und Schuff wird Papst und mit einem goldenem Strick gefes-selt. Einer räubert den Schminkkasten, betupft sich die Nase schwarz und malt den anderen rote, gelbe, grüne Augenbrauen, mit denen sie vor der Demoiselle grimassieren bis sie das Gelüsten ankommt, auch sie zu verzieren.
Viele Flößerfinger machen sich ans Werk, sogar die Schnapsflaschen werden abgestellt, Schminkfarbe wird ihr auf Hals und Dekolleté ge-schmiert, bis einer schreit auf de Duttln fei aa, und sie versuchen ihr Mieder aufzureißen.
Der Floßmeister steigt über seine Knechte hinweg wie über Hackstöcke, teilt grob nach links und rechts aus, fasst die Demoiselle um die Mitte und trägt sie, verfolgt von Feighammel !- Rufen, vor sich her zur Hütte.
Dort schließt er sich mit ihr ein, sie liefert noch einen kleinen Kampf um den Schlüssel, aber gegen die Kräfte eines Floßmeisters ist nichts auszurichten. Mit spui di net aso auf du Schnalln macht er sich über sie her.
„Du hast‘as do scho de ganze Reis lang auf mi abg‘segn g‘habt, du Zuchtl.“
Sein Tabaksud tropft ihr über Brüste und Bauch, sein Tabakatem er-stickt sie fast während er in ihr arbeitet und sich selber anfeuert mit Flö-ßerrufen wie Ferge aufpasst ! fluderts füri ! und endlich s’hat a Rinna ! Und die draußen hören ihr Gekicher, aufspritzend wie die Stakkati der Geißelschnalzer.
Wenn er wieder erwacht, erzählt er von seiner Theres, die ihn in Linz erwartet. Eine grundbrave Frau ; bei jeder Wienfahrt, wenn er bei ihr an-landet, liegt ein Frischgeborenes in der Wiege. Wie tugendsam die Theres ist, erweist sich daran dass er stets das Abendmahl drauf nehmen kann, der neue Sprössling ist von ihm. Und er in Linz jeweils eine neue Locke in sein Gebetbüchl legen kann.
Stolz weist er die Locken vor. Dabei überkommt ihn jähe Reue, ein geschminktes Luder hat ihn in die Sündlichkeit gerissen. Und er schlägt
Das geschminkte Luder, bis dem die Nase blutet.
Gegen die Hüttentür pumpern die Flößer. Er bindet ihr einen Fuß fest.
„Da dafür kannst fei dankbar sei.“
Eine fürsorgliche Massnahme das fürs Vieh, damit es nicht abrutscht bei hohem Wellengang, sich verletzt und dem Händler nichts mehr ein-bringt. Und es gibt hohen Wellengang, die Flößer erzeugen ihn indem sie auf die wenigen Stämme springen, die noch übrig sind. Der Hias, der Baltes, der Ferenc, der Jackl haben ihre Flaschen geleert, jetz is was fürs Herz an der Reih.
Die Demoiselle wird sie alle beklauen. Ein Stilett von dem einen, eine Bartbürste von dem andern, eine Hände voll abgedrehter Knöpfe von Joppen und Hosen. Und dazu die Locken der Kinder, die in Linz auf den Floßmeister warten.
Das Floß wird zerlegt, die Hütte als Ganzes an der Lände abgesetzt. Sechs, acht rohhölzerne Möbel stellt man daneben. Sie sind unverkäuflich geworden, weil der Schnee, das Holz hat aufquellen lassen. Kajetan da-gegen hat nicht zu klagen. Er durfte die Bader-Mixturen aus Gmeinwie-sers Rezeptküche für Vieh und Landvolk übernehmen. Gmeinwieser ist jetzt auf Höheres aus. Sein Viehhandel, von veterinäramtlichen Schika-nen unbehelligt, wird sich bald bis ins Niederösterreichische ausweiten. Im Bairischen drüben sind die Apothekergesetze gnadenlos geworden, halt jakobinischer, aber im Inn- und Weinviertel glaubt man noch dran, dass das Ohrenschmalz des Sankt Sylvester gegen Rheumatismus und Würmer hilft, wenn man es mit Franzbranntwein verrührt.
Und Rosenkränze, seit Napoleon zum Spott-Artikel verkommen, fahren an der unteren Donau noch immer Gewinn, jasomirGotthelfe, weiß Kajetan, der mit einem Flößer die letzte Kommode, schwer von Eis und Schmelzwasser, an Land geschleppt hat. Dann zieht er die unterste Schublade auf und hebt mit vollen Händen sein Depot an Rosenkränzen aus, ois aus Klosterbesitz, mithin ausgewiesene Qualität.
Zuunterst, von Rosenkränzen umschlungen, liegt die gefrorene Katze des Flößers. Drei Zimmermannsnägel haben sie durchbohrt, wo das Herz sein muss. Kajetan klopft dem Flößer tröstend auf den Rücken. Nur so ein Zauber der wo net gwirkt hat. Ein Zauberversuch eigentlich bloß, recht besehen, ein Schuß in den Ofen, man soll halt nicht auf überlebten hexischen Firlefanz bauen.
„Da war der Jud vui z’gwappelt dazua“.
Dass die durchbohrte Katze Wirkung gezeigt hätte, auf sein Leben. Aber voreilig Brüderschaft hätte er halt auch wieder nicht gleich trinken sollen mit einem wie dem Johann Baptist. Der guten Hand.
Oder wenn, dann überkreuz. So hätte der Gmeinwieser seinen Sud aus Bilsenkraut selber trinken müssen.
Hühnertod ist der Fachausdruck dafür.
„A sanfter Tod. Jetzt liegt er friedlich drunten in der Donau, und seine ganzen neumodischen Kilog‘wichter hat er bei sich behalten dürfen, uman Hals.“
Die hierzulande beim Kaiser eh nicht gelten. Aber der neue Passeport der guten Hand Gmeinwieser Johann Baptist, der gilt was hierzulande beim Kaiser. Weil der neue Passeport auf einen ebenso neuen Hastreiter Quirin ausgestellt ist. Wer einen Pakt mit dem Herrgott, wie der Noah, der schwimmt überall obenauf.
Paxvobiscum drauf, und Amen.
Käpernick und Kunterkasten ( sie haben Schuff in die Mitte genommen, der die Arme um sie geschlungen hat, damit man sein Gehumpel nicht bemerkt ) fragen vier Tage lang nach Tagelöhner-Arbeit, bewerben sich um Handlangerdienste jedweder Art, wenn sie ihnen eine Mitfahrt auf einem Schiff oder Floß einbringt, oder auch nur einem Beiboot.
Aber keiner will sie haben. Nicht einmal als Schiffszieher haben sie Glück. Denn der Kaiser hat verfügt, dass zum Tode Verurteilte am Leben bleiben dürfen, wenn sie bis an dessen Ende die Schiffe die Donau herauf ziehen. Und zum amtlich Tode verurteilt sind die drei nun einmal nicht.
Bis nach Wien sind es noch sechsundfünzig Meilen. Aber dort erwartet sie der Kaiser.
Lang schon hat die gewesene Prinzipalin von den letzten Kostümen, die ihr noch verblieben sind allen Goldflitter abgetrennt. Flitter brächte die Bauern auf den falschen Gedanken, sie schleppe echtes Gold mit sich herum und rissen es ihr herunter, und schimpften sie noch Bescheißerin, wenn der Flitter unter ihren Pranken wegstäubt.
Das Kostüm, das die gewesene Prinzipalin am engsten um sich ge-schlungen hat, hatte sie selbst in Propodonskys Kostümfundus einge-bracht. Es sollte einmal ihr Brautkleid werden, aber sie hat nie Braut sein dürfen. Die Einnahmen waren nicht danach, dann wieder ging die nächste Premiere vor, ein anderes Mal stand die Venus ungünstig zu den Zwillin-gen. Oder Propodonsky betrog sie zwei Tage vor dem schon festgesetz-ten Hochzeitstag, und weinte dann hinter der Bühne an ihrem Busen Rotz und Wasser vor Reue und Verlassenheitsangst.
Das zweite Kostüm, das Lucille um sich gewickelt hat als unpelzigen Winterpelz war sogar von den Theatermotten verschmäht worden, es war ihnen zu hartes Futter. Lucille hat es von einem Fuhrmann erbettelt, der diesen seinen dienstältesten Mantel ohnehin fortwerfen wollte. Danach tat er, mit Silberbronce frontseits bemalt, Dienst als Aufputz für überirdische Erscheinungen, die freilich halb hinter Felsen oder Wolken verborgen bleiben mussten, denn die unteren Partien des Fuhrmannsmantels hatten anderweitig als Ärmelpolster Verwendung gefunden sowie für Beinklei-dern von Rittern und Knappen.
Die dritte Mummelhülle ist Lucilles jüngste Erwerbung, zugleich ihr molligstes Öfchen. Es hat ein Innenfutter und einer Bäckersgattin gehört. Eigentlich gehört es ihr noch, die Trennung war keine freiwillige, sie hat-te ihre Pelerine nur husch husch über einen Korb mit frischem Backwerk geworfen, damit die Semmeln nicht auskühlten, auf die drei Häuser weiter der Kupferstecher wartete. Dort kamen sie nie an, wärmten statt-dessen Lucilles Magen, und die gestohlene Bäckerpelerine wärmt Lucille selbst noch immer. Schlafen jetzt, nichts als schlafen, dann tun die Hundebisse nicht mehr weh die sich auf ihren Bettelgängen zugezogen hat. Durchschlafen bis der Schnee so gnädig ist sich zu verziehen. Jetzt ist er noch ungnädig und verschluckt einen bis zu Knieen.
„Wer is draußen ?“
Wenn Lucille und ihre Gefährtin nach dieser Frage weiterhin dringlich an die Türen der Gehöfte pochten, mit der Faust, dann war ihnen drinnen ein, wie man, freilich unbedacht, zu sagen pflegt, offenes Ohr gewiss. Es hätte ja können ein Emissär der Obrigkeit draußen stehen, zwei Bewaff-nete hinter ihm, und Befehle mitbringen, allerhand Beschlagnahmungen betreffend. Herausrücken der Wintervorräte, Hammel, Ochsen, Pferde da-mit sie vor die Trainwagen gespannt würden oder die Lafetten der Artil-lerie, die draußen vor dem Dorf im Morast stak.
Mit aufgepflanztem Bajonett. Und es wurde eilends aufgetan. Wenn dann aber nur zwei Weiberleut vor der Tür standen, die eine vergraben unter einem Flickenhaufen aus Theaterkostümen und beide ohne Bajo-nett, wurde dem Hund gepfiffen.
Wenn sie aber demütig klopften, nur mit den Knöcheln, waren sie eben dieser Zaghaftigkeit wegen schon überführt als Bittsteller, Marodeurs-weiber, Flüchtlingsgesindel. Schaugts dassz weiterkemmtz ! wurde hinter der verschlossenen Tür gebrüllt, und das schüchternste Nachklopfen mit dem Zeigefingerknöchel ließ gleich die Mistgabel aus der Tür fahren oder und der Hund war sowieso vorweg.
Und wenn Notburga immerhin noch das Zulangen andienen konnte beim Melken, Buttern oder Saufüttern, hatte Lucille nichts anderes in ihrem Repertoire als ihre auswendig gelernten Theaterrollen. Zweimal hat sie versucht, etwas davon vorzutragen.
Das erste Mal eine herzbewegende Abschiedsszene aus einem ihrer selbstverfassten Stücke, worin eine Verlassene die Göttinnen auf dem Olymp anfleht, ihr auf Erden ihr beizustehen. Götterweiber ? schrie die Bäurin, bei uns gibt’s nur oan Herrgott und der is ledig. Und meinte damit den, der nackend und holzgeschnitzt in dem nach ihm benannten Winkel der Stube hing. Bekreuzigte sich, sprengte Weihwasser und pfiff dem Hund.
Das andere Mal kramte Lucille eine Textstelle aus ihrem Gedächtnis, worin von Liebesgluten die Rede war, wenn auch poetisch entrückt. Wie-der hieß es Naus mit dera ! Und wieder tat der Hund das Seinige. Aber auch der Bauer, der Lucille draußen keineswegs den Weg dorthin zeigte, wo der Pfeffer wachsen soll, sondern zur Tenne. Da oben sei’s weich im Heu und seine Liebesgluten, poetisch nicht entrückt, reichten aus für drei bis vier Mal.
Bis Notburga endlich darauf verfiel, Lucille als Störschneiderin aus-zugeben. Es wurde Kleidung gebraucht auf jedem Hof, die eingesessene Störschneiderin war erst im Frühjahr zu erwarten, Lucille trat an ihre Stelle und schneiderte schlecht und recht. Aber sie schneiderte so schlecht und wenig recht wie es bei Propodonskys Truppe Usus war. Ein Abnäher brauchte dort nur einen Bühnenauftritt lang zu halten oder höchstens drei, und bei einem Hemd reichte es aus, wenn seine propere Vorderseite repräsentabel war. Was brauchte es auch noch ein Rücken-teil, wo doch der Kollege Schauspieler eh an der Kulisse lehnte.
Und es wurde wieder den Hunden gepfiffen.
Die Pelerine der Bäckersfrau bewahrt die beharrliche Temperatur eines Backofens in sich und wärmt Luilles Schlaf. Als der Kaiser kommt und sich frische Semmeln holen will, schämt sie sich weil sie alle aufgegessen hat und für den Kaiser keine mehr übrig sind. Aber Madame, lächelt der Kaiser, der Schnee ist doch kein Schlafplatz für Sie. Eine Dramatikerin von Ihrem Rang ! Ich werde meine Hartschiere kommen lassen, die werden Sie auf frische Semmeln betten, widersprechen Sie nicht. Kaiser-liche Semmeln werden Sie beheizen während Sie mir aus ihren Stücken lesen. Die Semmelbäcker in meiner kaiserlichen Backstube lampenfie-bern ob sie bei Ihnen auftreten dürfen und miner Wenigkeit wäre es die höchste Ehre die allerhöchste Ehre wenn Sie eine kleine Rolle für mich hätten eine winzige Rolle nur ein Röllchen für Ihren Kaiser …ich bin Stotterer wie Sie sogleich bemerkt haben werden aber bei einem Vers welchen SIE verfasst haben wird meine Zunge mir gehorchen mir gehorchen mir gehorchen mir
Als Notburga mit warmer Milch kommt und der guten Nachricht, ein Bauer werde sie heut nacht beide auf dem Heu schlafen lassen, ist Lucille de Brée erfroren.
Kunterkasten und Schuff grausts, jeden für sich. Voreinander können sie es nicht zeigen. Da liegt einer im Schnee und ist tot. Kunterkasten und Schuff sind als Schauspieler darum verlegen, welchen Gestus der andere von ihm erwartet, wenn der doch auch bloß ein Schauspieler ist.
Und der Tote aber wirklich tot ist und vor ihnen im Schnee liegt.
K. steht in stummer Trauer./ S. verhüllt das Haupt in namenlosem Schmerz./ L. wendet sich ab mit allen Zeichen des Entsetzens ab / S. geht wehklagend seitlich ab / K. und S. verharren in tiefstem inwendigem Leiden / S. schnallt den Kinnriemen fester und weist in die Kulisse : „Ein Opfer mehr für unsere Sache, aber nun darüber hinweggeschritten, wir müssen von dannen und vorwärts – „
Nichts von alledem. Sie bleiben stehen, stumm und dumm, von jeder Inszenierung im Stich gelassen. Da liegt einer im Schnee. Ein Soldat. Der Ausrüstung nach ein französischer. Ein Soldat, der noch nicht lange tot sein kann. Sogar sein Tschako hat er noch auf dem Kopf, als wollte er auch als Toter nicht gegen das Reglement verstoßen. Es ist ihm nur ein bisschen in die Stirn gerutscht, aber er braucht nun ohnehin keine freie Sicht mehr.
Gnädigerweise, denn so müssen Schuff und Kunterkasten ihm nicht in die toten Augen schauen. Sie loben die Jahreszeit, und dass noch nicht Sommer ist. Sonst wären nicht nur sie beide hier, sondern auch die Aasfliegen.
Am Zügel hält der Tote noch immer sein Pferd. Die Blutspur quer über seine Brust, den adretten weißen Latz hinunter setzt sich auf der Kruppe des Pferdes fort, das unverdrossen weidet. Das Glückstier, es hat Futter gefunden wo für Schuff und Kunterkasten nichts bestellt ist. Auf einem aperen Fleck unter den Tannen zupft es sich Moos und Winterlinge. Wie begrüßend wendet es ihnen den Kopf zu und lässt ein freundliches Schnauben hören.
Es muss den Hals weit recken, der Zügel seines Reiters hält es zurück. Es zerrt es seinen Reiter hinter sich her. Schuff wie Kunterkasten er-schrecken vor dem grellen Ratschen, das der Tote dabei im gefrorenen Schnee verursacht.
Erst als Kunterkasten den Zügel fasst und das Pferd ihn aufmerksam anschaut, mit hochgestellten Ohren, kommt Schuff der Gedanke wir bor-gen uns, nennen wirs mal so, das Pferd aus.
Vorausgesetzt, das Pferd lässt das zu. Aber das behält Schuff für sich nicht, er will nicht von Käpernick ausgelacht werden. Sondern er sagt :
„Das Pferd ist schließlich derjenige von den beiden, der uns begrüßt hat.“
„Und wir kommen kommoder vom Fleck, wenn wir beritten sind.“
Kunterkasten hat dasselbe gedacht wie Schuff. Und man sieht doch auch gleich mehr gleich, hoch zu Ross.
„Kannst du reiten ?“
„Und du - ?
Nur auf Schaukelpferden. Gibs doch zu, Kunterkasten. Und Schuff ist einmal als berittener Bote aufgetreten. Das Pferd war aus Sperrholz und hatte nur eine vordere Hälfte, flach auf Sperrholz gemalt. Das Stück war ein Reinfall.
S. und K. entwinden dem gefallenen Kürassier die Zügel.
Diesmal sind sie schon ein Stückchen weiter mit ihrer Abnabelung von den Propodonskyschen Kommandos, sie erteilen sie sich die Regiean-weisung selber. Aber die ist leichter erteilt als ausgeführt. Die Lederrie-men sind um die Hände des Toten geschlungen, die Finger sind in sie verkrallt und festgefroren. Sie nehmen einen Zweig zu Hilfe, stochern, hebeln, aber ist der Zweig, der aufgibt und bricht.
„Bitte Monsieur, lassen Sie los. Sie benötigen das Pferd doch eh nicht mehr…“
Sie hauchen zu zweit und ausdauernd, unterbrochen von langem Luftholen, bis es ihnen gelingt die Finger des Toten einem um den anderen weg zu biegen. Um den Preis, dass sie mit ihrer vereinten Atemwärme nun auch süßlichen Verwesungsgeruch wecken. Der Arm des Toten, der eben noch die Zügel hielt, bleibt hochgereckt stehen, als mache er Meldung, dass ihm sein militäramtlich registrierter Gaul ent-wendet wurde. Von Zivilisten.
Die führen das Pferd einige Mal im Kreis, wohin auch sonst, denn sie sind ratlos. Das Pferd nickt Zustimmung zu allem was die beiden Zivilisten mit ihm vorhaben mögen, aber Kunterkasten wie Schuff trauen sich trotzdem nicht auf seinen Rücken. Das Pferd, als erriete es ihre Ängstlichkeiten, bleibt vor einem Baumstumpf stehen. Gelobtes Ross ! Gepriesener Gaul ! Der Baumstumpf ist eine willkommene Trittleiter. Zwar, das Pferd will nur das Moos daran äsen, aber wenn der eine Zivilist von dort aus den anderen Zivilisten in seinen Sattel stemmt, ist es ihm auch recht. Und wenn der andere Zivilist den einen Zivilisten vom Baumstumpf zu sich hochzieht, schnaubt es nur noch kurz. Es klingt, als seufze es zufrieden, dass die langwierige Prozedur ein Ende hat und es wieder sein Moos knabbern kann.
Es steht, es schüttelt die Mähne, und äst.
„Wir müssen ihm, glaube ich, ein Zeichen geben zum Abmarsch“.
Eine Regieanweisung also. Aber sie haben beim Aufsteigen vergessen, die Zügel in die Hände zu nehmen. Die pendeln nun verheddert unter dem Kopf des Pferdes.
„Ich nehm nicht die Moleste auf mich und wage mich nochmal runter.“
„Ich hab einen Fuß im Steigbügel, aber verdreht.“
„Ich doch auch.“
Das Pferd steht, das Pferd schüttelt die Mähne. Das freundliche Schnau-ben aber, das es ihnen zur Begrüßung entboten hat, bekommen sie nicht mehr zu hören.
„Hier oben geht der Wind viel schärfer als wie unten“.
„Viel schärfer.“
Das Pferd steht. Sie verwünschen Propodonsky.
„Klopf ihm doch mal an den Hals. Vielleicht ist das ja das Signal damit es endlich einen Schritt tut.“
Kunterkasten klopft. Das Pferd reißt so jäh den Kopf zurück und wirft ihn hin und her, dass Schuff sich an Kunterkasten klammert und der sich am Sattelrand festkrallt. Danach steht es wieder still wie zuvor.
Der eine mags dem andern nicht gestehen, wie unheimlich es hier oben ist, vor allem zu zweit, und trachtet, jeweils seinen Fuß aus seinem, je-weils verkanteten Steigbügel zu befreien. Und damit sachte das Wie-derhinunterrutschen einzuleiten.
Ja wer sind wir denn.
Als hätte das beiderseitige Gedrehe und Gezerre an seinem Bauch das Pferd aus seiner Dösigkeit geholt, setzt das Pferd sich mit einem Mal in Bewegung, nonchalant seiner Reiter nicht. Doppelt geritten, sinkt es doppelt tief in den Schnee und hat Mühe, seine Hufe wieder daraus zu befreien.Wenn sie durch ein Dorf kommen, ziehen die Leute den Hut. Ein Herr gibt ihnen die Ehre des Durchreitens, also Devotion und Bückling !
Dass das Pferd stehen bleibt, wann es will, gibt den Leuten nicht zu denken. Vornehme Herrschaften kennen keine Beeilung. Eisregen setzt ein mit der selben tranigen Gemächlichkeit, mit der das Pferd vorantrabt. Eisregen ist gesammelte Tücke in dieser Jahreszeit. Er flockt nicht weich und trocken zur Erde wie Schnee, sondern mietet sich ungebeten in den Kleidern ein, in den Haaren, in den Ohren, in den Fetzen die um erfrorene Zehen gewickelt sind und verwandelt sich in Eiskristalle.
Auch dem Pferd scheint der Eisregen verdrießlich. Mit gesenktem Kopf steht es an einem Gartenzaun und denkt darüber nach, wie es die beiden Dilettanten loswerden könnte. Die Leute ziehen nun auch nicht mehr ihre Hüte, sie bewahren ihre Köpfe vor dem Regen und verübeln den beiden Herrenreitern, dass die das frierende Pferd nicht in einen Stall führen, wie er ihm zusteht.
„Wir könnten uns immerhin unter seinen Bauch retten und abwarten dass der Regen einen Abgang macht.“
„Du steigst als erster ab, bevor wir festfrieren.“
„Nein du. Du bist mit deinen langen Beinen schneller unten und dann
fängst du mich auf.“
„Schmierenkomödiant.“
„Selber Schmierenkomödiant.“
Da reißt das Pferd den Kopf in die Höhe und stellt die Ohren auf. Es hört etwas, was weit entfernt ist. Das muss dringlich sein, denn es setzt sich in Bewegung, und Schuff, der ein Bein bereits aus dem Sattel heraus gemogelt hatte, muss sich unter schmerzhaften Verrenkungen wieder zurück hangeln. Den sicheren Steigbügel freilich erhascht sein Fuß nur sehr verdreht.
Auch wenn er ihn gerade jetzt brauchte, denn das Pferd verfällt in Trab. Warum, das wird nun auch den beiden Reitschülern hörbar. Da wird ein Trompetensignal geblasen, und mir-nichts-dir-nichts sind Schuff und Kunterkasten nicht mehr die einzigen Berittenen. Vor ihnen Pferde-hintern bei Pferdehintern, zwischen die sich ihr Gastgeber mit Gewieher einreiht.
Das Trompetensignal hört sich an wie allez hopp, alles zum Appell !
Dämlicher Gaul, meld dich ab und querfeldein mit uns dreien ins Nie-mandsland, nimm Rücksicht auf uns verschüchterte Zivilisten !
Aber der Gaul tut was seine Artgenossen ihm vormachen, er stürmt, das Clairon befiehlt ihn zum Einsatz, ohne Rücksicht auf sein Draufpack.
„Tableau ! Genau was du dir immer gewünscht hast – in die Schlacht für deinen Napoleon.“
Kunterkasten klammert sich mit beiden Armen an den Pferdehals.
„S‘il vous plaît, chèr cheval….was denn bloß heißt halt bitte bitte an ?“
„Knattermime !“
„Selber Knattermime !“
Vor ihnen her flüchten Fußtruppen. Österreicher, in ein Erlendickicht. Schutz vor den Eisgraupeln bietet es ihnen nicht mit seinen kahlen Äs-ten, aber die Kavalleristen tun sich schwer mit dem Nachsetzen. Die Infanterie feuert auf sie heraus, gedeckt von den Bäumen. Schuff und Kunterkasten sirren Kugeln um die Köpfe. Kein Clairon ist mehr zu hö-ren.
Das Pferd Schuffs und Kunterkastens galoppiert weiter, weil vor ihm ein Artgenosse galoppiert.
Dem Offizier da drauf muss der Gaul irre geworden sein vom Ge-wehrfeuer. Er prescht in Panik zwischen den Stämmen hindurch, die im-mer enger stehen, links ratsch, rechts ratsch, Clairon blas doch endlich, blas zum Rückzug !
Äste greifen nach Schuff und Kunterkasten. Zweige, zurückgebogen vom Vormann, peitschen die Gesichter wie eisige Drahtbesen, und immer noch feuern die Österreicher.
Schuff bleibt an einer Astgabel bleibt hängen. Der Baum will ihn da behalten, aber der Ritt ist nicht zu Ende, das Pferd will zum Dienst. Und Schuffs Fuß klemmt verdreht im Steigbügel fest. Der Ast reißt an ihm, das Pferd reißt an ihm, beide treibt es grausam schnell auseinander und dazwischen schreit Schuff und hört vor Schmerz nicht dass er auf einmal keine belegte Stimme mehr hat.
Als ihm die Stimme ganz wegbleibt, ist das Pferd Schuff endlich losgeworden. Nicht aber Kunterkasten, der ihm sich ihm um den Hals gewunden hängt als angstbrüllendes Zaumzeug. Der Offizier auf dem vor ihm Pferd dreht sich um, um zu sehen wie viele von seinen Leuten ihm folgen.
Der Offizier ist Langebehn.
„Kummerkästchen auf dem Schlachtfeld ! Wie über alle Maßen ge-schmacklos.“
Kunterkasten Pferd stupft zärtlich die Nüstern an den Hals von Lan-gebehns Pferd, und das erwidert. Gesten des Friedens in diesem Orkus der Feindseligkeit..
„Kannst du’s nicht endlich lassen mir noch und noch hinterher zu dammeln wie ein Bettelköter ?“
Da die Pferde sich aneinander drängen, hat auch Langebehns Reitgerte es nicht weit bis zu Kunterkastens Gesicht. Am Kinn reißt sie ihm eine Schramme, die sofort blutet.
„Runter mit dir vom Sattel ! Du beleidigst einen Hengst der Großen Ar-mee !“
Und er zerrt Kunterkasten aus dem Sattel, dankenswerterweise. Denn nun findet Kunterkastens Fuß doch noch den Dreh, der ihn vom Steig-bügel befreit. Um den Preis eines stechenden Schmerzes, aber vor Lange-behn traut er sich nicht zu schreien.
„A bas, emmerdeur !“
Die Peitsche faucht wieder, jetzt von oben. Kunterkasten, rückwärts ausweichend, versinkt im Schnee.
„Bleib wenigstens stehen wie ein Mann und kassier was dir zusteht nach Tarif Judas !“
Kunterkasten versinkt nicht nur im Schnee. Unter ihm ist dünnes Eis, das ihn nicht mehr trägt. Darunter gurgelt Eiswasser und schluckt ihn bis zu den Knien.
„Judas !“ Hieb ins Leere. „Judas !“ Hieb ins Leere. „Canaille die mich zurückgeführt hat in die Grande Armée !“
Auch unter Langebehns Pferd bricht das Eis. Damit sind sie wieder auf gleicher Höhe wie zuvor, und Langebehn muss sich nicht tief hinun-terbeugen, um auf Kunterkasten einzuprügeln.
Da ist wieder das Clairon. Es bläst zum Sammeln.
„Hör dein Kommando !“
Die Hände vor dem Gesicht.
„Wenn du Rückzug heraushörst, kriegst du’s mit dem Säbel. Hörst du Rückzug heraus ?“
Hieb, der diesmal trifft.
„Antwort ! Hörst du Rückzug heraus ?“
Hieb, der wieder trifft.
„Hörst du für mich Rückzug heraus, eh ? Hörst du Feigheit heraus ? Hörst du Aufgeben heraus ?“
Hieb, der trifft, weil Kunterkasten im Schnee liegt..
„Antwort !“
Die Österreicher trauen sich wieder aus der Deckung der Erlenstämme hervor. Auch sie sind ins Eis eingebrochen, aber sie sind in der Überzahl. Sie haben erkundet, dass sie tief und tiefer in einen überfrorenen Sumpf geraten, wenn sie sich von einem einzelnen Franzosen auf französisch verabschieden.
„Ah da schau her, a Mösiöh auf seim Schauklpferd !“
Der kommt ihrer Rache grade recht, bis obenhin nass wie sie sind.
„Oder scheut dös feine Bürscherl ein Bad ?“
Die Infanteristen wollen Langebehn vom Pferd zerren, viele Hände rei-ßen an ihm von allen Seiten. Langebehn rammt seinem Pferd die Sporen in die Lenden, aber das steckt bis zu den Vorarmen im Eis, und darunter im Morast.
„Des Badwanndl is doch groß genug für den Mösjöh und seinen Hei-ter“.
Jetzt versuchen die Infanteristen, sein festgeschlemmtes Pferd, den Hei-ter, zum Umkippen zu bringen. Sie kichern dabei wie Dorfjungen die sich einen abgefeimten Streich leisten. Langebehn will seinen Säbel ziehen. Aber der ist festgefroren in der Scheide.
„Aber geh zua, der Mösjöh werd uns doch net gar kitzln wolln.“
Das Pferd hat keinen Halt mehr unter den Hufen und rutscht zur Seite. So gelingt es den Infanteristen endlich doch, Langebehn aus dem Sattel zu zerren. Das Pferd, von der Reiterlast befreit, kämpft für sich selber weiter, versucht sich nach allen Seiten hin mit den Hufen abzustützen, schleudert dabei Eis um sich, Modderbrühe, halbgefrorene glitschige Fla-den von Schlick.
Angstgekicher und Kiecherangst, Wutgeschrei und Rachewut. Was-sergurgeln und Menschengurgeln, und die Furcht, unter das sich wäl-zende Pferd zu geraten, von seiner Masse in den Sumpf gedrückt zu werden. Unter dem schwarzem Schlamm sind die Farben der Monturen verschwunden, schwarzer Arm ringt mit schwarzem Arm, schwarzes Bein tritt in schwarzen Bauch, schwärze Hände krallen sich in schwarze Augenhöhlen.
Kunterkasten ertappt sich dabei dass er die Hände verknotet hat wie zu einem Stossgebet. Wenn er schon so weit heruntergekommen ist, kann er jetzt auch gleich beten, stoßbeten. Auch wenn er keine einzige Anrufung eines gottähnlichen Wesens im Kopf hat. Er hechelt etwas daher, viel-leicht aus einem Theaterstück, vielleicht nur ein Kindergejammer oder beides zusammen dies irae dies illa quantus tremor es futurus quando judex est venturus und dabei läuft ihm der eigene Nasenschleim in den Mund, vermischt mit Tränen und eisigem Schlamm.
„Dös sollst mir büaßn du französische Sau dassd mir dös eibrockt hast“.
Nur der Mund und die Zähne, die das ausstoßen, gehören noch zu einer Person, der Rest ist schwarzer Dreck.
„I stich di ab.“
Aber die Drohung ist zum Lachen, weil die Bajonette festgefroren sind an den Gewehrläufen wie Langebehns Säbel in der Scheide. Und auch die Gewehrkolben lassen sich nicht mehr schwingen, nicht auf den Fran-zosenschädel niederdreschen, sind verspreizt zwischen den Beinen der Kämpfer, verknäult mit Wurzelwerk, und eben diese Wurzeln ziehen sie samt den Kämpfern in den Morast zurück.
Wieder das Clairon.
Langebehns Pferd reißt sich mit einer letzten Kraftanstrengung hoch aus diesem Geschlinge, bäumt sich auf, planscht Eiswasser über die Käm-pfenden, wiehert, nein : schreit einen Entsetzensschrei, tritt wie’s grade kommt auf die Grenadiere, auf Langebehn, auf Kunterkasten und galop-piert davon. Die Flucht des Pferdes, des vierhufigen Ungeheuers, mit dem der Franzmann sie eingeschüchtert hat, nüchtert die Infanteristen aus. Sie erkennen den Feind nicht mehr unter dem schwarzen Schlamm, und sie erkennen sich selbst nicht mehr.
„I wüll z’haus zu meim Muatterl.“
Einen Waffengang zwischen farbenfrohen Monturen waren sie dem Kaiser schuldig, nicht ein Handgemenge in gefrorener Jauche.
„Scheißkriag…“
Wo vorher Bubengekicher und Drohung war, ist jetzt Flennen. Keiner hilft dem anderen aus dem Schlamm, jeder tritt gegen jeden, ein jeder ist des anderen Feind, wo sie keinen bunt markierten Gegner mehr vor sich haben.
Der letzte, der im Modder zurück bleibt, muss Langebehn sein. Er macht nicht einmal mehr Anstalten, sich aufzurichten.
„Lass mich da liegen, Kunterkasten. Dreck zu Dreck.“
Kunterkasten legt sich Langebehns schlammtriefenden Arm über die Schulter und versucht seinen Körper hoch zu ziehen.
„Du siehst doch, dass ich schon bestattet bin.“
Langebehn beteiligt sich nicht an seiner eigenen Bergung, Kunterka-sten könnte genau so gut einen Schlammbatzen fortschleppen. Um tritt-sicher aus dem Sumpf heraus zu kommen, muss er sich den ganzen Lan-gebehn aufladen.
„Warum mutest du mir das zu, du Unmensch“ stöhnt Langebehn, die Schlammblasen aus seinem Mund spritzen Kunterkasten dabei ins Ge-sicht.
“Du entwürdigst dich doch bloß selber“.
Kunterkasten bricht unter der Last mehrmals ein, Langebehn entgleitet ihm immer wieder in den Schnee und in den Sumpf. Dann nur noch in den Schnee, denn als es bereits dämmrig zu werden beginnt, hat Kunter-kasten es durch das Erlendickicht geschafft hinaus ins Freie des Schnee-felds, über das sie herangeprescht sind.
Von den Pferden ist nichts mehr zu sehen, auch nicht von Öster-reichern und Franzosen. Langebehn nimmt nichts davon wahr, er gründelt in sich hinein, in die Untiefen seiner Person, die noch nicht von gefrie-rendem Schlamm besudelt sind.
„Ich bin doch nur bei den Kürassieren eingetreten wegen ihrem neuen Helm. Mit einem schwarzem Rossschweif im Nacken ! Und aus Messing. Messing ! Weißt du, wie das glüht, wie das brennt wenn die Sonne drauf scheint, soleil du gloire ! Du wirfst Strahlen, Strahlen für den Kaiser, du bist die Sonne des Kaisers …und der Rossschweif schwappt dir gegen den Rücken bei der Parade… den durchgedrückten Rücken bei jedem Paßschritt … wie die Reitgerte des Apoll…es ist Apoll der dich reitet…“
Er schlottert. Seine Arme fahren durch die Luft, Schlammbatzen plum-psen schwarz in den Schnee.
„Ah…die Reitgerte des Apoll im Rücken ! Und du bist sein Kentaur… einer unter vielen Kentauren, unter den ausgesuchtesten Kentauren… vive l’empereur !“
Er hebt die eine Faust vor die Brust und präsentiert den Säbel, den er nicht mehr hat, der irgendwo im Morast stecken geblieben ist. Aber die Faust die den nicht vorhandenen Säbel halten soll, versagt ihren Dienst, hängt schlaff herab. Er schlägt auf sie mit der strafenden Geste, die Kun-terkasten von der Floßfahrt her kennt, als Langebehn mit der behand-schuhten Hand seine andere peitschte. Jetzt sind beide mit den Hand-schuhen eines Offiziers bekleidet. Aber auch der andere Handschuh hängt schlaff, als sei er leer.
„Ich habe keine Hände mehr.“
Langebehn sagt es ohne Entsetzen, ohne Zorn, er wirft es beiläufig hin wie ein Komödiant beim Abgehen Scheißrolle ! hinwirft.
„Es gibt Rollen die kann man nicht spielen. Du legst sie für dich groß an, ganz Emphase, ganz höheres Menschentum. Reitgerte des Apoll im Rücken etcetera etcetera und dann kriegst du spitz, außer dir sind sämt-liche Rollen mit lauter Lemuren besetzt, aus der Latrine gekrochen, der stinkigeste Abschaum vom stinkigsten Abschaum. Vollbluthengst perdu, Ausrüstung perdu, Hände perdu. Christian Justus Amadé Langebehn in seiner Abschiedsrolle.“
Er lässt seine Hände vor sich pendeln wie zwei tote Ratten. Das Clai-ron ist wieder zu hören.
„Das sind die deinigen, Langebehn. Sie werden dich gleich aufsam-meln, dann wirst du versorgt“.
Langebehn läßt sich hintenüber kippen.
„Sogar mein Schminkkasten hat sich ohne Gruß von mir verabschie-det in die Jauche.“
Und er hatte ihn doch so liebevoll in der Satteltasche versorgt, lacht er, zwischen die Pistolenmunition, als er ausgerückt ist.
„Falls einer nach mir fragen sollte da oben von der Intendanz, ob sie mich als Sterbenden besetzen können, dann gib ihnen Bescheid : ich war nie im Leben schlechter als in der Aufführung heute.“
Er schlottert. Er wird Kunterkasten unter den Händen erfrieren, und der hat nichts um ihn zu wärmen.
„Bestell ihnen, sie sollen wen andern besetzen.“
Da ist wieder das Clairon. Aber nun schon weit entfernt.
“Merde…merde…merde…“
Schuff
Die Franzosen sind abgerückt, die Kaiserlichen sind abgerückt. Dort wo sie aufeinander getroffen waren, sind nur noch die, die nicht haben mit marschieren können, weil sie tot sind oder damit zu tun haben, bald tot zu sein. Den ganzen Tag über hatten die Bauern, auf ihren Heuböden versteckt, das Geschieße und Gesteche beobachtet.
Das ist unser Rapsfeld, in das die Korporalschaft einbricht. Das ist un-ser Hühnerstall, in dem die Kaiserlichen sich verschanzen. Das ist unser Gerstenacker, auf dem die Kavallerie die Füsiliere niederreitet. Das ist unser Erdäpfelfeld, auf dem die Franzosen die Kaiserlichen umzingeln, damit die nicht davonwetzen und die Rüben verlieren, die sie bei uns gestohlen haben.
Das ist unser Kornspeicher, in dem die Franzosen ihren Gefechtsstand gehabt haben und der jetzt brennt.
Wer die Oberhand hat, wer sich Sieger schimpfen durfte, wie solltens die Bauersleute erkennen. Aber dass Ackerland und Weiden verwüstet sind von Pferdehufen und Soldatenstiefeln, kann man auch in der Nacht schon von weitem erkennen. Nun sind sie davon, Sieger wie Besiegte. Die Bauern trauen sich heraus, Fackeln in den Fäusten.
„Schleich di, von meiner Gemarkung.“
Aber der so Angeherrschte hat keine Beine mehr.
„Scheißgfrieß, muasst ausgrechnet auf meim Acker sterbn !“
Und der Bauer muss ihn auch noch begraben und der Verfaulende wird die Saat verderben. Dafür muss er abliefern, was er bei sich hat. Den Säbel, ihm jetzt eh zu nichts mehr nutz. Den Brotbeutel mit der Tages-ration drin die er eh nicht mehr aufessen kann. Die Stiefel, wer im Dorf hat schon solche Stiefel. Die schönen weißen Hosen, eingesaut von der blutigen Erde. aber die ist der eigene Ackerdreck, wie man ihn eh Tag für Tag in die Stube trägt. Und die warme Uniform, gutes Tuch, so eins haben sie nur beim Militär, und was da noch alles drinsteckt ! Ein Kamm aus Messing, war hat schon so einen im Dorf. Ein Medaillon mit Deckel, ein Bild von einem Mädl ist drin. Wird seine Liebste sein, wirfs weg, da kommt das Rosei dafür hinein. Wer im Dorf hat schon so ein Medaillon, und jetzt steckt ausgerechnet das Rosei drin. Die Ehr, die Ehr ! Und da hat er noch Geld im Stiefel, hinten im Stiefelleder und hat gemeint, der Schlanggl, wir kommen ihm nicht drauf. Aber geh, das ist doch ein Papiergeld, sowas gilt bloß in Frankreich, hängs auf den Abtritt. Aber geh, da kriegst du das Dreifache dafür beim Schwarztauschen. Ein Brief, der ist französisch geschrieben, hau ihn weg, der bringt Unglück. Die Erkennungsmarke, was brauchen wir seine Erkennungsmarke, wollen doch keinen mehr kennenlernen von den fremden Kadavern. Schau her, eine Uhr hat der sogar, die tickt noch.
„Steck‘s weg, wanns de anderen sehn, fangt de Schlacht gleich no amal an.“
Die Muttergottes mögs verzeihen was wir da tun, aber wir holen uns doch bloß zurück was der Krieg uns geraubt hat. Die Erdäpfel für unsre Mäuler auf dem Hof haben uns die fremdländischen Kaiserlichen weg-fouragiert. Und die Sau und zwei Färsen die unsrigen Kaiserlichen.
“Wos‘t hischaugst überall Kaiser, aber nix mehr zum Fressen.“
Auch Sylvester Schuff hat sich versteckt, solange das Gefecht dauerte. Er stolpert über einen Verwundeten. Der bittet Schuff dass er ihm den Gnadenschuss gibt. Zuerst auf französisch, dann auf elsässisch. Schuff hat noch nie eine Muskete in der Hand gehabt, nur auf dem Theater, aber das war ein auffrisierter Besentiel. Totmachmittel kennt er in seiner Rolle nur als Giftfläschchen, gefüllt mit Hagebuttentee oder als Blechdolche, bei denen die Schneide sich im Griff versteckte wenn man zugestochen hat.
Solche Camouflagen wünscht er sich jetzt, rote Tinte wünscht er sich in den Mund des Soldaten. Aber der da liegt, dem rinnt sein eigenes Blut aus dem Mund. Sein linkes Bein ist abgewinkelt, als strebte es fort von ihm, wollte nichts mehr zu schaffen haben mit dem Verwundeten, der um sein eigenes Umgebrachtwerden bettelt. Schuff fasst das Gewehr täppisch an, der Verwundete brüllt, er mag Sergeant gewesen sein und Anbrüllen sein Amt. Nun hat er kein Amt mehr außer dem, ein hilfloser Haufen Halbgeschlachtetes zu sein. Am Ende seines fünfundzwanzig oder sie-benundzwanzigjährigen Lebens, in dem man ihn stets angehalten zu ma-nierlicher Rede, bleiben ihm nur noch die kotigsten Brocken der Be-schimpfung übrig.
„Imbécile enculé !“
Zugleich mit dem Gebrüll stürzt ihm ein Blutstrahl voller Knorpelfe-tzen aus dem Mund wie gekotzte Kutteln. Mit der Hand, an der nur noch drei Finger Dienst tun, deutet er : fass da an, connard ! Richte die Mün-dung hierher, tiefer du Idiot, emmerdeur cireur, leg an, so leg doch end-lich an, den Finger an den Abzug…nein, das ist doch nicht der Abzug, das da vorne ist der Abzug…und jetzt dicht an den Kopf…
Der Soldat drückt seine Schläfe an die Mündung.
„Tire tire vite… ou est maman…tire tire tire ti… ti….”
Schuff schießt mitten hinein in das Gewimmer, der Rückstoß reißt ihm die Muskete aus den Händen. Aber getroffen hat er nicht, Schweiß rinnt an ihm hinunter, der Soldat ist nur noch ein pfeifender Schrei.
Schuff nimmt Reißaus, stolpert über vier oder sechs andere Liegende, bleibt selber liegen, schluchzt, ein Soldatenarm legt sich über sein Ge-sicht. Dicht neben seinem Ohr lallt schon wieder einer Mach mich tot Kamerad mach mich tot.
Der pfeifende Schrei des Franzosen steht immer noch da hinten in der Dunkelheit, Schuff tastet sich zu dem Schreienden zurück, will ihm den Mund mit Erde verstopfen, aber die Bauern sind schon über ihm mit ihren Schaufeln und Pickeln. Wo der Schrei herauskam, ist jetzt ein Knacken wie von Tonscherben, auf denen viele herum trampeln.
„Ein Murks war des was du verübt hast an eam“ blaffen sie Schuff an, “da dafür grabstn jetzt ei wia sa si g’hört.“
Und Schuff bekommt ihn aufgeladen, nachdem der Tote alles hat abliefern müssen bis auf die nackte Haut. Ein Bauer schiebt Schuff mit dem Kadaver auf dem Rücken vor sich her, selber einen Nackten an den Füßen nachschleifend, eine Hacke geschultert. An einem niedergeris-senen Zaun muss Schuff eine Grube in die vereiste Erde hacken. Die To-ten werden hineingeschlenzt. Und wenn der Bauer mit seinen Füßen die vereisten Erdbrocken wieder in die Grube gestoßen hat -
“Schleich di sunst liegst aa no da drin.“
Der Bauer hat vier Säbel umhängen, auf dem Kopf ein napoleonisches Tschako, Kürassierstiefel an den Füßen und um den Hals zwei silberne Kettchen. An dem einen pendelt ein Kreuz, an dem anderen ein Minia-turbildnis der Kaiserin Josephine. Als er sich umdreht, sieht Schuff auf seinem Hintern eine Satteltasche mit Napoleons Adler hopsen. Die Ta-sche ist nicht mehr zu schließen, weil vollgestopft mit Uniformhosen, weißen und grauen, französischen und österreichischen. Ehe er davon geht, stößt der Bauer Schuff mit einem seiner gefledderten Säbel fort.
„Bist allerweil no da - ?“
Schuff schlägt seinen Pelerinenmantel um die Schultern und macht sich davon. Krieg ist eine spottschlechte Bühne für Komödianten. Von weitem, auf dem Söller eines brennenden Hofes, sieht er den Kaiser Na-poleon stehen.
Der Kaiser grüßt zu ihm herunter. Schuff bleibt stehen. Meint Napoleon wirklich ihn, ausgerechnet ihn, den Kleindarsteller Schuff ? Nein, der Kaiser meint auch die anderen, die da im brennenden Dorf durcheinander rennen, er grüßt über das Getümmel hinweg, das er angerichtet hat. Er ge-nießt es dass er die Unruhe in der Uhr ist, die die vielen Zeiger ein ein wahnsinniges Kreiseln versetzt.
Die Bauern, behangen mit den Monturen, die sie seinen Soldaten vom Leib gerissen haben, nehmen Haltung an und salutieren zu ihm hinauf.
“Es lebe der Kaiser Napoleon ! Hoooooch !“
Und lassen das weite O als Jubelblase zum Himmel steigen vor Stolz dass der Kaiser ihrem abgeschiedenen Dorf die Ehre seiner Anwesenheit antut. Wo er doch auf so vielen Kriegsschauplätzen sonstwo gebraucht wird. Nur Schuff, dem noch in den Gliedern sitzt dass ers nicht vermocht hat einen von des Kaisers Leuten in einen Tod ohne Qualen zu schicken, Schuff hält dagegen, formt seine Hände zum Trichter und ruft mit seiner dünnen, heiseren Stimme
„Sie sollen verrecken, Sire ! !“
Die Bauern prügeln auf ihn ein mit den erbeuteten französischen Ge-wehrkolben, kaa Respekt vor der Majestät ! und treten nach ihm mit ih-ren erbeuteten französischen Kürassierstiefeln.
„Selber sollst varecken du Tschusch !“
Schuff entkommt dorthin, wo sonst keiner hin will, in das brennende Haus. Die Deckenbalken stürzen schon herunter, aber dafür trachtet ihm keiner mehr nach dem Leben, außer den Flammen, die aber noch damit zu schaffen haben, an den Stützbalken zu fressen.
Mit einem Schwung Dielenbrettern fällt Schuff der brennende Kaiser vor die Füße. Der ist viel größer als der Kaiser und Hosen hat er auch keine an. Seinen Zweispitz hat er auf dem Schlachtfeld erbeutet als sein Hof zu brennen anfing, und den Uniformrock auch. Darüber hat er den Verstand verloren, schreit in einem fort er i bin der Bonaparte ! i bin der Bonaparte ! der Bonaparte ! und lacht, als ob die Flammen ihn nur kitzelten und nicht versengten. Krieg ist die rechte Bühne für Komödian-ten, die nicht wissen dass sie welche sind.
Schuff wandert die ganze Nacht durch.
Schuff befiehlt sich selbst das Weitergehen, weiter weiter weiter bleib mir nur nicht stehen du Knattermime. Schuff ist allzeit angesagt worden, wann er zu gehen hatte und wann er zu schweigen hatte, wann er den linken Arm heben sollte und wann den rechten. Nun hat er keinen Vorsager mehr der ihn rangiert und arrangiert hierhin oder dorthin. Die Herren Kommandeure sind vollauf mit dem Rangieren ihrer Heere be-schäftigt, die Blutiges verrichten und nicht Theatralisches.
Wenn Schuff aber, von den Vorsagern im Stich gelassen, das tut was er den größten Teil seines Lebens lang getan hat, nämlich dasitzen und warten auf den nächsten, wiederum spärlichen Auftritt, dann hat der Frost ihn am Wickel. Kriecht ihm durchs dünne Schuhwerk in den dünnen Leib und am Morgen sitzt ein toter Schuff am Straßenrand und wartet immer noch auf seinen spärlichen Auftritt. Weiter weiter weiter Schuff weiter, bild dir ein im Textbuch steht SCHUFF MACHT EINEN LANGEN ABGANG.
Bis einer auftritt, der kommandiert bleib stehen, Schuff. Und im Text-buch wird dann stehen SCHUFF VERHARRT UND ERWARTET DEN AUFTRITT WEITERER ACTEURS.
Dann darfst du stehenbleiben, Schuff.
Im Morgengrauen sieht er österreichische Grenadiere in einem Dorf bi-wakieren. Ein Wachhabender, im Stehen eingeschlafen, wacht erst auf, wenn Schuff schon an ihm vorbei ist und setzt an zu der Meldung
„Unbekannte Zivilperson… „
Weiter kommt er nicht. Ehe die anderen Krieger aus dem Schlaf rum-peln, bleibt ihm der Mund offen stehen, denn aus Schuffs Pelerinenman-tel flitzt ein blauer Vogel hervor und verschwindet in Schuffs Ärmel. Schuff legt den Finger auf den Mund sags nicht weiter und macht die Geste lass dich nicht stören im Schlummer, Kamerad.
Der Soldat grinst nicht einmal Dank und nickt gehorsam sofort wieder ein. Schuff kanns brauchen, dass einer stellvertretend für ihn schläft. Weiter weiter weiter Knattermime. Auch wenn Schuff nicht weiß, wie weit dieses weiter noch ist.
Der Prinzipal Schuff als Frachtgut aufgegeben ohne Adresse und ihn mitten im Transport allein gelassen. Nun Schuff muss sich auf eigenen Füßen verfrachten, obwohl zwei seiner Zehen Eisklumpen sind. Oder inzwischen schon mehr als zwei. Weiter weiter weiter Knattermime. Als klebte ihm ein Gepäckzettel STÜCKGUT WIEN FRAGILE auf der Krause seines Pelerinenmantels.
Schuff ist immer schon Frachtgut gewesen und seit frühester Kinder-zeit auf der Walz. In der Erbfolge seiner Eltern, die Komödianten waren wie er jetzt einer ist. Vagierende Leute, und wiederum Kinder von Komö-dianten, deren Eltern Komödianten waren. Auch sein Prinzipal in der Versenkung verschwunden ist ohne dass man deren Klappe hätte zu-schlagen hören und die Kollegen links und rechts ins Irgend- oder Nir-gendwo wer weiß welcher Versenkungen gefallen sind : ein anderes Nest als die Schaubühne kommt Schuff nicht in den Sinn. Wie es einem Maul-tier nicht in den Sinn kommt, auf Feldhase umzusatteln.
Schuffs Bestreben hat sich lebenslang darin erfüllt, zur Vorstellung auf dem Posten zu sein. Um sechs Uhr im Kostüm, wenn die Vorstellung um halb acht anfing, den Text auswendig schon bei der Stellprobe, und nie einen Triangel gerissen in ein Kostüm. Wegen seiner heiseren Stimme hat er schon von seinem Vater, selber Prinzipal und sein eigener erster Cha-rakterspieler, keine Rolle bekommen die ihn nach vorn an der Rampe gebracht hätte. Zum Liebhaber, Tyrann und Helden haben ihm timmkraft und Pfunde gefehlt, zum Komischen die Unverfrorenheit der Tieftrau-rigen.
Manchmal hat man ihn ausgestopft, wenn der Spaßmacher Fieber hatte oder zu besoffen war oder zu einer anderen Compagnie entlaufen, und Schuff musste die komische Rolle übernehmen. Aber spätestens nach dem zweiten Auftritt hat der Vater ihm die Kissen wieder herausgerissen und den Part selber gespielt.
Und Schuff wars allemal hoch zufrieden.
So verengte ihn seine enge Stimme und sein langbeiniges Gestell auf das Fach des Dazwischenhuschers, der mit einer Botschaft auf die Bühne weht, die das Gute ins Ungute weht. Das Fach des unguten Boten, des Hetzers und Aufwieglers mit Perücken, die stets schwarzgrau und strähnig waren. Des Verleumders, auf den die Helden, blondlockig, ange-wiesen sind, denn ohne ihn könnten sie niemals ihre Strahletaten voll-bringen. Der aber auch nie an die Rampe treten durfte, weil er sonst vom Publikum, wenns denn ein unverschlafenes war, mit Spucke oder toten Mäusen bedacht worden wäre. Schuff blieb ewig der, dem keine langen Monologe vergönnt waren, der aber die seitenlangen Monologe der anderen intus haben musste weil er aufs Halbwort genau in diese hinein zu stürzen hatte. Um sie mit der Nachricht zu zerfetzen, das Stamm-schloss stehe in Flammen, die Geliebte sei geraubt und entehrt, die feindliche Armee erklimme just die Mauern und der König habe sich soeben entleibt.
Immer nur böse Interrupti, keine Viertelseite lang. Und danach saß Schuff wieder sanftmütig und aufgeräumt in der Umkleidekammer und legte Patience.
So wurde Schuff, der gute Garderobengeist, zu unserem Schuffchen, dem alle vertrauten, dem sich alle anvertrauten das bleibt aber bitte unter uns Schuffchen mit ihren heimlichen Liebschaften und daraus fol-genden Schwangerschaften, ihren heimlichen Verhandlungen mit dem konkur-rierenden Schauspielunternehmer, mit den Racheplänen gegen den Prin-zi-pal beim nächsten Mal kriegt er das Messer zwischen die Rippen weil er sie wie allabendlich schon wieder übers Ohr gehauen hatte.
Unser Schuffchen nahm die Säuglinge der Heroinen in seine Obhut, wenn die auf die Bühne mussten und mit denselben diskreten Händen die Flachmänner der jugendlichen Helden. Er hat die einen getreulich gewi-ckelt und an den anderen nicht genippt. Und er wars zufrieden.
Und wenn er einmal unbeschäftigt hinter der Bühne hockte, hat er die zerknitterten oder zerrissenen Requisitenpapiere glattgestrichen, die die Kollegen nach den Auftritten achtlos fortwarfen. Und all die Liebes- Steck- und Drohbriefe sortiert, die Testamente und Todesurteile, ohne die kein Schauspiel auskommt. Aber auch jene Verwirrsprüche und Schwei-nigeleien, wie Shauspieler sie hinkrakeln, um einen Partner aus der Fas-sung zu bringen, der sie mit ernster Miene als Sendschreiben des Kur-fürsten zu verlesen hat. Schuff hat diese zerknüllten Seiten nach und nach zu kleinen Konvoluten geordnet, die hintereinander weg gelesen, bizarre Geschich-ten erzählten, chroniques scandaleuses des Theateralltags.
Als er sich eine Strafe einhandelte, weil über seine Anthologie hinter der Bühne gelacht wurde ausgerechnet während eines Monologs des Prin-zipals, ging er dazu über, seine papierene Sammlung zu Schiffchen und Figürchen zu falten und damit die Kollegen zu erfreuen, wenn die mürrisch und durchgeschwitzt zurück in die Garderobe gestolpert kamen. Mit der Zeit hat man von ihm sogar erwartet, dass er hinter der Bühne eine zweite Bühne errichtete mit einem zweiten Ensemble. Mit seinen Mimen aus Korken und Draht, herrenlosen Knöpfen, Strohhalmen und ungültigen Münzen, in Treterchen aus Kerzenwachs gesteckt, führte Schuff nun eigene Stücke auf. Schattendramen, Spiegelfarcen.
Oft auch Travestien des Stückes, das grade draußen auf der Bühne gespielt wurde. Propodonsky warf Arme aus Schwefelhölzchen hoch, Langebehn schüttelte eine Mähne aus Werg und die Prinzipalin ließ ihren Wanst ruckeln, der ein Stopfkissen voller Nadeln war.
Aber bald erschuf Schuff sich ein ausgedachtes Ensemble, in dem die Garnspule nur noch sie selbst, die Garnspule, war und mit ihrem Gespie-len, dem Kamm, Pirouetten drehte, um einem Löffel zu imponieren mit einer aus einem Requisitenbrief gefalteten Krone, die in einem Apfel-butzen steckte.
Allein der Demoiselle Pfrenhuber wollte ers nicht antun, sie mit einem beleidigend banalen objet trouvé zu verzweifachen, das er aus dem Keh-richt gefischt hatte. Ihr zuliebe, ihr zu Ehren ( den er ehrte sie seitdem er ihr als Kind die Kostüme hatte wechseln dürfen und verehrte sie, als ers beim Backfisch immer noch durfte ) fertigte er hingebungsvoll eine zweite Demoiselle an.
Für Schuff war die Demoiselle ein Zwitscherwesen, das sich nur zu-fällig und vorübergehend in den Niederungen der Propodonskyschen Compagnie verflogen hatte. Und so fitzelte Schuff Seidenstreifen auf, schnitt Brokatborten zurecht, riss Haare aus Leimpinseln, splitterte Fisch-bein aus abgelegten Korsetten zu zartem Filigran und es erstand eine Demoiselle Pfrenhuber secunda, der ersten nicht so bildnishaft aus dem Gesicht geschnitten dass sie ihn eingeschüchtert hätte ( war er doch im Hand-umdrehn einzuschüchtern, sogar von seinen eigenen Bastelfigür-chen ) und dennoch ein Abbild ihrer wahren Natur, wie er sie sehen wollte.
Als Flattermamsell, halb Engel und halb Zaunkönig.
Um sie von dem staubig drögen Schwarzbraungrau abzuheben das die Original-Demoiselle hinter den Kulissen umgab, behielt er ihr diejenige Farbe vor, die zu beschaffen ihm am mühseligsten war, ein helles Ultra-marin. Am reinsten fand er dieses gesuchte Pigment im Tintenfass eines Schreibers der Theaterzensurbehörde in Quedlinburg. Der Diebstahl wur-de sogleich bemerkt und der Prinzipal dafür abgestraft. So hatten alle ihren gerechten Anteil. Der blaue Vogel aber avancierte zum einzigen Mitglied von Schuffs Ensemble, das er bei sich trug wo er ging und stand und Theater spielte.
Über seiner kleinen Schaubühne vergaß Schuff hier und da gänzlich die große Schaubühne und Strönebald, der Souffleur, musste ihn aus seinen Dramoletten aufscheuchen, damit er mit heiser vermeldete, das Schloss stehe wieder einmal in Flammen und die feindliche Armee er-klimme gerade die Mauern.
Während in seinen Händen, auf dem Rücken verborgen, seine Darstel-ler lampenfiebrig ihrem eigenen Auftritt entgegenbibberten. Bis der Prin-zipal eines grausigen Morgens Schuffs Ensemble ein Ende setzte. Und es mit seinen breiten Füßen zertrat, während Schuff zwei Tage auf dem Abtritt eingesperrt wurde. Allein die Stieftochter des Prinzipals, in Schuffs Pelerinenmanteltasche zärtlich umklammert, überstand in Gestalt eines blauen Vogels den Tod ihrer Kollegen.
Nun aber ist Schuff in eine Aufführung geraten, in deren Pausen er kei-ne heimlichen Lieb- und Schwangerschaften mehr anvertraut bekommt, keine Wickelkinder mehr halten darf, deren Stillmutter draußen einem ganz anderen ewige Treue schwört, der gar nicht der Vater ist. Nun be-wegt er sich durch ein Stück, dessen Textbuch nicht aufnotiert ist und das sich von selber spielt. Nicht nur das Schloss steht in Flammen und die feindliche Armee ist zugange ohne dass Schuff Zeit bliebe, es anzusagen, die Feuersbrunst ist so wirklich wie die Uniformen der Brandstifter keine Theaterkostüme sind. Ein Albtraum, der sich in seiner Familie von The-aterern von Generation zu Generation vererbt hat : auf die Bühne kom-men und nicht wissen welches Stück da gespielt wird. Wer darin Schurke, Held, Liebhaber, komische Alte ist.
Und wer das Opfer. Ja, wer sind wir denn.
In einem Hohlweg eine Gans. Eine dicke weiße Hausgans in einer Hal-tung als habe sie ausgerechnet auf Sylvester Schuff und keinen anderen gewartet. Von der verschneiten Landschaft, die bereits abendlich diesig wird, heben sich nur ihr Schnabel und die Ringe um ihre Augen ab. Drei-mal rot vor Weiß. Der lange Schuff überragt sie turmhoch, schon wahr, aber die Gans steht so selbstbewusst und breitbeinig vor ihm, dass er sich zollhoch vorkommt, wie die Wanderratte vor dem Burgwächter.
Gott zum Gruß, Madame Gans, Glück allerwege, wie vermögen Sie es, sich Schuff in den Weg zu stellen, wo doch die Herren Militärs ihresgleichen vollzählig wegfouragiiert haben zum leiblichen Wohl ihrer Armeen. Denn es soll sich leichter siegen, pardon, dass ich das ausgerechnet Ihnen so unverblümt sage, mit Gänsebraten im Magen als mit, sagen wir, Hirsepamps.
Schuff und die Gans. Zwei denen niemand gesagt hat in welchem Stück sie spielen, und nun stehen sie auf der selben Bühne. Die Gans auf Säu-lenbeinen wie die Ruderknechte auf dem Floß. Oder wie Käpernick, dem man ein so großtuerisches Dastehen abgenommen hat oder wie Propo-donsky dem man es nicht abgenommen hat. Schuff aber sind die verzagt angewinkelten Knie zur zweiten Natur geworden, bis hinunter zu den ein-wärts gestellten Schuhspitzen.
Die Gans schreitet gravitätisch nach rechts, wenn Schuff dort an ihr vorbei schuffen will. Sie schreitet nach links wenn Schuff es links vorbei versucht. Tiefsitzende Bänglichkeiten überschuffen ihn, schuffische Bänglichkeiten eines Eingestaubten, der lebenslang Zögling des Theaters war, nie Zögling des Lebens und Freibeuter in fremder Leute Hühner-ställen. Nie Apfelbaumbezwinger und Pflaumenklauer, nie Raufer auf Dorfangern. Nie als Draufloslümmel besetzt mit aufgeschlagenen Knien, immer nur als Schuff.
Er erteilt sich den Rat, Verhandlungen aufzunehmen mit der Madame Gans, leidlich unbehelligten Durchzug betreffend. Seine Finger, die sich in die Manteltaschen krampfen, umfassen seinen blauen Vogel. Er holt ihn aus der Manteltasche und lässt ihn flattern.
Die Gans ist entzückt. Schnappschnapp her damit. Als Adoptivkind, nicht als Beute. Aber der sehnsuchtsvoll aufgesperrte Schnabel, der sich mit einem Fauchen um seinen blauen Vogel schließt, vervielfacht Schuffs Ängste zu nicht mehr nur schuffischen, sondern zu Lebensängsten. Der Draht in dem blauen Vogel überdehnt sich, surrt jammernd, die Gans ge-rät in Zorn ob Schuffs Widerborstigkeit. Sie faucht, als wollte sie ihn weghusten, wegpusten wie einen Fetzen Papier und zur Strafe dafür, dass er nicht davon segelt nimmt sie Schuffs Finger in die Kneifzange ihrer harten Schnabelränder.
Schuff dem Wehleidling wird nun wirkliches Weh zugefügt. Er schlid-dert im Schnee aus und liegt jählings auf dem Rücken. Über ihm Madame Gans, die Flügel ausgebreitet wie der Wappenvogel des gewaltigen Napoleon. In seiner Not wickelt Schuff der Adlergans den Draht seines blauen Vogels um den Hals. Wenn einer von uns schon totgehn soll keucht Schuff, dann bisses du.
Das wird sich weisen zischt die Gans wer von uns beiden die Pforten zur Ewigkeit zuerst durchschreitet.
Schuff muss tun, was er sich am wenigsten zutraut, Schuff muss kämp-fen. Er muss das Biest würgen, wenn er ihm schon die Schlinge umgelegt hat. Aber das Biest hat Flügel, Schuff hat keine, und mit denen stäubt es den Schnee hoch und peitscht Schuffs Arme und Beine. Die tun weh, als brächen sie unter den Schlägen der Gänseschwingen, das Blut der Gans spritzt ihm ins Gesicht, aber die Kraft des Viehs schwindet nicht, so wie Schuffs bescheidenes Kräftchen.
Schuff schreit, bis seine dünne Stimme kratzig wird. Aber es nähert sich keine Hilfe, sondern nur Geschrei. Das Geschrei ist das von vielen Gänsen, die den Hohlweg herunter marschieren.
Auf den Grauen der unsere Schwester würgt, Attacke !
Gegen Bonaparte marschieren Soldaten auf, gegen den armen Schuff ziehen Gänse zu Felde. Er wird von ihnen eingekesselt, er wird, unter Krakeel, von allen Seiten gekniffen. Seine Schmerzensschreie ( er hat zum zweiten Mal in seinem Leben eine klare Stimme ) gehen unter im Orkan des Gänsegeschreis.
Da teilt sich unversehens Schlachtreihe der Gänse. Männer stapfen den Hohlweg herunter. Sobald sie angelangt sind, schweigen die Gänse, als habe ein Dirigent abgeklopft. Sie watscheln sogar bereitwillig beiseite, um die Sicht frei zu geben auf die entseelt in ihrem Blut liegende Artgenossin.
In den Kreis um Schuff und die Entseelte treten wüste Burschen. Sie tragen Uniformen verschiedenster Armeen, mag sein sogar der weiland hunnischen oder der Tamerlans des Großen. Mit Biberfellmützen, Epau-letten auf Bärenfellen, umgehängten Jagdbüchsen und Sicheln, die sie auf Holzprügel gesteckt haben. Sie setzen sie nicht ein, noch nicht.
Sie sind spöttisch chevaleresk.
„Habe die Ehre, der Herr Gansmörder.“
Ihre Frage, ob es verstattet sei, ihm auf die Beine zu helfen, erreicht Schuff nicht, denn hat sich taub geschrien. Die wilden Waffenburschen reißen ihn so wüst hoch wie sie aussehen, einer schüttelt die tote Gans vor seinem Gesicht.
„A Gansbraterl tät dem Herrn jetz munden, was ?“
Aber auch diese Einladung zu einem riskanten Diner versteht Schuff nicht. Und auch nicht, ob sie sich gnädigst erlauben dürften ihn a bisserl zu begleiten zur Zubereitung des Gänsebraten am Herdfeuer, das ihn be-reits erwarte.
Ab mit ihm, marcher !
Die Gänse drehen gehorsam die Schnäbel dorthin, wo sie hergekommen sind und beplaudern, heimwärts watschelnd, belustigt und befriedigt ihre Heldentat, die sie soeben vollbracht haben an einem gemeingefährlichen Wegelagerer. Die Waffenburschen pieken Schuff ihre Waffen in den Rü-cken, durch seinen durchgewetzten Mantel spürt er jede Sichel und jede Pistolenmündung metallkalt auf seinen Rückenwirbeln. Die gemeuchelte Gans wird dem Zug vorangetragen wie die Standarte einer besiegten Armee, deren einziger Überlebender Schuff ist. Nur dass statt seines Blutes das der Gans in den Schnee träufelt.
Schuff bemüht sich, nicht auf die rote Spur zu treten, zu Ehren ihres Angedenkens, auch wenn ihre Begegnung nur kurz bemessen war.Die Gans sei ausgebrochen, blubberts unter den Waffenkerlen durcheinander. Wie hat das bloß g‘schehen können, wo doch Tag und Nacht Wache gehalten wird. Aber die anderen Gänse sind ihr zu Hilfe geeilt, da kann unsereins noch was lernen über Kameradschaftstreue.
Und alles wegen dem Gfraas, dem Dürren da, dem grauen Verre-ckerl. Dem sieht man den Scherenschleifer doch gleich drei Meilen gegen den Wind an, frag ihn einer wo sein Schleifstein steht, dann soll er unsre Messer scharf machen.
„Nacher hat er was g‘leist als Vorauszahlung da drauf dass wir sie ihm einarennen, frisch g‘schliffen von eam aa no söiwa.“
Aber Schuff hörts ja nicht.
„An dem g‘hört a Exempel…a Exempel g’hört da schtaturiert“.
„Wann a komplette Armee auf Raub is, nacha sann dir eh de Händ bunden, aber bei so am Tschuschn solo und allaanigs, da lohnt sich a strafende Gerechtigkeit.“
Schuff hörts wieder nicht, aber ihr G‘schau ist ebenso unzweideutig wie ihre Bewaffnung.
„Meine Herren, die Gans hat mir aufgelauert.“
So wie Schuff nichts hört, so hören sie nicht auf Schuff. Sie sperren ihn in ein Gemäuer mit vergitterten Fensterlöchern, dem man ansieht wie einbruchsicher und namentlich ausbruchssicher es ist. Schuff ist geneigt, nach seinen bisherigen Erfahrungen, es trotzdem als Gastlichkeit zu nehmen. Ist er doch sonst immer nur angeschrieen worden schleich di, jetzt wird er zur Abwechslung einmal verwahrt und verriegelt.
Mit Nachbarn, die ihm nun schon vertraut sind, denn auch die Gänse-herde hat hier ihre Behausung.
„Aufgelauert ! Ich versichere Sie. Folglich, ich bin Opfer einer Über-macht“ heisert Schuff, denn da ist noch ein anderer Miteingesperrter, oh-ne Schnabel und ohne weißes Gefieder.
„Wie hätte ich denn gewärtigen sollen, dass die Gans eine Streitmacht in Reserve hat.“
Schuff heisert von der Höhe eines Holzfasses herunter, auf das er sich vor den Gänsen geflüchtet hat, denn der Schauplatz seiner Einsperrung ist ein Weinkeller.
„Notabene, es hat mich noch nie ein so großes Tier bedroht. Wo ich doch keinerlei Erfahrung habe im Umgang mit lebendem Geflügel.“
Auf und hinter der Bühne, wo Schuff groß geworden ist, hat es keine Gänse gegeben. Nicht einmal ausgestopfte. Ein gemalter Schwan war das einzige Federvieh, mit dem er es zu tun hatte. Und nun umringen die Bestien seinen Zufluchtsort, das Fass, und beraten sich. Rachsüchtig. Bei dem Gedanken, sie könnten ihre Flügel einsetzen um seinen Zufluchtsort auf dem Fass zu entern, schwindelt es Schuff und er fürchtet im Schlaf abzustürzen, den Bestien vor die Schnäbel.
„Wäre es zuviel verlangt, wenn Sie beschwichtigend auf sie einwirken, der Herr ?“
Denn der andere sitzt mitten drin in der Herde. Aber Schuffs Stimme reicht nicht hinunter zu dem Mitgefangenen. Seit der verlorenen bataille ist sie ausgefranster als je zuvor. Und selbst wenn er das mächtige Organ des Prinzipals im Kehlkopf hätte, er vermöchte nichts gegen die Stimmen seiner Feindinnen.
Die Gewölbe des Weinkellers vervielfachen ihren Endlos-Choral, nur in der Nacht geben sie Ruhe, bis auf ein paar Fiepser im Schlaf, wenn sie ein weiteres Mal von ihrem Sieg über Schuff träumen.
Nur der andere Gefangene gibt keine Ruhe.
„Aber de Glocken san doch in Rom g‘wesn…“
Er leiert, wie Schuff, Tag und Nacht seine eigene Unschuldslitanei vor sich hin, in den Gänsegesang hinein. Ihm aber lauschen die Gänse, ihn bestätigen sie, ja sie sprechen ihm Tröstung zu.
„Wann i eich sog, de Glocken warn in Rom …“
Wie sollte er sie denn läuten sollen. Wenn sie in Rom waren.
„In Rom. I schwörs. In Rom…“
Eben das Läuten aber hat ihn hierher gebracht in den Wein- und Gänsekerker. Obwohl die Glocken in Rom waren haben sie zugelassen dass er, der Mesner, an ihren Seilen zieht. Und das zu grober Unzeit, am Karsamstag. Damit hat er die Gläubigen verschreckt, die von Kindesbei-nen an wissen, dass die Glocken von Karfreitag bis in die Osternacht in der Ewigen Stadt Rom weilen. Schweigend. Mit dem Finger quasi auf dem erzenen Mund. Wenn sie denn einen hätten.
Und bevor der Mesner geläutet hat, hat er die Kirche von innen zugesperrt, wie von dem Gnä Herrn Hasfájás aufgetragen. Auf dass kein streunendes Gesindel eindringe. Keine Kirchendiebe, wie sie in Kriegs-zeiten allerwege sind und Altarsilber plündern.
Aber das Verhängnis des armen Mesner war, er hat die Gänseherde aufgeweckt. Durch das Läuten der Glocken, in Abwesenheit derselben. Eben der Glocken.
Ihr Geschrei nun aber, sei‘s über die Störung ihrer Nachtruhe oder den Frevel wider die Liturgie oder beides zusammen, hat Fouriere hell-hörig gemacht, die in der Gegend am Herumstreichen waren. Just wie der Gnä Herr Hasfájás es ihm, dem Mesner prophezeit hat. Und die Soldateska ergriff die angeläutete Gelegenheit und räuberte stracks den Reichtum des Gnä Herrn Hasfájás, der zugleich der Reichtum des ganzen Dorfes war. Und die Dorfleute mussten zuschauen, von den Säbeln der Fouriere in Schach gehalten, wie der Gänse-Reichtum des Gnä Herrn Hasfájás auf den kaiserlichen Bajonetten verendete. Der Mesner indes, des Glocken-gedröhns wegen taub gegen Gänse- wie Soldatengebrüll, zog unverdros-sen weiter an den Glockenseilen, sodass man die Kirchentür hat auf-brechen müssen.
Seitdem sitzt er im Weinkeller ein. Einstweilen, denn der Gnä Herr ist geschäftehalber über Land. Der Gnä Herr Hasfájás, Herr der Gänse, ist Herr über alles übrige was sich im Dorf bewegt.
Und auch das was festgemauert ist. Und Gerichtsherr ist er eh.
Schuff beschaut seinen blauen Vogel oder vielmehr das was die Gans gotthabsieselig von ihm übrig gelassen hat. Zwei Spiralen, ein halber Flügel, ein Federbalg, und alles getränkt mit Gänseblut.
Wenn aber nun die Franzosen die Gänse davongetrieben haben –
„Naa, des san de Unsrigen g’wesen.“
- woher dann die vielköpfige Herde, die den Sieg über Schuff errungen hat ?
„Des san de, de was der Herr Hasfájás hier beiseit im Weinkeller ver-steckt g‘habt hat. Speziell vor de Fouriere von der unsriger Armee.“
Der Weinkeller ist einzige Lokalität im Dorf, die dickmauerig und vergittert ist schon seit der Türkenzeit. Aber wie lohnen es die Gänse dem Gnä Herrn Hasfájás, dass er sie hierorts sicher bewahrt vor dem Zugriff fremder Fressmäuler ?
Besaufen sich mit Rotwein. Denn in dem Keller hat sich, weil die Zapfhähne ihren Dienst nur nachlässig tun, ein wohlduftender See aus Tokayer, Muskateller und Gumpoldskircher ausgebreitet, fingertief und von Wand zu Wand, vermischt mit Lehmstaub und Gänsedreck und Flaumfedern als Segelschiffchen obendrauf. Wer aus dieser Tränke schlürft, wird zügellos enthemmt und zu jeder Missetat bereit.
Aber auch eine solcherart enthemmte Gans, meint Schuff, könne kein Gitter aufbrechen und den Schlüssel umdrehen, zumal wenn gar kein Schlüssel zuhanden sei.
„I bin so guat wie aufg’hängt. So guat wia…“
Die Gänse umstehen den Mesner und versichern ihn ihres Mitgefühls. Sie wissen, wie er weiß, wer ihnen Freigang verschafft hat. Die Kinder, die Malefizbamsn.
Was denn für Kinder ?
„I bin so guat wie aufg’hängt. So guat wia…“
Was für Kinder !
„Unser Gnä Herr Hasfájás is aso mild als wia der Flaum von seine Ganserln, aber wann dene irgendwas contra geht, nacha werd er zum Kosakenhäuptling. I bin so guat wia aufg’hängt…“
Der Herr Hasfájás, zugewandert aus Großwardein am Siebenbür-gischen Gebirge, liefert Gänsebraten an die ersten Häuser Wiens. Bloß der Mesnertölpel, der hier hockt selbstverschuldet in der Weinlacke, der fällt ihm in den Arm.
„Aber wann i do schwöa, de Glockn woan in Rom ...in Rom…“
Unter der Bohlentür des Wein- und Gänsekellers klafft eine Lücke, durch die die Sonne herein scheint. Die Schwelle darunter ist nicht be-festigt, und wenn man den Sand wegkratzt, wird die Lücke fürs Son-nenlicht ein bisschen geräumiger.
Schuff kratzt und genießt, denn in dem Verließ ist es finster und der Gänsekotgestank, vergoren in der Weinlacke, hat das alleinige Regi-ment. Eines Morgens steht in der Kuhle unter der Bohlentür ein Napf voller Linsensuppe, und auch ein Brot ist dazugetaucht. Als Schuff danach langt, hört er, dass dicht nahebei gekichert wird.
Die Kinder !
Schuff revanchiert sich. Wenn er den leeren Suppen-Napf wieder hinaus schiebt, sitzt darin ein blaues Federbürschchen, das zwar nicht mehr fliegen kann, aber mit den Flügelchen schlagen und den Schnabel sprei-zen. Sodass nun dicht nahebei nicht bloß gekichert, sondern losgeprustet wird.
„Wann de Glockn doch in Rom woan…wann i da schwöa dass de Hundsglockn in Rom…“
Beim nächsten Mal sind es schon zwei Brote, die in den Linsen schwimmen. Schuff wird verköstigt wie von Feen. Der Mesner schlürft sich derweil hinten im Finstern einträchtig mit seinen Zechgenossinnen in einen grenzenlosen Rausch.
„I bin eh so guat wia oofg’hängt…“
Schuff setzt seinem Vogel ein Taschentuch auf und staffiert ihn mit Gänseflaum aus, der nun ein blauweiß gesprenkelter ist, und als er den Sand unter der Türkante noch energischer beiseite häufelt, hat er sich damit eine Bühne erbaut. Ein Schauspielhaus in der Sandkuhle, auf der er auch noch einen zweiten Darsteller auftreten lassen kann.
Nämlich seine linke Hand, die mit dem Vogel schnattrige Zwiege-spräche führt die noch mehr Dorfkinder herbeilocken. Bis plötzlich Holzpantinen auf seine Akteure eintrampeln und die Kinder fortgebrüllt werden.
„Z’haus mit eich, ös Krippel !“
Schuff fürchtet, dass die Linsen von nun an ausbleiben. Aber am nächsten Abend werden mehr Linsen als zuvor in die Spalte gestellt, und als er sie sich mit den Brotkanten ( auch die sind größer geworden ) in den Mund schiebt, schmeckt er sogar Speckstücke in der Suppe.
„Der fremde Herr ist ein Puppenspieler von Profession ?“ fragt eine Frau, die sich seinetwegen hingekniet hat. Er sieht es an dem Schatten den sie wirft, aber sie selber sieht er nicht.
Soll er es mit der Wahrheit halten mit Verlaub, ich bin von Profession Intrigant oder soll er als Anwalt in eigener Sache seine Freilassung for-dern, energisch und unverzüglich ?
Den Geschmack des Specks im Gaumen, ermutigt er sich selbst dazu aus Gänsefedern neue Figuren zu bosseln, und als die Frau ihm abermals den Napf vor die Ritze stellt ( nun schon mit Bandnudeln und Hühner-fleisch ) lässt er sie nicht warten, bis er aufgegessen hat.
Sondern führt um den Napf herum seine neuen Kleindarsteller vor.
Diesmal trampeln ihre Pantinen sie nicht mehr nieder. Sie stampfen vor Vergnügen. Schuff bringt die Unsichtbare zum Lachen und leitet daraus seine Anwartschaft auf weitere Portionen Linsensuppe ab.
Die Pantinen bleiben vor der Türritze stehen, auch als der Napf schon leergeleckt ist. Und als Schuff sich eben bei der Unsichtbaren erkundigen will wann werd ich endlich befreit aus diesem Loch teilt sie ihm nach langem klammen Schweigen mit, die kunstreichen Holzschuhe, die er da sehe habe ihr Gatte geschnitzt. Wie auch anderes worauf der fremde Herr gar nicht kommen tät. Holzköpfe für Kasperln. Weil der Ihrige auch ein Puppenspieler gewesen ist.
Gewesen ?
„Perlacko hat der Meinige g‘sagt, wie sie ihn zu de Soldaten zwungen ham.“
Denn Perlacko bedeutet verschwinden in der Puppenspielersprache.
„Damit hat er mir sagen wollen, er ist vorderhand abwesend, aber in Wirklichkeit noch für mich anwesend. So halt wie der Puppenspieler hinterm Spielschirm nicht zum Sehen ist und doch da ist. Aber das Perlicko dazu hat er nimmermehr ausführen können. Denn Perlicko, das bedeut erschein wieder ! in der Puppenspielersprach. Weil, der Meinige ist den Soldatentod gestorben. Noch nicht einmal auf dem Feld der Ehre hat sie ihn troffen, die Ruhr, sondern schon aufm Marsch da hin..“
Die Pantinen scheuern verlegen aneinander.
„Es is mir von ihm bloß a Zetterl überbracht worden, letzter Hand. Perlacko und Gott befohlen Dein Joseph is drauf gestanden. Erwarte dich meine Afra und die Kinder da drüben “.
Hinter dem Spielschirm Gottes, hat ihr Joseph damit sagen wollen, weil der Joseph ein frommer Mann gewesen ist.
„Das Zetterl hat der Herr Hasfájás überbracht, der was als Wacht-meister gedient hat, aber nicht von der Ruhr dahing‘rafft is worden und aa net von de Franzosen. Es hat ihm nichts gefehlt außer ein Ohr, was auf dem Schlachtfeld verblieben ist. Umso gnadenvoller für ihn, weil jetz hört er das G ‘schrei von seine Gäns aa bloß no halb.“
Nachts wispern die Stimmen der Versuchung unter der Bohlentüre.
„Mir wolln aa an Wein.“
Draußen liegen die Dörfler und stöhnen ihren Durst durch die Ritze.
„Ruckts an Wein raus, es soll eich zum Segen gereichen.“
Wenn Schuff und der Mesner Wein beibringen, die Fässer anbohren, Schläuche legen, die durch den Spalt gereichten Flaschen füllen, dann wollen die Dörfler die Heraushauung der beiden Mundschenke tatkräftig betreiben.
Wird versprochen, beschworen, gefleht. Dass freilich der Herr Halsfà-jas dicke Schlösser an die Zapfhähne hat schweißen lassen, die mithin nur Getröpfel hergeben, das nur zur Labung des Mesners wie der Gänse reicht und von denen reichlich gepanscht worden ist mit leiblichen der Eingeschlossenen, das wollen die Durstigen vor der Tür nicht gelten lassen.
Weil ihnen die Kehlen trocken bleiben, erleichtern sie sich unterwärts und pissen nach Kräften vereint an die Tür. Jetzt gibt es keine Pup-penspiele mehr, denn wer wollte dem Linsennapf zumuten, in die Pinkelgrube gestellt zu werden.
„Der Gnä Herr wird’s scho richten…“
Und Recht sprechen, auf dass der Napf wiederkehre. Aber wann kehrt der Gnä Herr wieder ?
„Mit Glück in a paar Tag.“
Und ohne Glück ?
„In a paar Wochn.“
Nun schlürft auch Schuff mit dem Mesner und den Gänsen aus dem Rotweinsee, in dem sie alle stehen.
„Und i schwörs, die Glocken woan in Rom…dö woan in Rom, warum glaabts mir denn bloß kaaner….“
Die Rückkehr des Herrn Hasfájás ist eine Inszenierung von eigenem Reiz. Auf seinem Apfelschimmel, nahezu so stämmig wie er selber, sprengt er ins Dorf, umgoldet wie der Sommer. Aber er springt nicht ebenso glorios vom Schimmel, wie es nach diesem Auftakt wäre. Denn der Herr Hasfájás ist beleibt über das Dorfübliche hinaus. Er hat a abgestimmt fülliges embonpoit wie man in Wien zu sagen pflegt, und er kommt gerade aus Wien, wo er sein embonpoit noch fülliger hat werden lassen
Der Herr Hasfájás ist noch nicht vom Schimmel gehoben von sechs, acht diensteifrigen Dorfburschen, da hat er den Seinigen schon verkündet, dass er als ein gänzlich Verwandelter zurückkehrt, ein Erhöhter, hat ihm doch die kaiserliche Hofkanzlei den Adelsschlag versetzt in Würdigung seiner Verdienste um sein Dorf im besonderen und die kaiserlich habs-burgische Landbestellung insgesamt.
Ah da schau her, raunt es im Dorf nun, mit was darf er sich denn schmücken, mit einem Baron, mit einem Ritter, gar mit einem Graferl ?
„Er darf a i anhängen an seinen Namen“.
„Ah geh, a bloß a i. Wo soll denn da ein Adel sein.“
Wann i der‘s sog. Das ist so Usus im Ungarischen, wo der gnä Herr gebürtig ist. Bei denen ist die Reihenfolge verkehrt rum, den Fa-miliennamen schreiben sie als erstes und danach den Taufnamen. Weil sie auf der anderen Seiten von der Wienstadt ansässig sind, da richtet sich alles ins Östliche aus und in die Gegenrichtung, von uns her gesehen. Drum hängen sie auch das von hinten dran, quasi ostwärts, an den Familiennamen.
Aber ein Adel ist ein Adel, und damit stehen wir im Dorf auch in einem neuen Glanz da. Durch dem Gnä Herrn seines
neues i.
Der Herr von Hasfájási lässt sich nicht lumpen, sein neues i strahlt übers Dorf wie ein goldgefasster Diamant. Darum hat er den Seinigen auch ein Geschenk mitgebracht aus Wien. Die Männer werden die Gan-serln schlachten, die Kinder dürfen sie rupfen. Das ist extension manu-factural, gewerblicher Aufschwung ist das, und die Geschicktesten aus dem Dorf dürfen die Lebern vom Fleisch trennen, was man filieren nennt nach französischem Muster, und was dabei herauskommt ist fois gras und die Delikatesse aller Delikatessen, die was sonst nur aus Strasbourg herexpediert wird.
Jetzt kommt sie aus dem Dorfe des Gnä Herrn mit dem neuen i, was viel näher dran ist an Wien und seinen Schleckermäulern als wie da hinten dieses Strasbourg.
Aber der Gnä Herr von Hasfájási, immens spendabel wie er nun einmal ist, hat auch noch ein zweites Geschenk in petto. Die Weiberleut dürfen Kattun rechteckig zusammen nähen und mit Flaumfedern aus-stopfen. Bis dato hat der Gnä Herr immer nur das Fleisch von den Ganserln geliefert nach Wien. Und das, was ihnen weggerupft wurde, als Kielfedern an die Beamten, Schulmeister und Mönchsschreiber.
Die Zierde all dessen aber, was eine Gans zu vererben hat nachdem sie ins Elysium abgeflattert ist, ist der Flaum. Und der war bislang zu nichts nutz.
Nun ist er dem Gnä Herrn nutz. Denn die Bürger der neuen Zeit wollen im Weichen nächtigen, sie beanspruchen die gleiche Weichheit wie die Kaiserin Josephine in Paris und wollen sich den sich den gleichen zarten Hintern dabei erwerben, im Schlaf. À bas mit Rosshaar und Strohsack ! Der Gnä Herr mit seinem neuen i schiebt Flaum unter die Hintern Eu-ropas, Vivat Daunen und wolkengleiche Unterpolster !
Ein mächtiger Vogel erhebt sich am Horizont der Zukunft, es ist nicht Napoleons kriegerischer Adler, es ist die daunenspendende Gans. Sie reißt keine Beute, sie duldets dass man ihr selber die Flaumfedern ausreißt und schnattert beglückt, wenn die Menschheit das Bett gar nicht mehr, sondern auf ihrem Daunen Kinder zeugt und ihr fois gras nascht. Niemand wird mehr einen Krieg führen wollen, und keine Fouriere wer-den mehr dem Gnä Herrn die Gänse wegräubern.
Also her mit Wein zum Draufanstoßen.
Der Wein ist die Domäne der wilden Gardisten. Sie allein haben das Recht, die Schlüssel zu den Schlössern ausgehändigt zu bekommen, die der Gnä Herr an die Zapfhähne hat schmieden lassen. Der Gnä Herr trägt sie überall bei sich, sie durften sogar die Reise nach Wien mitmachen und Zeugen seiner Adelserhebung werden. Nämlich, der Gnä Herr traut sei-nen Weinwächtern nicht über den Weg.
Zu Recht, wie sich zeigen sollte, als der Keller aufgeschlossen wurde. War ihnen doch völlig aus dem Gehirn gerutscht, dass dort neben Wein und Gänsen auch noch zwei Delinquenten weggesperrt waren.
„Wo bleibt der Wein“ schreit draußen der Herr. Weil er ein i mehr in seinem Namen mehr hat, noch schriller als früher.
Die wilde Corona dreht verlegen die Schlüssel in den Händen, wird’s bald schreit der Gnä Herrn, aber sie haben Meldung zu machen ( sie stehen sogar stramm dabei ) die Konjunktur die der Gnä Herr verspro-chen werde ein peinliches Loch aufweisen, grad so groß wie eine Gans.
„Eine Gans ?“
Halten zu Gnaden, eine Gans welche nicht mehr nach Wien eingeliefert werden kann, weder ihr Fleisch noch ihr Flaum, weil sie vom Leben zum Tode befördert worden ist durch ein landfremdes Element.
„Landfremdes Element ?“ schreit der Herr, noch schriller, denn ihn dürstet.
Nun ergab es sich aber, dass die Weinwächter nicht ausmachen konn-ten, welcher von den beiden Einsitzenden im Kellergewölbe der mit den Glocken in Rom sei und welcher der mit der gemeuchelten Gans, denn sie waren beide über die Maßen versaubeutelt. Der eine schlummerte, umlagert von Gänsen, hockte beiseite. Beide in der Weintunke und beide im Dustern.
Sie greifen den Beiseitehocker und schleppen ihn vor den Gnä Herrn, dessen Durst ob der überlangen Trennung von seinem Wein in donner-grollende Ausgedürrtheit übergegangen ist.
Wie aber wird im nun da, als er diesen seinen Wein erblickt nicht in einem Glas, sondern in Gestalt roter Tapser, welche der Herbeige-schleppte sich auf dem Erdboden hinterlässt ! Der Gnä Herr war immer schon der Gerichtsherr im Dorfe, nun ist er ein adliger Gerichtsherr und sein Zorn doppelt. Die Nobilitation dupliziert den Durst, und der Durst multipiziert den Zorn.
„Meuchelmörder !“
Schluck von seinem Tokayer, der ihm nun endlich gereicht wird.
„Schau dir her du Vieh, wie das arme Tier muss gelitten mit das hier um Hals !“
Auch der Draht, das Tatwerkzeug, ist ihm gereicht worden. Schluck.
„In den Himmel aufgefahren meine Gans. Aber auf Erden - Märtyrer.“
Schluckschluck. Der Gnä Herr erkennt seinen Mesner nicht mehr, weil vor seinem nunmehr adligen Blick alles gemeine Volk eh gleich aus-schaut.
„Trauer für Gans. Fluch für Hinschlächter.“
Schluckschluckschluck. Die Trauer fordert viele Schlucke. Die Schlu-cke befeuern wiederum die Trauer. Der Delinquent aber ist dem Gnä Herrn im Schlucken weit voraus, er hat den Wein des Gnä Herrn bereits als gansisch angereicherte Klumpen in sich, darum fällt seine Vertei-digungsrede de GlocknwoandochwoandowoaninRom so lallend aus, dass auch zehn Ohren nicht ausreichen würden um sie zu verstehen, und der Gnä Herr hat doch nur noch ein einziges. Dafür vervielfacht sich sein Durst, und des Mesners Prophezeiung in eigener Sache i bin so guat wia aufghängt rückt dem Zeitpunkt da sie sich bewahrheitet näher und näher.
Wenn nicht gerade hier die Kinder, Schuffs Publikum, den von ihnen aus dem Kellergewölbe Befreiten vor sich her schöben, und vor des Gnä Herrn Angesicht. Der fremde Mann ist lieb, der fremde Mann kann einen blauen Vogel fliegen lassen sollt die Verteidigungsrede lauten, die die Kinder sich vorgenommen haben das wird doch reichen um den Verlust auszugleichen für eine Gans, wo die doch vor lauter Fett nicht einmal hat fliegen können !
Aber diese Rede kann nicht vorgetragen werden, denn Schuffs hinfälliges Schuhwerk, das mit Kostümfetzen ausgestopft war, hat sich während der Tage und Nächte im Gänsekeller, vollgesogen mit Wein-lacke, zu breiten Muspolstern aufgeschlämmt, die um seine erfrorenen Zehen wabern und eine rote Spur hinter dem armen Schuff her malen, gegen die des Mesners Tapser nur Sprenkelchen waren.
Der Gnä Herr erblickt sie, der Herr erkennt einen weiteren Schänder seines Weines, der Gnä Herr fasst in sein Gilet-Tascherl, präsentiert ein Papier und ruft über seine Untertanen hin -
„Das Urteil !“
Amtlich ausgefertigt von der kaiserlichen Hofkanzlei. Tod, steht in dem Schreiben, dem Weinschänder und dem Gänsemörder. Das Urteil soll an den Birnbaum genagelt werden und die Delinquenten darüber in der Senkrechten aufgeknüpft. Aber gefälligst so hoch, dass ihre Füße das amtliche Schreiben nicht etwa verdecken.
„Halten zu Gnaden, es gibt keine Leiter im Dorf welche auf den Birnbaum hinaufreichen tät. Der Gnä Herr haben geruht Leitern zu untersagen, damit keiner verlockt wird zum Birnendienstahl“.
Dann sollen sie halt eine Räuberleiter machen, die begriffstutzigen Grindschädel ! Ein Aufhänger-Helfer hopp hopp auf die Schulter vom nächsten Aufhäng-Gehilfen, wird’s bald.
Schluckschluckschluckschluck.
Die Kinder werden in die erste Reihe der Dörfler gestellt, wegen der Abschreckung. Während der Mesner schon hängt und ein paar letzte Tropfen des entweihten Weines des Gnä Herrn herabregnen auf die Kinder, die sich grausen und damit fürs Leben lernen, steht Schuff, seinen Strick schon um den Adamsapfel, vor dem Urteil, das an den Birnbaum genagelt ist. Auf dem Papier wird aufgelistet, was beim Tran-chieren von Zuchtgänsen zu beachten sei, in Erfüllung des vetrinär-ärztlichem Erlasses vom 7ten Juni 1797.
„Die Gänsefüße zu Bouillon – „ deklamiert Schuff nun so laut ers vermag, beseligt endlich wieder einen fremden Text zum Vortrag bringen zu dürfen, wo er um eigene doch immer verlegen ist „ - die Gänsefüße zu Bouillon zu zerkochen ist bei Strafe untersagt, sofern man sie als Kalbsbouillon ausgibt, weiters ist untersagt die Mägen der genannten Schlachtgänse zuzubereiten bevor sie untersucht worden sind auf – „
Der Gnä Herr reißt die Schrift vom Nagel. Niemals noch hatte der Gnä Herr zu gewärtigen dass einer in seiner Umgebung der Schrift mächtig war. Er zieht den langen Schuff am Strick zu sich herunter, auf Flüs-ternähe.
„So aan wia di könnt ich brauchen für Schriftverkehr“.
Womit der Gnä Herr sogleich beginnt, indem er das kaiserlich Ausgefertigte umdreht und auf der Rückseite eine Zeile aufsetzt. Die soll Schuff verlesen, abermals so laut er kann. Nein, noch lauter. Und Schuff liest, beseligt dass ihm endlich einmal wieder eine Regieanweisung zuteil geworden ist ;.
„Meine Durchlaucht geruhen Delinquent zum begnadigen unter einzig-stes Bedingung : Delinquent ehelicht Witwe Afra.“
Die Witwe Afra küsst dem Gnä Herrn beide Hände.
Und „au Leiwand“ jubeln die Kinder „jetz hupft der blaue Vogel wieder für uns !“
Die Kinder verstehen sich auf Federtiere. Sie sind es gewesen, die den Gänsen Freigang verschafft haben, indem sie die Schlösser des Wein-kellers mit Federkielen besiegten. Sie werden auch Schuff besiegen, denn sie weit zahlreicher als er aus dem Weinkeller heraus sah.
Ihre Mutter, zu Schuffs Braut bestimmt, scheuert die eine Pantine an der anderen, weil Schuff jetzt zum erstenmal im hellen Tageslicht nicht nur sie, sondern auch ihre Pockennarben erblickt. Sie gewährt ihm kein Brautlächeln, damit er ihre Zahnlücken nicht vor der Zeit wahrnimmt, denn mit jeder Kindsgeburt ging der Verlust eines Vorderzahns einher. Perlicko.
Die Gänse sind geschlachtet. Bis aus ihren nachgelassenen Eiern Kü-ken schlüpfen wird es still sein im Dorf. Unheimlich und ungewohnt still, und die Gänsegeschrei gewohnten Ohren der Dorfbewohner wären be-schäftigungslos, wenn es nicht in Afras Hütte allerlei zu erlauschen gäbe.
Schuff, der immer alleine gelegen hat, liegt jetzt mit einer Frau. Auf Stroh, das durch das Sackleinen der Zudecksäcke piekst, denn der Gänseflaum ist den feinen Kissen anderswo vorbehalten. Das Stroh stachelt schon beim gewöhnlichen Schlaf. Beim Liebesakt stachelt es naturgemäß noch mehr, und es sind viele Liebesakte vonnöten. Afras Lust war lange aufgestaut gewesen, seitdem ihr Voriger sein Perlacko ge-macht hat und zu den Soldaten geschleift wurde.
Die Luft zischt durch ihre Zahnlücken, wenn sie sich Schuff nimmt. Sie hat oft Gelegenheit zum Zischen. Das Stroh tut das seinige. Schuffs Kniehaut schwillt blutunterlaufen an nach jedem Durchgang, aber er will sich nicht am Birnbaum hängen sehen und steht seinen Mann.
Während er seine Knie den Lanzen des Strohs aussetzt, hat er das Bild der Demoiselle vor Augen, das sich auf seiner Netzhaut festgesaugt hat als Inbild des Weiblichen, wie er es jeden Tag und jede Vorstellung vor sich gehabt hat, immer zum Hineinbeißen nah und dennoch unerreichbar. Bis er die Demoiselle als blauen Vogel nachschuf, zierlich, huschig, flat-terliesig, und statt mit Sohlen mit Krallen, damit sie sich auf schwan-kenden Zweigen festhalten konnte.
Und zum allgemeinen Entzücken hat er den blauen auch noch mit seiner Sehnsuchtsfarbe angemalt.
Die ihm zugeteilte Afra dagegen ist von der Sonne und der Feldarbeit verbrannt wie ein zu harsch gebackener Brotlaib. Der Unterschied zwi-schen den beiden Frauen kommt ihm bei Tag vor wie zwischen Libelle und Bullenbeißer, und in der Nacht ist er ( bis dato kein fundierter Kenner der weiblichen Anatomie ) immer wieder verwundert, dass den-noch die Eingänge zu beider Weiblichstem jeweils an der gleichen Stelle installiert sind. Wenn er dort ( bei der Demoiselle nur beim Umkleiden erahnbar ) einfährt, schauen die Kinder ihnen vollzählig zu wie bei einer Vorstellung im Kasperltheater.
Schuff, der sich nie aus freien Stücken vor ein Publikum getraut hat, sich immer davor gefürchtet hat ( nur verkleidet als Bösewicht oder Totenvogel, hat er der Sanfte und Timide es geschafft, seine Texte abzuliefern ) agiert nun en suite allnächtlich und oft auch bei Tag in der Rolle des Luststössels. Ohne Regieanweisung. Kein Prinzipal ruft ihm auf die Szene wirst du sie wohl kraulen am Hals ! Knet ihr die rechte Brust ! Reib ihr den Bauch mit dem Knie damit sie stierig wird ! Mehr brio ! Mehr appassionato ! Und vor allem mehr Gestöhn !
Nur das Händeklatschen nach dem Perlacko, wenn der Vorhang wieder gefallen ist ersparen ihm die Kinder. Schuff wird den Verdacht nicht los, er hat sie darstellerisch schon wieder nicht überzeugt. Soll er die nächste Vorstellung mehr als Wüstling anlegen oder mehr als Seladon, der poetisch eindringt, unter Versen aus einem Schäferspiel ?
Perlicko perlacko.
Mag er auf dem Strohsack eine Zweitbesetzung sein und eine Wurzen des Beilagers, wenn er wieder aufrecht steht, ist er Prinzipal eines vielköpfigen Ensembles von Holzköpfen, das Afras Voriger nicht mit in den Krieg hat nehmen können. Schuff ist sein eigener Propodonsky ge-worden, princeps spectaculorum, nur dass seine Schauspieler still und fügsam an der Wand hängen.
Hier wie in Propodonskys Compagnie gibt es in seinem Ensemble Elite und Fußvolk, Löwen und Wurzen, Langebehns, viele Schuffs und ein Krokodil und Tod und Teufel und das schöne strohdumme Annamirl, Perlicko und Perlacko.
Wenn Schuff den Käpernick seiner Truppe ( hier heißt er Hanswurst ) über die Spielleiste hält, zerreißt es den Gnä Herr vor Gelächter. Und wenn der Gnä Herr lacht, darf das ganze Dorf auch lachen. Wenn Schuff den Teufel erscheinen lässt, werfen die Kinder Äpfel nach ihm. Wenn der Tod ins Spiel kommt, gruhlen sich die Weiber und auch die wüsten Weinwächter des Gnä Herrn, die mit ihren Bibermützen und den Epauletten auf ihren Bärenfellen selber aussehen wie Kasperlpuppen. Sie halten sich schadlos für ihre eigene Angst, indem sie den Tod mit ihren Weinbergstangen pieksen, die vorne mit Sicheln bewehrt sind. Der Tod steckt ihnen dafür die Äpfel darauf, die die Kinder geschmissen haben und hat die Lacher wieder auf seiner Seite.
Wenn Schuff in seinem ersten Bühnenleben als Intrigant und Unheils-künder immer bloß kurze Auftritte auf der Bühne gehabt hat, um sie sogleich wieder freizugeben für die, die ohnehin alle sehen wollten : Propodonsky, Langebehn und die schöne Demoiselle, ist er nun der ein-zige Akteur. Histrio primus, Propodonsky, Langebehn, die Demoiselle und Käpernick auf einmal. Die Kollegen stecken gottergeben auf seinen Händen, und Langebehn ist nun nichts anderes ist mehr als Sylvester Schuffs gehorsamer Fingerreiter.
Schuff, der Heisere, ist nun noch heiserer von dem Geröhre, das er als Teufel veranstalten muss, dem Bramabarsieren des schnauzbärtigen Capi-tano, dem Angst- und Lustquietschen des Annamirl und den Torturen, die seine Stimmbänder durchzustehen haben, wenn er als Hanswurst die Dorfkinder überschreien muss. Und wenn er sich früher nach seinem Auftritt auf die Garderobe gefreut hat, in der Käpernick ihn mit seinem Kartenspiel erwartete und die kleine Demoiselle, die auf seinen Knien reiten wollte und dabei den blauen Vogel flattern sehen, wartet heute Afra mit ihren Narben auf ihn. Wirft ihn auf die Strohsäcke, und das Plenum der Kinder will wieder Zuschauer sein. Und die Fron der öffent-lichen Darbietung wird nicht aufhören bei Tag und bei Nacht.
Nur Afras Ältester schaut nie zu beim Bettspektakel. Weil Schuff fehlbesetzt ist als Liebhabervater oder auch als Krokodil ? Oder weil er ein ausgeleiertes Krokodil ist ? Der Älteste ist im Stimmbruch. Die Kin-derstimme kann sich nicht einigen mit der Männerstimme, welche das Wort ergreifen darf, es gicksbrummt in seinem Kehlkopf wie im Taubenschlag, darum schweigt er wann es irgend geht.
Schuff erkannte sich in Afras Ältestem wieder, dem Sylvester mit vierzehn Jahren, einem blassen Sich-in-die-Ecke-Drücker in einer turbu-lierenden Komödianten-Familie, der sich ständig für die anderen ge-nier-te. Was Schuff seiner Sippe gewesen war, das sind Afras Ältestem nun die Puppen. Ein derber Zeterhaufen, schon auf den Fingern seines Vaters nur verlängerte Knüppel oder Faustkampf-Handschuhe, zu denen das Publikum heraufbrüllte, sie sollten sich tüchtig prügeln, dann verwamsen, hierauf windelweich schlagen und zum Schluss erschlagen.
Und dann alles wieder von vorn.
Afras Ältester ( Joseph heißt er, nach dem Vater ) trägt sich mit einem ganz anderen Theater. Er willt nicht Teufel, Krokodil und den Hans-wurst vorgeführt sehen, sondern die große Welt. Und wenn sie nicht zu ihm kommt in das Gänsedorf, erbaut er sie sich selber. Zuerst hat er Kupferstiche aus den wenigen Gazetten heraus ausgeschnitten, die ( als Einwickel-Papier ) das platte Land erreichten, die Erstürmung der Bastille und das Auslaufen der britischen Flotte aus dem Hafen von Portsmouth, um die aufständischen Amerikaner unter Kanonenfeuer zu nehmen. Die Nachrichten von draußen hatten weite Umwege hierher ins Oberennsische zurückgelegt, die Ereignisse lagen lange zurück, aber Joseph strich unverdrossen das zerknitterte Papier glatt, schabte Fisch-schuppen und Rostflecken fort, malte Wasserfarben darüber und erwei-terte den Horizont der Nachrichten hier um eine Segelbarkasse, die unter dickem Rauch-Gepuste Kanonenkugeln ausspuckte, dort um ein Felsen-gebirge, über das Truppen heranrückten und rettungslos eingeschmalzte eines Rechnungsbuches inspirierten ihn dazu, sie von hinten mit einer Kerze zu illuminieren, und schon hatte er die prächtigste Feuersbrunst, und Paris stand schauerlich in Flammen.
Nur Schuff durfte es sehen. Damit er seinen blauen Vogel darin flattern
ließ und die Szenerie damit belebte, ihr eigentlich erst Berechtigung und Weihe verlieh. Schuff durfte endlich auch ( wortlos, sie waren es beide zufrieden wenn sie sich in Eintracht anschweigen durften ) mit Hand anlegen, um mit Joseph einen kleinen Napoleon aus Blech auszu-schneiden. Nun schon mit Gelenken, damit er die Beine werfen konnte. Und Armen, damit er seine vorbeimarschierende Armee grüßen konnte. Und weil er für einen Kaiser zu kurz gewachsen war, wie alle berichteten die ihn je gesehen hatten ( wie Schuff der ihn sogar hatte brennen sehen ) brauchte er ein Pferd. Das sich aufbäumen konnte. Er benötigte über-haupt viele Pferde, eine veritable Kavallerie, denn er zog siegreich in eine Stadt aus Sperrholz ein. Und die Stadt brauchte einen Triumphbogen. Und zum Triumph gehörten jubelnde Massen, die die Arme hochwerfen und rotweißblaue Fähnchen schwenkten, mit einem einzigen Hebelzug zu bedienen. Oder höchstens mit einem zweiten.
Denn Schuff und der Junge wollten in ihrem Panoptikum allein bleiben.
„Allein mit dir, Sylvester“.
Ihr Sehnsuchtsort war die Kirmes, weit weg vom Dorf. Wo außer ihnen auch Affen auftraten, die auf Kamelen ritten, als Prinzessinnen verkleidete Hunde die Schubkarren schoben in denen Meerkatzen saßen, die Seifenblasen bliesen. Die staunenswertesten Ereignisse aber würden Schuff und Joseph in ihrem Guckkasten zeigen. Den Feldzug Napoleons in Ägypten, von Sphinxen begönnert. Die Krönung Josephines und Napo-leons zu Kaiserin und Kaiser, durch diesen selbst, und der Papst musste still dabei sitzen und war nur aus Eierschalen zusammengeleimt.
Und Schuff, der graue Schleicher qua Rollenfach, der Einflüsterer , der Ränkeschmied und Unheilverkünder, der früher ewig Bleiche würde das Vorgeführte beglaubigen als wahrhaft Dabeigewesener, als Kürassier, der die bunte Uniform getragen hat, welche die Damenherrschaften hier im Bilde zu sehen. Der Veteran, der in tausend Bränden versehrt wurde aber nie verzehrt, der nach siegreichen Schlachten Einzug gehalten hat in eroberte Städte ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, werte Herrschaften für den Reiter auf dem dritten Pferd hinter Napoleon welcher meine Wenigkeit darstellt. Und dann würde ihr Napoleon über die Spielleiste gezogen, von links nach rechts, seine Armee grüßen und die befreiten Massen würden ( mit einem einzigen Hebelzug bewegt ) die Arme werfen und ihre Trikoloren schwenken.
Afra war schwanger, Schuff nicht neugerig auf das Kind. Es würde wie die anderen aussehen, die sie bereits geworfen hatte. Und wenn es wie Schuff aussähe, war er schon gar nicht neugierig, denn auch er sah aus wie seine Geschwister Schuff, die Lärmigen und ewig Turbulierenden. Nur um halbwegs für sich zu sein, war er ihnen in die Höhe davon-gewachsen und hatte damit alle Energien verbraucht, die er für sein späteres Leben gebraucht hätte.
Als die Stimme Josephs tiefer wurde und Flaum auf seiner Oberlippe wuchs, musste Schuff erleben, dass der Junge sich von ihm separierte. Er bastelte ohne Schuff seine eigene Kaiserin Josephine. Der Kaiser, noch gemeinsam aus Blech geschnitten, braucht seine Kaiserin nicht zur zum Regieren, es muss auch eine amour dabei sein bei der grandeur. Darum sitzt sie nicht auf dem Thron, sie trägt ein langes weißes Nachthemd. Als Schuff dieses anhebt, erkennt er, dass der Älteste nun ein Mann geworden ist und die schwarzen Kringel der Schamhaare so liebevoll ausgemalt hat wie Schafherde, die über den Schamhügel hinab ins Delta der Venus zieht.
Wenn der Schnee ausapert ( und ehe Afra niederkommt, es wird im April sein ) werden sie los ziehen. Schuff in nunmehr festem Schuhwerk, die Lücke die die erfrorenen Zehen gelassen haben, ausgestopft mit Schafwolle. Auf ihrer Karre, die sie zu zweit schieben, wird ihr zu-sammengeklapptes Welttheater liegen samt Kerzen für die Feuersbrünste, und mechanische Vorrichtungen und Kurbeln für die Paraden, Schiffs-untergänge und Beschießungen. In Wien, kann Schuff dem Joseph versichern, wird eine namhafte Schauspieltruppe sie empfangen und in die bessere Gesellschaft einführen. Sie werden nicht ins Dorf zurück kehren.
„Warte auf mich, Demoiselle.“
Damit Schuff ihr zeigen kann, was er hat gelernt im Bett. Perlicko, Perlacko.
Strönebald
Da sind wieder die vier Fäuste, die ihm die Beine auseinander zwängen. Er schreit. Die vier Fäuste packen fester zu. Seine Zehen sind taub. Die Arme sind gefesselt.
„Wirst du wohl das Maul halten, du Bastard. Du beleidigst Gott den Herrn mit deinem Gequäk.“
Strönebald schreit. Aber es kommt kein Ton aus seinem Hals. Ströne-bald schreckt aus seinem Traum hoch. Zwei Männer halten ihn umklam-mert, noch immer. Auch im Erwachen spürt er ihre Fäuste um seine Waden. Er schlägt sich auf die Beine, um sie zu verscheuchen, nass von Schweiß und Pisse.
Strönebald sucht dieser Traum immer wieder heim, er ist mit ihm über fünfzig Jahre alt geworden. Dieser Traum ist sein Gepäck und im-merwährender Reisegefährte, wo immer er sich auch befindet, in Brüssel, in Dresden, oder jetzt in Ybbs an der Donau.
„Wirst du dich wohl berappeln, du Kind der Sünde !“
Strönebald weiß, er trägt die Sünde in sich, er hat es wieder und wie-der eingebläut bekommen, er ist die Sünde auf zwei Beinen. Strönebald ist unehelich geboren. Fromme Brüder fanden ihn eines unheiligen Mor-gens vor der Klosterpforte von San Giacomo zwischen zwei anderen in Sünde Geborenen.
Er allein hat überlebt, darum tauften die Brüder von San Giacomo ihn auf Giacomo, und weil sie schon vier andere Giacomos hatten im Findelhaus, gaben sie ihm als winziges persönliches Eigentum den schnippschnapp erfundenen Nachnamen Estrobaldo mit auf den Lebensweg. Womit er der luftigen Sippe der Estrobaldi angehörte, die es nicht gab und die ihn folglich auch nicht ernähren und nicht aufziehen musste, ihm auch nicht das Avemaria beibringen, weswegen die frommen Brüder die luftigen Estrobaldi beneideten und es ihren Verwandten, eben den Giacomo Estrobaldo entgelten ließen.
All die genannten Pflichten für den kleinen Giacomo wurden vom Orden der Piaristen des Heiligen Joseph von Calasanz wahrgenommen. Die Piaristen waren Giacomos Familie, in der es nur Väter gab, von Pad-re Anastasio bis zu Padre Zaccaria und in die er zwar nicht hineingeboren war sondern bloß hinein gelegt, ihnen vor die sandalengegürteten Füße geschmissen von der Hand seiner unbekannt gebliebenen Gebärerin.
Wofür er zum kindheitslangen Dank in ihrem höchst bescheidenem Gotteshaus San Giacomo im Chor zu singen hatte bei den Frühmessen mit den anderen Findelknaben. Niemals sattgegessen, nie auch recht ausgeschlafen, immer angeleitet von Pater Anselmo.
Krächzig und unfroh, stets im Gestank der Rinnsale von Urin, die in-nen die Beine hinabliefen, weil die Chorknaben vom Introitus bis zum Ite missa est kerzensteif unbewegt dazustehen hatten. Gab einer seiner knäbischen Unrast nach, so schlug Pater Anselmo zu mit dem eisernen Anzünder für die geweihten Kerzen. Und wenn der hiervon verbogen war, mussten ihn die Chorknaben wieder gerade biegen.
Wecken viertel vor vier Uhr, darauf Gebet, sodann Versenkung in frommes Schrifttum, um sieben heilige Messe, siebendreißig Suppe, Schulunterricht von acht bis zehn, zehn bis elf Unterweisung in Musik, elf bis zwölf Mittagstisch, zwölf bis halb eins Versenkung in frommes Schrifttum, zwölfdreißig bis einsdreißig Unterweisung in der Gottes-gelehrtheit, dann Schule bis vier, dann Unterweisung in Musik. Fünf bis sechs Abendtisch, von sechs bis zum Angelusläuten Studium gottge-lehrter Schriften.
Und nach dem Abendgebet Nachtruhe um neun Uhr. Bis eines Morgens der Prior gelaufen kam, nach dem ita missa est, als die Choristen sich schon entfernen wollten, um das, was sich noch in ihren Blasen befand, draußen abzuschlagen.
„Von welchem Mistkerl ist das hohe C gekommen beim pange ling-
ua ?“
Da die Mistkerle nicht wussten, was ein hohes C ist sondern nur dummtreu vor sich hin tirilierten wie Pater Anselmo es mit seinen Gesten anzeigte, mussten sie dem Prior die Antwort schuldig bleiben. Der Prior fluchte, Pater Anselmo schimpfte, die Zöglinge gingen sich leerpinkeln und der Prior stand allein zwischen den Pfützchen, in Betrachtung der Tröpfchenseen und Tröpfchentümpel, so verloren wie ihre Urheber sel-ber.
„Von hier ist es gekommen ! Giustamente von hier !“
Und zeigte auf das dritte Pfützchen in der zweiten Reihe.
„Das ist der Platz von Estrobaldo, Giacomo.“
„ Her mit diesem Zögling und her mit seinem C !“
Und so ward Ciacomo numero 5 auserwählt, künftig auch bei den Hochämtern zu singen und nicht mehr nur bei den Frühmessen. Nunmehr aufgenommen in den Chor der Adoleszenten, die zur Mannbarkeit heran-wuchsen was die Körpergröße betrifft. Nicht aber das Sprießen von Haaren ums Kinn und über dem Pimmel, weil sie dem Stamme der Evirati zugeteilt waren, oder wie die Muselmänner sie nennen, der Eunu-chen. Welch letztgenannte freilich nicht Gott zu preisen haben mit ihren Stimmen, sondern das Weibervolk zu bewachen, auf dass dieses nicht seiner ererbten Natur folge, nämlich dem Sündigen.
Dafür aber waren die Evirati von Gott mit Engelsstimmen beschenkt. Nam mulier taceat in ecclesiam, das Weib soll die Gosche halten in der heiligen Kirche, hatte der Apostel Paulus verfügt, mit Bedacht in seiner Epistel just an seine Glaubensbrüder zu Rom.
Weswegen die Kunst des Entmannens zur Gewinnung überirdischer Singstimmen eben bei den dergestalt ermahnten Römern noch zu Ströne-balds Kinderzeit in besonderer Blüte stand. Evviva il coltinello war der Wahlspruch, es lebe das Messerchen. Als bescheidener Helfer, trug es doch bei zu den musikalischen Freuden ad maiorem dei gloriam.
Der Knabe, der auserwählt ist solch ein cantor felix werden zu dürfen, wird zuvörderst mit Opium in einen Zustand der Betäubung versetzt, auf dass er das Geschnibbel das an ihm verübt wird, nur beduselt wahrnehme.
So stand es in den Medizinalhandbüchern der Klosterbibliotheken. Nun war aber, zum einen, in keinem Kloster Opium zur Hand. Zum andern hielten sich die ausübenden Schnibbler abseits aller Gelehr-samkeit und wussten rein gar nichts von dem, was in den wissenschaft-lichen Folianten gedruckt war. Und in die Bibliotheken durften sie, die Messerlumpen, schon gar nicht hinein.
Sie wurden von den frommen Brüdern zur Nachtzeit durch ein Seiten-pförtchen eingelassen und entlohnt mit einem kleinen Ablass auf ihre zu erwartenden Höllenstrafen, ein Gebet für die arme Seele oder um Er-rettung vor dem Galgen zuzüglich einem bescheidenen Freitisch auf dem Hackklotz der Klosterküche. Eine sündteure Mixtur wie das edle Lauda-num, das altvertraute Opium aus dem Gottesgarten der Mohnblüten, war diesem geistlichen Ort schon gar nicht zu erwarten. Die Kleinmeister der Messerchen führten Selbstgebrautes aus den Luderküchen der Land-straße mit sich, über dessen Rezeptur die frommen Brüder Näheres zu erfahren in frommer Scheu vermieden. Der Bruder Küchenmeister stellte lediglich einen Bottich zur Verfügung, miefend nach altem Bratenfett, Zwiebeln von vorvorgestern und verranzten Fischen, in dem die Prozedur vonstatten gehen sollte.
In ihm wurde der Aspirant nun einige Zeit mit kochend heißem Wasser gebeizt und dabei nach Kräften von starken Armen fixiert, bis er glück-lich einging in den Zustand völliger Erschlaffung. Seit drei Tagen ohne Nahrung gelassen, seit einem Tag zudem auch ohne Trank, konnte sein Verdauungstrakt das heiße Wässerchen nicht mehr trüben oder gar eine unreine Note einbringen.
Schlaff wie ein abgezogener Hasenbalg, halbwegs benebelt von den selbstgebrauten Essenzen, wurde der Knabe sodann auf den Küchentisch gebreitet, mit gespreizten Beinen, und es wurden ihm Kopf und Brust weit nach hinten festgezurrt. Die Gehilfen des Schnibblers hatten die Blutgefäße abzuzwingen, damit der Operateur zum Hauptgeschäft schrei-ten konnte.
Nämlich die kindlichen Hodenstränge mit einem Messer durchtrennen.
„Kreisch nicht, Hurensohn ! Jesus hat noch ganz andere Qualen aus-gestanden am Kreuz !“
Darauf wurde das vollbrachte Schnittwerk mit einer Schusteraale vernäht. Und der Knabe mit wasserkalten Leinenwickeln versorgt. Denn nun hatte er die Prüfungen tagelanger Fieberanfälle durchzustehen.
“Hört, Brüder, was für ein einzigartiges C !“
„Jubilate !“konnte der Prior erleichtert ausrufen, denn er hatte sich bei seiner Suche nach einem neuen Lobsänger Gottes nicht geirrt.
Das C des Giacomo schwang sich auf in den Himmel wie eine Lerche. Und nur die einem Ordensmanne anstehende Demut hinderte den Prior, sich obendrein zu rühmen, dass er es gewesen, der diese Lerchenstimme entdeckt und zum Erblühen gebracht hatte. Wenn man vom Schöpfergott einmal absieht, aber dieser hatte ja nur die rohe Hülle, eben den Giacomo erschaffen, aus welcher der Prior das Wunder einer begnadeten voce bianca herausschälen durfte.
Estrobaldo haute ab, als er sechzehn war.
Heftiger noch als die anhaltenden Schmerzen in seinem Unterleib quälte ihn die Reue über seinen Undank, ihm zugefügt von der Vor-stellung, dass Gott, nun nicht mehr angesungen mit seinem hohen C, sich seiner Flucht wegen übelnehmerisch abwendete von seiner Familie, den Piaristen des Heiligen Joseph von Calasanz.
Und diese wiederum dafür an dem Flüchtigen Rache nähmen. Estrobaldo lebte in alltäglicher Angst, die kuttentragenden Schutzengel seiner Kindheit seien drauf und dran ihn, ihr Eigentum, hinter der nächsten Hausecke zu ergreifen und aufs neue dem geschwungenen Kerzenanzünder des Pater Anselmo zu überantworten, den harten Pritschen, dem Barfußgehen auf eisigen Steinplatten und der täglichen Frühmesse morgens um sieben.
Der Flüchtige verdingte sich, über allerlei Mittelsmänner die ALLES andere als Ehrenmänner waren, bei einer reisenden Operntruppe, die im Kirchenstaat und in den lombardischen Provinzen glücklos blieb und darum zu einer Tournee nach jenseits der Alpen aufbrach. Dieser Auf-bruch linderte die Leib- und Seelenschmerzen Estrobaldos, solange sie übers Gebirge fuhren oder an den Passstraßen ihren Packwagen hinterher wandern mussten, denn dort drüben in Germania wohnten die Luthe-rischen zwar im ewigen Nebel, aber sie pfiffen auf die Klosterzucht.
Dass sie auch auf die voce bianche der Verschnittenen pfiffen, erfuhr er am eigenen Leibe, als er in fürstlichen Opernhäusern auftrat, vor deren Portalen die Untertanen Schmähschriften verteilten wider das sündperverse Schwuchtelgesinge. Wieder wurde Estrobaldo von Schmer-zen im Unterleib zerrissen, Pater Anselmo hieb wieder auf ihn ein, vor allem seine Seele, auch wenn die anderen Silberkehlchen sich beäumelten dass die Pasquille doch gar nicht auf sie zielten. Sondern auf den Fürsten und Herrn der Oper, den heimlichen Katholiken und offenen Steuerver-schwender.
Der sie, gli artisti, mit schandbar knickrigen Gagen beleidigte.
Als sie aus der Residenz des Herzogs Carl Eugen von Württemberg wegfuhren, wurde ihre Kutsche mit Steinen beworfen. Einer durchschlug die Scheibe in der Tür und landete im Schoß des schwabbligen Con-cialini.
“Eine solche Huldigung ist mir noch nie zuteil geworden !“
Und kriegte sich nicht mehr ein vor Gekicher. Was stellt er sich so an, der Meschuggene, fragten sich die anderen in der Kutsche und rutschten peinsam von ihm weg.
„Gesteinigt werden wie San Stefano, ich lach mich scheckig !“
„Was ist soll da amüsierlich sein am Gesteinigtwerden, du heiserer Ka-paun !“
„Giustamente ! Dass ich ein Kapaun geworden bin, giustamente das verdanke ich San Stefano. An seinem Namenstag haben sie mich kastriert. Dafür hat mir San Stefano eine silbernen Glocke in den Kehlkopf gepflanzt, und mich auf den Gipfel meines Glücks geführt, ihr beschissenen Eunuchen.“
Keiner in der Kutsche brachte mehr ein Lachen zustande.
„O Pate Stefano ! Ich werde den Stein immer neben meinen Spiegel legen künftig in der Garderobe, wenn ich mich schminke. Und wer sagt noch einmal heiserer Kapaun ?“
Der Stein sollte zur Waffe werden, das ahnte von nun an jeder Kollege. Bei der nächsten Schlägerei würde der schwabblige Cocialini ihn einset-zen, zu Ehren von San Stefano, und nicht einmal einen Seidenschal da-rum wickeln. Und Schlägereien brachen regelmäßig aus, sobald man den einen Inhaber einer Silberstimme mit einer anderen Silberstimme in der Garderobe unbeaufsichtigt allein ließ.
„Du hast mir mein Rubato nachgemacht, du fistelstimmige Henne !“
Dass sie sich die aprikosenhäutigen Backen zerkratzten mit ihren la-ckierten Fingernägeln war noch das geringste.
„Lern erst mal Noten, du neapolitanische Stockente !“
Wenn eine dritte voce bianca zugegen war, leistete sie Beistand indem sie mit ihren hohen Absätzen, Kothurnen fast, nach den beiden anderen trat, die sich auf dem Boden wälzten.
„Hackt euch zu biftec tatare, ihr Schnepfen, bis ihr schmackig genug seid für die Hölle. Die Gesangskunst wird euch Dank wissen !“
Und dazu flog der Stein des San Stefano.
Auf dem Gipfelpunkt des Gemetzels, wie vom Inspizienten aufgerufen, pflegte die Baronesse P. einzutreten, vermählte Reichsgräfin zu L., Erbin einer Loge im Hoftheater, um einen der Kämpfer, noch mit dem Blut des Kollegen unter den Nägeln, zu einer heure douce abzuholen.
Und manchmal, je nach Verfassung der Kämpfer, auch beide.
Estrobaldo schoben sich Rasiermesser in die Stimme, wenn er mit an-sah wie die anderen von der Bühne herab den Damen Kusshändchen zu-warfen oder bei der Aria des Kollegen, lässig an die Orchesterloge ge-lehnt, Termine für zartselige Treffen notierten. Und wenn vor dem Schminkspiegel Erfahrungen ausgetauscht wurden über Leibesöffnungen der Damen und zugehörige Sekrete, von denen man im Konvikt des Heiligen Joseph von Calasanz noch nicht einmal ahnte, dass Gott sie er-schaffen hatte, dann war Pater Anselmo wieder über ihm.
Kerzenleuchter, Kerzenleuchter, hunderte von Kerzen an der Rampe, im Saal. Feuersbrünste in den Gesichtern, ein royales Lichterfest,. Estro-baldos strahlendster Abend im strahlendsten Opernhaus, in dem er je hat auftreten dürfen. Erstmals vor einem König.
Nur dessen Loge blieb ein dunkler Fleck.
Als Estrobaldo an die Rampe trat für sein Arioso im zweiten Akt, sah er hinter dem Kapellmeister einen unansehnlichen Herrn stehen, der finster in die Partitur spähte, manchmal sogar die Noten ungeduldig umblätterte mit der Spitze seines Spazierstocks und dazwischen den Takt auf den Estrich stampfte. Er ahnte, dass es der nämliche Herr sein musste, von dem die Kollegen schon im ersten Akt Zettel geschickt bekamen, die sie verstört in ihre Kostüme stopften. Beim Applaus ergatterte er zwei davon. Er hat an seine Aria eine Kadenz angehängt von obszönstem Geschmack. Es wird ihm hierfür das Salär gekürzt. Und, auf den schwabbligen Cocialini: Er hat das Tempo seiner Cavatine gröblichst verschleppt. Es wird ihm hierfür die Aria in actus drei gestrichen.
Die Sprache eines Compositeurs, der hat anhören müssen, wie sein kunstreich Geschriebenes vor seinen Ohren zur Ohrenqual verhackstückt wurde. Estrobaldo bekam keinen Zettel. Dafür die Arie im dritten Akt, die dem schwabbligen Cocialini entzogen worden war. Als er die Kür bestanden hatte, Bravissimo-Rufe ihn anspornten und er in einem Über-mut, der ihm an sich selbst neu war und dem er darum freie Hand ließ, zu einer Schlusskadenz nach eigenem Gusto ansetzte, wurde ein wohlbe-kannter Stock auf den Boden gerammt :
„Beaucoup ! Schenk er sich die dreiste Ornamentierung !“
Der unansehnliche Herr. Und wieder rammte sein Stock :
„Continuez !“
Womit der Fortgang der Oper gemeint war, und Estrebaldos Abgang. Ins einsetzende Allegro des Orchesters hinein giftete der schwabblige Cocialini :
“Jetzt hast du, was ich dir immer schon gewünscht habe. Das war Seine Majestät Frederico, der dich von der Bühne gepustet hat. Per sempre, du verpfuschte Nebelkrähe“.
Mehr noch als das Verdikt des Königs ängstigte Estrobaldo die Rache Cocialinis, der Stein des San Stefano, der so unausweichlich auf ihn nie-dersausen würde wie der Stefanitag auf das Weihnachtsfest folgt. Aber Gott der Herr der sich von Estrobaldo abgewandt hatte schon zu Kloster-zeiten, seit dem Ausbleiben seines Lobgesang bei den Piaristen des Hei-ligen Joseph von Calasanz, Gott der Herr ließ ihm ein Zeichen der Huld zukommen, dies eine Mal.
Und sei‘s auch nur weil Gott der Herr des Lobgesangs in der allzu frühen Frühmesse überdrüssig war und sich nun als Opernfreund bewei-sen wollte. Nach der Vorstellung wurde Estrobaldo der Gefeierte und Estrobaldo der Gescholtene gleichermaßen zum König von Preußen beor-dert. Ein minderer Lakai tat ihm auf. Erst als dieser, auf seinen Stock gestützt, vor Estrobaldo herschlurfte, erkannte der den Unansehnlichen vom Orchestergraben wieder.
„Er wird die Kadenz, die er vorhin eingespart hat, nun für mich hören lassen.“
Für den König war eine Flöte bereitgelegt. Keine Noten. Und so kärg- lich mit Worten er auch war, seine Hunde stellte er einzeln vor : Alkme-ne, Diana, Amourette, Phyllis.
„Und die mit den klugen traurigen Augen ist Thysbe.“
In trübsinnigen Nächten durften sie das Bett mit ihm teilen, aber das ließ er vor seinem Gast nicht heraus.
„Hat er Einwendungen dass, meine Windspiele sein Aditorium sind ?“
Estrobaldo hätte sich keinen Widerspruch getraut, dieser König war der erste seines Gewerbes dem er begegnete.
„Die Natur hat den Hund mit allem ausgestattet, was Natur einem Wesen mitzugeben vermag. Wie bei Schildkröte und Schachtelhalm auch. Aber dem Hunde hat die Natur Bildbarkeit mitgegeben. Diese Wesen erschö-pfen sich nicht im Vollzug ihrer Instinkte. Sie wachsen über sich hinaus ins Humane, wenn sie denn klug dorthin geführt werden. Wir verachten sie, diese Scheißeschnüffler. Wie ich Kastraten verachte. Diese Scheiße-schnüffler. Aber wenn sie erkennen lassen, dass sie klug geführt – „
Er unterbrach sich.
„Er hat mich verstanden, bis hierhin. Zeig er jetzt, was ich an den Hun-den gelobt habe.“
Die Windspiele legten sich zu seinen Knien, verständige Zuhörer.
“Er wird in ihren Augen lesen, ob er‘s getroffen worauf ich abziele.“
Der König blies auf seiner Flöte, Strönebald hatte seinen Melodiebögen zu folgen.
Sie spielten Haschen, wie zwei Schmetterlinge. Wenn der König auf der Flöte patzte, prügelte er dafür mit seinem Stock auf einen Jüngling ein. Einen locker geschürzten Hermes, der nicht schrie, denn er bestand aus Alabastermarmor.
„Wenn einer von diesen meinen Gefährten jault, ist es um Ihn gesche-hen. Wie heißt Er eigentlich ?“
„Estrobaldo Giacomo, Sire“.
„Welsches Quackelquackel. Ich nenne ihn Strönebald. Punktum. Sing er noch eins.“
„Wie Sire befehlen.“
„Er singt wie ein Gott.“
Genierlich sah der umgetaufte Estrobaldo auf Hermes, einen Gott, der weiterhin stumm bleiben durfte.
„Mir höchste Ehre, Sire.“
„Schwätz Er nicht. Sing Er !“
Es hat keins von den Windspielen gejault. Aber dem Hermes wurde ein Arm abgehauen. Zur Gänze, und der andere bis zum Ellbogen.
Viele wollten in der Folgezeit den Sänger hören, der vor des Königs Ohren Gnade gefunden hatte. Friedrichs Schwester in der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth, auch, noch einmal der schreckliche Carl Eugen in Stuttgart. Braunschweig erhob Anspruch, der sächsische König von Polen wurde hellhörig. Venedig und Bologna ließen anfragen. Lissabon und London schickten Beobachter, Zuhörer, Ohrenaufsperrer.
Und sie alle rissen sich um die Ehre, Strönebald eine Equipage zu stellen und ihn dreispännig, oder falls ers wünschen sollte, auch vier- oder fünfspännig über Land zu expedieren zum nächsten, zum jeweils eigenen Opernhaus.
Auf der letzten dieser Reisen, 1778, tappte Strönebald in die Falle des Mars.
Streitmächte beider Seiten waren tagelang durch Landregen mar-schiert, ohne ihres jeweiligen Gegners ansichtig zu werden. Bis sich ihrem Marsch ( es regnete weiterhin ) ein Kartoffelacker in den Weg legte. Das Unglück, militärisch gesehen, wollte es, dass zwei jeweils feindliche Abteilungen gleichzeitig der selben Kartoffeln auf dem selben Acker ge-wahr wurden, wenngleich an verschiedenen Enden.
Die beiderseits hungrigen Soldaten steckten ihre Musketen in die Ackererde, machten sich emsig ans Ausgraben und so ergab es sich, dass sie, emsig die Furchen entlang kriechend und den Blick auf die Erdäpfel gerichtet, sich mehr und mehr mit der gegnerischen Armee vermischten.
Die Hauptleute beider Seiten bemerkten die Vermischung wohl und auch mit pflichtschuldigem Unbehagen, zugleich aber mit gourmandisem Behagen, gedachten sie doch aus dem Erntesegen, den die Gemeinen ergruben, ihren Anteil abzuzweigen.
Sie träumten, hüben wie drüben, bereits von Bratkartoffeln, als die Straße zwischen den Kartoffelfurchen mit den knielings darin kriechen-den Grenadieren eine Kutsche herangerollt kam. In ihr saß Strönebald , gab sich seinen Stimmübungen hin und bemerkte nicht, dass er mitten in einen Krieg geraten war. Die Hauptleute wiederum waren des festen Glaubens, in der Kutsche sitze der jeweilige oberste Kriegsherr, der sich in die vorderste Linie begeben hatte um den Gefechtsverlauf zu in-spizieren.
Wenn der Kriegsherr sich schon ins Feld begab, oder vielmehr auf den Acker, dann wollte er auch Krieg zu sehen bekommen. Sonst würde seine säumigen Hauptleute gehörig stauchen und so ließen sie die Bratkartof-feln für dieses Mal sausen und zur Attacke zu blasen.
Die Grenadiere beider Seiten, die Taschen voll mit erdig nassen Erd-äpfeln, griffen sich die Muskete die ihnen jeweils am nächsten lag und feuerten. Die gegriffene Muskete indes war selten eine der eigenen Armee, auch hatte der Regen ihr Pulver reichlich durchnässt. So gelang kaum ein Schuss, geschweige dass er einen Gegner traf, wohl aber Eige-ne, denn von der Ackererde besudelt war sogar die Farbe der Uniformen schwer auszumachen.
Bei den Pferden an Strönebald Kutsche hatte das misslungene Geknalle indes sehr wohl Wirkung getan. Als biedere Hofhaltungsgäule hatten sie Kampfgetümmel nie kennengelernt und zerrten Kutscher, Kutsche und deren Inhalt quer über die Ackerfurchen, bis diese umkippte. Und presch-ten davon, quer durch die Angehörigen beider Heere hindurch, die dabei ihre restlichen Kartoffeln verloren.
Aus der Kutsche heraus rollte Strönebald.
Das Antlitz mit Rouge überhaucht, rötlich gepudert die Perücke, Justaucorps aus grünem Jacquard, Ärmelstulpen bis zum Ellbogen, mit Silberknöpfen besetzt, Culotten aus ebensolchem Stoff, und dazu Schleif-chen, an jeder Naht hellblaue Schleifchen, nun vom Regen getränkt und strähnig herab hängend wie zerkochte Bandnudeln.
Mag der oberste Kriegsherr, erkannten da die Kommandeure beider Seiten, auch des sicheren Sieges wegen aufgeputzt auf dem Schlachtfeld erscheinen - Spangenschuhe mit roten Absätzen, samtbezogen, würde er bei solher Gelegenheit denn doch nicht angelegt haben.
Noch immer war dem Befehl attaque ! nicht Folge geleistet, niemand war angegriffen worden außer den Kartoffeln. Hauptleute wie Gemeine stürzten sich darum, als sie statt zahlenmäßig überlegener Feinde nur einen einzelnen Buntling vor sich sahen, nun umso ingrimmiger in die Offensive.
Wer ein Bajonett zur Hand hatte und wäre es eines der jeweils anderen Armee, stürmte voran. Wer sein Bajonett im Acker hatte stecken lassen, nahm den Feind mit Kartoffeln unter Feuer. Hussa, war das ein Jagen !
Angesichts zweier auf ihn losstürmender Heerhaufen ließ sich der Ge-jagte zu einem taktischen Fehler verleiten. Strönebald, der nur firm war in Strategie und Taktik des Kontrapunkts, erging sich in Angstgeschrei und vergeudete dabei sein schönsten hohen Ds. Und verleitete die Grenadie-re, keine Opernbesucher allesamt, zu der Einsicht verleitete da kreischt ein Weibsbild ! Was da übers Kartoffelfeld türmt, ist eine Zickeline, verkleidet als Stutzer !
Grausam geschwind lutschte die feuchte Ackerkrume Strönebald die Schnallenschuhe von den Füßen, grausam fest saugte sich der Schlamm fest an den seidenen Strümpfen und pappte Strönebald bäuchlings in die Furchen. Noch bevor die Soldateska über ihm war und ihn noch tiefer in den Mulch zerrte, war er ohne Über- und Unterhosen. Grausam fuhren die militärischen Stiele ein in seinen After ein, der dafür nicht geschaffen war. Strönebalds Schreie gellte in die Furchen, viele vergeudete hohe Cs und Fs, bis ihm Kartoffeln den Schlund verstopften.
Da waren wieder die Fäuste seiner Alpträume, diesmal Soldatenfäuste, die ihm die Beine auseinanderzwängten. Seine Zehen taub, die Arme ge-fesselt, die Perücke ihm über die Augen gestülpt wie eine Augenbinde beim Blindekuhspiel, und Pater Anselmos Haken wütete in seinem Ge-därm, in Militärschwänze verwandelt. Wirst du wohl schweigen, du Bastard. Du beleidigst Gott und alle Heiligen im Himmel.
Die Söhne der Altmark und die Söhne Böhmens stemmten sich glei-chermaßen in seinem wehrlosen Mastdarm, dessen gewiss, dass ihnen niemals Kinderlein daraus entsprießen würden. Als die ersten von ihm abgelassen hatten, drängten sich andere heran, beide Armeen bunt durch-einander und nur von ihrer Gier kommandiert.
Als die Hauptleute nachgekommen waren, um sich ihren Anteil abzuholen und mit gezogenem Degen die Gemeinen verscheuchten, wälzte Strönebald sich blutend auf den Rücken, zupfte nach den Resten seiner zerfetzten Seidenhose und zog sich die letzten Strähnen seines Hemdes über die Schulter. Außer seinem rechten Strumpf aber war ihm keine Garderobe verblieben. Und dieser Rest half ihm nicht gegen den Regen der nun, wie um Strönebald zu beweinen oder auch nur sein Blut abzuwaschen, noch reichlicher fiel.
Wie ein eiserner Vorhang, der ein verdrießliches Schauspiel beendet.
Der österreichische Obrist piekste mit dem Degen nach dem Nackten, Perückenlosen, Heil- und Hilflosen, auf dessen halbrasierter Glatze sich Erdbrocken in den Haarstoppeln verfangen hatten, die als dunkle Rinn-sale über Gesicht und Brust liefen, piekste nach ihm wie mit einem Bratspieß nach einem Filetstück das nicht durch ist und schrie :
„Das ist ja ein Mannsbild !“
„Sodomiten ihr alle !“ bellte der preußische Obrist.
„Hundskrüppeln, abartige !“ der österreichische.
Das Gefecht wurde nach dem Sieg über Strönebald nicht fortgesetzt, sondern der Kartoffelacker restlich abgeplündert. Die Strönebald als erste geritten hatten, mussten durch die Spießruten laufen, wegen Nicht-angreifens des Gegners item Schwächung der Kampfkraft item widernatürlicher Unzucht in Tateinheit mit Erdäpfelraub.
Strönebald, nur noch mit dem Rest eines Strumpfes bekleidet, musste dabei stehen als Verursacher der militärschädlichen Versündigung und weinte, weinte, weinte.
Bis sogar die Obristen aufhörten zu grinsen.
Man kann, wenn es fort und fort regnet, in Heuschober kriechen. Zur Nacht und auch tagsüber. Der Geruch trocknenen Klees und Bärenklaus ist der Nase allemal bekömmlicher als der bestialische Gestank verschwi-tzter Grenadiere, ihrer ungewaschenen Säcke und ihres beißenden Ge-spritzes. Man kann auch in Streuhaufen Asyl finden, wenn unverträglich viel Militär unterwegs ist. Und wenn Schützenketten durch die Dörfer streifen, ist man sogar glücklich, wenn einem ein Misthaufen Asyl gewährt.
Aber man findet nicht Frieden dort, wenn man nackt ist, an Seide ge-wöhnt und die Halme sich unter dem wunden Rücken und den malträ-tierten Arschbacken in Pfeile und Lanzen verwandeln. Sogar die Bauern-mädchen die sich mit Strönebald vor dem Militär versteckten, hielten Abstand zu dem Fistelstimmigen und Weißhäutigen. Abgewandten Ge-sichts ließ eine Schweinemagd eine Stallschürze zurück, als eine bran-denburgische Schützencompagnie vorbei gezogen war und sie sich wie-der ins Freie wagte. Die Schürze hätte sie ohnehin fortgeworfen, denn sie war steif von Schweinemist.
Strönebald wollte ihr ein Bedanke-mich ! hinterher rufen, besann sich aber darauf, wie verhängnisvoll es wäre, sein Silberstimmchen erschallen zu lassen. Stattdessen warf er ihr, als sie sich noch einmal umwandte, eine Kusshand zu. Sie bekreuzigte sich und rannte davon, als wäre ein ganzes Regiment hinter ihr her.
Strönebald hatte nun, mehr schlecht als recht, eine Gewandung, aber ihm war nicht nach Ausgang zumut. Der Stein des San Stefano rumorte in seinen Innereien und wurde zu vielen Steinen, die ihm durch Gedärme und Venen polterten. Pater Anselmo schlug mit seinem eisernen Haken auf ihn ein, Strönebald wünschte sich zum Höllenfeuer begnadigt zu werden. Zum Höllenfeuer, denn einige Etagen höher im Himmel würde ihn ein übellauniger Gottvater erwarten du schuldest mir seit neunhun-dertdreiundzwanzig Frühmessen den Lobgesang, zu dem du doch abge-richtet worden bist, du Hurensohn. Ab mit dir in die Latrinengrube des Paradieses !
Und als säße er bereits in dieser und sämtliche Heiligen entleerten sich über ihm, wuchsen auf seinen Handflächen braune Hügelchen und er-gossen Nässe und Eiter. Seine Achselhöhlen begannen zu schmerzen, als habe ihn Pater Anselmo auch dort getroffen und ihm Wundmale zu-gefügt. Sein Fleisch quoll auf, unter den Armen und dann den ganzen Leib hinunter. Im Gaumen wuchs ihm ein grindiger Ausschlag, wucherte als Furunkelgeflecht hinaus aus dem Mund und über die Lippen. In seinem immer noch blutigen After, dem Sündenrohr, platzte Schwäre neben Schwäre auf und spritzte giftige Stinke ins Heu seines Verstecks ; hätten Bauernmädchen es mit ihm geteilt, wäre er von ihnen sogar aus einem Misthaufen hinausgeworfen worden. Sein Herz raste in seiner Brust als wolle es ausbrechen aus diesem sündigen Gehäus und fort, nichts wie fort von dem Gezeichneten, der er nun war.
Danach kam, als wäre er das nun schon ersehnte Höllenfeuer, der Fieberbrand über ihn. Vier Fäuste packten ihn, zwangen ihm die Beine auseinander wirst du wohl schweigen, du Bastard. Du beleidigst Gott und alle Heiligen im Himmel.
Es kommt kein Ton aus seinem Hals, nicht einmal seine Stimme leistet ihm mehr Beistand gegen Pater Anselmos Hiebe, denn Strönebalds Schlund ist vollgestopft mit Kartoffeln, und Pater Anselmo hat eine Grenadiersuniform an und einen Totengräberspaten in der Faust.
Damit salutiert er vor Strönebalds Bahre.
Und der schwabblige Cocialini hält eine Hofdame im Arm, die trocknet sich die Tränen mit einem Notenblatt und schluchzt „Harter Schanker ! Der Ärmste, und bei meinem Seligen hat es nur zu Nierenversagen ge-reicht.“
Venerische Krankheiten sind chic bei Hofe, sie schmücken mit der Auriole des lasterhaften Draufgängers. Deswegen ist Strönebald im Spi-tzenhemd aufgebahrt und geschminkt wie zu seinen Bühnenauftritten und auf seinen gefalteten Händen, die nun wieder ohne Furunkel sind, liegt der Stein des San Stefano. Er ist riesengroß geworden, er drückt Strönebalds Lunge zusammen.
„Er ist an mir erstickt“ triumphiert der schwabblige Caciolini.
„Harter Schanker ! Die französische Krankheit, du Sündenschwengel.“
Das Kreuz, das der Nonne vom Hals baumelte, kratzte Strönebald an der Nase. Das erste kleinteilige Gefühl wieder seit langer Zeit. Die Nonne ließ ihm eine Behandlung angedeihen, bei der er sich die Seele aus dem Leib kotzte, dann die Eingeweide, und dann alles Übrige was von ihm noch geblieben war.
„Kotz nur brav, du hast ja auch Quecksilber schleckern dürfen.“
Quecksilber ist die Morgenmilch des Teufels. Der spült sich die Zähne damit und ist davon den ganzen Tag guter Dinge. Strönebald verlor nach solchen Frühstücken seine noch übrige Behaarung für immer. Deine Haare büßen für dich, und du schämst dich nicht und flehst sie an, du Sündenhengst, sie möchten zurückkehren zu dir ? Auf den Boden mit dir, Strafknien !
Es ging zu wie bei Pater Anselmo, nur dass sie keinen eisernen Kerzenanzünder zur Hand hatte.
„Kotz deine Seele in einen Hundenapf, beschau sie dir und wenns dir immer noch nicht graust, frisst du mir wieder Quecksilber.“
Und abermals Strafknien. Und als Strönebald wieder genug bei Kräften um zu jammern, und die Nonne seine Stimme hörte, schrie sie :
„Alle Heiligen stehen mir bei ! Was ist das für ein weibisches Gezirpe, das aus deinem Maul kommt !“
Und wieder sollte Strönebald knien, diesmal zur Strafe für sein so wenig mannhaftes Stimmchen. Und dazu beten. Aber mit einem Gebet wagte er Gott nicht zu behelligen. Weil er doch mit so viel Lobgesang im Rückstand war, dass es auf keinen Beichtzettel gegangen wäre. Und bei der Mutter Maria, die die Nonne immerzu im Munde führte, getraute er sich schon gar nicht erst vorzusprechen, denn er wusste nicht was eine Mutter ist.
So hinterlegte er ein Gelübde bei sich selbst : niemals würde er mehr die Hoffartsünde des Gesangs begehen, nie mehr seine silberne Stimme hören lassen, la voce bianca maledetta del diavolo, die ihn in ein Verhängnis nach dem anderen geritten hatte von der Zeit seiner Kindheit an, in der nie ein Kind hatte sein dürfen.
Schwester Cypriana, als er wieder aufrecht stehen konnte, komman-dierte ihn in die Küche. In die Klosterküche, wie sie ihm weidlich be-kannt war von seinem Verschnittenwerden her. Bei jeder Kartoffel, die er nun zu schälen hatte spürte er hinter sich Pater Anselmo, der lauerte, dass Strönebald versäumte eine Faulstelle aus der Schale zu pellen, um ihn mit dem Stein des San Stefano zu erschlagen. Und bei jeder Zwiebel die er schneiden musste, war es Strönebald willkommen, dass sie ihn zu Tränen reizte. Denn so konnte er seine eigenen Sturzbäche gleich mit dazu fließen lassen.
Den Küchennonnen war der Flenner mit dem radebrechenden Fistel-stimmchen jeden rohen Scherz wert. Von Gott und der Mannheit kurz gehalten, wetteiferten sie darin, den welschen Halbmann am aller-kürzesten zu halten. Sag doch mal Rettich reibt Rosenkohl kriegte er fortwährend zu hören zwischen Fischeausnehmen und Kuttelschneiden. Oder sag doch mal Kruzifixsakrament, du rostiger Rotzlöffel !
So legte Strönebald auf sein erstes Gelübde noch ein zweites drauf .Er würde zu niemand mehr sprechen von nun an. Alles was in seinen Stimmbändern hauste, war zu unbegrenzter Buße verdammt.
Schwester Cypriana schalt die Küchenschwestern, untersteht euch und verlustiert euch über meinen Kleinen schalt sie, denn sie schalt herzens-gern. Sie schalt morgens mittags abends und zum Nachtgebet, sie schalt um Gotteslohn und um der armen Seelen willen, sie schalt Strönebald, wenn seine Ausheilung nicht vorangehen wollte und sie schalt ihn wenn er, nun schon Rekonvaleszent, sich nicht gehorsam zu ihren Knien einfand, von wo aus sie ihm noch mächtiger gewachsen schien als sie ohnehin schon war.
Dabei war sie schon mächtig genug, sie war der weibliche Sankt Chri-stophorus des Spitales, die alle fürchteten und die alle schalt die Gott kürzer und einschüchterbarer hatte geraten lassen als sie selbst.
„Wieviel Missetaten müsst ihr euch aufgepackt haben“ schalt sie ihre Mitschwestern“, dass Gott euch so kümmerlich hat wachsen lassen !“
Nur am Sonntag, dem Tag des Herrn, schalt sie nicht. Da durfte Ströne-bald von seinem Platz vor ihren Knien hoch zu seinem Sonntagsplatz auf ihren Knien. Er durfte beide Arme ausstrecken, Cypriana schlang einen Strang Wolle um sie und wickelte sie ab.
Denn Cypriana bestrickte Strönebald, den Entblößten rundum. Zu-nächst dem mit was am nötigsten war, mit Strümpfen. Dann, einschlägige Schamgebote hintan stellend, auch mit Hosen. Bei den dazu nötigen Ver-messungen stieß sie darauf, dass er verschnitten und mithin um Fa-densbreite fast ein Mädchen war, und er durfte nun auch werktags auf ihre Knie. Und da Strönebald sich dem Schweigen verschworen hatte, plapperte sie in die Stille hinein und von der siebenunddreißigsten Ma-sche an von ihren gott-hab-sie-selig Eltern, gesegnet mit sechs Töchtern aber keinem Sohn. Und wie es die Eltern verbitterte dass ihre sechs Töchter den lieben Tag lang am Singen waren, während ihre Brüderchen sich, auf dem Umweg über eine Fehlgeburt und noch eine Fehlgeburt den Eltern verweigerten.
Und wie ihr, Cypriana, die damals noch Gertrud hieß, unter den sechsen die glanzvollste Singstimme zu eigen war, ein majestoser Alt. Und als Cypriana bei der linken Ferse von Strönebalds neuem Socken-paar anlangte, war sie auch bei der nächsten Totgeburt eines Knaben an-gelangt, den ihre Eltern nun endlich als Fingerzeig Gottes nahmen, sich wenigstens eines der unverdrossen singenden Mädchen an Gott abzu-treten.
In der Hoffnung, dieser möge sich mit einem männlichen Erben revanchieren.
Und während sie Strönebald die eben fertig gestrickte neue Socke überstreifte, plapperte sie von ihrem himmlischen Bräutigam Jesus Chris-tus, von welchem freilich nicht überliefert ist dass er sich etwas aus Ge-sang gemacht hätte. Und während sie ein neues Unterziehleibchen für Strönebald auf ihre Nadeln reihte, schalt sie nun doch wieder. Diesmal auf das Ge- und Verbot der Kirchenoberen mulier taceat in ecclesiam, Weibsleute haben im Haus Gottes die Schnauzen zu halten, welches ihr die junge Altstimme in der Kehle zugedreht habe wie einen lecken Wasserhahn.
Für Strönebald aber, und nur für ihn, ihren Sündenschwengel, drehte sie den Hahn wieder auf, wenn auch nur ein kleines bisschen.
„Jesus hört eh nicht zu und die Oberin hält grade ihr Sonntagsschläf-chen“
Und sie sang ihm Wenn alle Brünnlein fließen mit wunderschönen Verzierungen nach oben und unten. Vor allem wenn ich mein Schatz nicht rufen darf / tu ich ihm winken fasste sie mit sprudelnden Trillern ein und das Ja winken mit den Äugelein / und treten auf den Fuß geriet ihr strahlend zur Stretta über drei Oktaven.
Strönebald, dem Cyprianas tiefe Register abgingen, war beglückt von ihrem warmes Timbre. Das nun einging in das für ihn bestimmte Unter-ziehleibchen. Denn sie strickte beim Singen fort und fort, und Strönebald lobte artig, sie hätte es draußen in der Welt gewiss zu einer Solistin auf der Opernbühne bringen können. Gottbewahre ! schalt sie, in diesen So-domitenpuffs voller igitter Kastraten, wo es von französischen Krank-heiten so wimmelte wie von Achtelnoten !
Darauf schwieg Strönebald wieder, betroffen.
Und Schwester Cypriana kratzte sich mit der längsten ihrer Strick-nadeln unter ihrer Kutte, wo der Rücken schwartig war wie Ferkelhaut, und Kernseife bei den Schwestern nur zur Totenwäsche in Gebrauch. Und bedachte sich, ob es wohl an einem Sonntag wie diesem droben im Himmel ebenso so still sei wie in ihrer Zelle, wo dieses Gekratze auf der eigenen Schwarte schon das lauteste Geräusch war.
Und wie tonlos würde erst ihre ewige Seligkeit dort oben sein, ohne Gesang und Musik, und ob sie sich eine Ewigkeit lang würde kratzen müssen, damit es nicht gänzlich totenstill für sie werde drüben in der Ewigkeit. Und es wurde ihr angst Unter einer Treppe kruschtelte sie zwischen vielem Gerümpel eine Drehleier hervor. Hinterlassenschaft eines Wandermusikus, den im Spital die Beulenpest geholt hatte. Seine Drehleier aber hatte er dagelassen. Tamburine kamen ans Licht von Musikussen, die am Mumps eingegangen waren. Dudelsäcke von Sauf-brüdern, die von ihren weinschweren Bäuchen unter die Erde gezogen worden waren. Tschinellen, allerlei lärmiges Blech ( Exitusse nach Mes-serstechereien Wundstarrkrämpfen, Nierensteinen ) und zuletzt eine ein-same Harfe. Ein anmutloses Möbel aus dem tiefsten Mähren mit schlichten Holzkötzen als Pedalen. Ein Bettelmusikanten war damit auf Jahrmärkten und Hochzeiten herumgezogen, um Sarabanden und Gassen-hauern aufzuspielen, bis ihn im Spital die Pocken von den Pedalen holten.
Cypriana fuhr mit ihren rauen Fingern über die Saiten, als schiebe sie die Maschen auf ihren Stricknadeln aneinander. Die Saiten brummelten wie ein Tier, das dem Winterschlaf erwacht. Ob ein gutmütiges oder ein ungnädiges, das den Erstbesten auffrisst, sollte Strönebald herausfinden.
„Weißt du wie damit umgehen ?“
Strönebald wusste es nicht. Aber wenn er seine eigenen Stimmbänder schweigen ließ, warum sollten dann nicht die Harfensaiten singen. In seiner Kehle saß nur eine einzige Stimme gewesen, in der Harfe aber ein ganzer Chor, Cherubim und Seraphim, und König Davids berühmte Leier ohnehin. Die Harfensaiten sangen, sangen an seiner Statt, er musste seinem Schweigegelübde gar nicht untreu werden, und konnte trotzdem seine Schulden abtragen bei Gott.
Auch Cyprianas Beichtvater selig hatte die Harfe geschlagen, und die Sünden die durch sein Ohr in sein Herz eingingen, wanderten durch seine Finger in die Saiten und wurden von dort in den Himmel geblasen zu Gott. Oder zumindest zum heiligen Antonius, und wer weiß wie der damit gemacht hat. Vielleicht vor lauter Überlastung zurück ins Kloster geschüttet, denn von all dem Musizieren mit dem Beichtvater wurde Cypriana, wie man zu sagen pflegt, gesegneten Leibes, und es musste die längste der Stricknadeln Dienst tun, um das Pfarrerskind nicht das Licht der Welt erblicken zu lassen, welches für eben dieses ein recht trübes geworden wäre.
Strönebalds Feld war nun nicht mehr die Küche, sondern die Kapelle. Der ewig Stumme durfte im Gottesdienst die Harfe spielen. Manchmal und je nach Feiertag, auch die Flöten und Drehleiern für ihre früheren Besitzer die im Fegefeuer schmorten und die Tamburine für die Bären-führer, die im Paradiesgarten wandeln mochten mit ihren Bären, aber ohne ihre Tamburine.
Eines Nachts, als er wegen der Kälte in der Kapelle auch eine Wollmütze auf den kahlen Kopf bekommen hatte, entwich Strönebald im Überschwng des Fingersatzes eine Note zuviel. Denn die flauschigen Oh-renklappen, mit denen Cypriana die Kappe versehen hatte, minderten erheblich seinen Gehörsinn. So blieb es nicht bei der der einen Note, seiner versiegelten Kehle entschlüpfte noch eine und noch eine, von den Saiten willkommen geheißen.
Ein Ton kitzelte den anderen aus ihm heraus, und er nimmts nicht wahr unter der dem Gestrickten, er sieht nur seinen Fingern zu, die aus den neuen Handschuhen heraus spitzen und die Saiten traktieren - : da singt er, wie er früher gesungen hat, und da singt auch der schwabblige Cacioli, der zu dieser Zeit schon untergegangen war in Heiserkeit und Lues, aber nun singt er wieder, wenn auch zur Strafe für seine Intriganz nur die zweite Stimme.
Die Nonnen im Kloster aber waren nicht durch wollene Mützen vor den Tönen aus der Kapelle geschützt, so dass sie nun aus dem Schlaf fielen und durcheinanderriefen ein Engel hat gesungen, habt ihrs auch gehört, oder wars nur ein Traum, es ist kein Traum, er singt ja immer noch, es ist ein Wunder ! Ein Engel ist unter uns, und die Nonnen sprangen im Nachthemd auf von ihren Lagerstätten, suchten, Kienspäne in den Händen, rückten die Betten der Kranken und ihre Bettpfannen beiseit, um den Engel zu finden. Drüben in der Kapelle geriet Strönebald indessen immer mehr in Wallung, aber niemand nahm ihn dort wahr, denn Cypriana hatte ihm verboten ein Licht zu entzünden. Nach und nach aber, mit jedem neuen Crescendo, wars nicht mehr zu überhören : der Engel singt in der Kapelle ! und die Nonnen eilten barfüßig hinüber und wer von den Kranken leidlich gut zu Fuß war, eilte mit ihnen.
Cypriana freilich, ohne Kienspan, aber ausgerüstet mit dem unbestech-lichen Instinkten der ständig Scheltenden, war ihnen allen voraus, und verschloss Strönebald den Mund. Als die erste Nonne herein stürmte, gefolgt von einem vom Pferd Getretenen, dessen Sinne seither verwirrt waren, war es bereits wieder sargstill geworden in Spital und Kapelle.
„Sucht auf dem Dachboden !“ rief Cypriana.
Und sie suchten in allen Winkeln, angeführt von einem Einbeinigen über den alle stürzten, beteten, der Engel möge wieder singen damit man ihn ausfindig machte, während ein Krätzekranker den Altar bestieg in dem Glauben, der Schnitzengel dort oben habe gesungen.
Wozu Cypriana ihn umsichtig angestiftet hatte, um Strönebald ins Ohr zu zischen können „Verschwinde !“
Die Harfe wurde auf ein Wägelchen gesetzt. Cypriana kratzte Ströne-bald den weißen Schorf fort, der von seinem syphilitischen Ausschlag geblieben war, leckte die letzten Flusen mit der Zunge ab und schubste das Wägelchen mitsamt Strönebald hinaus aus dem Kloster.
„Habt ihr ihn gefunden ?“
Beschämt standen die Engelssucher, im Flatterlicht ihrer Kienspäne. Und nun schon schalt Cyprinana wieder.
„Ein Engel kommt uns besuchen, und ihr veranstaltet einen so unchrist-lichen Kuttertabamberich, dass er gleich wieder auf und davon fliegt.“
Und husch in die Betten, und ein Bußgebet verrichtet !
Wiiiiiiwiiiiwiiiii sangen die Räder an dem Wägelchen, wiiiiii-wiiiiiwiiii, und es klang gar nicht jammerselig, obwohl es doch ein Ge-fährt war, auf dem vordem ein Bettelmann gereist war, der keine Beine mehr hatte und darauf schob nun Strönebald die Harfe. Beides war seins, Harfe wie Fahrzeug, und die Räder sangen wiiiiiiwiiiiiiiiiiiii !
Drei Räder, um genau zu sein, sangen wiiiiiiwiiiiiiiiiiiii ! Das vierte Rad aber sang raktakter rackatarackter ! denn um das herum legte sich ein Eisenring, aus dem ragte ein Nagel heraus, der wollte nicht mitsingen im Chor der anderen, daher sein raktakter rackatarackter, und alle vier zusammen hörten sich an wie eine Hundemeute, die sich aufs Jagen einbellt. Das wiiiiiiiiiiiii-wiiiiiiiiiiiii waren die Hannoverschen Schweiß-hunde, und das raktakter rackatarackter war die Bulldogge, kurzbeinig und schwer von Atem.
Die Zunge hing ihr weit heraus, die Zunge war der Nagel, der das rackatarackter rackatarackter machte, und alle vier Räder feuerten Strö-nebald an zum Jagen ! zum Jagen ! zum Jagen ! sodass er immer kecker wurde und sich die Mühe sparte das geschenkte Wägelchen mit beiden Händen anzuschieben. Er kniete sich darauf und trieb es mit dem freien Fuß an. Als es einen Abhang hinab ging, stieg er mit beiden Beinen drauf und holperte bravourös mit wiiiiiiiwiiiiiiiiiiiii rackatarackter wiiiiiiwii-iiiiiiiiiii rackatarackter wiiiiiiwiiiiiiiiiiiiiiii ! zu Tal.
Da wusste Strönebald, dass Gott die lang ausstehenden Sangesschul- den nicht mehr von ihm einfordern würde, sondern ihn belohnt hatte mit vier Rädern die sangen.
Strönebald durfte schweigen und Gott war trotzdem versöhnt.
Bei einer solchen Talfahrt kam ihm eine Abteilung Militär entge-genmarschiert. Wenn Strönebald aber auf dem Kartoffelacker zweierlei Heerhaufen vereinigt hatte, und zwar unglücklicherweise auf sich, so gelang es ihm nun, diesen Heerhaufen hier zu trennen.
Es waren diesmal freilich lediglich zwei Krieger, eine höhere Charge mit Säbel und ein Gemeiner mit Muskete. Voller Schrecken ob des auf sie zurasenden wiiiiiiiiiiiiiiiiii rackatarackter wiiiiiiwiiiiiiiiiiiii rackata-rackter wiiiiiiwiiiiiiiiiiiiiiii sprangen sie auseinander und blieben noch lange in Deckung, denn sie befanden sich nach wie vor im Krieg und hatten zu gewärtigen, der Streitwagen der da heran sauste sei eine beräderte Kriegslist ihres Gegners.
„Uaaaaaaah !“ schrie Strönebald wie bei einem fröhlichen Schlitten-rutsch, dabei hatte er noch nie auf einem Schlitten gesessen, und meinte es auch nicht fröhlich sondern als Verwünschung, denn ihre Monturen waren Strönebald vom Kartoffelacker her grausig vertraut.
Weiterrollend unter wiiiiiiiiiiiii und rackatarackter sollte er nicht mehr erfahren, dass die Krieger seinetwegen auf dem Marsch waren. Erhob doch der eine Krieger, Feldmedicus des Detachements war das Ströne-bald geritten hatte, wissenschaftlichen Anspruch auf den Verursacher der Bataille bei den Erdäpfeln. Zu spät freilich, denn das zivile Subjekt war der Streitmacht entwischt, und damit auch der medizinischen Forschung des Königs von Preußen.
Der Medicus hatte von Feldzug zu Feldzug Karriere gemacht herauf vom simplen Scherer im Felde, der den Obristen vor dem Scharmützel die Bartstoppeln wegschabte und nach dem Scharmützel die Kugeln aus der Schwarte bohrte, beides mit ein und der selben Schneide. Und da der Feldzüge so viele waren, dass eine einzige Schneide nicht mehr ausreichte, stieg der Feldscher eben auf zum Medicus und Haudegen der be-waffneten Sanitas. Wobei es ihm zustatten kam, dass er im Gegensatz zu seinen Patienten die Feldzüge heil überlebte und, Schienbeine sägend, Erfahrungen ansammeln konnte, die denen versagt blieben, die ihm unter der Säge wegstarben.
Lästige Friedensschlüsse freilich ließen die medizinischen Erkenntnisse aus dem jeweils vorangegangenen Feldzug bis zum jeweils nachfol-genden überständig werden wie Wundbrand. Denn mit neuen Truppen rückten auch jeweils neue Waffen ins Feld, und mit ihnen zwangsläufig neue Wundarten und die Militärmedizin hoppelte mit ihren Practica heillos hinterher. Sollte sie also dem König von Nutzen sein, hieß es im Geschwindschritt forschen so lange gerade keine Kugeln flogen. So fügte es sich, dass unser Medicus mit einer bewaffneten Abteilung, die aus Spargründen heruntergekürzt war auf einen Füsilier, vor dem Spital der frommen Schwestern vom Sankt Vinzenz aufzog, um zu kommandieren „Her mit dem corpus delicti !“
Den Nonnen hinwiederum konnte der Aufmarsch mehrerer Manns-personen im Haufen, so er sich denn aufrechtgehend vollzog und nicht im Kriechen oder humpelnd, zweierlei bedeuten.
Zum ersten, Hochwürden der Herr Pfarrer fand sich wieder einmal ein zum Bestatten und die Kerle hinter ihm waren seine Leichenträger. Also gaben die Schwestern heraus, woran eh nichts mehr zu kurieren war, möge es ruhen in Frieden und das ewige Licht leuchte ihm.
Wenn das Mannsvolk aber in buntem Tuch aufs Spital zuhielt, musste das bedeuten : unbestellter Herantransport von frischem Zerschossenem und Zersäbeltem für die viel zu wenigen Bettstellen im Spital. Bei wel-cher Gelegenheit das Mannsvolk im bunten Tuch eben diese Bettstellen auch gleich frei zu räumen pflegte und für marschfähig erklärte, was zer-hackt und blessiert war und im Fieberwahn nach der Mutter schrie.
Diese ihre Diagnose setzten die Buntbetuchten mit dem Säbel in der Faust durch und waren sie wieder abgezogen, fehlten nicht nur Pfleg-linge, sondern auch eingelegte Kürbisse und Geräuchertes, Mehl und Eier samt den Pötten, in denen sie aufbewahrt wurden.
So fügte es sich weiter, bei einsetzendem Regen, dass unser kleines Expeditionskorps die Einfahrt zum Spital verrammelt fand.
„Man öffne !“schrie der Feldscher und befahl Kolbenschläge gegen das Tor.
„Sagt man nicht erst Gott zum Gruß ?“ wurde von oben herunter ge-rufen. Der Feldscher musste den Kopf weit zurücklegen, bis sein Zopf ihn im Nacken stach und ihm das Regenwasser in den Kragen lenkte.
Und auch die Frage nach Gesundheit und Wohlergehen, wurde er von oben belehrt, sei christenüblich wie weltlich-schicklich. Zumal zwischen Personen, welchen die Pflege der Volksgesundheit aufgebürdet sei, wenngleich von zwei höchst unterschiedlichen Autoritäten.
„Unser Armeecorps wird ihr Zunder untern Arsch geben, wenn sie nicht pariert.“
“Das Armeekorps ist weit. Aber unsere Nachtpfannen sind mit einem Griff zu erreichen. Verlangen der Herr General einen Probeschuss ?“
Die Sache der Militärmedizin befand sich mithin in misslicher Ge-fechtslage. Der Medicus sah sich genötigt als sein eigener Parlamentär zu praktizieren, worin er am wenigsten firm war, nämlich den Verhand-lungsweg beschreiten. Er musste darstellen, unter den Blicken der Sie-chen die in allen Gucklöchern des Spitales lagen, warum er just diesen Patienten Strönebald ausgehändigt bekommen wollte. Nämlich zwecks heilkundlicher Untersuchung wie ( ad unum ) zivile italienische Darmflo-ra sich zur Attacke verhält nördlich-pruzzischer, aber eben auch austria-kisch-balkanische Spermien und wie hieraus wiederum ( ad secundum ) nicht Leibesfrucht resultiert, sondern der untergrundkämpferische Erz-feind aller Armeen schlechthin, Treponema aus der Familie der Spiro-chaeten mit ihren winzigen korkenzieherartigen Zwischenträgern und zum Kummer der Generalstäbe die Krieger angreift noch ehe der Gegner angegriffen hat.
„Deibel aber auch“ rief da Cypriana oben, “agnus dei qui tollis peccata mundi“, und meinte mit diesem Ruf eigentlich nur eine Masche, die ihr von der Nadel gerutscht war. Der Medicus unten aber glaubte, sie wolle mit diesem Satz eine gelehrte Disputation eröffnen und ihn aufs Glatteis der Wissenschaft locken.
Was er zu fürchten hatte, denn er war ein Mann der sägerischen Praxis, seine Bibliothek war das Lazarett und seine Kenntnis des Lateinischen so absent wie ein von ihm weggesägter Unterschenkel.
„Wie viele Amputationen“ schrie er hinauf, um ihre Gelehrsamkeit zu überrumpeln “hat die Madame denn vorzuweisen ?“ während ihm der Regen den Rücken hinab rann, von seinem Zopf dachrinnenartig in seine Montur geleitet.
“Auskunft !“
Wenn er nämlich alle seine Amputationen für sich in Marsch setzte, konnte er seinem obersten Kriegsherrn ein ganzes Armeekorps loser Arme und Beine zuführen. Und zur Attacke gegen diese Furie.
„Bigotte Vettel !“
Cypriana indes strickte stumm vor sich hin und zählte in Ruhe ihre Maschen, während er neue Beschimpfungen nachlud.
„Kopfüber gehörst du ins Kanonenrohr gestopft, quacksalberische Bettpfannenhexe !“
Cypriana nadelte für Strönebald, ob er nun je zu ihr zurückkehrte oder nicht, wie ihre frommen Schwestern ja auch für wächserne Jesulein Hemdchen nähten, ohne damit zu rechnen, der leibhaftigen Jesus werde sich diese Wäsche je abholen. Sie kleide gerade einen Engel ein, teilte sie also wahrheitsgemäß ihrem Gesprächspartner. Denn auch Engel brauch-ten Über- und Unterzieh, sei die Erde doch für Himmlische ein allzu kal-ter Aufenthalt.
Zumal wenn es schütte wie eben jetzt.
Nun wars am Feldscher zu schweigen, denn Engel hatte er noch nie amputiert. Der Regen füllte die eingetretene Wortlosigkeit, brachte frei-lich auch den Füsilier arg zum Niesen. Sollte der Feldscher ihn etwa hier-lassen, einliefern ins Lazarett der Vettel da oben ? Und gedemütigt ab-ziehen, ohne das medizinische Untersuchungsobjekt und auch noch ohne seinen Krieger ?
„Wir überlassen“ rief Cypriana herab „dem Herrn Medicus statt des Geforderten von Herzen gerne allerlei Extremitäten, an denen er seine Forscherlust befriedigen kann. Arme, Beine, Zungen, Lebern, alles in Spiritus“.
Der Füsilier nieste.
„Hör dir das an, du bist mein Zeuge“ knurrte da der Feldscher zu sei-nem Gemeinen. “Die Schwuchtel ist ihnen weggestorben. Sie scheuen sich nur dass sie’s auch zugeben. Jetzt verhökern sie die Überreste en detail.“
Der Füsilier nieste.
Als Cypriana hinzusetzte, die versammelten Streitkräfte dort unten seien, wenn sie recht höre, auf gutem Wege sich eine Influenza zuzu-ziehen und ob sie für zwei wärmende Strickleibchen Maß nehmen solle, hatten die beiden Krieger lang schon einen taktischen Rückzug angetreten.
Wiiiiii-wiiiiiiiiiiiii raktakter wiiiiiiwiiiiiiiiiiiii rackatarackter wiiiiiiwi-iiiiiiiiiiii !
Auch wenn das Unterziehleibchen erst zur Hälfte vollendet war, hielt es Strönebald nicht nur in Facon sondern auch warm. Häuptens tröstete die von Cypriana gestrickte Kappe darüber hinweg, dass seine Kopfhaut bis zum Ende seiner Tage glatt wie eine Schweinsblase bleiben und sich kein Härchen mehr darauf blicken lassen würde. Die Fingerhandschuhe, der belatzte Hosenbeutel und die Strümpfe, die ihm bis in den Schritt reichten, schlossen das was von seiner Person geblieben war, zu einem allgrauen Wollknäuel zusammen.
À la bonne heure ! Strönebald war mithin ein gemachter Mann, auch wenn seine Männlichkeit, wie wir wissen, eine recht rudimentäre blieb. Vom Findelhaus wie vom Kartoffelacker her bemessen aber fand er sich auf der Höhe seines Glücks. Im Sommer, wenn sie beide im Freien kam-pierten, hatte er Muße, den Schmetterlingen nachzusehen und wie sie zu Raupen wurden, sich verpuppten und schließlich aus den mühselig einherwurmenden Larvenschalen ein Prachtfalter herausquoll. In seiner missfarbenen Schafwollhülle kam er sich vor wie einer von ihnen. Sein Wandel vom Klosterwaisen zum Sänger zum Opernstar zum Nonnen-patienten zum Harfenbesitzer zum Wandermusiker war ebenso eine fort-währende Verlarvung und Häutung und immer wieder ein neues Schlü-pfen in wechselnder Gestalt, wenngleich in umgekehrter Reihenfolge als von der Natur für die Schmetterlinge vorgesehen, denn Estrebaldo hatte sich zurückverpuppt vom Bühnenschmetterling in die Schafwollraupe Strönebald, vom bunten Stimmling zum grauen Stummling.
Für das Gesangliche war nun die böhmische Hakenharfe zuständig, ein buckliger Trampel aus Ahornholz mit sechsunddreißig Wirbeln, an denen aber nur noch dreißig Saiten hingen, die unwillens waren sich auf eine gemeinsame Tonart stimmen zu lassen und auf denen er niemals feine Menuette in feinen Häusern würde darbieten können.
Im Wald aber, wo sie sich freundschaftlich einander annäherten ( seine Finger kamen als Brautwerber und Lehrjungen zugleich ) konnten ihre hohen Saiten den Gesang der Vögel so lebensecht nachtschilpen, dass diese ihr Antwort gaben und die tiefen Saiten lernten unter seinen Griffen Froschgequake und Ochsengebrüll.
Wenn er eine Raupe oder ein Kokon war, waren die Saiten der Harfe die Schmetterlingsflügel. Ein ganzer Chor und ein mittleres Orchester hatte er vor sich aufgespannt zwischen einem hölzernen Dreieck, und er durfte selbst tonlos bleiben und sein Gelübde abdienen.
Wenn Strönebald vor Zeiten als Estrobaldo auf die Bühne hinaustrat, hatte ihn das Orchester bereits mit pompösen Akkorden angekündigt, die auf ihn neugierig machten. Und der pompöse Aufputz, den er mit hinaus-trug, schäumte die Aufmerksamkeit abermals auf, oooh !!! und Hände-klatschen empfing ihn, die anderen Ziergockel standen stumm und noten-los wie Blesshühner, während er seine Aria begann.
Nun waren seine Auftritte wie die eines Zaunpfahls der immer schon an seinem Platz gestanden hat. Niemand würdigte die graue Wollwurst eines Blickes, er war allein mit der Musik zugegen, die er aus den Saiten holte. Selbst seine Füße vergaß er nach und nach, auf dem Wägelchen hockend, das zum Transport seiner Gefährtin bestimmt war. Denn einem Harfner spenden nur die Musikalischen, während die Ohrlosen ewig die Mehrheit bilden auf Erden.
Einem Lahmen aber, der sich auf Rädern voranbringt spenden die Mildtätigen, sofern ( auf Jahrmärkten und Hochzeiten ) genügend Ver-wandt- und Nachbarschaft herschaut. Strönebald lernte ein zweites Mal singen, waghalsiger als vordem mit seinen Stimmbändern, denn für die Patzer der unstimmbaren Harfe hatte er nicht gerade zu stehen und kein König von Preußen drohte mit dem Stock. Er zupfte aus seiner Gefährtin die vox humana heraus, aber auch Violinen und Flöten, und obwohl er nie am Meer gewesen war, schmeichelte er ihr Meeresrauschen ab und sogar Brandung.
„Du Spitzbube !“ flüsterte ihm einer zu, der hinter ihm stand.
„Du kannst das Meer nachmachen. Aber mir machst du nichts vor : wenn alle fort sind, stehst du auf und gehst auf zwei gesunden Beinen davon.“
Fermate. Der Sturm von eben verwandelte sich in Windstille. Die Wogen, die Strönebald eben noch durch die Saiten gejagt hatte, ver-wandelten sich in spiegelglatte See. Und als er sich umwandte, wars ein gedrungener Vierschrötiger, an dem das Auffallendste sein breites Maul war. In dem alle Zähne zugleich hinter den Lippen bereitstanden wie ein Chor in weißen Hemden, der Ovationen entgegennimmt.
„Hab ich dich so erschreckt ?“
Der Gedrungene grinste, als sei das seine einzige Profession.
„Dann erschreck zur Abwechslung du mich. Mach mir ein Gewitter !“
Und Strönebald ließ ein Gewitter aus den Saiten brechen, dass die Umstehenden ihre Röcke über die Köpfe zogen, obwohl hell die Sonne schien. Und als er Blitze hinterdrein schickte, suchten einige Umstehende Zuflucht unter den Vordächern.
“Kannst du auch was Zartes ? Eine Quelle ?“
Und ob Strönebald das konnte. Er war das Wasser, Meister der Meta-morphosen, das durch Eis, Schlamm, Regen, Schnee unablässig die Ton-art wechselt und dennoch bei aller Verwandlung es selbst bleibt. Ströne-bald ließ für den vierschrötigen Grinser eine Quelle entspringen, zum Bach werden, zum Schmelzfluss, er strömte sich dem Meer entgegen, an dem er noch nie gewesen war. Und während seine Finger das Wasser aus den Saiten holten, wunderte er sich, dass seine Hände davon nicht bis zu den Ellenbogen nass waren.
Er wird, aber das wusste er noch nicht, der einzige sein, der im Jahre 1806 die Wasserreise auf dem Floß genießen sollte. Aber fürs erste wuss-te Strönebald, dass Wasser sein Glück bedeutete und er das Meer sehen musste.
„Aber Glocken kannst du nicht.“
Und ob er Glocken konnte. Von der Frühmessbimmel bis zum wuch-ti-gen Geläut am Feiertag.
Auch Vogelrufe ? Strönebald ließ denKuckuck rufen, Hühner gackern, dazwischen den Pirol, mit der flachen Hand rieb er aus den Saiten einen einfallenden Starenschwarm heraus und zur Coda ließ er die Nachtigall singen.
Der andere grinste.
„Das nenn ich alles Murcks ! So verstimmt wie deine Harfe ist, kannst du nicht einmal einen zünftigen Steinschlag nachmachen.“
Weil Harfen eben immer verstimmt sind. Auch in den Hoforchestern der Könige von Frankreich und Preußen. Weil die Saiten viel zu lang sind, um anständige Musik darauf hervorzubringen. Der Wind fährt durch sie hindurch wie durch Weidenzweige. Oben ein warmer Wind, unten ein kalter. Und der Angstschweiß und das Fingerfett des Harfenisten tun das ihre und bringen die Töne aus dem Lot.
Die Tiere, aus deren Därmen man die Saiten gedreht hat, würden Kolik kriegen post mortem wenn sie mit anhören müssten was man aus ihren Därmen gemacht hat. Die einen von Ziegen, die anderen von Ochsen, und dazwischen Rosshaar, wie soll das zusammengehen. Wo sie doch schon im Leben verschiedenerlei gegrast haben, die einen Huflattich und die anderen die frischen Spitzen vom Hollunderbusch, und jetzt sollen sie zusammen musizieren ?
„Mit so einem Drahtgestell wird keiner“ grinste der Vierschrötige „un grande artista“.
Er grinste fortwährend. Wie einer der sonst nichts zu tun hat. Und das hatte er auch nicht. Außer herumzustehen an Plätzen an denen sich etwas tat. Bei Quacksalbern, Stelzenläufern, Hochzeiten oder Hinrichtungen.
Oder Wanderkomödianten. Der Gedrungene grinste nicht aus Häme, sondern vor Selbstvertrauen. Er war gewiss, dass er selbst alle diese Darbietungen weit imposanter vollbringen könne. Auf Stelzen laufen, den Bräutigam geben oder den Delinquenten, der die Schaulustigen mit Gnadeflehen und vollgepisstem Armesünderhemd erfreute.
Die Physiognomie dazu hatte ihm die Schminkmeisterin Natur mitge-geben und ihn ausgestattet mit wuchtigen Augenbrauen wie sie nur den ganz Eitlen wachsen. Und die Rüstmeisterin Natur hatte ihm eine guss-eiserne Stimme eingeschraubt, mit der er sich gegen Wirtshausgeschrei, Korporals- wie Ochsengebrüll und Tabaksqualm behauptete.
Sein Gerechtigkeitssinn war von ebenso robuster Natur. Nicht nur Strö-nebald, aller Welt pflegte er barsch die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Mit der auch sich selbst nicht verschonte. Du bist der größte Schauspieler, den möchte ich sehn der das in Abrede stellt, du bist nur zu kurz gewachsen. Wenn dir aber Strönebalds Harfe zu Hilfe kommt, wächst du vier Handbreit nach oben.
Strönebald, der stumme Sopran, brauchte einen Bariton. Und der kurzgewachsene Grinser hatte einen Bassbariton, vor dem Strönebald er-schauerte. Darüber hinaus hatte er nichts. Kein Engagement, keine Bleibe. Nur eben diesen Bassbariton, bei dem der Wein in den Gläsern erzittert wäre, wenn er ihn sich denn hätte leisten können.
„Du bist gauschrumplig wie eine Larve“ grinste er, „wann schlüpft der Schmetterling endlich aus ?“
Dass Strönebald schon einmal ein Schmetterling gewesen war, erzählte er seinem neuen Freund nicht, wie er ihn auch sonst knapp bei Wort hielt. Aber sie zogen fortan zusammen über Land.
Propodonsky saß nur mit auf, wenn es eine Schussfahrt talwärts gab, sonst waren seine Beine so tatendurstig wie er selbst. Es ging ihm gegen sein Selbstbild sich kutschieren zu lassen, er musste aller Welt seine Muskelkraft beweisen. Wenn Strönebald Harfe spielte, streifte Propo-donsky zwischen den Zuhörern umher und sammelte für sie beide mit dem Hut. Aber die Reden die er dabei führte waren derart, als sei Propodonsky der Harfespieler, der zur gleichen Zeit auch noch selbstlos Almosen eintrieb für meinen Blutsbruder den Kartäuser.
„Das sind die mit dem Schweigegelübde. Er muss es immer noch halten, obwohl ihn eine Donna dem Abt abspenstig gemacht hat. Starren Sie ihn nicht mitleidsvoll an, spenden Sie, er trägt an einem Schicksal, er ist aus dem Kloster entsprungen wegen dem Weibsbild. Sagt sich leicht so hin, das entsprungen, wenn einer von Geburt an keine Beine hat“.
Und die Münzen sprangen munter in den Hut. Propdonskys Hut. Der leitete daraus den Anspruch auf Teilung drei zu eins ab, drei Teile für Propodonsky.
Strönebald der Schweiger war die Idealbesetzung als Zuhörer der tage- und nächtelangen Szenenfolgen aus Propodonskys Vita, in der er Hut-walker im Hannoverschen gewesen war. Im Dampf, der von dem ge-pressten Filz aufstieg, hat er schwitzend vom Othello geträumt, bis der Meister ihn davonjagte, des vielen kugelig verformten Filzes wegen.
Dann wieder hatte er, Sohn eines Handelsherrn in Riga, den großen Schröder erlebt, der im Stadttheater gastierte und ihn auf der Stelle in seine Truppe aufnahm, bis Iffland ihn wieder hinaus intrigierte und er sich in den kurländischen Wäldern als Holzfäller durchschlagen musste. Und der Vater ihn enterbte.
Dann, Sohn eines Werft-Patriziers, fuhr er zur See auf der Ostindien-route. Nachts trug auf Deck den Hamlet vor, so dass der Matrose im Ausguck nicht mehr auf den Kurs achtete und das Schiff auf ein Riff lief. Hamlet überlebte als einziger.
Dann Mantua, Sohn eines Weinhändlers. Dann Pressburg, Sohn eines bremischen Handelsherrn. Amsterdam. Köln. Breslau. Schließlich War-schau. Nie aber, auch nicht im Morgenschein ihrer Zweisamkeit, hat Propodonsky den Freund nach dem Woher oder dem Vorher seines eigenen, Strönebalds Lebens befragt.
Propodonskys Stimme vervollkommnete sich im Wettstreit mit der Harfe, gewann an Farbe und Fülle und Kontur. Im Wald führten sie für sich selbst Melodramen auf mit Satzfragmenten, die Propodonsky aus-wendig konnte von Stücken her, in denen er nie gespielt hatte. So leistete Strönebald das Seine zur Erziehung der Stimme seines Freundes, als Pädagog eines fremden Arbeitsgerätes, während sein eigenes in seinem Kehlkopf verschlossen blieb.
Bei einem Streifzug den Rhein hinunter blieben sie in einer vormaligen Residenzsstadt hängen, weil am Hafen eine Schifferkirmes angezeigt war. Die feiernden Schiffer wollten tanzen und maulten nach Dudel-säcken, nicht nach Harfenklängen. Bierkrüge wurden geschwungen, Pro-podonsky ließ sich auf eine Rauferei ein, Strönebald zog ihn blutig fort, sie fanden Unterschlupf im vormaligen Opernhaus das nun leer stand, weil der kurfürstlich mannheimische Hof fünf Jahre zuvor nach München übersiedelt war.
Nun durften Amateurmusici es nutzen. Strönebalds Harfe kam gerade recht, um das Orchester ( die Streicher Perückenmacher, die Holzbläser Zollbeamte ) bei einer wohltätigen Matinée zu verstärken. Und auch Pro-podonsky war willkommen, um ( für ein Nachtmahl und ein Lot Wein ) die Notenpulte aus dem Depot auf die verwaiste Bühne zu schleppen. Als man diese am folgenden Morgen noch immer dort vorfand ( es war die Probe eines Räuberstückes angesetzt, verfasst von einem Feldscher aus dem württembergischen Ausland ), brüllte der directeur den säumigen Pulteschlepper herbei.
Dieser brüllte zurück, dass der Staub aus dem Schnürboden fiel und die Fledermäuse aufschreckten, die wie er im Bühnenhaus genächtigt hatten. So entdeckte man seinen Stimmumfang und er durfte im dritten Akt des Räuberstücks ( es wurde eine Feuersbrunst gezeigt ) hinter der Bühne bengalische Fackeln schwingen und dazu Feurio ! Feurio !- Rufe aus-stoßen.
Strönebald vergegenwärtigte das Feuer mit solcher Kunstfertigkeit, dass seine Harfe den Zuschauern, opernentwöhnt wie sie waren, wie Flammengeprassel und Sturmgeläut klang. Das Salär war abermals ein Nachtmahl und ein Lot Wein.
Die Resonanz des Auditoriums war ebenso schnell abgenagt und ausge-trunken, weil es kein Auditorium mehr gab. Die Theatergourmets des Hofes waren mit eben diesem Hof weggezogen, auf den Rängen saßen Studenten aus Heidelberg und Kadetten aus Stuttgart, die sich bei der Vorstellung schier heiser geschrien hatten und sich in der Nacht an den Grenzposten vorbei wieder in die heimischen Kasernen mogelten.
Auf Propodonskys Gehirnbühne jedoch fackelte der Brand, den er hin-ter der Bühne hatte vorgaukeln dürfen als Fanal fort und es stießen immer dichtere Rauchfahnen des Wagemuts in ihm auf. Er scharte ein Schau-spiel-Ensemble um sich, das sich aus zwei erlesenen Mitgliedern zusam-mensetzte, Propodonsky und Strönebald. Sowie einem Mitglied im Fach grande utilité mit sechsunddreißig Holzwirbeln und dreißig Saiten, das für alle übrigen Rollen bereitstand.
Zum Namenspatron wurde sein Impresario bestimmt, Nicola Antonio Giovanni Porpora. Der aber niemals seine Rechte wie auch Pflichten wahrnahm, weil er schon lange tot war und einer der vielen Kapellmeister blieb, unter denen der verstummte Estrebaldo gesungen hatte.
Später, als noch andere Mimen dazugestoßen waren, brachte Strönebald es zur Rolle des souffleurs, was bedeutet Flüsterer So konnte er sein Gelöbnis erfüllen, aber nur unzureichend sein neues Amt, denn Ströne-bald war ein schlechter Einflüsterer.
„Sein odeh nicht sein das ist hieh die Fhage – „
Aber wer seine Rolle gelernt hatte, wusste ohnehin, was das Dicker-chen in seinem Wollzeug meinte. Dafür konnte Strönebald auf seiner Harfe Gewitterstimmungen erzeugen dass sogar dem Ensemble angst wurde. Wenn man Strönebald hatte, brauchte man kein Donnerblech, das auf Reisen unhandlich viel Platz beansprucht hätte. Und das zudem bei Gewitter ( wovon Lucille de Brée fest überzeugt war ) die dazugehörigen Blitze anzieht. Und sich überdies erdreistet, lauter zu sein als der rex leonorum, der Prinzipal.
Während Strönebalds Donner so klangen, als rollten sie aus dem Brustkasten Propodonskys heraus und die Saiten die Stimme des Freun-des umschmeichelten, sein ha ! verstärkten, mit ihm schmachteten wenn er schmachtete und drohten, wenn er das Schwert reckte. Oder eine bittersüße Melodie hören ließen, sobald die Demoiselle auftrat. Wenn sie mit einem Harfen-Akkord eingeführt wird rumorte es dann in Pro-podonsky, begehre ich sie, das dämliche Stück.
Propodonsky sah in Porporas ausgeborgtem Namen seine eigenen zwei Ps und seine zwei Os ( er betrachtete stets alles Eigene mit hohen Hochgefühlen ) aufs dekorativste verstaut, und die stolze Titulatur hing wie ein geraffter roter Samtvorhang über ihm, der für die theatralische Zukunft alles versprach.
Käpernick
Lange sind die Bauern dem Pferd gefolgt.
Erst im Laufschritt, dann im Schritt, jetzt nur noch Fuß vor Fuß setzend. Das Pferd hat noch den Sat¬tel seines Reiters aufgeschnallt, der von ihm herunter geschossen wurde von einer Kanonenkugel. Die Splitter haben auch die Kruppe des Pferdes aufgerissen, trotzdem hielt es sich aufrecht. Immer wenn die Bauern auf es haben einschlagen wollen mit Dreschflegeln, Äxten, Schaufeln (schwerere Gerätschaften besaßen sie sie nicht ) hat das Pferd sich aufgerichtet mit einem störrischen Wiehern, das wie ein Wutschrei klang und ist weitergestakst. Eine lange Blutspur hinter sich lassend und allmählich, mit immer langsamerer Gangart, auch Knäuel von Eingeweide.
Da haben die Bauern sich wieder genähert und versucht, mit ihren Werkzeugen dem Pferd die Läufe wegzuschlagen. Aber das Pferd kam wieder hoch, noch einmal und immer wieder, und warf seine Hinterhufe gegen die Angreifer mit einem röhrenden Seufzer, der ein paar Halbherzige einschüchterte, die sich den nächsten Hieb nicht zu führen trauten und dem sterbenden Pferd damit einen letzten Vorsprung ver-schafften.
Bis es einen Bachlauf nicht mehr überwinden konnte. Seine einkni- ckenden Vorderläufe erreichten noch das jenseitige Ufer, um sich dort aufzustützen wie ein Mensch, der sich aus dem Fenster lehnt. Die Hinter¬beine, schon leblos, versanken ihm dabei im gurgelnden Morast. Der Kopf sackte in den Schilf, sein Röcheln bewegte die Halme, es gab ein Rauschen, als klagte es seine Leiden den Halmen, und die trugen es weiter zu seinen Peinigern.
Dort fand es kein Gehör. Um sich schadlos zu halten für langes Ren-nenmüssen, Sich-Entfernen-müssen von ihren Gehöften, prügelten die Bauern nun von allen Seiten auf das Pferd ein, beschimpften es als Franzosenluder, selber versinkend im Schmodder des Rinnsals, über und über rotfleckig vom Pferdeblut.
Kunterkasten ist ihnen gefolgt, den Bauern wie dem Pferd. Es lebt noch, als die Bauern es zerteilen. Es bäumt sich auf, als sein Brustkasten schon fast leer geräumt ist. Die einen schaudern, die Augen des Pferdes stieren sie an, sie wollen sich zurückziehen. Die anderen werden umso rachsüchtiger für die Mühsal der Verfolgung.
Erst als sich der Kopf des Pferdes nicht mehr aus dem Schilf erhebt, traut sich Kunterkasten zwischen die Schlächter. Er ist selber erstaunt, dass er einen Säbel im Hosenbund stecken hat, auf dem Schlachtfeld aufgelesen.
Er stellt sich dalbrig damit an, gewinnt nichts, es ist immer ein Bauern-rücken zwischen ihm und der Beute, und als er unversehens freie Hand hat, gleitet die Säbelschneide ab an den noch zuckenden Sehnen, und fährt dafür einem Bauern in den Arm. Der Verletzte reißt Kunterkasten den Säbel weg und erkennt ihn als einen französischen.
„Ein Franzos !“
Der Bauer kennt sich aus, er ist ein Bescheidwisser bei Franzosen-säbeln, er hat bereits zwei davon umhängen, aufgesammelt bei seiner ergiebigen Fledderei nach einem Gefecht.
„Mit am solchenen ist mei Bruder abg‘stochen wuon.“
Kunterkasten wird getreten, der Hunger der Bauern an ihm gerächt. Die, für die bei der Abschlachtung des Pferdes nichts übrig geblieben ist, halten sich jetzt an Kunterkasten schadlos und prügeln ihn vor sich her. Er stolpert mehr als dass er rennt, als könnten die Dörfler auch ihn tran-chieren wie zuvor das halbtote Pferd.
Einer haut ihm den abgeschnittenen Huf des Pferdes ins Kreuz, Kunterkasten fällt.
„Steh auf, Franzos.“
Ein verdrießlicher kaiserlicher Sergeant raunzt, dass der Franzos von jetzt an die Nummer sechzehn sei und schreibt es in diesem Sinne fein militäramtlich in ein Papier. Zwei seiner Krieger, das Bajonett aufge-pflanzt, bugsieren Kunterkasten in die Reihe anderer Gefangener, zwi-schen die Nummer vier und die Nummer siebzehn oder umgekehrt, ihnen ist es wurscht, die Ordnung obliegt dem Sergeanten.
Die Gefangenen stehen und stehen, bis alle Feinde aus dem letzten Gefecht aufgesammelt, alle Flüchtigen und Sichergebenhabenden und sonstwie Aufgegriffenen aufgereiht sind. Sie müssen riechen, wie das Pferdefleisch brutzelt. Die Dörfler essen, sie hungern. Kunterkasten denkt an das brechende Auge des Pferdes und verscheucht damit seine Gier.
„Abmarsch !“
Durch ein Spalier von Pferdefleischessern, Grinsern, Schimpfern. Ohne dass ihnen auch nur ein abgenagter Pferdeknochen zuteil geworden wäre. Kunterkasten fleht die anderen Gefangenen an, en language de l’empereur sie sollten dem Wachhabenden bezeugen je suis pas militaire, je suis acteur, compris ! Je suis artiste !
Aber sie bestätigen ihm nur, auf sächsisch, bairisch, schwäbisch, dass er viel mehr französische Wörter kennt als sie. Ihnen haben die Caporals nur beigebracht was attaque bedeutet, attention ! und préséntez armes !
Und im übrigen solle er de Goschn halten, sonst meldeten sie ihn als einen Franzosen der sich Zivilkleider zusammengestohlen hat. Den ein-zige Franzose unter ihnen, den Rheinländern, Sachsen und Schwaben. Aber wenn sie durch Dörfer kommen, wirft man Pferdeäpfel und Erdbrocken auf sie. Dann sind sie eben doch Franzosen.
„Dass `s verreckn solln, Napoleongraaster !“
Im Theater pflegt man solches plaisir mit Eiern, vorher sorgsam ange-faulten. Was Kunterkasten ermuntert, sich auf dem weiteren Marsch Spiegeleier und Eierkuchen auszumalen. An einer Floßlände, Kunter-kasten hat Pöchlarn verstanden, wird Halt gemacht und durchgezählt. Kunterkasten macht sich Hoffnung auf eine Weiterreise nach Wien, und wärs als Viehtransport mit zweibeinigen Ochsen und ihm als Zivilisten-hammel.
Als aber beim Appell gerufen wird Anstellen zum Suppenfassen ! und jeder seinen Truppenteil hersagen muss, wird er sogleich als außerregle-mentäres Subjekt erkannt und beiseite kommandiert.
„Füa Zivilpersonen gibt’s kaa Suppn.“
„Ich bin zwischen die Fronten geraten ohne eigenes Zutun.“
Kunterkasten wird verwiesen aus der Militärgemeinschaft der Suppen-löffler, die ihm ( auf sächsisch, bairisch, schwäbisch ) neidisch ins Zivil-leben hinterhergrinsen.
„Zivilsein ist eine Rarität in diesen Zeiten, junger Mensch.“
Der Hafenmeister Neweklowsky, dem Kunterkasten überstellt wird, ist ein abgeklärter Mann.
„Da dafür kassiert der Zivilist halt kaane Priviligien. Und wanns a Suppn waar. Und der Krieger das Privileg dass er fürn Kaiser ins Gras beißn derf.“
Neweklowskys Gemüt strömt circonspecte dahin wie der Strom, den er zu verwalten hat. Und der Hafenmeister braucht ein circonspectes Ge-müt, armiert gegen Sturmfluten und Stromschnellen, denn in diesen Zei-ten strömt mehr die Donau hinunter als ein Hafenmeister erfassen kann. Militärtransporte, Diebesgut, Hehlerware, Konterbande, bunt vermischt mit vorzeitig Davongerannten und rechtzeitig Getürmten, behumpsten Glücksrittern und prospektiven Kriegsgewinnlern eines Krieges, der noch gar nicht recht angefangen hat.
Und dazwischen Holz wie eh und je. Eschenholz für Treppenhäuser in Neubauten, die geflohene Linzer weit hinter Wien zu errichten gedenken. Buchenholz für ruthenische Stellmacher und ( in diesen Zeiten des immer bunter werdenden Tuchs ) Fichten- und Tannenstämme zum Schanzen-bau für Pioniere, die stantepede Brücken errichten sollen, damit die Eige-nen schneller vorankommen und genauso stantepede wieder einreißen sollen, damit die nachrückenden Gegnerischen ersaufen.
Und Neweklowsky muss über alles was an ihm vorbeiströmt bis hin-unter nach Budapest und Belgrad Buch führen. Kunterkasten bietet sich ihm als Floßschreiber an, als grande utilité, wie man auf dem Theater den nennt, der überall einspringen muss. Ein Theatermensch ist versiert im Schreiberischen. Kontraktgemäß hat er seine Rolle herauszuschreiben aus dem Originalbuch, das in der Hand des Prinzipals verbleibt, damit die Konkurrenz ihm nicht das Repertoire wegwildert.
„Ah da schau her, Schauspieler is der junge Mensch aa no, net bloß homme civil. Da san Sie ja doppelt unverdaulich. Das nenn ich scho wie-der kapriziös.“
Und er lobt Kunterkastens Handschrift. Doch doch, ein feiner Strich, die nächsthöheren Beamten würden damit ausgefertigte Registraturen gerne lesen. Aber man ist hier nicht in Wien und am Burgtheater, hier ist man in einer biederen Hafenmeisterei auf dem allerplattesten Land, dem der Donaufluss die Ehre erweist, dass er zufällig hier durchströmt.
Aber eigentlich träumt der Hafenmeister Neweklowsky von einer Lokalität weiter unten.
Vom Burgtheater. Wenn er alles Schlachtvieh, Saatgut, alles Bier und alle schwimmenden Gebirge von Nutzholz aufgelistet hat, begibt er sich ins Dramatische. En cachette und verschwiegen, nicht einmal die Frau Hafenmeister darfs erfahren. Wohl aber der Direktor des Kärtnertorthea-ters zu Wien. Dem hat er einmal etwas Eigenverfasstes in die Mantel-tasche praktiziert, als er ihn in einem Kaffeehaus im sechsten Bezirk hat sitzen sehen.
Seither studiert der Hafenmeister Neweklowsky die Gazetten um zu erfahren, ob er nun endlich aufgeführt wird und hält sich damit ein klei-nes Hoffnungslicht am Brennen, auch wenn die Hoffnung selber ( nach zwölf, nein nach dreizehneinhalb Jahren ) etwas heruntergezutzelt ist.
Die Originalhandschrift seines Dramas hat der Hafenmeister bei sich behalten. Um es wieder und wieder zu überarbeiten und zurecht zu den-geln und auf die Passhöhen seiner dramatischen Möglichkeiten hinauf zu prügeln, denn die so unüberhörbar ausbleibende Antwort aus Wien ver-stand er für sich im Lauf der Jahre als Anmahnung, er habe als un-bewanderter Adjunkt zu ausladende Symboliken einfließen lassen. Ache-ron etwa, den Griechenfluss statt der heimischen Donau, wie er sie tag-täglich vor der dienstlichen Nase hat.
Das symbolüberladene Totenfloß früherer Versionen hat er durch eine Inngams ersetzt, ein hochwandiges Kielschiff mit zwei Rudern. Die Ruder waren in den ersten Jahren Widukind und Hittukind, bis er sie in Joseph ( vorderes Ruder ) und Irinäus ( hinteres Ruder ) umgemodelt hat. Noch immer Brüder und noch immer hinter demselben Mäderl her. Diethild, in der Erst- bis Drittfassung Novizin in Krems, nunmehr Erbtochter vom Goldenen Hirschen in Dürnstein ob der Donau.
Als Bote ihres Balzens lassen die Brüder das Zitherspiel ( Joseph ) und den Gesang ( Irinäus ) für sich wirken, wofür ihnen jeweils nur die Anlegezeit bei der Talfahrt ( Passau bis Pressburg ) verbleibt. Während der arge Vogt Bodo ortsansässig ist und seine Balz mit jener Waffenho-heit untermauern kann, die er nicht nur über Diethild, sondern auch über Richard Löwenherz, den König von England ausübt. Der hoch oben in der Dürnsteiner Burg vom Kaiser gefangen gehalten wird.
Woraus gewisse Gleichklänge entspringen zwischen Richard einerseits und Irinäus und Joseph andererseits, die für nur unter Mühen zum Ak-kord zu schürzen sind. Nicht nur weil das Verlies so hoch oben über der Donau ist und die Floßlände so tief unten, sondern auch weil unerbittlich und stündlich neu ankommende Getreide- und Viehladungen sich zwi-schen das dramatische Geschehen drängten.
Der Hafenmeister musste Joseph, Richard Löwenherz, Irinäus und Barbara vom Goldenen Hirschen untreu werden ( auch dem Vogt, der nun hinter dem Rücken seines Erfinders unbeaufsichtigt Ränke schmiedete ) und hatte Kälberziffern, Holzklafter, Landegebühren und Steuersätze niederzuschreiben, statt das Schicksal von Joseph, Irinäus und Bodo.
Da wurde Neweklowsky der junge Schauspieler aus dem Norden zu-geschoben. Als Delinquent, aber auch als fleischgewordene Inspiration für sein, Neweklowksys vor sich hin hatschendes Stück. Sogleich schmiedete der Hafenmeister Kunterkasten um zu einem Sängerbarden, gleichfalls aus dem Norden, erhöhte ihn zum Normannen und taufte ihn Giselher. Giselher Kunterkasten sang Richard Löwenherz unter dem Gitterfenster die Balladen seiner Heimat vor, und in der stieg er zum Donau-Ufer hinunter und spähte die Wachen des Vogtes Bodo aus.
Durch den frisch hereingewehten Sängerbarden geriet nun aber auch das Gleichgewicht des Dürnsteiner Musikwesens ins Kippeln. Gesang und Saitenspiel waren auf einmal in ein und derselben, eben Giselhers Hand, und seine Ressourcen an Minneliedern unendlich reichhaltiger als das der holzgeschnitzten Schifferbrüder. Die überdies, unter dem Joch ihres Gewerbes, ihre Route zwischen Passau und Pressburg zu bedienen hatten.
Sogar die Donaunixen ließ Neweklowsky dem Gesang Giselhers hörig werden. Actus vier. Mondhelle Nacht. Die drei Donaunixen beobachten aus den Wellen im Vordergrunde Giselher, der dem versammelten Volke, welches sich vor dem Goldenen Hirschen gelagert hat, zur Leier eine Ballade vorzutragen sich anschickt.
Um sie mit ihren schmachtenden Unter- und Hintermelodien zu untermalen, die sich als tönende Nebelschwaden über die Lauschenden legen. Neweklowsky geriet so auf ein ihm bis dahin völlig unbekannte Wegesysteme der Dramaturgie. Es wucherten Seitentriebe vor ihm auf dem Papier, seine Beamtenfeder kam kaum hinterher, gabelten sich ab vom Urstück, setzten neue Triebe an, rissen die Brüder Joseph und Iri-näus in einen Pakt mit dem Vogt Bodo. Oder auch ( dritte Dramen-version ) der befreite Richard Löwenherz entführte Diethild, die Wirts-tochter. Die Donaunixen wurden ( währenddessen ? oder kündigte sich bereits ein viertes Stück an ? ) auf die Wirtstochter eifersüchtig und zogen sie zu sich hinab, sie bemächtigten sich ( fünftes Stück ) des fremdländischen Troubadours und verschifften ihn auf eine verwachsene Felseninsel in der Donau. Wo sie die Brüder Joseph und Irinäus über-raschten, die hier Richard Löwenherz verborgen hielten, um an Stelle des Kaisers das Lösegeld zu kassieren, dessen Ritter bereits anderen Ufer aufmarschiert sind.
Das Schreibpult des Hafenmeisters war mit einem Mal dicht ans Kärt-nertortheater gerückt.
Am Ende gar ans Burgtheater, denn draußen an der Floßlände vertrat ihn der Junge aus dem Norden mit seiner kaiserlich-.kanzleiwürdigen Handschrift. Und diente ihm zugleich, bei aller Umtriebigkeit als Hilfsregistrator im Umschlaghandel, drinnen am Tintenfass als Modell für den ersten Helden und Liebhaber seines Dramas.
Und Kunterkasten würde es nach Wien tragen zu seinesgleichen, ans Kärtnertor- und ans Burgtheater. Setzen Sie dies hier auf den Spielplan, und Sie machen Kasse. Sie machen mehr als Kasse, Sie machen Sukzess ! Die Hauptrolle, aber das nur à part, ist mir selbst auf den Leib geschrie-ben.
Und der Hafenmeister Neweklowsky aus Pöchlarn würde nach Wien reisen. Nicht zu Wasser zum Diensttarif, sondern in der Equipage. Und nun selber in Kaffeehäusern sitzen, im sechsten und im ersten Bezirk, würde seinen Mantel hinter sich hängen und junge Dichter würden ihm ihre Dramen in die Tasche stecken.
Froh gestimmt beginnt Neweklowsky sein nächstes Opus. Kunter-kasten wird umdirigiert, vom Goldenen Hirschen in Dürnstein an den britischen Hof.
Actus I. Die Szene zeigt den Thronsaal zu London. Die Edlen harren der Rückkehr König Richards. Fanfarenschall. Durch die Mitte treten auf Herolde, gefolgt vom königlichen Minnesänger Giselher, nunmehr Earl of Nothringham. Er wirft stolz das Haupt in den Nacken, als er -
Kunterkasten, der nichts davon weiß dass ihm eine Rolle nach der anderen auf den Leib geschrieben wird, muss sich indessen in den Gewölben umtun. Er beneidet die Güter die hier lagern darum, dass sie ein Obdach gefunden haben.
Bottiche mit Cochenille-Rot, Purpur und in Schwefelsäure gelöstem Indigo, getrocknete Feigen zwischen Kaffeesäcken und Ballen von Barchent, manche mit Wachstuch und Sackleinen verhüllt, manche hinter Seilen und Spänen hervorlugend. Alle hinterlassen ihrer Zwischenher-berge ihre Aromen, und Kunterkasten kann es sich nicht verkneifen, in den Verpackungen zu bohren, um das Verpackte selbst zu schmecken und zu riechen.
Oder zu hören, wie das Salz. Er stößt die Faust gegen die Säcke, die Kristalle knirschen darin. Er spürt die Ablagerungen unterirdischer Meere durch den Sackrupfen, das Aroma der Solfeuer. Hier wartet das Salz, und in Wien warten die Esser auf das Salz, aber die Militärgüter und der Fluchtkrempel nehmen ihnen den Frachtraum weg. Tagtäglich bietet man Kunterkasten Schmierzaster, damit er denen schnellere Passagen donau-abwärts zuschiebt, die sich ganze Schiffe kaufen könnten.
Der Barchent knauzt wohlig, wenn Kunterkasten darüberstreicht. Ein Sommergeräusch. Neugierig reißt er ein Eckchen der Wachstuchumhül-lung auf. Was für Muster, was für Ornamente ! Er möchte, dass sie die Reise machen die ihnen zusteht, er möchte dass die Stoffe entrollt wer-den, gesehen und in ihrem Wert erkannt.
Er meint nicht nur den Barchent, er meint sich sich selbst
Wiiiiiiwiiiiiiiiii rakatakter wiiiiiiwiiiiiiiiiiiii rackatarackter wiiiiiiwiiii-iiiiiiiii !
Das Geräusch singt noch in Strönebald, obwohl er das Wägelchen selbst verloren hat, wie er auch seine Harfe verloren hat, die Kameraden und fast das Leben. Aber die Melodie hat er noch immer im Kopf. Er traut sich sogar sie vor sich hin zu pfeifen. Nicht ersoffen pfeift er, nicht erfroren pfeift er, kein fauliges Treibgut auf dem Grunde der Donau. Und selbst dort hielte ihn das Unterzeug der Schwester Cypriana warm.
Strönebald ist wieder einmal in Verpuppung, graurunzlig und unan-sehnlich, aber aus dem Kokon schlüpft allemal ein Schmetterling, und er ist gespannt was es diesmal für einer sein wird.
In seinem gestrickten Kokon hat mit ihm nur eine Maultrommel über-lebt. Und, das Harte da unter der rechten Hinterbacke, eine Tröte. So zwergische Instrumente schüchtern einen nicht ein wie ein Clavicord einen einschüchtert. Oder eine Orgel, oder auch nur eine Klarinette. Die einen so arrogant ansehen wer bist du denn schon !
Eine Tröte oder eine Maultrommel ist selber nur ein Kokon eines Instrumentes, das erst noch schlüpfen soll.
„Das sind vierunddreißig. Nicht zwölf.“
Kunterkasten freut sich der Reibelaute in dem Text den er spricht, auch wenn er nicht aus dem Wilhelm Tell ist, sondern von ihm selber.
„Des san elf, ganze öif Stück san des, junga Herr. Und je länger dass ma hinschaut, desto weniger werns.“
Der Schiffseigner aus Linz mit seiner Ladung Saatgut verschleift die Endsilben, dass es jedem ein Graus sein muss, der je Stimmbildung betrieben hat.
„Vierunddreißig. Und so wird’s aufgeschrieben.“
Kunterkasten hat sich in den Wochen seines Schreiberdienstes zum Gesetz gemacht, dass gestochene Konsonanten und Vokale fürs Recht-mäßige stehen und Genuschel für Schmu.
„Wann da Herr von Neweklowsky es aufschreibt, nacha sans wieda zwöif“.
Solchen Subjekten sollte man verordnen, einen Korken zwischen die Zähne zu nehmen und Artikulation zu üben, ehe sie überhaupt ein Kontor betreten dürfen.
„Der Herr Neweklowsky ist unabkömmlich.“
„Oder eher weniger ois wia zwöif. Weil der Herr von Neweklowsky is a großherzige Natur.“
Der Hafenmeister schreibt hinter den Fenstern an seinen Dramen. Kunterkasten schreibt an der Lände Ziffern.
Vier-und-drei-
„Weil, der Herr von Neweklowsky hat ein Herz für de Schiffsleit. Und für wos haben der junge Herr a Herz ?“
Vierunddreißig.
Auf dem –dreißig liegen zwei Silberstücke. Der elfte Bestechungs-versuch an diesem Amtstag.
„Überzahlung muss ich in das Kataster eintragen.“
„Des is doch kaa Überzahlung ned. Des is a ganz a klaane Auf-merksamkeit füa den jungan Hean, damihd er an Schoppn trinkn konn auf unsa Wohl.“
Neue Schuhe könnte Kunterkasten wohl gebrauchen. Und einen un-durchlöcherten Leibrock, wie er einem wohl ansteht, der auf gepflegte Aussprache hält.
„Oisdann. Öif hamma ausgmocht. Öif wern oofg’schriem.“
Aber Christian Asmus Kunterkasten ist der Sohn und Sohnessohn von Pastoren. Ein ausgebüxter Sohn zwar, mag sein ein verlorener, aber groß-gezogen mit dem Lutherkatechismus. Du sollst nicht falsches Zeugnis hat jedes Morgen- und Abendgebet grundiert. Unausgesprochen. Was auch falsche Buchführung mit einschloss, und die höllischen Dunkelspiele des ungerechten Mammon. In den Wochen als Substitut des Hafenmeisters wird Kunterkasten immer noch zum Kummerkasten, wenn einer ihn als Opferstock missbrauchen will. Und das Schloss dabei offen lässt.
Protestantische Rechthaberei versus Gedächtnisregister der ange-stammten Floßführer, obwohl die meisten nur unter Mühen ihren Namen hinkrakeln können. Und lesen bloß ihre eigenen Floßmarken. Aber alle rühmen sich ihrer Meisterleistungen als Gedächtniskönige, auch wenn sie keine anderen Merkzettel haben als ihre bäuerleinigen Gehirnschlingen.
Wieviel Kälber hat einer von Passau nach Krems verbracht, bei der Fahrt vom anno 1798 am siebten Juni ? Dreiundzwanzig Stück, vier davon waren Sinnentaler, neun Grauvieh, der Rest Werdenfelser. Wieviel Bloch Kiefernholz sind verfrachtet worden anno 1784, am siebzehnten August ? Wieviel Sack Salz am Laurenzitag 1778 ?
Das ist die einzige Buchführung, schwören sie und deuten sich zwischen die Augen, die beständig und dokumentenecht ist. Was drüber hinausgeht ist bloß Papiergeraschel, nicht einmal der Ochs mags fressen. Und alle Heiligen im Himmel sind Eideshelfer, und ob der hergelaufene lutherische Komödiantestrizzi überhaupt weiß was ein Heiliger ist ?
Der Hafenmeister Neweklowsky, Adept des Aischylos und Gottscheds, muss seine Dramen immer öfter auf seinem Schreibpult liegen lassen, mitten in den Jamben abbrechen ( der Vogt Bodo macht es sich schon wieder zunutze ) und sich Beschwerden anhören.
Muss schlichten, während er mit dem Kopf bei den Donaunixen ist, Gelder sich zustecken lassen, die an das Lösegeld für Richard Löwenherz heranreichen. Wenn auch in Maria-Theresia-Talern. Und wenn der junge lutherische Spund sich weiterhin zum obersten Richter aufwirft, was doch allein unserem Herrn Jesus verstattet ist, und auch das erst am Tag des Jüngsten Gerichts, dann darf der Spund sich nicht wundern, wenn ihm eines nahen Tagen einen Geldsack ins Maul steckt.
Prall gefüllt mit Steinen. So dass er hinab sinkt zwischen de Fischerln aufm Grund.
Es kommt der Morgen, an dem der allzu umsichtige Schreiber, der sich der Unhöflichkeit schuldig machte, keine Präsente entgegen zu nehmen, nicht mehr an seinem Schreibpult anzutreffen ist.
In der Nacht war ein Papierknäuel vor die Tür der Hafenmeisterei gelegt worden. Nicht mit Geld darin, sondern mit Steinen. Drei Kiesel und eines toten Blässhuhns. Das Papier war beschrieben mit einer von Kunterkastens peniblen Auflistungen, und darüber gekritzelt drei dutzend Floßmarken wie sie Schiffsleute, die die untere Donau befahren zur Kenn-zeichnung ihres Eigentums verwenden.
Soweit noch keine besondere Mitteilung, nur dass Papier und Bäß-huhn mit dem Messen zerfetzt waren.
Der Hafenmeister Neweklowsky, der die Flößermarken alle wiederer-kannte, strich Joseph und Irinäus, die Schifferbrüder, aus seinem Drama. Dann strich er auch Giselher. Dass ein Hafenmeister Drohungen ein-heimst, gehörte zu den Spielen der Leute die am Wasser wohnen. Mit den Drohspielen floss auch das Gewissen donauabwärts.
Neweklowsky nahm Joseph und Irinäus wieder herein in sein Drama. Aber sie waren nun vereinsamt, wie er selber vereinsamt war. So nahm er auch Giselher wieder herein. Der aber wollte ihm im Fach Sängerbarde nicht mehr so gefallen wie früher. So zog er alle drei zusammen zu einer einzigen Rolle und nannte den neuen jugendlichen Helden Blondel.
Und siehe da, mit Blondel erfuhr das Drama neuen Auftrieb. Ne-weklowsky ließ ihn den Hofdichter von Richard Löwenherz sein, dem gefangenen König draußen vor dem Turm vorsingt, das er alsbald frei-kommen wird.
Und mit Glück sogar ins Burgtheater.
Wieden sind Weidenstränge die die einzelnen Baumstämme eines Floßes zu einem großen Schwimmkörper zusammenbinden. Wenn das Floß wieder aufgelöst wird, wirft man Flechtwerk fort zum Verbrennen. Die Wieden scharren dann aneinander, der Wind wirft sie hin und her, und es sind Gesänge zu hören wie von Starenschwärmen. Der Kalk des Wassers hat sich während ihrer Reise an ihnen festgekrustet, an anderen wuchern Algen, sodass die einen blechern klingen und die anderen wie Fagotte.
Muschelschalen nun wieder lassen, wenn man mit dem Fingernagel an ihnen kratzt, Töne hören die dem Gesang der Feldgrillen ähnlich sind. Und wenn man zwei Muschelschalen aneinander reibt, erinnern sie an Waldhörner, die sehr weit weg geblasen werden.
Das alles sammelt Strönebald auf, schweigend. Und Maultrommel und Tröte freuen sich, dass sie Gesellschaft kriegen.
Gegen Almosen an Kirchentüren Verse von Klopstock aufzusagen misslingt Kunterkasten. Schlichte Bettelei misslingt ihm noch mehr. Hüh-nerdieberei bricht er schon nach dem ersten Versuch ab. Die Biester die er hat fangen wollen, laufen nicht einmal vor ihm davon, sondern lästern ( auf niederösterreichisch ) über den Pastorensohn, der sich selber innerlich eine Strafpredigt hält du sollst nicht begehren deines Nächsten Eigentum noch Huhn.
Und schon, die Strafpredigt galt ja nicht ihnen, scharren sie wieder vor seinen Füßen und gakern, als seien sie aufgelegt zur nächsten Runde probiers doch no amal, obst uns diesmal derwischst du Strotterer.
Es bringt ein paar Mahlzeiten ein, wenn er hier und da beim Ausmi-sten hilft auf Höfen, wo die Männer zum Krieg weggeholt worden sind. Wenn aber Nachbarn neugierig werden, ob der Fremdländer jetzt auf dem Hof bleibt, für länger oder immer, sucht man besser das Weite.
Und wenn Berittene erscheinen und sich nach einem erkundigen, verzieht man sich in den Wald.
In Wald gibt es nicht nur die Tiere. Tiere fängt man in Fallen wenn man heißhungrig ist und man sich darauf versteht Fallen zu bauen. Im Wald gibt es auch Versprengte, Marodeure, Vertierte aller Waffengattungen. Sie haben nicht viel Beute gemacht bei den Feldzügen an denen sie teil-nehmen mussten, aber wie man einen Mann von hinten anfällt und ihn zur Beute macht indem man ihm die Gurgel zudrückt, das haben sie doch gelernt. Was sie übrig lassen, fällt in den Schnee und wird von den Wöl-fen ausfindig gemacht.
Wer vor den Marodeuren davon rennt, verfängt sich in Brombeer-schlingen, liegt mit gefesselten Beinen vor ihnen. Und sie haben Säbel und Bajonette und wissen wie man einen Mann kalt macht. Schreckliche Gesichter , ohne Nasen schauen auf Kunterkasten nieder. Die Kopfhaut in Fetzen, verquer wieder festgewachsen, unter blutverschorften Kanten weiße Schädelknochen.
Die Rekrutierungsoffiziere haben die Marodeure mit Gewehrschüssen in den Wald gescheucht, denn wie soll ein Werber den Dorfburschen das fidele Leben in der Armee anpreisen, wenn die Nasenlosen, Ohrenlosen, Armlosen daneben stehen und Zeugnis ablegen wider das Kriegs-handwerk.
Spuren von Schalenwild im Schnee. Eisvögel, Füchse, denen Kunterkasten neidet, dass sie Futter finden. Allen Tieren neidet ers. Geläut von Kirchenglocken, nun wieder von überall zu hören, die Richtung aus der es kommt meidet er. Kunterkasten schläft zwischen Wildschweinen. Er hört sie grummeln und kluntern, als unterhielten sie sich über ihn, und ob er die Gattung Mensch artig repräsentiert vor einem unverbildeten Publikum, das nicht in samtenen Orchestersesseln sitzt und Zuckerwerk lutscht. Sondern alle Rollen selber übernehmen kann, die der Fressenden wie die der Gefressenen. Sogar von den Eichhörnchen hohn-voll missachtet, wenn sie über ihn hinwegspringen wie seinerzeit Lange-behn, und noch den Schnee verachtungsvoll auf ihn herabplumpsen las-sen.
Er steht plötzlich wieder an der Donau. Er erschrickt vor dem Fluss wie vor einem alten Feind, wie vor einem Wirt, dem er das Über-nachtungsgeld schuldig geblieben ist oder einem Zeugen, der gegen ihn aussagen könnte. Wieder waldeinwärts, fällt ihm ein, dass die Donau das einzige Verkehrsmittel ist, das ihn vorangebracht hat. Nun, es ist schon finster, sitzt er wieder an der Donau und hört dem Rauschen zu. Es ist ein vertrauter Ton, wie einem ein Vetter vertraut ist, der einem gerade die Geschwister erschlagen hat.
Er wird eine Flaschenpost aussetzen. Er muss der Stadt ein Signal ge-ben, dass er kommt. Dass er unterwegs ist. Dass mit ihm immer noch zu rechnen ist. Aber dazu braucht er eine Flasche. Einen ganzen Tag lang sucht er das Ufer nach Treibgut ab, das sich in den Weidenwurzeln verfangen hat. Aber da hängen nur einsame Schuhe, verknotete Seile, schlammig aufgedunsenes Brot und verreckte Bisamratten. Zwischen Ge-betbüchern, deren Seiten nur noch von den Schilfkolben gelesen werden.
Die Strömung treibt die Leiber fort stromabwärts, überwachsen von Schwimmfarnen , und zieht sie in die Länge bis hin zur Stadt Budapest, wo die Gerippe sich verhaken mit anderen Gerippen, die Strömung lagert Bettkästen in ihnen ab, Sudkessel, Rüstungen, Speere und Gewehre, Brat- und Kriegsspieße, ins Eis eingebrochene Hirsche, Scheiße und abgetrie-bene Föten, und die giftige Waschlauge der großen Städte lässt aus alldem grausige Wesen aufwuchern woraus wiederum die Gliedmaßen der Ertrun-kenen ragen.
Als er bis zur Dämmerung noch immer keine Flasche gefunden hat, fragt er sich wer denn seinen Sendbrief schon sollte lesen wollen, selbst wenn er eine Korken fände, um ihn trocken auf die Reise zu schicken. LETZTE BOTSCHAFT VON KUNTERKASTEN. MEINE FLUSSFAHRT IST ZU ENDE. MEINE LEBENSZEIT IST ZU ENDE.
Er will eingehen wie ein Tier, ohne Widerstand aber auch ohne Leiden und ohne Bewusstsein. Er wird sich selber in den Fluß werfen, ohne Flaschenglas drum herum, wie der arme Blasius, das schwemmt und schlammt und schludert sich hinunter ins Ungarische, zu den Hunnen, durchs Eiserne Tor, in die Walachei, in die Dobrudscha, hinunter zu den Türken -
Aber die Ohrenkneifer, die über ihn krabbeln als ob sie auf sich auf-merksam machen wollten, schmecken zu süß um sie zu verschmähen. Beim Zubeißen knackt ihr Panzer, ein Genuss den Eichelhäher und Rot-kehlchen nicht haben, denn ihnen fehlen die Zähne, und beim Aus-lutschen geben die Ohrkneifer eine Saft her, zu dem man sich nur Honig hinzudenken muss, um die Illusion eines schmackhaften Vorgerichts zu haben.
Wenn Kunterkasten recht hinschaut, ist der Wald ein gedeckter Tisch bestückt mit einem üppigen Gemüse-Angebot aus jungen Ahornzweigen, Flechten, schmackigen grünen Fichtentrieben, abgerundet mit der ver-schwenderischen Süße im Harz der Nadelbäume. Und dazu als Grund-Brot die Bucheckern.
Nur Regenwürmer wird er verschmähen. Einstweilen. Denn die Regen-würmer verkriechen sich noch tief im gefrorenen Boden.
Das Endchen Zaundraht erinnert ihn an seine Harfe, aber Zaundraht klingt nicht und wird wieder entlassen. Aufgespleißtes Furnierholz hingegen klingt und erinnert an ein schmächtiges Fagott. Fortgeworfene Gabeln, wenn man sie mit einer Haarnadel beklopft, schwingen und möchten gerne langstieliger sein, damit sie leichter singen lernen.
Und Zaundraht klingt eben doch, wenn eine Öse an ihr reißt. Eine Öse aus der Schatzkammer der Demoiselle.
Strönebald nimmt den Zaundraht wieder auf in sein Ensemble.
Die Tür steht nicht eigentlich offen. Sie verabsäumt nur die ihr zuge-wiesene Aufgabe, die Lücke in der Mauer zu verschließen und durch Druck auf die Klinke den Eingang frei zu geben.
Die Türflügel im Eingang sind weggesunken, verschließen nichts mehr, klaffen nachlässig auseinander und lassen den Wind und auch sonst jedermann und jederding passieren. Die Türklinke ist mit Schafgarbe überwachsen. Die Verglasung in den Rahmen ist gesprungen, weil sich das Holz verzogen hat. In seinen Rissen wuchert Moos.
Hier wohnt niemand. Hier darf man eintreten.
Doch, hier wohnt jemand. Die Bewohner sind so grau wie die Tür-flügel und stehen gleich hinter diesen bereit, um Kunterkasten einer bedrohlichen Musterung zu unterziehen. Erst erkennt er im Halbdunkel nicht, wie viele es sind. Dann merkt er, dass es nicht nur das Halbdunkel ist, das ihm die Sicht nimmt, sondern dass Gardinen aus Spinnweben vor seinem Gesicht hängen und über seine Ohren streichen.
Hundeschnauzen begutachten feucht seine Hände, ob er eine lohnende Mahlzeit sei. Die Hunde sind so hochgewachsen, dass sie ihre Köpfe zu Kunterkastens schlaff hängenden Händen hinunter beugen müssen. Und knurren dabei, im Chor. Kunterkasten steht angststeif und lässt die Prozedur über sich ergehen.
Er steht Stunden. Wenn er sich bewegt, lassen sie ihren Knurrchor hören, in tiefen Bassbaritonen. Nichts sonst ereignet sich. Die Hunde legen sich nieder und behalten Kunterkasten unverwandt im Auge. Wenn er ohnmächtig wird, dessen ist er gewiss, und ihnen vor die Rachen fällt, werden sie zuschnappen, ohne sich auch nur zu erheben. Einige halten ein Schläfchen zwischendurch, er hört es am Schnarchen. Aber wenn er auch nur einen Fuß lüpft, drohen sie ihm wieder mit ihrem Knurrchor, uni-sono.
Kunterkasten ersterben die Glieder. Er wird es nicht mehr lange durchstehen. Sein Hunger ist die einzige Regung in ihm, der er nicht Stillestehen befehlen kann. Sein Magenknurren, heller und flötenhafter als das Knurren der Hunde, lässt die Bestien die Ohren spitzen. Sie grinsen, nass und mit rosigen Hänge-Lefzen, sie grinsen ihn aus. Er muss sie bitten ihm Pardon zu geben, wie ein im Nahkampf Besiegter. Bei zwei, drei Ansätzen versagt ihm die Stimme.
„Verzeihen die Herrschaften…“
Noch haben die Doggen ihn nicht angefallen.
„Ist außerdem noch jemand im Hause ? „
Nun schon eindringlicher. Die Hunde stellen die Ohren hoch, als seien sie selber neigierig auf die Antwort. Und war da nicht eben ein Geräusch, in einem fernen Zimmer ?
Kunterkasten pfeift. Erst mit den Lippen, dann auf den Fingern.
Die Hunde springen auf, erregt. Die Neugierde zuckt heftiger in ihnen als der Drang, ihn zu zerfleischen. Sie hecheln, sie wollen suchen gehen. Aus ihren Blicken liest er, dass er es ist, der sie anführen soll. Er wagt eine Bewegung, winkelt die kribbelnden Knie an, holt die Arme aus der Starre zurück -
Nichts zerbissen, keine Zähne in den Schenkeln. Noch vor ihm sind die Hunde an der nächsten Türe und bearbeiten sie mit ihren Krallen. Er dreht den Türknopf, und schon sind sie wieder weit voraus.
„Ist da wer - ?“
Die Hunde schnauben und winseln ungeduldig vor der nächsten Tür. Schon wieder zweiflüglig, eine Herrschaftstür. Hinter der muss die Lösung bereit stehen, die Erlösung. Hinter der muss, wenn er sie aufgetan hat, sich auch das Rätsel dieses Hauses auftun. Aber die Hunde stürmen nur wieder in ein weiteres modriges Zimmer. Danach in eine modrige Küche, in grünschimmlige Vorratskammern, in denen Kunterkasten nichts zu beißen findet, nicht einmal eine verdorrte Zwiebel oder ein vergessenen Steinguttopf mit Eingewecktem. Wovon, fragt er sich, ernähren sich dann diese grauen Ungetüme.
Die Doggen stehen fordernd und hecheln.
Bei ihrer Jagd durch die Räume haben sie die allgegenwärtigen Spinn-webvorhänge auf ihren mächtigen Leibern mit sich gezerrt und nehmen sich in dieser Kostümierung aus wie Trauerpferde beim Staatsbegräbnis. Hat Kunterkasten die heimliche Ehre, ihr Fleischvorrat und der nächste Bestattete zu sein, in ihren unermesslichen Mägen ?
Kunterkasten zieht es vor sich davon zu schleichen.
„Jessasmaria !“
Wo er hereingekommen ist, vor der zerfallenen Tür, steht ein Bau-ernmädchen. Die Hunde sind ihm gefolgt, er war nicht vif genug eine der Türen hinter sich zuzuziehen.
Aber nicht vor den Hunden hat das Mädchen Angst, sondern vor dem Fremden..
„Mein Name ist Kunterkasten.“
Und zieht die Spinnweben von seinem Kopf wie einen Hut, mit einer kleinen Verbeugung.
„Fürcht Gott !“ entsetzt sich das Mädchen.
Und stiebt davon, dass es ihr die Zöpfe um die Ohren haut. Für die Hunde ist sie kein Karnickel, das Verfolgung lohnt. Sie haben sich nicht bewegt. Aber als Kunterkasten sich bewegt, der Türe zu, lassen sie wie-der ihren Knurrchor ertönen. Untersteh dich uns hier wieder allein zu lassen du Dünnling, soll das wohl bedeuten, du bist beschlagnahmt. Ob als Adoptivkind oder als Futter wird sich finden. Aber wer ist er denn ! Nun setzt er seine Stimme ein.
„Eine Grenze hat Tyrannenmacht, meine Herren !“
Die Grauen sind peinlich berührt. Knurren ein Gebrumm, das sich wie ein Stöhnen der Verlegenheit anhört.
„Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
wenn unerträglich wird die Last greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel – „
Die Grauen wenden die Köpfe von ihm weg, wie verlegen um eine Antwort. Aber sie lagern sich zutraulich um ihn. Er hört ihre Gelenke knacken. Ältere Herrschaften. Er riecht üppig ihre Ausdünstungen, warmen Kötermief, angereichert mit den Ausdünstungen dieses Moder-hauses. Seitdem er nicht mehr zwischen Gmeinwiesers Kühen reist, ist er nicht mehr so ungebeten mit warmem Tiergestank beschenkt worden.
Den ölgemalten Bildnissen an den Wänden hat man die Gesichter he-rausgeschnitten. Nun starren ihm über adrett geknöpften Westen und Ja-bots schwarze Rechtecke entgegen, als befänden sich dahinter Klappen und Sehschlitze, aus denen ihn die Bewohner des Hauses beobachten, die sich bisher noch nicht haben blicken lassen. Wenn er aber in die Recht-ecke greift spürt er dass auch diese Hohlräume wiederum von Spinnen-völkern besiedelt sind und dahinter bröselige Tapeten.
Das Geschirr in den Schränken ist unangetastet, auch das Silberbe-steck. Die Silberkannen, die Tafelaufsätze, die Servietten, auf denen der Schimmel seine eigenen Landkarten hat wachsen lassen. In einem Bou-doir stößt er sogar auf Kleider, den Textilvorrat eines Herrn von Nob-lesse und Geschmack.
Endlich Garderobe. Garderobe allein für Kunterkasten, von den Motten abgesehen, die hier bereits Mahlzeit gehalten haben. Wärmendes, Flauschiges, Vornehmes, Pelzbesetztes.
Die Hunde teilen seine Freude, niesen wie er im Staub, der aus den Stoffen auffliegt. Sie niesen vielmal kräftiger als er und lassen, mit vervielfachter Niesekraft, ganze Wolkenbänke von Staub aufsteigen. Nach den Motten, die darin mitsegeln, wird grimmig geschnappt, aber keine einzige gefasst. Darüber in Laune gekommen, breiten die Doggen ihre Vordertatzen auf dem Parkettboden aus, als wollten sie Kunterkasten zum Spielen einladen.
Statt ihren Gast zu bewundern. Wie der es erwartet, im Schmuck fremden Aufputzes. Er sucht sich sein Abbild in den Spiegeln, blinden Spiegeln, denen erst gar nicht angesehen hat, dass die versilberte Glas-scheiben sind, so verwegen großflächig erscheinen sie einem Pastoren-sohn. Er reibt den Staub von ihnen ab, es muss die Ablagerung von Jahren sein. Um endlich Kunterkasten im Silberschein zu erblicken. Christian Asmus Fürchtegott Felix mit voll ausgeschriebenem Namen, und die feudal ausschweifende Kavalkade de prénoms rechtfertigt sich hier nun endlich. Denn so feudal in Breite und Höhe hat er sich noch nie in seinem Leben gesehen. Noch nie hat er einen Spiegel für sich allein gehabt. Immer nur ein Gemeinschaftsmöbel mit speckigem Holzgriff, und den musste er mit Käpernick und Schuff teilen.
Und in dem zudem eine Lücke klaffte seit einer legendären Eifersuchts-szene, als dem Spiegel auf dem Kopf eines Ersten Liebhabers ( oder wars eine Erste Liebhaberin ? ) ein Dreieck abhanden kam und seine Betrach-tungsfläche zusätzlich geschmälert wurde. Jedesmal wenn sich Kunter-kasten, Wange an Wange mit Schuff und Käpernick, in diesem Torso zu belinsen versuchte, war der bereits von Käpernicks fleischiger Physio-gnomie okkupiert. Und weil das Spiegelglas zudem noch mehrfach ge-sprungen war, vervielfachte und verhackstückte es jedes Schauspieler-gesicht, das hinein schaute. Und Kunterkasten schaute wieder heraus mit den spärlichen Augenbrauen von Schuff und dem breiten Prustemaul von Käpernick.
Nun aber schaut, eingefasst von einem vergoldeten Schnitzrahmen, das Gesicht von Robinson Crusoe heraus. Was Wunder, dass das Bauern-mädel vor diesem Bartgreis, von Spinnweben umflort, auf und davon gerannt ist. Kunterkasten macht ein Rasiermesser ausfindig und legt sich frei, mit den Hunden als aufgeregtem Publikum. Gespannt die Bloßle-gung einer rosigen Haut. Aber es sind nur seine Bartsträhnen, auf die sie gelauert haben und die sie auffangen noch ehe sie zu Boden fallen, um schmatzend darauf herumzukauen was für eine köstliche Vorspeise wenn wir schon ihn selber nicht kriegen.
Kein Käpernick schiebt sich von rechts herein, kein Schuff von links. Kunterkasten die Rampe für sich allein, vorner noch als vorn, sieht sich so übergroß wie ihn nicht einmal der Kaiser sähe und wenn der in der ersten Reihe säße und ein Fernrohr hätte. Er rückt sich zwei groß-mächtige Spiegel angewinkelt zurecht, probiert den ganzen fremden Kostümfundus durch und begeistert sich an den Posen, die ihm dazu einfallen.
Je nach der Herausforderung durch einen wertherischen Blau-gelb-Anzug, einen Umschlagmantel oder einen Jägeranzug. Mit Puderperücke, mit Zweispitz, mit Dreispitz. Wenn Kunterkasten mehrere Spiegel auf-stellt, sieht er den Christian verfünffacht, den Asmus verzehnfacht, den Fürchtegott verzwanzigfacht, den Felix verhundertfacht, als Richard III mit Scheusalsfratze. Als Romeo, großäugig romantisch. Kunterkasten ist in der besten Gesellschaft, die er sich je herbeigewünscht hat. seiner eigenen.
Was für ein günstige Nase, schmal gesattelt, ein Kinn mit markanten Unterkanten, die in entschieden scharfem Winkel zu den Ohren hinauf streben. Während bei Langebehn dort etwas unentschieden Behäbiges gelauert hat, so etwas Hängerisches, Früchtegirlanden-Artiges, das in eine feiste Dreifachkinnhaftigkeit abgesackt wäre bei längerer Lebenszeit.
„Chrissssssstian, nu werd mir nich hoffärtig in deinen jungen Jahren !“
Die Stimme seine Mutter ist hinter ihm. Auf ihrem A sitzt ein quet-schiges O und reitet es kleiner. Nicht einmal Vokale kann sie ohne duckmäuserischen Hieb mit einem im Gaumen befestigten Kochlöffel ins Freie lassen. Draußen in der Wildnis, auf dem Floß hat er die Stimme der Mutter nicht vernommen, die Flucht vor ihr schien ihm zu geglückt zu sein. Hier in dem noblen Interieur ermahnt sie ihn auf einmal wieder. Sei dir ssssstets bewusssst, auf Passsssstorenkinder schaut die ganze Ssssssssstadt.
Und Eitelkeit vor Spiegelspieln will ihr am wenigsten gefallen. Im Pfarrhaus gab es nur Handspiegel, verschämt hervorgeholt, um zu sich vergewissern, ob der Scheitel rechtschaffen gezogen sei unter der Sonn-tagshaube und das Bäffchen rechtschaffen gestärkt.
Und doch gab es auch große Spiegel im Pastorenhaushalt. Sie taten nicht innen Dienst, sondern auf der Gasse und waren am Fensterrahmen festgeschraubt. Durch sie war zu überwachen, welche Pfarrkinder, welche Lüttjohanns und Tüttjohanns und Tütteljans und Petersens sich da drau-ßen der Tagedieberei des Flanierens hingaben.
„Unnütz auf der Gasse, das ischa Müßiggang. Und Müßiggang iss genauso Sünne wie Eitelkeit.“
Aber dein Sohn will eitel sein. Vanitas ist seine Profession, er hat sich einen Beruf erwählt in dem die Eitelkeit flackert wie der Docht in der Kerze. Sogar vor Hunden spielt er sich auf, er gibt lieber Doggen eine Vorstellung als Konsistorialräten. Doggen sind ein dankbares Publikum.
„Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
wenn unerträglich wird die Last - „
Die Grauen lauschen im Liegen, die Ohren gespitzt.
„Ihr schweigt ? Ihr habt mir nichts zu sagen ? Wie !
Verdien ich’s noch nicht, dass ihr mir vertraut ?“
Die Grauen klopfen ihm Applaus mit den Schweifen.
„Wenn wir das Land befreit, dann …dann legen…dann legen wir-“
Und als ihn der Text verlässt, und kein Strönebald da ist zum Einsagen, stöbert Kunterkasten in der Bibliothek eine Schillerausgabe auf. Zum Tell gesellen sich dort Diderot, Rousseau, Atlanten, Lessing, Himmelskarten, Spinoza, Swift, Swedenborg, Mattisons Gedichte und der Werther. Kun-terkasten gibt seinem Schiller Urlaub. Und als er auch noch eine Kerze findet, liest er sich stundenlang im Rinaldo Rinaldini fest.
Beim letzten Licht des Tages entdeckt er in einer spinnwebverhangenen Tiefe ein Himmelbett. Ein Himmelbett, allein für Kunterkasten ! Er klemmt, was er sich als Lesefutter ausgesucht, hat unters Kinn, Schlegels Lucinde und die Wahlverwandtschaften, Shakespeares Komödien in der Orginalsprache, und schleppt seine Trouvaillen unter diesen spinnwebi-gen Himmel, der Kunterkastens Bett überdacht.
Auf der Matratze erwarten ihn keine Pilze. Was ihn erstaunt, denn sie modert erdig wie Waldboden, und mit Waldböden ist er letzthin enger bekannt geworden als ihm lieb war. Es pieken ihn keine Tannenzapfen und keine dürren Zweige, er hat lange nicht mehr so verwöhnerisch weich gelegen, wenn je überhaupt. Großer Gott, Junge du kannsss dich doch nicht in fremde Betten lagern ohne Einladung, ischa Sünne iss das, Sünnnne ! zankt es von fernher. Aber da hat er sich schon wieder festgelesen.
In dem Buch, das auf dem Stapel zuoberst lag, Traité des trois impo-steurs, verfasst von einem Anonymus. Das Traktat von den drei Betrü-gern, vollgekritzelt mit vielen Randglossen und Ausrufezeichen, die ihn neugierig machen und durch die Seiten führen. Die ersten der drei Betrüger, liest er, waren Moses und Mohammed, die dem klütjohannisch dummbüddeligen Volk weis gemacht haben sie hätten mit Gott per-sönlich gesprochen und es damit zu Religionsstiftern brachten. Die Hun-de setzen sich erwartungsvoll um die Bettstatt, ihre Köpfe zu ihm herab gesenkt, als erwarteten sie, dass er seine Privatvorstellung fortsetzt und ihnen vorliest.
Der Sabber rinnt ihnen von den Lefzen, eine Tropfsteinhöhle aus Hundeköpfen erhebt sich über ihm. Weil er es versäumt hat dem Drei-stesten das Zusteigen zu verwehren, entern auch die anderen Sabberer freudejapsend die Matratze. Und wenn er eben noch von den Wolfsrudeln des Aberglaubens im Buche las, hat er nun leibhaftige Wolfskreaturen als Bettgenossen. Er fragt sich, ob er dem Gefressenwerden vorbauen kann wenn er den Sabberwölfen Besänftigendes vorliest, bis sie eingeschlum-mert sind.
Aber ihre Pranken wuchten auf seinen Unterarmen, er kann das Traktat nicht mehr halten. Er wird nicht erfahren, wer der dritte der drei Betrüger war, eine Dogge legt sich grunzend auf das Buch. Die anderen legen sich auf seine Beine, betten ihre Köpfe an seinen Hals, und Kunterkasten du-selt gemeinsam mit ihnen davon.
Im Traum wird er mit Erdbeeren beworfen. Sie sind klein, sie sind hart, aber sie zerplatzen sobald sie auf sein Gesicht treffen, und Glitsche rinnt ihm über die Backen. Erwachend, spürt er Fledermausflügel über sich. Flattern sie über ihm, weil sie ihn beobachten wollen ? Koten sie auf ihn herunter weil sie ihn fort ekeln wollen, Kunterkasten aus dem Chateau hinausscheißen ? Handeln sie auf Geheiß des Hausherrn, der sich bislang verborgen gehalten hat und nun den Eindringling durch seine geflügelten Gespenster zur Raison bringen lässt ? Ist das Haus doch bewohnt, und das Angeschmiegsamkeit der Hunde eine Falle ?
Die pressen sich eng an ihn, einer liegt quer über Kunterkastens Oberschenkeln, in Kunterkastens Armbeuge liegt ein Hundekopf. Er ist festgezwungen wie im Schraubstock, seine Nase ist prallvoll mit hündischer Ausdünstung. Ihr Speichel tropft seinen Hals entlang, auf sei-ner Brust tummeln sich ihre Flöhe und üben kichernd an ihm Invasion. Wenn sich nun auch noch Ratten dazugesellen, ist er ein bequemer Bissen.
Und über ihm nun auch noch Schritte. Wer geht da, der sich bisher nicht hat blicken lassen ? Wessen Sohlen scharren da ? Die Hunde, im Chor, schnaufen röchelnd. Sie schnarchen, damit er nicht wahrnehmen soll dass da oben hin und her geschlurft wird. Er räumt sich die Hundebeine und Hundeleiber vom Körper, steigt über das Gebirge von Hunden, sie schnarchen unter seinen Füßen weiter. Er streckt sich, bis sein Ohr die Decke erreicht und er Gewissheit hat : über ihm sind keine zwei Füße unterwegs, da sind viele Füße. Sie treten von einer Sohle auf die andere. Er ist über die Zeit, brabbelt man, was lässt er uns harren und macht uns zu Narren. Die Schuhspitzen werden ungeduldig aneinander gestoßen, es wird gehüstelt, es wird gescharrt, es steht eine Premiere an. haben Sie‘s auch schon vernommen, Allerhöchstdieselben haben sich angesagt, weil der Erste Held wird heute zum ersten Mal auftreten. Und alle wollen ihn sehen, alle, zuvörderst Allerhöchstdieselben. Der Prinzi-pal soll unbekannten Aufenthalts sein, seine Compagnie auf ihrer Irrfahrt verschollen. Der einzige Überlebende wird den Spielplan erfüllen.
Kunterkasten springt aufs Podium. Unten sitzt seine Majestät Franz II.
„Das Joch soll stehen, das uns zwingen wollte ? Auf, reißt es nieder !“
Kunterkasten, der Ehrenbürger der Großen Revolution.
„Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber !“
Allerhöchstdieselben schwitzen bleich vor sich hin. Allerhöchstdiesel-ben getrauen sich nicht abzuhauen, es ist zu spät zum Davonstehlen, der Hof ist schon über alle Berge, die Stühle liegen kreuz und quer. Aus-sichtslos das Verdünnisieren durch die Wirrnis der umgestürzten Sessel, nicht einmal auf die Treue der eigenen Beine kann der Kaiser sich mehr verlassen.
„Brecht die Gerüste ! Sprengt die Bogen !“
Die Speckfalten flattern dem Kaiser in Ängsten, schützend hält er beide Hände vor die Nichtigkeit seiner Visage, beide. Er brauchte zehn Hände, um zu kaschieren dass da vorn dran an seinen gepuderten Schädel kein Gesicht angewachsen ist.
„Reißt die Mauern ein ! Kein Stein bleib auf dem andern !“
Kunterkasten bewirft den Kaiser mit Erdbeeren.
„Der Tyrann ist fort, der Tag der Freiheit ist erschienen !“
Die Erdbeeren sprenkeln rote Tupfer auf des Kaisers Visage. So gewinnt er wenigstens an Farbe. Aber der Kaiser will keine Farbe, er fürchtet sich vor Farbe. Er fürchtet sich vor allem vor Rot. Bei jedem Tupfer schluchzt er auf, greint um Gnade, seine Hände werden riesig, die Finger fahren aus ihnen heraus, des Kaisers Hände sind Fledermausflügel, der ganze Kaiser ist eine Fledermaus.
Und die mistet Kunterkasten ins Gesicht.
Am nächsten Morgen ist das Mädchen wieder da.
„Der neue Pfarrherr hat g‘sagt, man braucht Gott nicht fürchten.“
Sie traut sich nicht durch das Ruinengerüst hindurch, das einmal eine Tür war. Auch wenn ihr sein Vorname Fürchtegott keine Furcht mehr ein-flößt. Ihre Ziegen stehen hinter hier und betrachten neugierig Kunter-kasten.
„Und man steckt Gott auch nicht in einen Kasten“
„Hat das euer Pfarrer auch gesagt ?“
Statt einer Antwort lacht sie “fang auf !“
Sie wirft ihm ein Ei zu.
„Ich hab glaubt gestern, meiner Seel ! der Gnä Herr ist zurückkommen.“
„Der gnä Herr ?“
„Der is jung g‘wesen wie er fortgangen ist in den Krieg.“
„Gegen die Franzosen ?“
Das Ei ist hartgekocht, wie er beim Aufschlagen merkt.
„Und kommt so uralt z‘ruck, hab i denkt gestern.“
Sie lacht, weil er das Ei gierig mit den Fingern in sich hineinstopft und die ableckt, als klebten die Reste von drei, vier harten Eiern daran.
„Aber jetz san der Herr auf amal jung, also san Sie doch net der Gnä Herr. Tät der Herr Pfarrer sagen, wann er Ihnen sehn daad mit der Ra-sur.“
Und bei jetz hab i nix mehr lacht sie und patscht die leeren Händchen mehrmals ineinander.
„Aber sein Leib ist nimmermehr aufg‘funden worden.“
„Der vom Herrn Pfarrer ?“
Sie lacht. „A geh. Vom Gnä Herrn.“
Und wie viele Jahre soll das her sein ? Sie zählt es ein paar Mal an den Fingern ab, ohne Resultat. Rechnen ist nicht ihre Stärke. So bleibt es bei der Zeitangabe fuuuuuurchtbar lang.
„Dann kanns kein Krieg gegen die Franzosen gewesen sein.“
Dann wars halt ein Krieg gegen andere, irgendein so ein Krieg halt. Sie kennt sich da nicht aus, und das Gesind ist eh auseinandergelaufen. Das vom Gnä Herrn. Und Verwandte hat der Gnä Herr nicht gehabt ? Keine Antwort. Trotzdem, warum wohnt niemand hier ?
Weils hochherrschaftliches Eigentum ist.
„Und wer sich da dran vergreift, der hat eine Todsünd und das Höllenfeuer ist ihm sicher. Hat der vorige Herr Hochwürden immer g’sagt.“
„Steht du darum auf der Schwelle und traust dich nicht herein ?“
„Weil nur ein Gnä Herr ins Herrenhaus eintreten darf. Sagt doch schon der Namen.“
„Also bin ich ein Gnä Herr ?“
Keine Antwort. Am nächsten Tag bringt sie ihre Ziegen mit.
„Denen schmeckt das Gras, zart wie’s is, das was aus dem Grund da raus wachst.“
„Du meinst aus dem Parkett“.
Es wuchert zart in den Fugen des Estrichs, Kunterkasten hat es bisher übersehen. Durch die zerstörte Flügeltür ist der Samen ins Haus einge-drungen. Die Ziegen machen sich über das Gras her, sie bleibt draußen stehen. Die Hunde lagern sich und sehen gönnerisch zu; hier scheinen alle Wesen gut Freund zu sein.
Und was er, der Gnä Herr, erst zu den Erdbeeren sagt. Schmackige Erdbeeren, das ! Er hat sie noch gar nicht wahrgenommen, net der-g‘neisst, darum pflückt sie ihm welche, kniet sich ins Wuchergrün und ist unversehens über das hinweg gerutscht, was früher eine Türschwelle war.
„Goschn auf !“
Er muss den Mund öffnen, sie lässt die Erdbeeren hinein fallen, sie sind hart und schmecken bitter. Hat er nicht von Erdbeeren geträumt, die sich verwandelten in Fledermauskot ? Sie ist nun doch ins Haus geraten, und als er ihr das sagt, schreit sie auf.
„Pfuigack, du Schlankl !“
Sie fasst an die Zitzen der Ziege, die ihr am nächsten steht und spritzt ihm warme Milch ins Gesicht. Sie lacht über die weißen Spritzer, die sie ihm damit ins Gesicht malt, und steckt ihn an mit ihrem Gelächter. Er legt sich unter die Ziege und zeigt mit den Fingern auf seinen weit auf-gesperrten Mund. Immer weiter, immer zu, diesmal fühlt er sich ganz anders als bei Gmeinwiesers Kühen, schon weil Gmeinwieser nicht in einemfort gelacht hat bei seiner Milchzeremonie.
„Leidet der gnä Herr an so am Mordshunger ?“
Als sie fort ist, erbricht er Milch und Ei. Und auch die Erdbeeren, die in der Milch schwimmen.
Am nächsten Morgen hat sie einen Korb mit Brot, Ziegenkäse und Zie-genmilch dabei. Dass man das Haus nicht betreten darf, bei Höllenstrafe, ist weggewischt. Er hat keine Mühe, sie ins Innere zu führen, von den Grauen freundlich geleitet.
„Hochwürden der neue Pfarrherr hat nachg‘fragt, ob das Ihr wirklicher Nam ist, den was der Gnä Herr g‘sagt hat.“
Christian Asmus Fürchtegott Kunterkasten ?
„Gott wird in an Kasten g’sperrt weil er si fürcht sich so dass‘s kun-
tert !“
Prustendes Gelächter.
Wenn sie ihn geatzt hat, spielen sie Gott im Kasten. Er versteckt sich in den Tiefen des Hauses, sie muss ihn suchen, dann umgekehrt, und die Grauen sind voller Eifer mit dabei. Mit Gott darf man ruhig spielen, schnaubt sie, als er sie unter dem Himmelbett hervorzieht, aber niemals net mit der Jungfrau Maria. Das wär eine Todsünd.
Ob das auch der neue Pfarrherr gesagt hat ?
„Das mit der Jungfrau, das sag i.“
Ob sie sich denn auskennt mit dem Jungfrausein ?
„Probiers halt.“
Sie zerrt ihm erstaunlich schnell die Garderobe des fremden Gnä Herrn herunter, den fremden Rock, die fremden Seidenhosen, das fremde Che-misettl. Aber als Kunterkasten seine Leiblichkeit zum Einsatz braucht, reagiert die grade anders herum und scheidet per Durchfall aus, was er an Ziegenmilch und Ziegenkäse zu sich genommen hat.
Prustendes Gelächter.
Nackt und beschämt flüchtet er sich zur Literatur. Aus dem Stoß seiner Bettbücher greift er sich einen Band, der bereits aufgeschlagen dagelegen hatte und liest ihr aufs Geratewohl vor.
„Sie streicht ihm mit dem Füßchen übern Rücken;
Er denkt im Paradies zu sein.
Wie ihn alle sieben Sinne jücken !
Und sie – sieht ganz gelassen drein.
Ich küss‘ ihre Schuhe, kau‘ an den Sohlen,
so sittig als ein Bär nur mag ;
Ganz sachte heb‘ ich mich und schmiege mich verstohlen
Leis an ihre Knie – „
Er tuts. Möge seine Beschämung hier ein Ende finden. Er küsst ihre Haut, die schmeckt salzig, aber sie erwiderts nicht.
„Wie der Gnä Herr das so herausbringt aus seinem Mund…“
Ihm dämmert, dass sie sein Lesen nicht mit dem Buch in Verbindung gebracht hat. Dass man aus Büchern vorlesen kann, dass man die Buch-staben herausnehmen kann und in den Mund nehmen, was überhaupt Bücher sind und was Lesen.
Als hätte er alles aus sich selbst. Warum soll er ihr nicht den Glauben lassen, wenn sie ihm nur weiter Futter bringt. Sie krault ihm nicht einmal den Nacken, sie traut sich nicht mehr.
„Das ist wie wann gepredigt wird. Der neue Pfarrherr hat auch so eine Stimm. So wie eine Orgel is dem seine Stimm. So wie vom Himmel he-rab…“
Es ist die Stimme, die sie an Kunterkasten bewundert ! Seine Lautung, seine Zwerchfell-Atmung. Endlich einmal kriegts nicht mehr der Lange behn ab und der Prinzipal. Und aus einer heiteren Regung, denn er fühlt sich nun doch wohl aufgehoben, nackt mit einem nackten Mädchen in einem hochherrschaftlichen Bett :
„Vom Himmel herab triffts genau. Ich sollte ja auch mal Pastor werden.“
Was denn das für einer sei, ein Pass-Tohr ?
„Ein Hirt, wortwörtlich. Ein Seelenhirt. Ein Pfarrer.“
Der nicht heiraten darf ? Sie zieht die Beine von ihm zurück.
„Nicht doch, ein lutherischer. So einer der heiraten darf.“
Sie fegt aus dem Bett, rafft ihre Kleider. Ein Ungläubiger also ist er,
eine verlorene Seele. Sie bekreuzigt sich. Wenn sie das im Dorf erfah-
ren –
„Dann ?“
Keine Antwort. Die Grauen stehen dabei, mit hochgestellten Ohren, wundern sich über ihre Aufgeregtheit und werden daraus so wenig schlau wie Kunterkasten. Sie zieht sich ihre Kleider wieder an. Einer von den Grauen, als ob er ihn bedauere, leckt Kunterkasten ein Ohr. Der krault ihn, zum Dank.
„Naa, net schmusn mit dene.“
Denn die sind wie die Wölfe. Überfallen Hühnerställe, räubern Enten und Gänse. Wenn man sich wehrt, sagt man im Dorf, dann kommt ihr gnä Herr in der Nacht, mit seinem Kopf unterm Arm und klopft ans Fenster und wer ihn gesehen hat, steht nie wieder auf. Was der Gnä Herr für einer ist hat man erfahren von den Salpeterern, die dürfen in jedes Haus, mit Gelobt sei Jesus Christus stehen sie auf der Schwelle, langen ins Weih-wasserbecken und dann kratzen sie den Salpeter von den Wänden. Die dürfen das, die haben ein allerhöchstes Patent, weil sie den Salpeter brauchen für das Schießpulver bei der Armee. Beim Gnä Herrn aber war gar kein Weihwasserbecken, haben sie im Dorf erzählt, und wer kein Weihwasserbecken im Haus hat, der ist ein Lutherischer oder ein Calvinistischer.
Und wie die Salpeterer wiedergekommen sind, war kein gnä Herr mehr da.
„Bloß no seine Hunderln.“
Sie umschlingt ihn. Ohne ihre Kleider riecht sie gar nicht mehr nach Ziegen.
„Ich wüll net dass du auch auf amal verschwunden bist, so wie der Gnä Herr. Wirst sehn, der neue Herr Hochwürden macht dich christlich. Weil, der is selber a Engel.“
Wenns dunkel wird, nimmt sie ihn zur Abendmesse mit, er muss die Gewandung des Gnä Herrn ablegen, damit sie im Dorf nicht aufmerksam werden. Sie heißt ihn zehn Schritte hinter ihr hergehen und sich abwenden, wenn sie jemand begegnen. Es begegnet ihnen aber niemand, bis auf die Hunde, die ihnen anfangs das Geleit geben und sich dann zerstreuen in ihre Jagdgründe. Den Dorfleuten sind sie alte Bekannte, früher sind sie Seite an Seite mit ihnen als Treiber bei den Jagden des Gnä Herrn mitgerannt.
Jetzt steht das Jagdwild der Grauen in den Viehställen und die Treiber von damals tun Buße, indem sie nicht hinhören, wenn es im Todeskampf schreit.
Vorn am Altar, den Rücken zur Gemeinde, zelebriert der neue Pfarrer der ein Engel ist, zwischen zwei Messbuben. Was vom Kirchenvolk ver-langt wird, ist Kunterkasten in Bausch und Bogen fremd. Es ist an Marei ihn hoch zu ziehen, wenn man aufzustehen hat. Marei drückt ihn nieder, wenn man knieen soll. Sie singt für ihn, wenn man singen soll.
Die Messbuben trippeln die Altarstufen herunter, einer betätigt eine Handglocke, der andere ein Weihrauchfass. Der Pfarrer wendet sich zur Gemeinde, fordert sie mit angewinkelten Unterarmen zu etwas auf, was Kunterkasten schon wieder nicht versteht. Aber er zwinkert dabei Kun-terkasten zu.
Der Pfarrer ist Käpernick.
„Schling nicht. Schön Löffel nach Löffel.“
Käpernick hat einen Napf mit Haferbrei vor Kunterkasten hingestellt.
„Und dazwischen durchschnaufen und in dich hinein lauschen, wie’s durch die Speiseröhre hinunter sickert in den seligen Hafen deines Kindermagens.“
Die Dorfkirche hat just die rechte Akustik für die Stimme Käpernicks, des weiland Komikers. Kein Nachhall, keine tückischen Echos, sondern wohl gepolsterte Resonanz. Und bei jeder Vorstellung ist sie ausverkauft und voll mit geneigtem Schäfchenpublikum.
Für sich selbst hat Käpernick einen Braten auf den Tisch gestellt mit Knödeln auf einem dicken polsterkissekissen aus Sauerkraut gespendet, alles gespendet und vorgekocht, und daneben steht eine Kanne Wein be-reit. Auch gespendet.
„Patience, patience. Dir werden schon auch noch die Segnungen des Schweinernen zuteil. Mit Klößen ! Zuvörderst muss dein Magen lernen, dass er manierlich bei sich behält, was du ihm in gutem Glauben anver-traust. In diesem Sinne prost, Kleiner, auf dein Spezielles !“
Trinkt dem wiedererlangten Kumpan zu und sticht ins Schweinerne, dass es bis zu Kunterkasten spritzt. Die Pfarrstelle war vakant, warum sollte er nicht einspringen, der alte Einspringer, hat er doch auch früher schon als Heldenvater ausgeholfen oder als Geist von Hamlets Vater, wa-rum nicht zur Abwechslung als Gottesmann. Vakanz ist Vakanz. Und seine Amtstracht hat er auch gleich mitgebracht. Als Rest des Nachlasses der Wandercompagnie eines gewissen Propodonsky, kein Wort mehr über ihn, welche unselig in Liquidation gegangen ist. So ein Kostüm schwarz in Schwarz, bodenlang, mit weißem Bäffchenkragen.
„Der Dottore aus der commedia dell’arte“ weiß Kunterkasten auf Anhieb.
„Ein pfiffiges Bürschchen“.
Käpernick trinkt ihm wieder zu. „Du erzeigst dich schneller des Schweinernen würdig als gedacht.“
Käpernick hat sich also den Talar des Dottore umgehängt und als Kano-nikus aus dem Elsass eingeführt, von der Revolution verfolgt. Aber diese Bürokratenclique, es war die königlich bairische, sei hellhörig geworden : in wess‘ Betreff bitte verfolgt, monsieur le curé ? Wo doch Seine Majes-tät Napoleon soeben aufs freundschaftlichste ein Konkordat mit dem Papst unterzeichnet hat.
Da schien es Käpernick geraten, sein Geschick in Gottes warme Hän-de zu legen und über die Grenze hinüber ins urglaubensfeste Austria sancta zu pilgern. Als nunmehr zweifach Vertriebener, erst aus dem El-sass und nun von den von den bairischen Jakobinern. Und der hiesig re-gierende Bischof hat ihm gar die Aufwartung gemacht als märtyrer-ischem Amtsbruder.
Das nennt sich Lebensart ! So einen wie den Bischof wünscht sich je-des Ensemble fürs Fach père noble, aber nur alle heiligen Zeiten sind solche Bischöfe frei disponibel, weil sie eben ins falsche Fach geraten sind, trotz Lebensart, und stattdessen fürs Theater verloren und als Got-tesmänner besetzt.
Bei ihm, Käpernick, hat niemand bemerkt, dass er das Fach gewech-selt hat. Und hat er‘s denn gewechselt ? Er betreibt, was er immer schon betrieben hat, sein Bühnenhandwerk. Und das an allen Tagen des Kir-chenjahres. Der Spielplan ist so lang wie eben dieses Kirchenjahr Tage hat, und an jedem dieser Tage hat er die Bühne für sich allein ohne die Beschwer von Schminke und Souffleur und ohne dass er auf jemandes Stichwort warten muss, sei’s von dieser Tarantel Langebehn oder von diesem Erzschmieranten kein Wort mehr über ihn Propodonsky.
Und die Predigten ! Arien aller Arien. Monologe ganz vorne an der Rampe, auf einem himmelsnahen Über-Podest, das allein er erklimmen darf, Käpernick. Man nennt es Kanzel, und kein Prinzipal könnte es sich herausnehmen ihn von da oben hinter die Kulissen zu scheuchen.
Mundig zurechtgestückelt aus Schiller, Shakespeare, Plautus hat er sich, was er da oben darbietet, da ist der alte Komödiant wiederum ganz bei sich und Gottsched – ja, gerade Gottsched hat Erlesenstes für den Gottesdienst geschrieben und es selbernicht einmal gemerkt.
Freilich, wo Jupiter angerufen wird, pfropft Käpernick die Deifaltigkeit hinein. Und, statt Apoll den Herrn Heiland. Was Aphrodite gottschedete, dübelt Käpernick mit der Jungfrau Maria. Und niemals, bei der ewigen Seligkeit nicht, sind Pfiffe zu gewärtigen vom geneigten Publikum oder gar Verrisse in den Journalen.
„Schnullerchen machen dürfen ohne Unterlass, Kunterkasten, Schnul-lerchen !“
Und über die Geizknochen, die es mit einem Töpfchen Griebenschmalz genug sein lassen wenn sie ihrem Pfarrherrn spenden sollen, lässt er Blitze ins Holz der Kirchenbänke niederfahren wie bei Don Giovannis Höllenfahrt. Sodass den Schäfchen, die sich wegducken ein Zitterich an-kömmt als führen sie selbander in die Höllen. Und den Blitzen lässt er Donner durchs Kirchenschiff hinterher poltern, als hiebe Satanas höchst-selbst auf seine tiefgestimmteste Pauke ein.
Jüngst hat ein Schäfchen solcherwege eine Frühgeburt erlitten, in der Kirchenbank, und Käpernick hat‘s sogleich eingebaut in seine Predigt.
“Ei wer gesellt sich denn da zu uns ! Sein Geschrei verkündet, diese Welt ist ein Jammertal sofern man nicht so gut bei Stimme ist wie er. Lasst ihn uns darum willkommen heißen mit seinem eigenen Geschrei.“
Und in der Kirche haben sie alle geschrien, nicht wissend, dass diese Textstelle aus Kotzebues Posse Der Erpresser seiner selbst stammt, drit-ter Akt, vierter Auftritt. Und nach dem Geschrei haben sie alle geweint vor Rührung. Hosianna in excelsis !
„Wie ich noch mit dir bei der Schmiere war, Kunterkästchen, da durft ich immer nur den Saufaus geben, Falstaff oder den Narren in Was ihr wollt. Aber hinter der Bühne gab‘s nur Wasser für unsereinen, und den Wein solamente für den Herrn Prinzipal, kein Wort mehr ihn. Jetzt bin ich da vorn Pfarrherr en suite, und hinter der Bühne der Saufaus.“
Käpernick trinkt auf sich selbst.
„Dabei ist das Bewegungsrepertoire auf meiner Bühne sowas von spar-sam, da können einen die Kollegen nur beneiden drum. Die Gehwerk-zeuge brauch ich kaum noch zu bemühen, ein Schritt nach halbrechts, zwei Schritte halblinks, e basta. Der Rest von mir ist Statue. Die Arme sind gänzlich in Stoische gerückt, und die Hände ? Endlich im Ruhe-stand, die so viel haben fuchteln müssen. Schau ! Paarweise aneinander gewurstelt, die Flächen nach innen. Stets vorm Bauchnabel gefaltet, ob du nun schreitest oder stehst oder scheißt. Auch wenn ich den Segen schlage, schau ! Die eine Hand entlässt die andere nie aus dem Kuratel, allerwege sittsam bei mir bleiben, ihr fünf Fingerlein da drüben, sagen die fünf Fingerlein hüben, auf dass ihr nichts Übles verübt, ich weiß doch was euch alles zuzutrauen ist, ihr Schweine-Stengelchen, oh oh oh.“
Er belacht sich selber.
„O Fellatio et preces tibi, domine, laudis offerimus”.
Sein Latein ! Dass Gott erbarm, seine Gottesgelahrtheit ist so löchrig wie sein Repertoire an lateinischen Vokabeln. Aber das soll der Alte da oben sich selber hinter die Löffel schreiben. Noch nie hat Käpernick so wenig Zeit gehabt über ihn nachzudenken wie eben jetzt, da er ihn als Himmels-Prinzipal über sich hat. Miriaden Regie-Anweisungen hat er erlassen, statt sich auf den Dekalog zu beschränken ( zu dem es nicht einmal einen Souffleur brauchte ) und hinter dem end-end-endlos fortdauernden Gesinge, Gekniee, Wiederaufstehen, Weihwassertupfen, Bekreuzigen, Wiederhinknien, Schweine-Stengelchen hüten und Riten-Gereite verschwinden Offenbarung und Religion.
Wie zwei Statisten die man in der Garderobe vergessen hat und ihnen nicht einmal ein Kartenspiel da gelassen.
„Wofür zum Undank sie eines weit zurückliegenden Tages einfach ab-gehauen sind.“
Er belacht sich nun selber so sehr, dass er ein Taschentuch braucht um seine Tränen weg zu tupfen. Aus seiner Soutane kommt ein ganzes Bün-del zum Vorschein.
„Die Gemeinde überbietet sich darin mir Sacktücher zu regalieren, mit Monogrammen drauf, isses nicht eine Pracht.“
Das hier von der Witwe vom Bohaumilitzky, das von Müllersfrau, das von Serafin, die hat Röschen drauf gestickt, und von der Emmerenzia ein Herz Jesu sogar mit Dornenkrone, und das da von der Aloisia, Herrin über drei Kühe. Das will was heißen diesen Zeiten, wo -
Es wird ans Fenster geklopft.
„Ich muss mich jetzt meiner Seelsorge widmen…“
„In der Nacht ?“
„Grade in der Nacht, da schleicht der Einsamkeitsteufel in die Schlaf-kammern. Ich bin schier der letzte Mann im Dorf, die anderen haben die Werbeoffiziere weg gelockt.“
Er wedelt mit einem seiner Schneuztücher vor Kunterkastens Nase : „Es war dieses Schäfchen, das geklopft hat“.
Monogramm RL.
„Es bedarf des geistlichen Zuspruchs.“
Was werden die fünf Fingerlein davon halten, die doch stets über die anderen fünf Fingerlein wachen sollen ? Käpernick streckt sie aus und beschaut sie, als wärens Pfarrkinder, die in seinem Beichtstuhl knieen.
„Die haben spielfrei in der Nacht, Kunterkästchen. Im Bett bin ich nach wie vor Käpernick.“
Und niht Pfarrherr. Käpernick den Finger auf den Mund und versteckt Kunterkasten, ehe er das Pfarrkind einlässt, sündenbeladen.
Nach der Bucheckernkost, nach der Bettelkost, nach der Rohe-Kartof-felkost, nach der Ohne-irgend-etwas-zwischen-den-Zähnen-Kost und der Schonzeit mit dem Haferbrei wird Kunterkasten nun nahrhaft zuteil, was die Dörflerinnen ihrem Seelenhirten allnächtlich als Vorspeisen für zu erwartende Kissengenüsse ins Pfarrhaus bringen. Und statt einem Tisch-gebet gibt es als hors d‘oeuvre Betrachtungen über Gott im Lichte der Gaumenfreude.
Katzenbraten zum Exempel ! Käpernick ist nun von einem Hofstaat von Katzen umgeben und büßt ( seine Auslegung ) damit, dass er die Katze des Flößers hat verspeisen wollen. Ohne ein Rezept für deren Zubereitung parat gehabt zu haben. Das er nun, die Katzen und sich sel-ber fütternd, ausführlich erörtert. Soll er diese hier drei Tage lang in Essig legen oder fünf Tage in Rotwein ? Katzenfleisch ist widerständig gegen Zubereitung, man bedenke dass der Teufel in Darstellungen des letzten Abendmahles stets anwesend ist in eben ! Katzengestalt, und wer mag schon den Teufel verspeisen, zumal wenn er nicht genügend durchgebeizt ist. Zu bedenken sei auch, bei jeglicher Mahlzeit, dass bei eben diesem Abendmahl die Eucharistie als Zentralachse alles Katholischen gestiftet worden ist durch einen Gastgeber, der sich kulinarisch betrachtet hochgesteigert hat vom Heuschreckenverzehren über das Hochzeitsdiner zu Kana zum Darbieten seiner selbst beim letzten Hammelmahles, als gourmandises Summum.
Dies ist mein Fleisch und Blut hat er gesprochen, und die Evangelisten haben vor lauter Geschmatze und Fingergelecke ganz vergessen uns das Rezept mitzuteilen von diesem Hammel. So ist die katholische Kirche eine einzige cuisine grasse geworden.
Und wenn die Protestanten das erfahren, kommen sie alle herüber.
„Bloß die mit den grimmigsten Magengeschwüren bleiben noch um Luther und Calvin geschart weil sie nicht wahr haben wollen, dass ihre chronische Verstopfung von der Lehre diesen Herren herrührt.“
Wenn Käpernick nun aus dem Beichtstuhl zurück kommt und von anderen kirchlichen Verrichtungen, ist ein reichlicher Tisch gedeckt für zwei. Zuerst vom Pfarrherrn, dann von Knterkasten, der die landeseigene Küche schätzen lernt mitsamt ihren Mehlspeisen.
Zuerst indem er sie aufwärmt. Dann indem er sie selbst zubereitet.
„Hör dir das an.“
Drüben in der Kirche wird gebetet.
Ein dichter Frauenchor. GegrüßetseistgebenedeitunterdenWeibernund- gebenedeitseidieFruchtdeinesLeibesJesus.
Dann Stille, nein doch nicht Stille. Zwei, drei Greise krächzen.
DerHerristmitDir…
„Was hörst du da heraus ?“
„Dass es viel mehr Frauen gibt in deiner Gemeinde als Männer.“
„Wie recht du hast. Aber du solltest noch was andres raushören.“
Eine veränderte Melodik bei den Frauen. Seit Kunterkasten da ist, geht den Frauen der Fremde im Kopf um.
„Ich hörs ihnen an beim Beten.“
„Das ist doch kein Beten. Das ist Leiern.“
„Grade drum. Der Kopf bleibt leer, aber drunten im Uterus rumort es umso mehr. Die Weiber erhitzen sich an dir. Eine einzige hat dich erst gesehen und – naja - genossen, aber schon geisterst du in den Köpfen auch von den anderen herum. Und wie sie dich ausmalen, allen Respekt. Horch doch bloß -“
GegrüßetseistgebenedeitunterdenWeibernundgebenedeitseidieFruchtdei-nesLeibesJesus -
„Ein junger Hereingeschneiter, breit und blond, denken sie während sie beten, das ist hui. Wann kriegen wir ihn. Für den Stall, fürs Bett. Aber er ist ein Evangelischer, das ist pfui. Wann kriegen wir ihn, und das sagen sie nun schon laut, zum Kopfabschneiden.“
GegrüßetseistgebenedeitunterdenWeibernundgebenedeitseidieFruchtdei-nesLeibesJesus -
„Du gehörst schleunigst katholisch getauft.“
„Von dir etwa, Käpernick ?“
„Oho ! Devotion bitte ich mir aus vor dem geistlichen Stand, evange-lischer Jungspecht, Devotion !“
Kunterkasten hat das Marei entjungfert. So ist es dem Pfarrherrn vom Marei im Beichtstuhl anvertraut worden. Zwar, das Marei ist nicht die Schlaueste im Dorf, aber den Wert eines Hymens kennt auch und sie. Was damit zusammenhängen mag, dass ihre Mutter die Dorfhebamme ist. Sie hat zwölf Geschwister, und alle erzfromm.
„Da kommst du nicht um Einheirat herum. Oder es geht dir wie dem gnä Herrn. Von sind bloß noch die Doggen übrig.“
„Aber der ist doch im Krieg geblieben.“
„So hats ihnen der vorige Pfarrer als Wegzehrung mitgegeben für ihr schlechtes Gewissen.“
Derselbe vorige Pfarrer, der von der Kanzel herunter gefragt hat, wie lange das Dorf den ketzerichen Schandfleck noch dulden will. Dabei ist der Herr der Doggen nichts weiter als ein Bücherleser gewesen, ein Auf-geklärter, ein redlicher Illuminat.
„Kreuzbrav möchte man sprechen, wenn der Begriff nicht anderweitig schon besetzt wär.“
Der genauso wie Kunterkasten vergessen hat, dass er von Haus aus Protestant war. Und dazu noch Bücherbesitzer in Französisch und Englisch. Wo doch die Kaiserin Maria Theresia den Gebrauch der engli-schen Sprache verboten hat, zum Heile ihrer Untertanen. Eben weil in dieser so viele Wühlschriften verfasst worden sind.
„In diesem Weihrauchwinkel darf seit Maria Theresias Zeiten kein Erdhamster mehr protestantisch sein, keine Grille ein Freidenker, kein Engerling ein Reformierter. Und dazu noch seine Ländereien unter den Pächtern aufteilen und den Dorfkindern aus dem Rousseau vorlesen, wo sie noch nicht einmal den Katechismus buchstabieren können.“
Satanische Menschenfallen ! Freimaurerisches Kindergift ! Und so heimlich wie der Gnä Herr ein Gottseibeiuns war, so heimlich ist er ab-handen gekommen. Und die Schäfchen, auf dem von ihm geschenkten Grund, haben einen Grund mehr, die Evangelischen zu hassfürchten. Apage satanas !
„Und mein Herr Amtsvorgänger ist dafür Bischof von Sankt Pölten geworden.“
Es wird ans Fenster geklopft. Diesmal wird nicht Speisung hereinge-reicht als Vorausgabe für nächtliche Seel- und Leibsorge wie sonst am Mittag sondern die Nachricht, dass einer der letzten Männer im Dorf der letzten Ölung bedarf. Der Eustachius Lechner, Überlebender der Schlacht von Loiben, wo die Österreicher ausnahmsweise einmal die Sie-ger waren.
Um den Preis, dass nicht mehr viele, so wie der Lechner, von ihnen heimgekommen sind. Und auch der Lechner nur als Dreiviertelleiche. Hat ihm die Verwandtschaft den Weg ins Jenseits geebnet, vor der Zeit, wie sie gesehen hat, dass er keine Mistgabel mehr wird halten können ? Die Bauern lernen schnell vom Militär, wie man einen Punkt hinter einen Satz macht, wenn man nur einen Schießprügel zur Hand hat.
Käpernick nimmt Kunterkasten alle heiligen Eide ab das heilig kannst du gleich wieder streichen dass er sich nicht am Fenster blicken lässt, noch die Türe öffnet noch gar die braven Pfarrhausbalken mit seinen Stimmübungen ängstigt.
Als Käpernick von seinem Versehgang zurück kehrt, schwitzend, und in die Rolle des Geistlichen Herrn schon des beträchtlichen Leibes-umfangs wegen unwiderleglich hineingewachsen, weist er Kunterkasten gleich zwei Schneuztüchlein vor. Die Aspirantinnen, die sich für diese Nacht in seinem besonderen Beichtstuhl angemeldet haben, während er ihren Gevatter für die letzte Reise bereit macht. Ein Monogramm SR, rosa und hellblau gestichelt und mit einem Herz Jesu verziert, das Ver-gissmeinnicht umrahmen.
„In meinem Beichtstuhl ist geweht dass du einer bist, der unbeschol-teten Jüngferleins Schweiniges aus schweinsledernen Büchern vorliest.“
Die das im Beichtstuhl abgeladen haben, möchten selber Schweiniges vorgelesen kriegen. Wer ein Buch aufschlägt, bleibt ihnen trotzdem des Leibhaftigen Lehrbub. Eben dies verschafft ihnen den Kitzel, wo kaum noch ein Mann ist im Dorf, kein Analfabet und kein Lehrbub des Leib-haftigen.
„Oh Kummerkästchen, lobpreise die allerheiligste Kirche, dass du so wohlbehütet mitten drin sitzt in ihrem gnadenvollen Schoße, du Sit-tenstrolch.“
Käpernick parodiert nun bereits sich selbst, und den Bischof von Sankt Pölten mit dazu, den Blick zum Himmel und die Iris weit oben wie der heilige Aloysius, damit das Flackern der Weihekerzen in den Aug-äpfeln üppig wiederscheine. Und, den Blick wieder senkend auf seine zehn Pfaffenfinger, die sich gegenseitig bewachen : dem Marei ist heute Nacht der Gnä Herr erschienen. Am Stallfenster, so dass sie ihn vor lau-ter Fliegendreck erst gar nicht erkannt hat, und in der einen Hand hat er aufgeschlagen ein Buch gehalten, betitelt, Traktat von den drei Be-trügern.
„Aber das Marei kann doch gar nicht lesen !“
„O mein Sohn, du wirst dich nie in die Dorfgemeinschaft einfügen. Du sollest besser fragen, was er in der anderen Hand gehalten hat.“
Nämlich den eigenen Kopf. Die Hund werden auch bald keine Köpf mehr ham, da ist das Marei sicher, unter Tränen, und sie will den Gnä Herrn bittschön ausgehändigt kriegen.
„Ich frage : welchen ? Und sie trenzt noch mehr. Sie trenzt ganze Liter, obwohl sie hierzuland immer noch in Unzen rechnen. Und ich sage : sie-he Mägdlein, da sei die allerheiligste Jungfrau vor dass ich euch das Tier mit den zwei Rücken machen lasse. Mit der Bibel zu sprechen, auch wenn das Marei von der Bibel keinen Schimmer hat weil sie stattdessen hierzulande nur den Katechismus kennen mit dem Imprimatur des hochwürdigsten Bischofs von Sankt Pölten vorne drin. Aber dass ich auf das Sakrament der Ehe abgezielt habe, das geht ihr schon ein. Denn ohne Ehsakrament ist die Leibesübung mit den zwei Rücken die pfuipfuige Todsünde Unkeuschheit und fällt unter Punkt sechs im Beichtspiegel. Da hat das Marei so geflennt, dass ich ihr eins von meinen Tüchlein geborgt hab. Zum Glück hat sie vor laut Geflenne das Monogramm nicht erkannt. Das von ihrer Ehrwürden Frau Mama.“
Der Hebamme.
Im Dorf wird getrommelt und gepfiffen. Fünf Füsiliere vom Regiment Palffy stapfen durch den Staub der Dorfstraße herauf und nehmen Auf-stellung zwischen Ziehbrunnen und Schmiede.
Was gibts noch zum trommeln, schimpfen die Witwen, der Meinige ist schon ins Grab getrommelt. Keine Flöte, keifen die Frauen der im Feld Stehenden, lockt mehr einen Kerl weg von der Mistgabel, weil die Misgabeln werden eh schon alle von den Weibsbildern gehalten.
So bleibt dem Werbefeldwebel der Zuschauerraum kärglich leer. Bis auf ein paar barfüßige Buben vorne und zwei Alte hinten, die es nicht mehr verkraften, als Gaffer zu den Soldaten hin zu hatschen. Also begaf-fen die Alten die militärische Selbstanpreisung von ihren Hausbänken aus und wie der Werbefeldwebel herzählt, was es einem wackren Burschen alles einbringt, wenn er seinem angestammten habsburgischen Kaiser zur Hand geht gegen den angemaßten hergelaufenen fremdländischen ka-tzelmacherischen Jakobiner, der sich Kaiser schimpft und da dafür seine Straf haben muss.
Verschwenderischen Sold lässt Seine Majestät der unsrige Kaiser über einen solchenen regnen. Weite Reisen auf des Kaisers üppige Kosten sind ihm garantiert. Schulter an Schulter mit reichlichem Speisevorrat in Ge-päckwagen, für die nur die breitkreuzigsten Bräurösser rekrutiert werden, dermaßen üppig ist die Bürde aus eingeweckten Marillen, Marillen-knödeln, Marillenschnaps und Banater Schinkengeräuchertem.
„Mit welch allem Seine Majestät seine Buam verköstigt an der Frontlinie hin zum franzmännischen Landräuber und sich dabei stetig erkundigt bei, obs auch gemundet hat und obs am End nicht etwa versalzen war. Nicht zu reden von der feschen Uniform mit den Knöpfen aus Messing. So dass de Madln bloß aso rennen.“
Nur den letzten Satz fügt der Werbefeldwebel aus eigenem bei, quasi eigenmündlich, zum sonst Vorgedruckten. Das andere liest er ab von einem miltäramtlich altgedienten, an Faltungen reichen Schriftstück, stockend und über jeden Beistrich stolpernd, so dass er die Wegstrecke des bisher Abgelesenen immer wieder zurück stolpern muss.
Die Marillenknödel wie die fesche Uniform und das Banater Schinken-geräucherte werden so mehrfach ins Treffen geführt und auch des Kaisers Erkundigung nach der Versalzenheit, ohne dass auch nur eine einzige Stallfliege den Misthaufen verlassen und sich zur Musterung gemeldet hätte. Der Trommler und der Pfeifer starren die barfüßigen Buben an, die wiederum sie anstarren und sich von der Darbietung nichts mehr erwar-ten.
Kunterkasten, als Kollege im Darbietungsgewerbe, dauern die Soldaten. Was für eine schäbige mise-en-scène ! Wenigstens der Oberkörper gehört aufgerichtet, und die Schultern zurück. Beine ins Gerade und Kinn vor !
Der Appell des Kaisers, wo er doch vom Kaiser ist und nicht vom Bäckermeister Piesecke, gehört übers Terrain geschmettert wie ein Clai-ron. Auch wenn der Kaiser seinen Appell formuliert hat, als wär er der Bäckermeister Piesecke. Also auswechseln den Text -
„Wohl auf Kameraden,aufs Pferd, aufs Pferd !“
Jetzt starren Trommler und Pfeifer nicht mehr. Die Buben auch nicht.
„Öha.“
„Nichts da öha. Sprech Er nach. Wohl auf Kameraden,aufs Pferd, aufs Pferd“.
„Mir san aber von de Fußtruppen, junger Herr.“
„Ist auch bloß symbolisch gemeint. Aber von Friedrich Schiller.“
„Bei welchm Regiment stehtn der ?“
Wenn das Dorf schon eine Bühne ist, warum soll sie allein Käpernick gehören. Kunterkasten spürt auf einmal, dass der Erste Held wieder in ihm rumort. Er nimmt dem Trommler die Schlägel fort, schlägt aufs Fell und skandiert :
„ ‚Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäumt,
Die Brust im Gefechte gelüftet !
Die Jugend brauset, das Leben schäumt,
Frisch auf ! eh‘ der Geist noch verdüftet.‘ Nachsprechen !“
Aber den Werbern liegt das Rhetorische nicht. Der eine hat vorne Zahnlücken, der andere lispelt weil er einen Durchschuss die Backen hat. Sie sind halt zweite Wahl, auch mit dem Sehen klappts nicht bei ihnen, der eine ist farbenblind und würde die Franzosen nicht von den Öster-reichischen unterscheiden können. Dabei beide sind sie hierher abkom-mandiert weil sie noch am ehesten was hermachen vom ganzen Regi-ment.
Das liegt hinterm Dorf. In einer Mannschaftsstärke, die als eine lückenhafte zu bezeichnen ist und mit einer Ausrüstung, von der der große Bonaparte am besten keinen Wind kriegt.
Kunterkasten trommelt. Auf dem Dorfplatz ist Hochwürden Käper-nick erschienen. Er führt das Marei an der Hand, als wäre sie nicht Braut, sondern Schulkind.
„Und setzet ihr nicht das Leben ein,
nie wird euch das Leben gewonnen sein.“
So einer wie der junge Herr muss standepede ein Kaiserlicher werden, begeistert sich der Feldwebel. Der Feldwebel ist imstand und legt auf das Handgeld noch einen Batzen drauf.
„Maul gehalten ! Mitgemacht !„ kommandiert Kunterkasten und haut auf die Trommel dabei.
Gratulatiere, Kunterkasten, du hast ja eine Kommandostimme ! Und der Feldwebel, dem das Trommeln in die Knochen fährt, hat einen ge-funden, der nicht als Erstes gleich nach dem Sold fragt. Mithin, der Feld-webel wird doch nicht so arg viel draufzulegen haben.
„Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein.“
Käpernick klatscht in die Hände. Dazu muss er das Marei loslassen, das auch in die Hände klatscht. Man muss allzeit tun, was der Hochwürden Pfarrherr tut. Aber kaum aufgehört mit dem Klatschen, weint sie wieder.
„Da siehst du“, lacht der Hochwürden, „als Schauspieler feierst du überall Triumphe, bloß nicht auf dem Theater“.
Die Werbesoldaten erfüllen ihre Dienstpflicht, trommeln und pfeifen. Und spielen den barfüßigen Buben auf, die dazu um den Ziehbrunnen herum exerzieren, Holunderstecken geschultert. Dann um die Schmiede herum, dann um den Apfelbaum am Dorfanger. Dann wieder von vorn bis sie einen Drehwurm kriegen. Die beiden Alten auf ihren Bänken schultern ihre Stecken und belassens dabei nur mit zu wippen, im Sitzen.
Ein militärisches Tableau, das sich sehen lassen kann. Es wird eine be-lobigende Gratifikation herausschauen für den Feldwebel. Siegreich und ohne Einsatz von Gewehrkolben hat er einen ausgehoben, der stattlich, jung, von Leibeskraft ist, und als Zuwaage auch noch obergescheit im Hirnkastl.
„Der bringts zum Fähnrich no bevor der Franzos überhaupt zum Schi-assn kummt. Und i bins der was eam verholfen hat zu aaner gloriosen Carrière bis hinauf zum…zum …“
Der Feldwebel versucht sich nicht weiter auszumalen, bis wohin der von ihm gestiftete Aufstieg den Frischrekrutierten tragen wird. Er kennt sich selber nicht aus im Sonnensystem der hohen Ränge. Die kennt er, der ewige Fußsoldat, nur aus der Perspektive der schmutzstarrenden Pferde-bäuche. Denn wer oben ist im Offizierskorps, dem stehen von der Natur und vom Kaiser aus sechs Beine zu, zwei in Stiefeln und vier in Hufen.
Das Handgeld wird ausbezahlt, der Feldwebel kramt es wichtigtuerisch aus seinem Brustbeutel ( abgewandt von den Seinen, damit die nicht sehen wo genau auf seinem Feldwebelbauch er es verwahrt), und Kun-terkasten muss eine Unterschrift leisten. Der Feldwebel knickt das Papier, damit der Neue nicht sieht, wie weit die Daten der anderen Anwerbungen schon zurück liegen.
Aber dass da lauter Kreuzchen stehen, sieht Kunnterkasten dennoch. Lauter christliche Motive aus Analphabetismus. Nur er, der Pastorensohn, malt kein Kreuzchen, sondern schreibt seinen Namen hin, mit allem Zu-behör. Und als Kontrakt mit dem Kaiser Franz. Der Feldwebel buchsta-biert :
„Christian…Asmus…Fürchtegott…Felix. Respekt ! Aso vui Namen kann sich der junge Herr leisten.“
Dann wird salutiert.
Der Feldwebel legt die Hand an den Zweispitz, der Pfeifer steckt seine Flöte in die Montur und salutiert auch. Der Trommler stellt seine Trommel neben sich und salutiert auch. Die Dorfbuben nehmen ihre Holunderstecken in den Präsentiergriff und salutieren auch. Und auch die beiden Alten da hinten auf ihren Hausbänken salutieren, wenn auch nur im Sitzen.
Kunterkasten merkt, dass nun er an der Reihe ist und salutiert.
„Willkommen in der Armee seiner Apostolischen Majestät des Kaisers
Franz des Zweiten ! Abmarsch !“
Der Pfeifer zieht seine Flöte hervor und bläst. Der Trommler will sich seine Trommel wieder umhängen, aber das hat bereits der eine der Dorf-buben getan. Mit seinem Stecken schlägt er aufs Trommelfell. Und setzet ihr nicht das Leben ein nie wird euch das Leben gewonnen sein.
Die Buben sinds, die mit dem Marschieren anfangen, der Feldwebel hinterdrein. Er lacht. Einen Offiziersanwärter präsentiert er da dem Regiment, einen mit vielen Vornamen, wie sie sonst nur Erzherzöge sich leisten können.
Hinter dem Pfeifer reiht sich auch Kunterkasten ein. Es geht, angeführt von den Buben, einmal um den Ziehbrunnen herum. Der Hochwürden zieht Kunterkasten aus der Marschformation und in die Kirche, ist der doch nunmehr reif für den allfälligen Segen. Vor dem Altar liegt aufgebahrt der Eustachius Lechner.
Der Pfarrherr führt Kunterkastens Hand zu Käpernicks rechten Schien-bein.
„Holz.“
„Ich habe auch einmal den jugendlichen Held angestrebt in meiner Knäbleinzeit. Und auf die Bühne stürmen wollen wie der Gott Merkur, hinter dem die Schwiegermutter von Macbeth her ist.“
So wie jetzt Kunterkasten.
„Wie aber, wenn einem ein Bein fehlt ?“
Käpernick hat sich anwerben lassen, von der holländisch-ostindischen Compagnie als Marinefüsilier. Schon in der Ausbildung ging er eines Schienbeins verlustig, weil ein anderer soeben Angeworbener als Kanonier sein Schießgeschäft nicht so umsichtig erlernt hat wie der junge Käpernick sein Exerziergeschäft. So blieb Käpernik das Avancement bei den Marinefüslieren versagt. Beispielsweise zum Colonel, beritten ver-steht sich, nicht zu reden von den Schärpen und Auszeichnungen, für die sich seine Tonnenbrust so trefflich angeboten hätte. Es blieben ihm nur zwei Wege offen : ins Unterdeck zum Kartoffelschälen und einbeinigen Krautstampfen oder das Stampfen auf die Bühne, auf der sich auch ohne vollzählige Gliedmaßen Staat machen lässt.
Die Frauen im Dorf störts nicht, die schnallen sich die Prothese vor den Bauch und lachen der Herr Hochwürden Pfarrer hat vorweg gebüßt für sein jetziges Sündigen indem er Gott an Haxn geopfert hat, im Himmel kriegt er‘n wieder, hosianna ! Also lass uns umso herzhafter sündigen. Noch einmal drauf auf mich, Einbeiniger.
Dabei ist das Bein gar nicht im Himmel, sondern in der Hölle, wo der Teufel drauf herum kaut.
Käpernick spürt es, wenn er seinen Weinkater hat.
„Und du Wildsaufrischling mit dem Verstand einer Spitzmaus, du fährst auch zur Hölle, aber das schon zu Lebzeiten, wenn du dich in eine Armee hinein scharmutzieren lässt. Und es werden verdammt viel Armeen gebraucht werden demnächst, darauf lass ich nicht nur einen, sondern fünf hintereinander.“
Denn es stehen viereckige Zeiten bevor, durch die der gemeine Mann in Marschformation wird trotteln müssen, viereckig wie die Fichten-schonungen, die man neuerdings anlegt. Und die zum Verfeuern umge-hackt werden, Stamm um Stamm, Mann um Mann.
Nur Käpernick ist von Gott eingesetzt ( rasch ehe auch der sich hat mustern lassen als Gott der Schlachten ) damit la gioa divina, sprich die Leibesfreuden nicht auch noch rekrutiert werden.
„Und der heilige Ungehorsam !“
Draußen wird immer noch getrommelt und gepfiffen.
„Bet für mich.“
„Du weißt doch, dass ich grad das nicht kann. Den Falstaff spielen, das kann ich, furzen dass der ganze Saal quiekt, das kann ich - aber mit dem Prinzipal persönlich parlieren …“
Er weiß ja nicht einmal, ob der weiß, dass er sein, Käpernicks Prinzipal ist. Er hat ihm noch keine Regieanweisung zukommen lassen. Aber auch keinen Tadel.
Der Tote liegt und schaut wächsern drein, man hat ihm die Hände ge-faltet. Seine fünf Finger der Linken sind in die fünf Finger der Rechten gesunken, bei ihm gibt es nichts mehr zu bewachen. Fliegen flanieren auf seinem Nasenbein auf nieder und falten ihrerseits die Hände.
In der Nacht darauf brennt das Herrenhaus, niemand aus dem Dorf kommt löschen. Als das Marei gerannt kommt, hat der Hochwürden nur mitzuteilen, Kunterkasten sei mit den Soldaten abgezogen.
Die Janitscharen marschierten, die Janitscharen bliesen, die Janitscharen rührten die Schellenbäume, aber die Schlacht war weit von ihnen fort-gerückt, der Heerhaufe hinter der Janitscharenkapelle war längst abge-schwenkt, die Befehle des osmanischen Generals verfehlte sie denn sie waren ja des Türkischen nicht mächtig, aber die Janitscharen marschierten weiter, trommelten, bliesen, schellenbaumten, marschierten stracks hinein in die Donau, ertranken nicht vor lauter Pflichtgefühl, marschierten nur langsamer nun voran -
Pralle Sonne bescheint wohlgefällig den Leichenzug, das ganze Dorf ist dabei. Auf den Sarg ist ein kaiserliches Fahnentuch gelegt worden und darauf ein Ordenskreuz, das dem Lechner verliehen wurde im Namen des Kaisers, als er blessiert im Namen des Kaisers heimgekehrt ist als einer der Wenigen, die von des Kaisers Schlacht bei Loiben noch haben heimkehren können.
Der Leichenzug muss auf dem Weg zum Gottesacker durch das Spalier
des Regiments.
Das Regiment hat das Dorf umstellt auf der Suche nach ihrem neuesten, aber bereits abgängigen Rekruten, der – so hat der Feldwebel im Biwak herumerzählt – das Offizierspatent schon so gut wie sicher mit sich in seinem Tornister herumträgt. Die Füsiliere haben mit Bajonetten in den Heuschobern nach ihm gespießt, haben heldenhaft Misthaufen angegriffen, Kunterkasten zwischen Hühnern und Gänsen aufzuspüren versucht, Glockenstuhl und Abtritte infanteristisch durchkämmt, aber den ausgebüxten Kameraden bis dato nicht gestellt. Den Unmut darüber kriegten die Hühner zu spüren, die vorzeitig an ihren Bajonetten verblutet sind.
Letzter Zufluchtsort kann nur noch der Trauerkondukt der Dörfler sein.
Den Messbuben, der die Karre mit dem Sarg schiebt, lassen sie noch durch. Der Sarg mit dem toten Kameraden – ein Fahnentuch, und auch noch ein kaiserlicher Orden oben drauf ! Haltung ! - nötigt ihnen ein Salutieren ab, und der Pfarrer, der hinterdrein geht, eine Bekreuzigung.
Aber um den Zug der Bauern dann stellen sie sich zu einem engen Spalier.
„Abteilung halt, Visitation !“
Hat der Deserteur sich womöglich ein Schafsfell übergeworfen und hatscht als Tattergreis mit ? Hüte werden von Köpfen gestoßen, an Bärten wird gezaust, bei kreischenden Frauen wird unter den Röcken gefahndet. Und alle werden sie beschimpft.
„Der Napoleon braucht goar net mehr einmarschiern, es treibt si eh scho Feindg‘sindel rum mehra als wia gnua. Gfraster ös alle mitanand !“
Und lässt sie in der prallen Sonne stehen Aber kein Kunterkasten kommt zum Vorschein. Aus der Verschwundenheit heraus fällt sein Schatten trotzdem auf den Münzkasten des Regiments. Das Handgeld das ihm ausbezahlt wurde, ist ebenso entsprungen wie Kunterkasten selbst aus der Bilanz, die der Werbe-Feldwebel abzurechnen hat. Lieber möchte der als Gemeiner allein gegen die vereinigte grande armée ausrücken, mit einem Haselstecken bewaffnet, als einrücken zum Oberst mit diesem Loch in der Kasse.
Wenn der Pfarrer an der Friedhofsmauer angelangt ist, seiner Gemein-de weit voraus, die immer noch in der Sonne stehen muss, hat er für den Messbuben einen Auftrag und ein Buch.
„Geh da hinein und sprich dieses Gebet.“
„Du bist zur Ewigkeit geboren“ liest der Bub aus dem Buch „für eine hehre Welt bestimmt. Dein Leben geht nicht ganz verloren / wenngleich das Grab den Leichnam nimmt.“
„Fein machst du das. Sprich es dreimal, das Ganze. Am besten, sprich es siebenmal. Damit es auch gewisslich wirkt.“
„Damit was wirkt, Herr Hochwürden ?“
„Man nennt es Grabaufwärmen. Damit der Lechnervater es nicht so kalt hat in der Grube.“
Später, wenn die Trauergemeinde nachgekommen ist, bewundert sie, wie würdig ausgesteift der Messbub am offenen Grab amtiert. Und es wärmt.
„Du bist zur Ewigkeit geboren / für eine hehre Welt bestimmt / Du bist zu groß für diese Zeit. / So lebe für die Ewigkeit.“
Sobald der Bub hinter der Mauer verschwunden ist, klopft der Pfarrer auf den Sarg. Das Fahnentuch rutscht herunter und nimmt den Orden mit sich, denn der Deckel wird von innen angehoben. Der Pfarrherr hält den Deckel der Länge nach angewinkelt, damit Kunterkasten herauskriechen kann. Zu der Seite hin, die den Dörflern und Soldaten abgewandt ist. Als Kunterkasten die Beine auf dem Boden hat, will er Käpernick helfen Steine in den Sarg zu laden.
„Abgang, Kollege ! Gib toute de suite die Bühne !“schwitzt der Pfarr-herr und wirft mit der Totengräberschaufel in den Sarg, was der steinige Weg nur hergibt.
„Halt dich immer an Friedhofsmauer lang. Danach musst du auf alle Viere, so kriechst du in den Hohlweg. Dann siehst du linker Hand eine Erlenschonung - “
Als Kunterkasten schon weit entfernt ist und im Schutz der Erlen-schonung angekommen, dreht er sich noch einmal um und winkt.
„Gott sei mit dir“ murmelt Käpernick. Sehr leise, denn nun steht der Messbub wieder neben ihm.
„Oh… verzeih den Versprecher, du da oben. Ich hab sagen wollen toi toi toi.“
Später, als die Dörfler den Karren und den Sarg über die Schwelle des Tores zum Gottesacker lupfen und der Verewigte endlich in die Erde gesenkt wird, da wundern sich die Bauersleute, wie schwer der Eustachius Lechner seit seinem Hinscheiden geworden ist. Dein Leben geht nicht ganz verloren / wenngleich das Grab den Leichnam nimmt. / Du bist zu groß für diese Zeit. / So lebe für die Ewigkeit !
Die Doggen folgen Kunterkasten noch eine Weile und stoßen ihm dabei ihre Schnauzen freundschaftlich in die Kniekehlen. Auf dem Grau ihres Felles hier und da die hellen Strähnen der Spinnweben, die Rücken-haare versengt vom Feuer. Sie können nicht lange mithalten, ihre Pfoten sind voller Brandblasen, einer nach dem anderen legt sich nieder, und alle schauen ihm nach, wie er zwischen den Bäumen verschwindet.
Dass die Hunde ihm Reisegefährten mitgegeben haben zur Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit wird er erst spüren, wenn er schon weiter ge-walzt ist. Ihre langen Zungen hängen heraus wie Sacktücher, die zum Lebewohl und Nimmerwiedersehen geschwungen werden. Weil sie keine Tränen haben, trieft ihnen zum Adieu übergenug der Sabber.
Strönebald wischt Schweiß und Dreck so gut es geht an dem schwarzen Lederpanzer ab, der seine Schürze ist. Die Schürze ist viel zu gewichtig für ihn. Sie würde ihn niederziehen, wenn sie nicht ihrem langen Arbeits-leben so steif geworden wäre, dass ihre Kanten, die auf dem Boden auf-stehen, Strönebald abstützen wenn ihm schwach wird.
Er darf sie tragen, weil er Gehilfe eines Schmiedes geworden ist, dessen Gesellen in den Krieg gegen Napoleon befohlen worden sind jetzat kemman d’Schmied und haun eam an Vorschlaghammer auffa, dem französischen Falott.
In der Esse brennt tagaus tagein ein arbeitshungriges Feuer, als wären die Gesellen immer noch da und lässt Strönebald alle Kälten vergessen, die er durchgestanden hat. Aber Strönebald vergisst auch nicht, die gestrickten Unterzeuge der Schwester Cypriana vor den Funken in Sicherheit zu bringen, wenn er der Schmiedehitze wegen eins nach dem anderen ausziehen muss Nie würde er die Dreckhände an ihnen ab-wischen. Denn Strönebald braucht reine Finger, wegen des kostbaren Werkstücks, das nun fertig gewalzt verschraubt und verlötet ist.
Willkommen in der Welt der Dinge, Blechkind. Willkommen in der Welt der Klänge. Eine Schönheit bist du nicht gerade, elegant bist du auch nicht. Bei Hofe würdest du brutta figura machen und ausgelacht werden. Und einen Namen hast du auch noch nicht.
Kleiner als eine Flöte, dabei ist die das kleinste Instrument im Orchester. Um dich zum Klingen zu bringen braucht es keine Finger-fertigkeit. Nur zwei Hände zum Halten und zwei Lippen zum Blasen.
Wenn Strönebald bläst, lassen sich eine Flöte vernehmen wie sie der König von Preußen für ihn gespielt hat, als er noch Estrebaldo war. Dazu eine Maultrommel, eine Tröte, eine Maultrommel und Cyprianas böhmi-sche Harfe. Was Strönebald da zusammengesetzt hat, ist der Enkel eines Dudelsacks. Unter den Großeltern muss eine Orgel gewesen sein, und Strönebalds Lungen sind dazu der Blasebalg.
Ein schmächtiger Blasebalg, denn Strönebalds Kreatur ist nicht länger als eine Hand mit ausgestreckten Fingern
Der Meister Schmied sieht, dass hereingeschneiter Gehilfe dicke Blase-backen hat. Der Schmied ist taub vom Donner des großen Schmiede-hammers, mit dem er aufgewachsen ist und der auch jetzt, angetrieben vom Wasser des Mühlkanals, keine andere Musik duldet als seine eigene.
Strönebald wird sein Instrument nicht in dieser schwarzen Lärmhöhle erproben. Sondern drunten an der Donau. Dazu wird er sein graues Wollzeug wieder anlegen. Und damit niemand über ihn lacht und ihn Raupe nennt, wird er sich eine einsame Stelle suchen und den vor-beiziehenden Wellen vorspielen.
Dann wird er seine Reise fortsetzen.
Die Instrumente der Janitscharen trieben dem Meer zu, sie selber hatten sich verfangen in Ankerketten und muschelüberkrusteten Schiffsgerippen. Die Strömung flutete durch die Tuben, holte die darin verborgene Musik heraus, Krebse klimperten auf den Schellenbäumen die wieder zu klingen begannen, moosige Ankerketten rasselten auf den Kesselpauken und die fanden ihre Stimme wieder.
Als Zehrpfennig trägt Kunterkasten das Handgeld der kaiserlich öster-reichischen Armee unterm Hemd, präspektiv verausfolgt, wie ihn der Werbefeldwebel belehrt hat. An eine militärische Hoffnung, einen künftigen Heerführer womöglich garl gar. Und nun von Herberge zu Herberge und von Beisel zu Beisel ausgegeben von einem Fahnenflüchtigen, der auf kein kaiserergebenes Gewissen zu hören hat das ihm zuraunt gib dem Kaiser was des Kaisers ist sondern auf seinen Magen, der ihm zuknurrt gib dem Magen was des Magens ist, denn du hast dich nach Kräften bemüht, den Ausbildungsstand der kaiserlich österreichischen Armee zu heben.
In dem Wirtshaus in dem er sich zu Tisch gesetzt hat, finden weder Kunterkasten noch sein Magen Gehör. Das Schankmädel, an dem sehr blonde Zöpfe hängen, murmelt in sich hinein, als spräche es mit einem Gegenüber. Aber das Gegenüber ist nicht Kunterkasten, es ist die leere Luft, und erst als sie sich an ihm vorbeigeschoben hat, sieht er dass ihre Zöpfe nicht aus ihrem eigenen Haar gedreht sind, sondern aus Flachs.
An den anderen Gästen, den Hiesigen, schiebt sie sich ebenso vorbei und bemurmelt die leere Luft. Aber die dürfen sie betatschen wo sie wollen, dafür sind sie eben hiesig, und dazu rufen sie ihr Ermunterndes hinterher.
Der Schankknecht, statt Kunterkasten zu tränken, gibt sich der diffizi-len Aufgabe hin, ein Stück Blech, einen zerhämmerten Topfdeckel wohl, vor seiner Brust fest zu schnüren, was ihm das Aussehen eines Ge-harnischten verleiht. Nicht einen einzigen Essenden sieht Kunterkasten in der Wirtsstube, und wer trinkt, hat sich schon vorweg mit einer Flasche Wein versorgt.
Kunterkasten bleibt hungrig, aber nicht seine Reisegefährten. Die Flöhe der Grauen tun sich an ihm gütlich, die Schänke bringt sie in Esslust. Ringsum wird erwartungsvoll gebrabbelt, Kunterkasten versteht kein Wort. Das Gebrabbel legt sich, als weit hinten in den Tiefen des An-wesens ein Saiteninstrument ein paar klobige Akkorde hören lässt
Und, als hätte man darauf gewartet, ergreifen die Gäste ihren Krug, ihr Glas, ihre Flaschen und drängen wie Milchküche die sich zum Gemol-kenwerden einfinden ins Rückwärtige des Wirtshauses, wo ihnen Kühe und Schafe entgegen starren, und endlich auf die Tenne. Dort sind an der Stirnseite Heu und Ackergeräte beiseite geräumt und Bretter auf Fässer gelegt. Zwischen zwei Stützbalken hat man einen Strick gespannt und daran Sackrupfen gehängt, damit, was sich dahinter befindet, vorerst verhüllt bleibt. Hier lässt man sich nieder, die Erwartungsfreude ist noch brabbliger geworden, zwischen Schlücken von Bier und Wein belacht schon vorweg was man zu sehen erhofft.
Wieder lässt sich das Saiteninstrument hören, diesmal weihevoll ge-wichtig, auch rollend und grollend, wie das Gegurgel der Donau, wenn sie ungnädig ist. Der Sackrupfen wird beiseite gezogen und man sieht einen zweiten Vorhang, der den Zuschauer schon erwartet und sich über die ganze Rückwand ausbreitet. Eigentlich ist er gar kein Vorhang, er spiegelt den Vorhang nur vor, er ist mit Leimfarbe auf Leinwand gemalt und tut so, als wäre er aus blauem Samt. Goldene Quasten hängen an ihm herab an dicken goldenen Kordeln, die selbstzufriedene Schatten werfen. In der Mitte ist er gerafft, damit man ein Tempelchen sehen kann, in vornehmer Zentralperspektive und mit viel zu vielen Säulen. Der Vesuv im Hintergrund hat seine frühere Schäbigkeit verloren, an die sich Kun-terkasten nun wieder erinnert und auch die quadratischen Knickfalten, an denen die Farbe abgeplatzt war vom vielen Zusammengelegtwerden. Jetzt kann der Göttersonntag wieder strahlen, unter dem mit neuem Blau ausgebesserten Himmel, würdig dass sich Iphigenie davor stellt oder Julius Cäsar.
Es stellt sich aber das Schankmädl davor. Ihre Zöpfe sind so strahle-golden wie die frisch aufgepinselte Sonne.
„In diesem Walde, ha, da muss ich mich verbergen“.
Sie darf jetzt laut aufsagen, was sie vorhin nur gemurmelt hat.
„O Harm und Plagen allzu zahlreich/wann mündet ihr in einen strahl’nden
Tag !“
Ein Unhold hat es auf sie abgesehen, ein Nach-dem-Leben-Trachter. Er trahtet nicht nur nah ihr, ihrer Tugend und ihren Liegenschaften, er greift auch nach dem Vaterland insgesamt.
„Gestehe, ha ! Verworfener mir und aller Welt / das Unmaß deiner Un-tat ein !“
Was der Untäter bis hierhin an ihr verübte, schildert sie dem bewegten Publikum mit beiden Händen, knochigen Schankmädlhänden, die bis heute Abend jedermann übersehen hat, wenn sie die vollen Teller auf den Tisch stellten und das Bier daneben. Nun aber folgen ihnen aller Augen, wenn sie die Gebirge von Schandtaten in die Luft malen, den der Unhold aufgetürmt hat. Und wenn ihr die Worte versagen, der Hand-rücken den Mund verschließt angesichts des draußen wartenden Unheils, wird hinter dem Vesuvprospekt das Ungesagte und Nichtmehrsagbare weitergeschildert und vervielfacht durch die Ungewittertöne des Sai-teninstruments.
Es wird gerissen, es wird ihm weh getan, es schreit, es ist unverkennbar Strönebalds Harfe.
„Tyrann erkenne: zählbar mögen sie geworden sein / die Tage da du das Szepter schwingst über diese deine Bürger“.
Die Zuschauer haben ihre Krüge, Flaschen und Gläser beiseite gestellt, jetzt wird nicht geschlotzt, jetzt wird der Verfolgten Mitgefühl auf die Bühne gerufen. Taviatus, erfahren die Zuschauer, der Bruder des Königs Timotheus, hat diesem Rache geschworen, er zieht Truppen zusammen, will den Bruderkrieg. Aber er will, das gesteht er frei heraus als er nun auftritt, auch das Schankmädl. Obwohl sie die Gattin des Bruders ist.
Taviatus war vorhin noch Schankbursch, nun ist er das Haupt der Ver-schwörung. Er will sich Liebkind machen bei den Zuschauern und legt seine Hand auf die Rüstung die er sich in der Schankstube umgeschnallt hat.
„Als Treupfand sehet meine Brust / sie trägt ein ehrlich Herz das fürs Gemeinwohl schlägt !“
Aber keiner glaubts ihm, man ruft nach dem hintergangenen Bruder, König Timotheus. Und da ist er schon -
“Erfreche dich Nichtswürdiger / just den Verworfnen dreist zu schmähen / Just den Wackren dem deine Rettung du so oft gedankt !“
König Thimotheus hat diesselbe Statur wie der Prinzipal, Kunter-kasten war es auf dem Floß nicht bewusst gewesen. Dasselbe vier-schrötig breitbeinige Dastehen, als stünde da nicht einer, sondern zwei nebeneinander. Aber dieser König Timotheus hier lässt den des Prinzipals weit hinter sich, weil er sich nicht nur selber zuhört.
„Du weißt, dass mir auf diesem weiten Erdenrund kein Ge-schöpf so zuwider ist, als eine Spinne und ein altes Weib – „
Sondern weil er sich den König Timotheus selber glaubt. Und auch alle Zuhörer glauben ihm. Sie grummeln ihm Respekt und wenn sie nun trinken, trinken sie für ihn mit, der so viel reden muss.
„- und nun denk dir einmal die schwarzbraune, runzlichte, zottige Vettel vor mir herumtanzen, und mich bei ihrer jungfräulichen Sitt-samkeit beschwören - alle Teufel !“
Kunterkasten hat vom Floßmeister, als er noch Floßmeister war nur allerkürzteste Sätze gehört, interpunktiert mit Kautabakgemampfe. Jetzt flößert er sich behende durch die Seiten eines fremden Dramas und ist damit bei sich selbst angelelandet.
„Oh eitle Kinderei - da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens, und erfahre nun mit Zähnklap¬pern und Heulen, dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grund richten würden.“
Als Kunterkasten das Wirtshaus lang schon verlassen hat, fällt ihm auf, dass er sich der Flöhe wegen nicht mehr kratzen muss. Seine Reise-begeleiter haben es vorgezogen, beim Publikum des Floßmeisters zu blei-ben.
Kunterkasten
Glagolitische und orthodoxe Märtyrer, an Holzkreuze gefesselt mischten sich zwischen sie sowie Ketzer, mit Steinkreuzen um die Hälse, die sich noch immer begeiferten, die Gesichter entstellt von Bigotterie, Grund-schwämmen und Medusen -
( Wien, S.365 ff )
Noch nie ist Strönebald von jemandem empfangen worden, der schon zu Lebzeiten zum eigenen Denkmal wurde. Der Theaterdirektor ist so illuster und in aller Munde, dass er sich in Stein hat hauen lassen. Noch ehe Strönebald ihm leibhaftig gegenüber tritt, schaut er ihm als Skulptur entgegen. Eitel, weil in seiner gefeiertsten Rolle, von der Höhe des Theatereingangs herab.
„Benvenuto, Maestro Strönebald ! Dass Sie sich in Person zu mir bemühen – questo onore ! Welche Ehre für unsereines, mi piace immen-so ! Welche Ehre…“
Was ist dem Direktor da doch alles berichtet worden von der be- schwerlichen Reise der Compagnie die Donau herunter, und dabei ruckelt sein Kopf immer wieder nach vorn in Strönebalds Gesicht. Berichtet worden vom Abhandenkommen der Gefährten, wie schmerzlich, wie schmerzlich, und der Kopf ruckelt, die Lippen weit voraus.
„Sie sehen welche Bewunderung Ihnen voran eilt, welche Bewunde-rung!“
Über die hochschätzenswerte Compagnie des cavalliere Propodonsky, oh, was ist da alles an Lobpreisung herumgetragen worden in der Wien-stadt, famoso, famosissimo, divino ! Und der Kopf ruckelt nach vorn. Man hat sie erwartet Tag für Tag, der Kopf stößt vor und zählt ab, wie viele Tage lang, der Kopf kommt gar nicht mehr zum Stillstand. Wie schmerzlich, wie überaus leidvoll und doch glückhaft zugleich, dass es allein Strönebald vergönnt war das rettende Ufer zu erreichen.
„Wie Odysseus, veramente como Ulisse !“
Strönebald wird umschlungen, der glücklich Angelandete, und abge-küsst. Der Kopf des Direktors steht solange still. Strönebald wird an bei-den Schultern gepackt, und ins Auge gefasst, erst mit dem einen, dann mit dem andren Auge. Der Direktor wendet ihm dabei sein Profil zu, einmal das linke, einmal das rechte, die Nase hoch nach oben gereckt.
„Ihre Erfindung, Ihr neues Instrumenterl…ah, ich beglückwünsche Sie
aus vollstem Herzen, quel innovazione ! Sie bereichern den Olymp des Singbaren !“
Dabei ist Strönebald noch gar nicht dazu gekommen, sein Instrument vorzustellen.
„Das Tonehzeugungspinzip dabei, Ehlaucht Heh Dihektoh…“
Er hat noch nicht lange Wiener Boden betreten, aber dass ein Erlaucht vor jeden Namen gesetzt werden muss, hat er bereits gelernt, zumal wenn man von dessen Träger Förderung erhofft.
„Das Tonehzeugungspinzip behuht auf Stimmzungen aus Metall. Die schlagen duhch odeh schwingen fhei …“
„Die schlagen durch und schwingen frei“ unterbricht ihn der Direktor, ders bereits wohl verstanden hat, und der Kopf ruckelt vor.
„Die Luft bläst hinduhch, mit dem Mund hineingeblasen, und die Blechzungen ehzeugen –„
Die Blechzungen erzeugen die Töne. Faszinierend, faszinierend. Aber wo mit Verlaub bleibt des geschätzten Gastes Rrrrrr ? Strönebald, be-schämt, will sein Musikwerkzeug zur Geltung bringen, das fehllose, und nicht sein Sprechwerkzeug, das fehlerhafte.
„Mit eineh Tastatuh vehmag man die Töne beliebig in deh Höhe und deh Tiefe.…“
„Oh oh oh ! So kommen Sie mir nicht davon. Bekennen Sie sich als Ka-strat !“
Der Kopf steht still vor Gespanntheit. Strönebald schluckt. Der Direktor beobachtet mit noch heftigerer Gespanntheit, wie dabei kein Adamsapfel auf und nieder hüpft, denn Strönebald hat keinen. Welch goldener Tag für das kaiserlich privilegierte Schauspielhaus an der Wien ! Wie lange oh wie lange, und nun ruckelt der Kopf wieder aufs heftigste, wie lange schon hat der Direktor nach einem männlichen Sopran Ausschau ge-halten.
„Und siehe da, o giorno de beatitudine, erscheint ein Engel von einem Sopran und bringt mir ein Himmelspfeiferl dar und zugleich seine engel-hafte Stimme !“
Es ist ausgemacht, Strönebald wird in diesem Hause singen, der Kopf ruckelt und ruckelt und ruckelt, Strönebald wird die Primadonna assoluta sein, und der Direktor wird die Ehre haben, ihn auf seinem eigenen Instrument zu begleiten.
Heraus damit, heraus endlich aus dem Kasten ! Der Direktor starrt gierigen Auges auf das, was Strönebald auspackt, führt sich eine Schale mit Weizenkörnern zum Mund und hackt mit den Lippen danach. Ein paar klickern aufs Metall von Strönebalds Instrument, andere bleiben an den Lippen des Direktors kleben, sein Mund ist mit Schminke bestrichen, grünschwarzrot bis hoch zur Nase und bis unters Kinn.
„Ein Instument welches geeignet ist, jedehmann die Musikausübung zu ehleichtehn. Ein Blasinstument füh das bheite Volk“.
Der Direktor langt sich das Instrument her und bläst hinein. Die kleb-rigen Körner kleben nun auch an dessen Mundstück. Kein Missgetön, er handhabt es, er mundhabt es so vertraut als hätte er schon lange Zeit in Muße darauf geübt. Sein Kopf steht still vor Hingebung.
Strönebald bestaunt was aus der Apparatur hervorquillt. Nun, da zum erstenmal die Atemluft eines anderen von der Mechanik Besitz ergreift, der er so viele Mühen hat angedeihen lassen, erreichen seine eigenen Töne ihn wie von weither. Aus einer freundlichen Fremde, aber aus einer Fremde. Als Durcheinandergetön und Quodlibet ausgelassener Musi-kanten, die vor der Kirmes, zu der sie aufspielen sollen, ihre Flöten, Fiedeln und Schalmeien auf der Triolenweide herumhüpfen lassen.
Strönebald hatte Urlaub von sich selber genommen, als er dieses Mu-sikmaschinchen zusammensetzte, als Ziehkind seiner Schweigezeit, weil er sich die eigene Musik verbeten hatte. Nun kann er sich von diesem Meisterstück mit seinen blechernen Stimmzungen und Blasekanälchen trennen. Geh hin und lass dich von fremden Lippen traktieren. Strönebald kann nun seine eigene Stimme wieder flattern lassen.
Aus den Tiefen des Theaters ist hellstimmige Antwort zu hören auf die Läufe, die der Direktor bläst.
„Hören Sie ? Meine Kinder, die Künstler.“
Er setzt das Instrument ab, der Kopf ruckelt wieder, im Innern des Blechgehäuses scheppern die Körner des Vogelfutters.
„Meine Kinder sind begierig dass ich ihnen Ihre Wunderorgel zeig.“
Und zieht Strönebald hinter sich her, durch Flure voller Holzrahmen,
Kulissen, aufgerollter Prospekte. Strönebald stößt gegen einen stummen Herrn mit Vogelkopf, bittet atemlos um Vergebung, als dessen Schnabel sich ihm entgegen neigt. Strönebald will seinen Sturz verhindern, aber dem Herrn ist nicht mehr zu helfen, er kippt zur Seite, seine Physis aus Pappmaché zerplatzt und eine ganze Kolonie leerer Vogelnester fällt aus ihm heraus.
„Ich mache Sie mit meinem Ensemble bekannt.“
Vielstimmiger Gesang quillt ihnen entgegen. Der Direktor zieht einen Vorhang beiseite, öffnet eine Tür aus Gitterstäben. Dompfaffen und Finken begrüßen sie, Zeisige und Kanarienvögel erregen sich. Ein Uhu beäugt Strönebald mit unverhohlenem Misstrauen und wippt ungut von einem Fuß auf den anderen. Ein Hahn behackt seine Schuhe, Grasmü-cken und Wacholderdrosseln warnen vor dem Eindringling.
„Eine einzigartige Blütenlese von Tonkünstlern ! Mit der Sie musizie-ren werden.“
Im Federkostüm des Direktors krallt sich ein Kakadu fest.
„Ich habe die Ehre vorzustellen. Signor Plyctolofo Galerito, erster Bari-ton im Hause. Er bewundert meine neuen Federn, die mir heut nacht erst gewachsen sind.“
Auch Strönebald wird aufgefordert den frisch gesprossenen Federn Re-verenz zu zollen, und wie sie grünschwarz irisieren mit einem Stich ins Violette, das gibt einen Effekt im Bühnenlicht, Sie werdens nicht fassen, passend zur Schminke im Gesicht, schwarzgrün, der Kopf ruckelt und ruckelt , sagen Sie dass es eine Pracht ist eine Pracht ist eine Pracht und bläst einen Akkord auf dem Instrument, das nun bereits seins geworden ist. Und die Vögel erwidern.
„Die rebellische Schar setzt mir ein gis-Dur entgegen, hören Sie ? Die gieren nach Bewährung ! Die Rasselbande verlangt eine neue Oper !“
Aber der durchdringende Schrei eines Pfaus reißt die neue Oper noch
vor dem ersten Entwurf in Stücke.
„Es ist die pure Eifersucht, die aus ihm spricht. Zu Recht. Weil seine Gattin ihn betrügt - mit mir !“
Aber, per favore, der Kopf ruckelt, was für entzückende Kinderlein kommen dabei heraus ! Strönebald muss sie bewundern wie vorher die frischen Federn, sie bewohnen einen eigenen Käfig, der Pfau Hahnrei schreit, der Kopf ruckelt, die Frau Pfau schreit, und das Instrument schreit, misshandelt.
Strönebald entreißt es ihm. Nun schreit auch Schikaneder, gellender als sein Nebenbuhler, der Pfau, er kommandiert seine Getreuen zur Ver-folgung, sie sollen ihn mit ihren Krallen packen, sie sollen ihn blind pi-cken, sie sollen ihn in die Lüfte entführen wie ein erbeutetes Karnickel.
„Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen !“
Kopf und Schultern voller Vogelschiss, das Gehör zerrissen von Vo-gelgeschrei, findet Strönebald erst nach langen Irrwegen aus dem Ver-wirrbau des Theaters heraus.
Aber seine Erfindung hat Strönebald vor den Vögeln gerettet.
Als auch Kunterkasten endlich Wien erreichte, hing die Nachricht von der Abdankung des Kaisers trübsinnig wie der Rauch eines Großbrandes von vorgestern Nacht in den Gassen und in den Gemütern. Niemand wollte sie in den Mund nehmen, niemand wollte sie wahrhaben, alle duckten sich darunter weg. Seine Apostolische Majestät, Franz der Zwei-te war nicht mehr Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Na-tion, und nicht mehr der allzeitige Mehrer des Reiches. Seine Titulaturen hingen im Raumlosen wie leere Blechtöpfe, in die nicht einmal mehr der Wind hineinzublasen Lust verspürte um ihnen ein bisschen Geschepper zu entlocken : König von Böhmen, Dalmatien, Illyrien, der Lombardei, König auch von Jerusalem, Großherzog der Toscana und Kroatien, Herzog von Lothringen, Steyr , Kärnten, Slavonien, Krain und der Bukowina, Großfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren, Herzog von Ober- und Niederschlesien, Friaul, Ragusa und Zara , Herzog von Triest, Landgraf in Elsass, Cattaro und der Windischen Mark, Groß-wojwode von Serbien, Schirm- und Schutzherr der freien Reichsstädte Bremen und Regensburg, Hamburg und Lübeck, Frankfurt und Ulm und Nürnberg , Landgraf in Elsass, Herr der Mark der Vandalen et sic ad infinitum unseres höchst huldreichen Kaisers und Herrn.
Die uralte Kaiserkrone lag in der Hofburg wie ein herrenloser Hut. Ein unnützes Stück Metall, unnützer noch als die blechernen Kronen aus Propodonskys Requisitenfundus.
Konnten doch Richard der Dritte, Mitridates und König Lear jederzeit wieder aufs Bühnenpodest steigen, wenn sich denn genug Zuschauer einfanden. Für den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aber fand sich kein Publikum mehr ein. Allzeit Mehrer des Reiches hatte er sich noch genannt in der Proklamation, in der er unkaiserlich und ohnmächtig zur Kenntnis des gfl. Publikums brachte, dass das Imperium, dem seine Sippe seit sechshundert Jahren vorgestanden hatte, ausgekippt worden war wie ein Sack vertrockneter Karotten. Allzeit Mehrer des Reiches : es klang so kläglich wie die Versicherung eines betrunkenen Schmierenkomödianten dass er in seinen guten Zeiten vor irgendeinem Großherzog als Hamlet aufgetreten sei.
Dort wo Kunterkasten mit seinen Gefährten die Reise begonnen hat, gab es noch keinen Gekrönten, nun da er ans Ziel der Reise geschwemmt worden war ohne seine Gefährten, gab es hier keinen Gekrönten mehr. Die ganze Floßfahrt lang hatte über dem Komödiantenhäuflein die Hoff-nung geschwebt, auf ein Parkett voller perlenbehängter Damen, parfü-mierter Höflinge in roten Samtsesseln, Erzherzöge und Erzoberstallmei-ster, die sie wieder und wieder aus den Kulissen klatschen.
Propodonsky als Timotheus, Verneigung. Der weist auf Madame de Bree, Kratzfuß. Die auf Demoiselle, Kratzfuß. Langebehn verneigt sich als Diomedes. Schuff verneigt sich als Eusthartes. Käpernick als Jucun-dus Weinfass und – aufrauschender Applaus ! er soll endlich aus der Kulisse treten !
Er, der Götterliebling des Abends. Und er tritt aus der Kulisse, aus er ersten Gasse. Prinz Crassus als Christian Asmus Fürchtegott Felix Kun-terkasten. Getrampel, Stühlerücken, Rosenwürfe, Ohnmachten.
Kein Kaiser mehr, kein Reich mehr, kein Publikum mehr. Kein Applaus und keine Rosenwürfe
Andere Darsteller hatten die Bühne besetzt, Darsteller ihrer selbst und nicht mehr nur Darsteller verwichener Helden aus dem Heroenfundus des griechischrömischen Altertums. Dafür waren ihre Geschichten weitaus anrührender als die aller Tragöden, denn sie hatten sie selbst erlebt und mit harter Mühe gar überlebt. Die Aufführungen, an denen sie mitgewirkt hatten, hingen auf Zettel gekritzelt an ihren zerschlissenen Monturen.
Schulterblatt + 3 Rippen geopfert bei Wattigniès. Bitte um Gabe.
Bein hingegeben für Kaiser und Reich. 7ntes Batalljon Erzherzog Carl.
Erbarmen für Dragoner ! Auge verloren gegen Nabboleon.
Einer hielt sein Schildchen verkehrt herum.
Schlacht von Bassano. Stellung gehalten trotz Verlust. Es lebe Seine Meistät Keiser Franz.
Er konnte nicht lesen, was ein barmherziger Kamerad ihm aufge-schrieben hatte, aber um sein Ohr und seinen Unterkiefer herzugeben im Namen des Heiligen Römischen Reiches war er für belesen genug er- achtet worden. Vor sich hatte er seinen Tschako aufgestellt, auch der zer-hauen, umgedreht, mit der Öffnung nach oben, stumm schreiend nach ein paar Kreuzern.
Was dagegen hätte Kunterkasten auf einen Zettel schreiben können ? Komödiant ! Hunger ! Zum Dank für Almosen bringt er Jamben von Racine zu Gehör. Wahlweise Klopstock.
Denn so heruntergekommen er war, er hatte noch immer seine Stim-me, die ihn aus seiner protestantisch schweigeseligen Nest herausgeführt hatte. In den Wäldern hatte er sie gehärtet, gegen Baumstämme geschleu-dert wie ein Wurfmesser. Sie war gewachsen daran, dass die anderen Stimmhelden abhanden gekommen waren. Kunterkasten war der einzige der Compagnie, den es an das von allen angesteuerte Ufer gespült hatte nach langer Irrfahrt. Kunterkasten war Felix, trotz allen Kummers. Das Schicksal hatte mit ihm noch etwas vor, das Schicksal saß im Souffleur-kasten und wartete auf seinen Auftritt.
Das war seine Stunde, das war die Stunde Wilhelm Tells. Der Kum-merkasten sollte aufspringen und herausspringen der Aufruf zum Auf-rechten Gang. Liberté, reißt sie an euch, denn die alte morsche Ordnung ist zusammengebrochen ! Egalité ! Greift euch die Fraternité mit euren eigenen Fäusten ! Er, Kunterkasten, musste dem dumpfbeutligen Volk verkünden was die Stunde geschlagen hatte.
Ihn rührte unsre Not nicht an – ihm Dank ?
Dem Kaiser. Dem Kriegsherrn. Dem Verwunder und Missbraucher die-ser zerhaunen Kreaturen, die sich hier als Fechtbrüder erniedrigen muss-ten, und der Kaiser ließ es zu. Kunterkasten stellte sich zwischen sie und wies mit weit ausgestreckten Armen auf ihre Blessuren.
Nicht Dank hat er gesät in diesen Tälern.
Er stand auf einem hohen Platz, er konnte
Ein Vater seiner Völker sein -
Blut schoss ihm in die Wangen vor erstaunter Freude, welchen neuen Sinn Schillers Worte in seinem Mund auf einmal bekamen. Das war nicht mehr Mittelalter und Zwing Uri, das war heute, 1806.
Doch ihm gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen,
Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen !
Der Bettelsoldat der ein Schulterblatt und drei Rippen verloren hatte vor Wattigniès, hatte Kunterkasten schon zu beschimpfen begonnen bei gesät in diesen Tälern und das in einem in einem unverständlichen slowakischen Dialekt. Dafür bedurfte die Ladung Spucke, die der er-blindete Dragoner ihm schickte, keiner Übersetzung.
Noch weniger Umstände machte der Einbeinige aus dem siebten Batallion unter Erzherzog Carl, der mit seiner Krücke auf Kunterkasten einschlug. Die war selbst geschnitzt und aus Buchenholz und traf Kun-terkasten auf Schlüsselbein und Kinn.
Der rettete sich, es waren Stufen da, ein Komödiant springt immer nach oben, sein Instinkt suchte nicht den Abgang sondern das Podium auf dem er für alle zu sehen ist. Dass es die Stufen einer Kirche waren, wurde Kunterkasten erst gewahr, als der Portalbogen über ihm seinem nächsten, noch lauthalsiger gerufenen Satz ein prachtvolle Resonanz verlieh :
„Das Joch soll stehen, das uns zwingen wollte ? Auf, reißt es nieder ! Nieder ! Nieder !“
Kunterkasten vermerkte stolz, dass seine Stimme mächtige Wirkung getan hatte. Zumindest auf das Bauwerk hinter ihm. Die Kirche. Von hinten, aus den Tiefen des Kirchenschiffs heraus hörte er das Echo seiner Worte nachrollen. Zwingen zwingen zwiiiiiiingeeeeeeen hörte ers rollen. Nieder nieder niiiiiieeeeeeedeeeeeeeeer hörte ers nachrollen.
Die drei Veteranen waren verstummt.
Strönebald hat ein solides Geschäft abgeschlossen über seine Wunder-schachtel. Sie wird en masse nachgeschmiedet und vertrieben von einem, den er schon lange kennt. Compagnons, die sich lange gegenseitig beäugt haben, bilden eine solide Partnerschaft, so wie die Verschnittreste der Walzbleche aus der Waffenherstellung, jetzt reichlich zu haben, den soliden Werkstoff bilden für Strönebalds Wunderschachtel.
Bald wird auf allen Gassen in Strönebalds Wunderschachtel hinein-geblasen werden und kein Wunder mehr sein, sondern Puste-Leier der kleinen Leute. Kinderspielzeug und Ohrenqual, Lippen-Orgel auch der Schiffer die von Wien donauabwärts ziehen, dem Meer zu.
Dem Meer zu.
Mit der ersten Rate seines Gewinns mietet Strönebald sich eine Schiffs-werft am Donaukanal, hinter der Mündung des Wienflusses. Anfangs hat er sich noch den Mut abverlangt, nach langen Jahrzehnten wieder eine Kirche zu betreten. Nicht der Frömmigkeit, sondern der Akustik wegen. Dann hat ihn doch noch die Frömmigkeit eingeholt, oder eine hinter-hältige Unter-Spezies von Frömmigkeit und Strönebald hat sich gefragt, ob er sich denn unbedingt in einer Kirche, Gottes Logis, vergewissern müsse ob der ihm immer noch zürnt.
Darum steht er nun in der Werft am Donaukanal. Für eine Stunde gehört sie ihm, die Arbeiter hat er nach draußen geschickt. Strönebald holt seine Stimme wieder hervor. Die Echos, die das hölzerne Gewölbe der Werfthalle zurückwirft, versichern ihm dass sie in den vielen Jahren zwischen den Komödianten nicht rissig geworden ist, noch lang nicht so alt wie er selber und noch immer weiß. Una voce bianca.
Mach eine zweite Karriere, Estrebaldo. Gott will sie wieder hören.
Die drei Veteranen waren verstummt, hatten sich verzogen, hatten das Feld geräumt vor einem, der noch gewaltiger brüllen konnte als ihre weiland Korporale es konnten, die sie ins Gefecht gebrüllt hatten. Außer dem Rückzug der Bettelsoldaten freilich hatte Kunterkasten nichts be-wirkt, keiner der Vorübergehenden war stehen geblieben. Die Räder der Droschken surrten wurstig zu ihm herauf, die Hufe ihrer Gäule schlugen ein Getöse aus dem Pflaster das Kunterkasten wie spitzes Spottgelächter vorkam. Und nicht einmal bei den Tauben auf den Kirchenstufen hatte er etwas ausgerichtet, die Männchen umgurrten weiterhin die Weibchen, und die Täubinnen trippelten weiterhin in einfallslosen Bögen herum vor Kunterkastens Zehen, die aus dem Schuhwerk lugten, als fänden sogar sie das stupide Fangmichdoch-Spiel spannender als den Aufruf ihres Herrn ans niedere Volk. Kunterkasten musste ein letztes Mal versuchen, tout le monde zum Aufhorchen zwingen.
„Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber !
Brecht das Gerüste ! Sprengt die Bogen ! Reißt
Die Mauern ein ! Kein Stein bleib auf dem andern.“
Und hämmerte Männn-eeeeeer ! Weibbbb-eeeeerrrrrr ! mit aller Kraft, die er noch hatte, gegen die Kirchentür. Mächtig wummerte es davon nach drinnen ins Schiff.
„Der Tyrann ist fort, der Tag der Freiheit ist erschienen.“
Sie stürzen sich von allen Seiten auf den Bau stand an dieser Stelle im Büchl, auf die Zwingburg, die es einzureißen galt, aber Kunterkasten hat-te es darauf angelegt, dass man sich auf ihn, Christian Asmus Fürchte-gott den Revolutionsbekenner stürzte. Kunterkasten als Durchgehunger-ter, Verlauster, Gestrandeter, als Schwemmgut der zerfallenen alten Herr-schaftszeiten, des ancien régimes. Kunterkastens Rolle sollte sich darin erfüllen, dass er abgeführt würde von möglichst vielen Gendarmen, Büt-teln, Bewaffneten, Bluthunden.
Davongeschleift durch eine Gasse von citoyens, die sich für ihn empör-ten, den Gendarmen die Arme wegrissen von Kunterkasten dem Frei-heitsverkünder. Gleich würden sie gerannt kommen, die Gendarmen und die Empörer.
„So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern
Dieses Forts der Tyrannei, und herrlich ist’s erfüllt,
was wir am Rütli schworen, Eidgenossen !!!“
Mit drei Rufzeichen am Ende, die er aus tiefster Lunge heraus stieß wo Schiller nur einen biederen Punkt gesetzt hatte.
Die Kirchentür tat sich auf, wie aufgestemmt von Kunterkastens Wort-geprassel. Grade einen Spalt weit, um eine Dame durch zu lassen.
„Sie haben da grad so schön Wilhelm Tell rezitiert…ein süperbes Stückerl !“
Die Dame war jung, sie war eine belleza. Ein begabter Schminkmeister hatte an ihr seine Kunst ausgeübt. Von den rotbraun fröhlichen Circon-flexen der Augenbrauen bis hin zu den quirrlenden Löckchen, die ihr vor den Ohren hüpften. Eine so reizvolle Erscheinung ist nicht einmal die De-moiselle Pfrenhuber gewesen, wenn sie von der Prinzipalin vor der Vor-stellung zurechtgemacht worden war.
„Der Wilhelm Tell - leiwand ! Zum In-Ohnmacht-fallen geht einem der zu Herzen.“
Sie wurde rot vor Erregung bei der Erwähnung des Herzens wie der Ohnmacht, und ihre Finger drehten dabei an den Perlen ihres Rosen-kranzes. Kunterkasten wusste nicht, was ein Rosenkranz ist. Er hielt das Perlengeschnür für eine Halskette und war darum nicht erstaunt, dass sie es nun in ihren Ausschnitt ringeln ließ, schnell und geschäftsmäßig, zwischen ihre hochgebundenen Brüste, die dicht vor Kunterkastens Au-gen dalagen wie zwei Granatäpfel in einer Porzellanschale.
„Eine charmante Aufführung. Unwiderstehlich charmant ! Der Kober-wein hat den Tell gegeben. Splendid, sag ich Ihnen, wie sogar ein Son-nenfels niemalen vorher.“
Der Tell, Kunterkastens Tell, sollte aufgeführt worden sein ?
„Die Saison grad im Leopoldstädtischen. Die Theater reißen sich drum, schon weil man dem Schiller den letzten Lorbeerkranz auf die Stirn drückt damit, bevor er – „
„Bevor er - ?“
„No, verschieden is er halt. Letztes Jahr, im Mai. In der Maienblüte, in doppelter Maienblüte, derf ma so sagn.“
Schiller tot. Kunterkastens Friedrich Schiller.
„Woher kommts eigenlich dass Sie den Text so meisterlich im Mund führen ?“
Kunterkasten schaute unter sich. Er wollte nicht weinen müssen, ein Fünfjähriger unversehens wieder, geschämig vor diesem munteren Brummkreisel von einem Mädchen.
„Sie müssen einer vom Theater sein ! Geben Sie‘S zu ! „
Gewinnerlachen, wie beim Baccarat.
“Ertappt, ertappt !“
Sie schob ihren Arm unter seinen.
„Aber als ein Landstreicher kostümiert ! Mich führenS damit net hinters Licht.“
Er sei nichts andres mehr als ein Landstreicher, stotterte Kunterkasten. „Landstreicher, quelle caprice ! Extravagant nenn ich das in einer Zeit, wo tous le monde aufg‘maschelt daherstolziert.“
Kunterkasten wusste nicht, was aufg‘maschelt bedeutet. Er ahnte nur, dass die Beterin keine Betschwester sein konnte.
„Und dieses gewisse extravagante Odeur, das was von Ihnen auf-steigt“ – sie nahm eine volle Nase von seiner wochenlangen Ungewa-schenheit, ohne mindesten Widerwillen – „Aaaaah ! Das nenn ich mir so recht wie ein Mann riechen soll. Wo heutzutag das männliche Ge-schlecht mit Parfüms hochstapelt als wärens Krönungsmäntel. Ornate über lauter Schlottergestellen ! Was von Haus aus nach Mörteltrog und Kramladen stinken tät, wenn es sich nicht aus Gottes heiliger Ordnung entfernt hätt. Und ich beschwörs : wenn so einer auch nur den Rock ablegt, nicht zu reden von dene pp Pantalons, kommt grausam der Mörteltrog wieder durch und der Kramladen, als wannst ein altes Schub-fach aufziehst … diese ganze Breite des dortselbstigen Sortiments mit schimmligen Brotlaiben und Sauerkraut und toten Ratten, weißt schon…“
Sie unterbrach sich lachend.
„Haltauf, jetz hab ich Sie geduzt. Wo Sie doch ein Mössieuh sind aus einer gehobenen Sphäre….“
Und sie zog ihn mit sich fort, die Kirchenstufen hinunter. Neinnein, nicht für sich selber habe sie gebetet sondern für den seine Durchlaucht den Fürst von Nichtwillgenanntwerden, der bezahlt sie für jedes Ave-maria als Fürbitte für seine sündensatte Seele, spendabel, toujours spendabelst, das muss man ihm lassen. Aber dann greift er sich den Rosenkranz aus ihrem besonderen Aufbewahrungsort und zieht ihn ihr über. Wieder und wieder, bis Blut kommt.
Und sie muss vor ihm knien und ihm einen blasen.
„Es gibt unberechenbare Naturen aujourd‘hui, einfach zum Grausen“.
Dabei sehnt sich so ein einsam auf sich gestelltes Mäderl doch bloß einem Beschützer. Und ob er der nicht werden will, der Herr Künstler, mit seiner feschen Statur. Doch doch, die fesche Statur rekognosziert sie haarscharf auch durch diese Fetzerln hindurch, die was er anhat.
“Is ja kaum noch ein Stoff da. Zwischen dir und mir“.
Die Flügel des Portales schwangen weit ins Freie. Die modrige Kirche tat ihren Schlund auf, um eine Wolke von irdischen Himmelsdüften aus sich zu entlassen, und darin eingehüllt eine kleine Herde atlasbauschiger Dämchen, alle mit hochgeschnürten Früchtchen á la grecque, zwischen denen die Rosenkränze verstaut wurden. Sobald sie ins Helle getreten waren, erhob sich ein Crescendo aus unfrommem Geschnatter, von dem die eingeschnürten Früchtchen erbebten. Paarweise und noch unfrom-mer.
Und gleich wieder zum Stillstand kamen, als die Beterinnen bemerk-ten, dass ihre Schwester einen feschen Jüngling für sich erbeutet hatte. Sie würde ihm doch nur das Rosenkranzbeten beibringen, rief sie über die Schulter zurück.
“Für dich selber sollt ma beten du Nockerlflitschn, dass unser Fürst Lichnowsky dir den Cicisbeo da durchgehn lasst !“
Mühsam ergatterte Strönebald einen Platz in einer Postkutsche, die ihn durch Krain und über Laibach zur österreichischen Küste bringen sollte. Dort hoffte er einen weiteren Platz zu ergattern auf einem Segler, der nach Genua fuhr. Zwei Schiffahrtsagenten hatten ihn zwar zum Frei-hafen von Veit am Flaum vulgo Fiume an der illyrischen Küste überreden wollen, des Mitreisekönnens auf einem der vielen Frachtboote nach Dalmatien hinunter, dann hinüber nach Bari und von dort mit Glück wiederum nach Valencia oder Tanger.
Aber Strönebald hatte auf einmal einen Ratgeber vernommen, der sich in ihm selber zu Wort meldete. Das Waisenkind aus dem Kloster von San Giacomo. Das von früh auf eingebimst bekommen hatte, dass an diesen Küsten abwärts bis zum italienischen Stiefelabsatz See- wie Strandräuber ihr Unwesen treiben und der Sporn des Stiefels darum rot ist vom Blut der Ausgeraubten.
Dabei, so mahnte das Klosterkind Estrobaldo den erwachsenen Ströne-bald, führst du doch einen Schatz in deinem Kehlkopf mit dir, den wir nicht unter die Räuber fallen lassen dürfen, nicht zur See und nicht zu Lande. Trenne dich also von ein paar Gulden mehr, Strönebald, und verfrachte deinen, meinen, unseren Schatz weit abseits der Brigan-tenküsten in das rechtschaffene Genua, und bring ihn uns unversehrt hinüber in die Neue Welt, die die neue heißt, weil unser Sopran dort aufs neue erstrahlen soll.
Dort weiß man nichts von der alten Oper und den alten Göttern, nichts von einem schmachtenden Orpheus und einem Kaiser Titus im Korsett, von Lüstlingen hinter den Samtgardinen der Logen. In Louisiana und Missisippi wird Estrobaldos Gesang aufgenommen werden wie die Botschaft eines Engels aus dem Elysium. Dort sitzen keine schwuchtligen Hofschranzen im Parkett, sondern Bärenjäger und Trapper, die aus der Prärie hereinreiten. Männer die einsam Seen und Flüsse überquert haben, um Estrobaldo singen zu hören.
Sprach das Klosterkind zu Strönebald und der befleißigte sich, Gia-como Estrobaldos Willen zu vollziehen.
Im zweiten Bezirk saust ein messingner Ring auf einen messingnen Löwen nieder. Ein Bedienter öffnet.
„Der Herr sind avisiert ?“
Es ist dem Diener anzusehen dass er bei sich denkt parbleu, Herr war ein Fehlwort für den, das werd ich dem nie verzeihen. Ehrwürdig grau wie der Diener ist, ein Erzherzog in der Livree eines Lakaien. Und als er niederschaut an dem, der geklopft hat, wie an einem rostigen Tiegel, vom Trödler ausssortiert : rissig das Oberleder an dem seinem Schuhwerk, vermerkt der Erzherzog-Lakai, und beim linken fehlen gänzlich die Schuhbandeln. Jetzt zieht er zum Überdruss auch noch den linken Fuß hinter den rechten, damit mans nicht wahrnehmen soll was für eine Ka-lamität herrscht da drunten.
„Der gnä Herr ist bekannt dafür dass er kein Bakschisch gibt“.
Schiebt den, der geklopft hat mit der Hand gegen die Brust hinaus und will die Tür wieder schließen.
„In den Salon !“ wird da von oben gerufen.“Ich bitte in den Salon !“
Dem Salon fehlt das Mobiliar so wie dem linken Schuh des Eintreten-den die Bandln fehlen, aber die Stukkatur an der Decke darüber ist frisch vergoldet, was ihn noch altehrwürdiger erscheinen lässt. Wie auch der funkelnagelneue Haarbeutel den alten Diener noch altehrwürdiger macht.
„Er ist doch eine antichambrische Person ?“ verhört der den Fremden.
“Mach er sich keine Hoffnung auf einen Posten im Personal. Erlaucht der gnä Herr engagiert nur allererste Distinktion. Re-prä-sen-tab-le Er-scheinungen !“
Und strafft sich im Kreuz. Er meint sich selbst. Und lässt den Eingetre-tenen allein. Strafend, wie einen querköpfigen Studenten im Karzer. Al-lein im leeren Salon, elf Schritte in der Breite und siebenundzwanzig in der Länge. Über dessen Wände sich eine hellblaue Tapete hinzieht, die nach feuchtem Kleister riecht.
Darauf galoppieren Reiter, Lanzen im Anschlag. Die auf den Schim-meln stürmen nach rechts, die auf den Rappen geradewegs ihnen ent-gegen, aber trotz allen Furors stoßen sie nicht aufeinander. Zierliche Weidengebüsche federn sie ab und leiten sie um.
Noch ist kein Möbelstück vorhanden, kein Stuhl auf dem der Eingetre-tene Platz nehmen könnte. Eine verpackte Konsole lässt, wo die Sacklein-wand locker ist, viel Blattgold sehen. An der Stirnwand lehnt ein ge-rahmtes Gemälde, mit dem Gesicht zur Tapete. Der Eingetretene lüpft es ein wenig. Es stellt den Einzug Napoleons in eine eroberten Stadt dar. Die Eroberten, festlich geputzt, stehen artig im Halbkreis und jubeln. Die Ölfarbe duftet klebrig und orientalisch.
„Unterlass Er das !“
Durch die angelehnte Tür hat ihn der mit dem Haarbeutel im Auge behalten. Und setzt noch ein empörtes Falott ! drauf. Der Eingetretene, ertappt, beschränkt sich nun darauf, die Pferde zu zählen. Vom Stuck-gesims der Decke abwärts in fallender Linie, und addiert die schwarzen und die weißen. Als er bei siebenunddreißig angelangt ist, hastet der Hausherr herein.
„Zeihung, vielmals, isch hab mich erst noch müssen fertisch aziehe.“
Und knöpft sich dabei die Manschettenknöpfe zu.
“Zehung, eine Soirée in einem allererstem Haus.“
„Der Fachausdruck ist kostümieren.“
„Kostümieren ?“
„Kostümieren und nicht anziehen Dabei darf das Resultat keinesfalls wie Kostümierung aussehen, sondern wie herausgewachsen aus der inneren Persönlichkeit des Kostümierten, sonst ist der Zweck von vorn-herein verfehlt. “
„Und wie ist das Resultat ?“
Der junge Herr dreht sich vor dem Besucher um die eigene Achse. Auf Verlangen noch einmal und noch einmal. Dunkelroter Frack, hellgraue Kniehosen, ebensolche Stiefeletten. Das Halstuch zu einer Rosette gelegt und mit einer Perle festgesteckt.
„Erst der Hut vervollständigt das Bild.“
Der Lakai mit dem Haarbeutel muss den Hut reichen. Der nimmt die Farbe der Kniehose wieder auf, das Band darum dunkelrot wie der Frack.
„Et alors ?“
Der Besucher schweigt. Der Lakai steht daneben mit der Würde eines bronzenen Kandelabers. Jetzt ist der Moment der Revanche für das Unterlass Er dast ! gekommen.
„Der junge Herr will ungestört sein“ intoniert der Besucher, in einer tie-fen gutturalen Tonlage, die den Jungen erröten lässt. Als schäme er sich eines Fauxpas, winkt er den Alten fort.
„Ihr Erscheinungsbild ist ein dynamisches. Man erkennt : Sturmschritt ist Ihre alltägliche Gangart.“
„Escht wahr ?“ freut sich der Junge und errötet gleich noch einmal.
„Nicht von ungefähr umgeben Sie sich mit Kavallerie, sogar auf der Tapete.“
Da bricht es aus dem Jungen hervor : ja und abermals ja, sein Leitge-danke sei enthüllt. Kavallerie ! Die Signatur der neuen Zeiten. Nicht mehr diese trägen Fußtruppen, auch und gerade in der Geschäftswelt. Attacke, Durchbruch, An-Sich-Reißen von Terrain und Konditionen ! Deswegen, symbolisch quasi, hat er sich Stiefel anmessen lassen, seiner Senkfüße ungeachtet.
Der Besucher atmet zustimmend durch, was ein freundliches Grollen in seiner Brust erzeugt, ganz so als ob Jupiter schnauft.
„Sie werden das erwähnte erste Haus betreten als, ritte ein Eskadron hinter ihnen – was sage ich : hundert Eskadrons !“
„Und wer net Mores macht, werd niedergeritte ?“
Fragt der Gnä Herr, errötend, als fürchte er selber das Niedergeritten-werden.
„Alle die anwesend sind, müssen das befürchten. Aber Sie erweisen sich als Grandseigneur, indem Sie über alle hinweg reiten.“
Der Besucher wippt mit dem Becken wie ein Rittmeister.
„Sie müssen Ihre eigenen Stiefel beglaubigen, sonst ist Ihr Auftritt für die Katz. Reiten Sie ?“
„Isch hab misch grad angemeldt zum Unterrischt.“
„Zählen Sie ab, wie viele Reiter sich auf Ihrer Tapete tummeln ! Wer so viel Kavallerie hinter sich weiß, trägt keine Hast zur Schau. Will sagen, reiten Sie im Schritt, präziser noch : schreiten Sie als ob sie im Schritt ritten.“
Der Besucher breitet die Arme aus und schiebt mit beiden Handtellern Menschen fort, die nicht anwesend sind.
„Schaffen Sie einen Umraum von Bedeutsamkeit um sich, junger Mann. Ziehen sie Wasserringe.“
„Wasserringe...“
„Eine Arena eröffnet sich Ihnen, ein Amphitheater steigt auf…“
Der Junge errötet.
„Als ich beispielsweise den Marquis Posa gegeben habe, einen Kava-lier bei Hofe –„ „
„An welschm Hof war denn der akkreditiert, der Marquis Poser - ?“
„Posa. Sein Umraum war bestimmt vom spanisch-burgundischen Hof-zeremoniell. Eine gestrenge Reitschule der Seele, hoho ! „
„Jahrhunnert - ?“
„Sechzehntes.“
„Isch würd meinen, des is doch a bissche arsch weit hinne in der Hi-storie, von heut aus geseh.“
„Alte Werte, junger Mann, alte Werte sind mündelsicher.“
„Escht wahr - ?“
„Ich beschwöre Sie : alte Werte sind das Mündelsicherste schlechthin. Gerade in Ihrer Branche ! Die Hasardeure, gewiss, die drapieren sich verwegene Halstücher um ihre Scheckfälscherkehlen und hängen goldene Troddeln an ihre Stiefeletten á la mode. Und schwinden mit dieser Mode dahin wie ihre Zinssätze. Aber wer, junger Mann, sticht davon ab wie Golddukaten von Katzengold ? Der die alten Werte in repräsentiert. In seiner Person. Re-prä-sen-tiiiiiert ! Man muss Sie erblicken, junger Mann, und spornstreichs beschließen : dem folge ich auf Gedeih und Ver-derb durch die nächsten Jahrzehnte, ach was, durch die nächsten Jahr-hunderte !“
„Gleisch Jahrhunnerte….“ Errötet der Junge.
„Bei Ihrer Aussprache freilich, da ist noch mancher Meißel anzuse-tzen. Um Ihr Hessisch einzudämmen ….“
„Aber der Goethe sprischst doch aach eso.“
„Goethe ist kein Zugereister, der in Wien eine Bankfiliale zu eröffnen hat. Um Ihr Idiom zu besiegen rate ich zu einem fremdartigen Akzent.“
„Sie meine, was Ausländisches ?“
„Es soll, ja es muss gerätselt werden : welche fernen Sprachdüfte trägt der da uns herein und wie viel Weltläufigkeit mag daran wohl haften. Und schon sind Sie der Brennpunkt tiefschürfender Spekulationen. Mut-maßungen, Münchhausiaden. Und schon haben Sie Ihr Amphitheater. Nicht nur bei den Damen.“
Der Junge errötet wieder.
„Amfiedeadder…“
Der Besucher stöhnt, was ein grimmiges Grollen in seiner Brust erzeugt. Ganz so als ob Jupiter grollt, vor Unbehagen.
„Nehmen Sie diesen Korken in den Mund.“
„Deidesheimer Riesling, zweifelsfrei.“
„Nicht um des Weines willen !“ donnert der Lehrer.“Sprechen Sie mir nach ‚Stellen Sie der Menschheit verlornen Adel wieder her‘.“
„Stelle Sie der Menscheid…“
„Um Himmelswillen ! So : ‚O könnte die Beredsamkeit von allen
Den Tausenden, die dieser großen Stunde
Teilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben,
Den Strahl den ich in diesen Augen merke,
zur Flamme zu erheben !‘“
„Isch will Ihne net kritisiern, awwe des nimmt mir keiner ab, wenn isch
e solsches Pathos vorbringe, als Finanzmensch.“
„Sie sollen es nicht ‚vorbringen‘, junger Mann Sie sollen es im Inneren tragen. Als ureigenen Schatz. Und Ihre Zuhörer Zeuge werden lassen, wie sie bedachtsam Ihre Sätze prägen wie Goldmünzen.“
„Goldmünzen…“
„‘O könnte die Beredsamkeit von allen / Den Tausenden ‚“
„‘O könnde die…‘ “
„Korken !“
„‘ - den Tausenden die diese große Stunnne –‘ “
„Königlich sei die Lautung, junger Mensch ! Auch wenn Sie von Krediten reden. Korken !“
„‘- teilhaftisch sein, auf meine Lippen schweben. Den Strahl den isch…den isch..…‘ “
Pause. Der Lehrer seufzt, wie König Lear als dieser sich auch von Gon-neril verlassen glaubt.
„Wir müssen Ihrer Aussprache Schminke aufmalen, sonst reden Sie sich einem Debakel entgegen, an dem ich nicht schuld zu sein wünsche.“
„Schmingge - ?“
„Ich rate zu einem Hauch Französisch.“
„Des lernt mei Bruder grad. Isch mein jetz den, den der Vadde nach Paris geschiggt hat.“
„Französisch ist mündelsicher. Napoleon steigt am Horizont auf. Dem Gallischen gehört die Zukunft.“
„Napoleon ist allerdings Italiener. Mein Pariser Bruder saacht, er hört sisch an wie ein Fischhändler aus Neapel.“
Der Lehrer stöhnt. Jupiter in ihm stöhnt mit.
„Ich führe Sie in die Rhetorik ein über die Brücke des Marquis Posa.
‚O könnte die Beredsamkeit von allen
Den Tausenden, die dieser großen Stunde
Teilhaftig sind…‘ Korken !“
Strönebald kam sich wie Stückgut vor bei seiner beschwerlichen Fahrt über die Julischen Alpen und die Karawanken, wie eine in gewachstes Segeltuch vernähte Lieferung Fuchspelze, Wachskerzen, Blechlöffel, Gebetbücher, Gänseschmalz, Pfeifenköpfe mit dem Bildnis des großen Napoleon, die in den allzu aufnahmefülligen Wagen mit den allzu bruch- bereiten Achsen dicht bei dicht gepropft waren zwischen die dicht ge-pfropften Reisegefährten.
Gegen die er geworfen wurde in dem rumpeligen Takt, den die Fahr-rinnen bestimmten, gegen die Nebenhocker rechts, gegen die Neben-hocker links, so sehr er sich auch krampfhaft ausgesteift aufrecht zu hal-ten versuchte, in seinem eigenen Lot, bis das nächste Schlagloch ihn wie-derum gnadenlos auf die anderen schmiss und die anderen gnadenlos auf ihn, Strönebald.
Und mit ihnen ihren Schweiß, ihre Ausdünstungen, ihre Haarschuppen, ihre Flöhe, den Knoblauchodem ihrer Münder.
Die Flöhe fuhren dabei noch am besten von allen Fahrgästen, sie wur-den je vom vorherigen Wirt zu einem neuen geschleudert, beim nächsten Schlagloch wieder zum nächsten, und wenn der Wagen zur anderen Seite hin absackte, wieder zurück zum vorigen und vorvorigen und sie genos-sen solchermaßen reichlich frische abwechslungsreiche Kost.
Ein Fremder unter Fremden, die in magyarischen und kroatischen Dia-lekten schwatzten, hatte Strönebald in seinem Inneren ein Notenbuch auf-geschlagen, hielt es weit ausgebreitet auf seinen Knien, wo in Wirklich-keit die Ellenbogen der Mitreisenden die Herrschaft ausübten und ihre über ihn hinweg gereichten Fuselflaschen und Wickelkinder. In dieser unsichtbaren Partitur glitt er mit beiden Zeigefingern die Notenlinien ent-lang und sang sich die alten Partien vor, die in seinem Gedächtnis aufbe-wahrt waren.
Unhörbar außer für ihn selbst.
Strönebald wollte den Bürgern der Neuen Welt erscheinen wie die Fanfare aus dem dritten Kreis des Paradieses des Dante Aligheri. Faltig zwar, aber jugendlich fedrig in den Knien, ohne Schmerbauch als billigen Resonanzboden. Die Bürger der freien Staaten hinter dem Atlantik, hatte er vernommen, seinen keine naserümpferischen Dünkelklötze, die sich nach der neuesten Mode richten.
In Boston, hat er sich sagen lassen, sind sie versessen auf den weißen Gesang der Kastraten. Und erst in Philadelphia, da würde er Säle füllen, en suite. Einen schwankenden Turm aus rot gefärbten Pfauenfedern auf dem Kopf, wie ehedem. Und hohe Stiefel an den Füßen, bis zum Knie herauf geschnürt.
Die von den Schlaglöchern auf ihn geworfen wurden, entschuldigten sich auf einmal mit Floskeln, die er verstand, und Strönebald erschrak bis ins Mark. Denn zuerst hörte er nur die keifende Stimme Pater Anselmos heraus aus ihrem Parlando, dann aber lauschte er ihnen mit immer größe-rem Behagen. Sie rieben sich die Mäuler nicht an den erhabenen Ge-genständen von Estrobaldos Kirche und Estrobaldos Oper. Bußfertigkeit, Krönung, Blutrache, Heldenmut, Siegertriumph und Weltschmerz kamen nicht vor. Dafür kamen Steuern vor, Wurmkur, Gänsemast, Krätze, Büf-felkäse und entjungferte Jungfrauen. Und schon ertrug Strönebald, zu-rückgekehrt ins Italienische seiner Kindheit, den Gestank williger, der dabei aus ihren Rachen quoll.
Der Gestank tat seiner Stimme gut, die in seinem Inneren nach und nach wieder erstand. Der Gestank war ein zauberisches Öl, das die nordischen Kalkablagerungen und Verschorfungen wegschmirgelte, die sich während seines langen Schweigens auf seine Stimmer abgelagert hatten.
Und der Junge, der er im Kloster San Giacomo gewesen war, erteilte ihm Gesangsunterricht. Sitz nicht pflatschig da zwischen den Pfeffer-säcken, lass dein Zwerchfell schwingen. Du musst wieder Estrobaldo werden, lass den Sauerstoff strömen durch deine verkrusteten Bronchien wie frisches Quellwasser.
Als bei Cernika am Karstgebirge, zwischen Krain und dem Friauli-schen, die Reisenden aussteigen mussten, um die Frachtsäcke mit den Fuchspelzen, Wachskerzen, Blechlöffeln, Gebetbüchern, dem Gänse-schmalz, den Pfeifenköpfen mit dem Bildnis des großen Napoleon allein die Steigung hinaufrumpeln zu lassen, schlug Strönebald gerade La Clemenza di Tito auf und machte sich an die Arie des Sextus im zweiten Akt.
Deh per que stoi stan te solo ti ri corda il primo amor. Es folgt eine Fermate, dann che morir mi fa di duolo il tuo sdegno, denke deiner frühren Huld / mach mich doch vor Schmerz vergehen.
Nach dreieinhalb Stunden bekommt der, der den Marquis Posa zum Unterrichtsstoff gemacht hat, drei Gulden ausbezahlt. Für jede Stunde einen, und einen weiteren für die halbe. Der Lakai mit dem Haarbeutel lauscht nicht mehr. und der Unterrichtete geleitet den Gast hinaus.
Den Korken noch immer zwischen den Zähnen.
„‘O könnte die Beredsamkeit von allen
Den Tausenden, dieser großen Stunde
Teilhaftig sind …‘ “
Mit französischen Akzent. Und rot wird er auch nicht mehr.
Als der Reisewagen sich beim Monte Optschina auf die Höhe des Kastgebirges hinaufgearbeitet hatte, hielt der Kutscher an und stieg vom Bock, um vier der sechs Pferde abzuschirren, die er bei der letzten Sta-tion zusätzlich vorgespannt hatte. Tränkte sie, die von den Mühen der Steigung dampften, und führte sie zum Straßenrain, damit sie dort gras-ten.
Einer nach dem anderen, die Röcke über den Schultern, kamen die Fahrgäste herangeschlurft, wischten sich den Schweiß, entkorkten ihre Flaschen. Zwischen den Pferden, den Geschirren, dem Kutschbock hindurch erblickte Strönebald das Meer.
Er hatte noch nie ein Meer gesehen. Ein bängliches Staunen befiehl ihn darüber, wie gnadenlos geradlinig die Horizontlinie verlief, die das gewaltige Wasser quer durch das Panorama zog, den halben Himmel beanspruchte, in der Ferne aufwuchs und eine Wand aus flirrendem Silber ausbreitete, die die Landschaft unter sich Lügen strafte.
Strönebald glaubte seinem eigenen Blick nicht, dass das die selbe Materie sei, die er aus dem Weihwasserbecken kannte, aus dem Zieh-brunnen, der Waschschüssel. Er sah die bemalten Leinwände im Theater vor sich, in die man mit spitzem Finger Dellen stechen konnte.
Bald würde er selber an dieser Silberwand dahinfahren, den unbegreif-lichen Massen ausgeliefert, hoch oben an der Horizontlinie, und.es schwindelte ihn. Aber zwischen Bauch und Brust geriet auch etwas in ihm ins Schwingen. Seine voce bianca, unternehmungslustig gestimmt. Hoch oben und silbrig, sang sie, das ist, du hast es bloß vergessen, mein Revier. Lass mich nur machen.
Als dann der Kutscher zum Wiedereinsteigen aufforderte und Strö-nebald sich auf das Trittbrett schwang, erfasste ihn die Meeresbrise. Sie war unbestimmt warm und unbestimmt kalt zugleich. Zutraulich fremd und rau und glich keinem anderen Wind, der Strönebald je angeblasen hatte. Die Brise brachte Salzgeschmack mit, Muschelgeruch und Nach-richten von Weiten, die Strönebald noch unbekannter waren als das Meer selbst. Er spürte, wie sich der Sopran in seinem Kehlkopf regte. Ein Küken, das schlüpfen will.
Als der Reisewagen zu der Stadt Triest hinunter knarrte und Strönebald den Hafen erkennen konnte, erschienen ihm die Segler darin wie ein Rudel Harfen. Die Seewinde würden auf ihnen eine Musik spielen, die Strönebald noch nie gehört hat. Und am Ende seiner Reise würde ein freundlicher Impresario an der Mole stehen, selbst ein Auswanderer aus Pesaro oder Venedig.
„Welcome, Mister Estrobaldo, il nuovo mondo aspetta la voce del giovane Giacomo”.
Mit nur zwei Pferden und angezogener Handbremse rollte der Wagen
ein in der Stadt Triest, deren Namen Strönebald nicht aussprechen konn-te, weil er als Verschnittener kein R zuwege brachte.
Giacomo Estrobaldo sang, sotto voce. Der Schotter unter den Rädern war laut, niemand außer ihm konnte seinen Gesang hören. Aber er sang.
Der den Fuß auf die Brücke des Marquis Posa gesetzt hatte, setzt nun den Fuß auf breite Marmorstufen und betritt ein hochnobles Anwesen. Auf die Diesigkeit des Abends draußen antwortet für die Eintretenden drinnen zauberische Helligkeit.
„Das ist Gaslicht“ wird in dieser Helligkeit gestaunt.
“Eine gänzlich neue Creation“ haben einige gehört, „ grad jüngst erst eing‘führt aus England.“
„Man hat gar keinen Schatten mehr“ verwundert man sich, während man die Innentreppe hinauf steigt.
„Und aus is‘s und gar is‘s jetzt mit der magischen Kunst der Silhouettenschneiderei“ betrübt sich eine Dame.
„Die einsame Kerze ist passé jetzt, die einen als Schatten an die Wand vergrößert hat, und dabei auch noch die Seele illuminiert.“
„Dabei hab ich so hingebungsvoll immer mein Profil betrachtet bei Kerzenlicht, damit ich am End doch noch erfahr, wer ich eigentlich bin.“
Das muss eine sein, taxiert der angelernte Marquis Posa, bei der das Vermögen seit Generationen in der Familie ist.
„Aber dafür“ hält ein Herr dagegen „wird bei der neuen Beleuchtung mit Gas Ihre gesamte Erscheinung rundum zur Geltung gebracht.“
Das ist unzweifelhaft einer, taxiert der Angelernte, der seinem Ver-mögen erst in dieser Woche das Tor geöffnet hat. Es ist noch gar nicht bei ihm angekommen.
„Sonnenlicht dans la nuit“ trägt ein dritter bei, “das auferlegt einem eine ganz neue Sorgfalt bei der Garderobe.“
Echauffiertes Gekicher belohnt ihn. Das ist einer, bei dem sind die Taler und Gulden erst noch am Einrollen.
„Und erst für die Gesichtspflege ! Die Damen werden wissen, was ich mein.“ lamentiert drollig eine Dame.
Das muss, taxiert der Angelernte, eine Neureichengattin sein. Und sie beschämt ihn, so dass er gleich wieder errötet. Denn auch er hat vorher Rouge aufgelegt, um seinem blässlichen Teint mit der Puderquaste auf-zuhelfen. Und andererseits seine leidige Neigung zum Rotwerden vor der vornehmen Welt zu verstecken.
„Nach Ihnen, der Herr Baron“.
„Aber ich bitt Sie, nach Ihnen, á votre service.“
Noch erschöpft sich die Courtoisie im Vortrittlassen, noch ist man beim Treppensteigen. Der angelernte Posa versucht aus den Rücken-an-sichten zu erraten, mit wem ers zu tun haben wird. Sein Lehrer hat ihn gelehrt stehen kann jeder, aber gehen ! Gehen, junger Mann ! Erst in der Bewegung erkennt man die tenue, merken Sie sich das.
Alles Augenmerk also auf die Modi der Bewegung. Viel edles Schuhwerk nimmt er dabei wahr, kostspielige Absätze, individuelle Be-sohlungen. Unsichren Tritt bei solchen, die das erst heute vom Leisten geholte Schuhwerk hier und jetzt zum ersten Mal ausführen, und das auf einer Treppe.
Und wer, versucht er auszuspähen, ist per pedes gekommen ? Wer mit dem Fiaker ? ( Auf Straßenstaub achten. Auf Sitzfalten an Herren- und Damenröcken achten. ) Und wer zu Pferd ? ( Auf Ledereinsätze in engen Hosen achten ). Aber er erspäht nur Zivilpersonen, keinen Berittenen, auch keinen falschen, außer sich selbst. Und nur ein einziges Paar Mili-tärstiefel. Mit Sporen, die beim Hinaufsteigen klirren wie Silberrasseln einer Janitscharenkapelle.
Zwei Damen vor ihm bleiben auf der Stufe stehen, fast wäre er hin-tenüber gestürzt.
„Die Fürstin Lichnowsky lasst sich schon wieder ohne den Ihrigen sehen, zur Soiree“.
„Die Fürstin verbreitet, der Gemahl studiert eine Motette ein. Auf den allerheiligsten Rosenkranz. Mit einem Liebhaberinnenchor.“
„Liebhaberinnenchor !“
Vom oberen Treppenabsatz her weibliche Begeisterung.
„Was für ein charmantes Interieur !“
Eine Vorhut hat den Salon erreicht.
Die beiden Damen vor dem angelernten Posa hasten dorthin, wo man sich begeistert. Der Angelernte, aufschließend, nimmt wahr : auf der Ta-pete des Salons, anders als in seinem, keine Reiterei. Sondern Busch-werk, springende Hirsche, verharrende Rehe, äsende Hasen.
In einer Haushaltung, die sich mit solcher Naturidylle umgibt, ist kein Schlachtengemälde zu gewärtigen. Et voilà, an der Stirnseite eine tropi-sche Landschaft in Öl. Schwarze Sklaven in weißen Puderhosen.
„Eine bezaubernde koloniale Vedute. Brasilien oder Antillen?“
„Jedenfalls duftet sie noch frisch nach Firnis“.
Alles duftet hier frisch nach Frischem.
Zur Schau getragene Jugend. Nur der Besitzer der Militärstiefel fällt heraus, nicht nur weil er der Einzige in Uniform, sondern jenseits des De-mobilisierungsalters ist.
„Schaun Sie, mon genéral“ spricht eine Dame ihn an und deutet mit ihrem zusammengeklappten Fächer auf die tropische Landschaft, „ein Terrain wie geschaffen für ein Kavallerie-Scharmützel. Flach und fester Untergrund mit deckendem Bewuchs.“
Der General, altherrenhaft gönnerisch, spielt den Erheiterten.
„Quelle surprise – gnä Frau haben einen scharfen Blick fürs Militär-taktische. “
Und ob sie den hat ! Jüngst angeeignet, sprudelt sie, hat sie doch ein Gefecht beobachten dürfen, aus vertrautester Nähe. Die Herren vom Generalstab sind ja sowas von zuvorkommend. Und ehe der Offizier das Lob mit Verbeugung quittieren kann :
„Die napoleonischen mein ich allerdings. Kavaliere auch noch im Feld. Man muss nur mit den geeigneten Ferngläser ausstaffiert sein, schon ist einem ein Logenplatz reserviert.“
Die Gefechtserfahrene hat eine entzückte Runde um sich herum zu-
sammengeschnattert.
„Der Napoleon wickelt seine Kriege sowas von zügig ab, da ist eine Dramatik drin und ein nerviger Ablauf, schier wie auf der Rennbahn.“
Und zum Nachtessen ist man wieder zuverlässig in den eigenen vier Wänden.
„Es hat was Tänzerisches an sich, wie dieses kurzgewachsene Genie das Kriegshandwerk ausübt“.
„Als Ballett, besetzt mit lauter primoballeri assoluti.“
Der General hier dagegen, o heiligs bisserl ! der führt den Krieg noch wie mit Keule und Steinschleuder, als Urväter-Orlog im Stil von de ganz de oiden Germanen.
Man hats ja erlebt bei Austerlitz letzthin.
No no ! wehrt sich der General mit beiden Händen, ein aufge-scheuchtes Lächeln im Gesicht, ein Kapitulationsgrinsen beinah. Unvor-sichtigerweise hat er sich in Uniform hierher gewagt, dem Büßerhemd einer mehrfach geschlagenen Armee.
„Weiß wie ein Leichentuch, findenS nicht auch“, wird geraunt von den Herren die kürzlich dieses Weiß noch selber getragen haben, „justament in der Farb irrt der Prinz Eugen jede Nacht durch die Hofburg vor lauter Schmerz und Schand über die heutige Generalität“.
Dagegen die Franzosen in ihrem Blauweißrot ! Die tragen ihre Triko-lore als Bekenntnis auf dem Leib und auf das Schlachtfeld. Was auch die Gäste in gehobene Stimmung bringt. Es wird nach Champagner gefragt. Ein Diener beginnt seine Runde mit einem Tablett voller Gläser, die Herren prosten sich zu, rühmen den Champagner und die Vorzüge des Beschleunigungskrieges.
Der alte General hat sein Kapitulationsgrinsen aufgegeben, einen taktischen Rückzug in sein Inneres angetreten, man stößt auf die Kaval-lerie des Korsen an. Es ist halt viel zu viele Jahrhunderte lang umhegt in befestigten Städten Krieg geführt worden, auf Ihr besonderes Wohl trotzdem, Herr General, das bisserl mouvement und Bewegtheit hat sich immer bloß draußen beim Belagerer vor der Stadtmauer abgespielt.
Jetzt, ist man sich einig, jetzt geht’s schneidig hinaus ins Weite und Offene mit sämtlichen verfügbaren Heersäulen.
„Wer da vitesse an den Tag legt, der ist Sieger auf der ganzen Linie! „
„Vive la vitesse !“
Die Hintern wippen rhythmisch wie Kürassiershintern. Die Herren ha-ben vergessen, dass sie Zivil tragen.
„Wir lassen uns doch avec plaisir niederreiten vom Napoleon.“
„Hoj ! hoj !“ ruft nun auch der Alte, weinselig mitwippend, als ob er in der vordersten Linie galoppierte.
„Wo er sich doch als neuer Erlöser erweist, ich bitt Sie. Frieden ge-schlossen mit England für immer und ewig – „
„- ein Konkordat ausgehandelt mit dem Papst für immer und ewig – „
„ - und den Absolutismus ausrangiert für immer und ewig …naja, er war eh schon arg am Zerbröseln – „
„ - und dafür das Cäsarentum neu aufg‘richtet im Geist vom Karl dem Großen.“
Als ob der andere Kaiser, der von Österreich, nicht mehr von dieser Welt wäre. Welchen Kaiser meinen Sie doch gleich ? wird gescherzt, und der Diener ist mit einer zweite Runde Champagner unterwegs. Die Damen übernehmen die langstieligen Gläser und das cäsarische Thema.
„Zum Kaiser hat der Napoleon sich doch bloß hergeben weil la mamma drauf bestanden hat.“
Das ist die Gräfin Sedlnitzky.
„Eine Katzelmachersippe, eine korsische, die is nur auf unser alt-abendländisches Geld aus. Wann die Republik Genua diese Banditen-insel behalten hätt, wär uns die Invasion von dene Raffzähn erspart ge-blieben.“
Das ist die Gräfin Batthiany.
„Malaparte hat sie urspünglich g‘heißen. Mala ! Der schlechtere Teil.“
Das ist die Gräfin Auersperg.
„No, der schlechtere Part is jetz bei uns, wo sie uns ausräubern.“
„Die Damen in der Sippe Bonaparte sollen ja – „
„Damen ?!“
„- die sollen ja die Krone sein der Unersättlichkeit, erzählt man sich, zweihundert Roben hat eine jede im Schrank.“
„Und fünf Ringe an jedem Finger. Und der Hals is ihnen zu kurz für die vielen Colliers.“
Das ist die Fürstin Lichnowsky.
„Da gehört je ein Ehemann aquiriert, dem seine Schatulle so ein pom-pöses Wirtschaften hergibt.“
„Deswegen erfindet der Bonaparte in einer Tour neue Länder, damit der Signor Schwager und der Signor Bruder da drin König werden kann.“
„Ich sag nur : Westphalen ! Kann mir jemand erklären, wo das über-haupt liegen soll?“
Der angelernte Posa hört für sich heraus: auch mancher andere hat mit Korken geübt. Einen ertappt er, wie er, abgewandt, einen Korken im Mund hält. Und flugs behauptet, er wollte den Jahrgang prüfen, dabei ist weitum keine Weinflasche zu sehen. Und der angelernte Posa kommt zu dem vorläufigen Resümee : je verhuschter und silbenfresserischer die Aussprache, um so älter der Jahrgang.
Wie wird er aber nun selber ab schneiden, wenn er angesprochen wird und gefordert ? Es ist der fast schon greise General, der das erste Wort an ihn richtet :
„Als Dragoner sag ich Ihnen, der alte Hengst da hat Majestät !“
Und weist auf den Lakaien, der gerade an ihnen vorbei gegangen ist, ein Tablett mit leeren Champagnergläsern beiläufigst auf einer hochge-reckten Hand.
Nicht doch gegangen. Geschritten ist er, delektiert sich der bei Auster-litz geschlagene General.
„Sowas von einer souveränen Attitüde !“
Der angelernte Posa ringt ein kurzes Erröten nieder und setzt an zu einer Antwort mit dem neu angelerntem Akzent. Aber es wird nichts aus dieser Premiere, denn die Gräfin Sedlnitzy kommt ihm zuvor.
„Chapeau, chapeau. Das Personal ist noch geschmackvoller ausge-sucht als wie das meublement.“
„Ein Grandseigneur in der hohen Kunst der Servilität.“
Der so Gepriesene tritt heran mit neu gefüllten Gläsern.
„Der Herr wünschen Champagner oder Gumpoldskirchner ?“
Der angelernte Posa vergisst ein Glas zu ergreifen. Vor ihm steht Sein Lehrer Propodonsky in der silberbetressten Würde einer Lakaientracht.
„Champagner oder Gumpoldskirchner der Herr ?“ wiederholt der hist-rio primus, rex leonorum, princeps spectaculorum mit einem Gesicht das so reglos ist wie ein Münzporträt.
„Sie als Diener hier ?“
„Wir sind Darsteller in ein und derselben Aufführung“.
Propodonsky winkt seinem Schüler mit den Augen, endlich nach einem Glas zu fassen. Der gehorcht und langt mit beiden Händen zu.
„Mit zwei Fingern am Stiel !“ zischt Propodonsky. „Ich habe Ihnen doch eingeschärft : darin wie jemand ein Glas anfasst, mit zwei Fingern oder mit fünf - „
„- darin offenbart er“ repetiert brav der Schüler „sei gesamte Ahnen-reih.“
Propodonsky zischt „Korken !“
Der Schüler weiß sofort, dass er seine Lektion verfehlt hat.
„Den letzten Satz nochmal.“
„Darin wie jemánd ein Glas anfasst, mit zwei Fingèrn oder mit fünf, of-fenbart er seine gesamte Ahnénreihé.“
Mit französischem Akzent. Propodonsky belobigt, indem er die Brauen hebt.
„In diesem Sinne : betrachten Sie den Herrn vis-à-vis.“
Der Herr vis-á-vis, ein Stämmiger in der Soutane eines Geistlichen, hat sich soeben behaglich grunzend niedergelassen, auf ein Fauteuil im neu-esten Stil, dem ägyptischen. Obwohl alle um in her stehen.
„Er lernt und lernt es nicht, dabei ist er schon in der xten Unterrichts-stunde bei mir.“
Der Stämmige hält sein Glas in den gefalteten Händen. Über ihm kreuzen sich die Blicke zweier geschnitzter Sphinxen, eine auf der Rü-ckenlehne rechts, eine auf der Rückenlehne links.
„So macht einer sich selber zur Sphinx. Allerhand Anspruch !“ lästert die Fürstin Lichnowsky.
Der in der Soutane lächelt und nimmts als Kompliment.
„Vor Napoleon hat er mit Vieh gehandelt und sich Johann Baptist nen-nen lassen“ flüstert Propodonsky.
„Jetzt nennt er sich geistlicher Kammerphysikus in Diensten des Bi-schofs von Sankt Pölten.“
Der Gmeinwieser Johann Baptist, zu Diensten, ist Schutz und Schirm für alles was seelisch einen Wehdam hat. Und auch körper-lich, zweibeinig wie vierbeinig.
„Seine Eminenz der Bischof von Sankt Pölten hat meine innerste Be-rufung, in Demut zu sprechen, pfundsrichtig erkannt.“
Er blickt nieder auf seine mächtigen roten Hände, sittsam gefaltet, als bewundere er sie. Und auch das Weinglas darin.
„In einem schroffem Gegensatz zu dem Freimauerg’schwerl das was mich vertriebn hat aus meinem Ursprungsland.“
Hier reißt er seine Hände kurz auseinander und fuchtelt mit einem stämmigen Zeigefinger. Um sie gleich wieder fromm um das Weinglas zu falten.
„Und mit mir den guten christkatholischen Glauben.“
Paxvobiscum drauf, und Amen.
„Das Geld“ flüstert Propodonsky seinem Schüler zu“ das er als Johann Baptist verdient hat, schreit nach Anlage.“
„Ah, ich verstehé. Ein Klient.“
„Reden Sie ihn mit Monsignore an. Dann erhöht er die Einlage. Und legen Sie beim nächsten Mal nicht wieder so viel Rouge auf.“
Da errötet der Schüler doch noch, unter den dicken Schichten Puderrot. Propodonsky schreitet durch die Reihen mit einem Kistchen Zigarren zwischen den Champagnergläsern.
„Aus eigener Fabrikation des Hauses. Die Herrschaften wollen sich bedienen.“
Rauchdüfte steigen auf, genüssliche Schwaden. Nun, entziffern die Be-sucher, enthüllt und erfüllt das tropische Ölgemälde erst seinen Sinn. Und auch, woran die adretten Schwarzen da werkeln. Man bläst ihnen aus spitzen Mündern anerkennende Räuchlein ins Gesicht und fühlt sich dabei an die rauchigen Rituale erinnert, die man bei der heiligen Messe mit den geschwenkten Kohlebecken verrichtet hat.
Wenn man ein Messbub im Stephansdom war.
„Die Tabakblätter werden heutzutag nicht mehr mühselig vom Balkan herauf gezollt“ doziert der Graf Auersperg.
„Sondern von den westindischen Inseln. Wohlgemerkt unter Miss-achtung der spanischen Hoheitsrechte“ weiß der Graf Batthiany. Und lässt eine Kette von Rauchringen aus seinem Mund quirlen, akkurat ge-dreht wie Apfelschnitze.
„Napoleon überrennt Spanien, er rennt ja alles nieder, und dadurch kommen die Kolonien da drüben frei und stehen nackert da ohne – „
„- ohne Regierung und ohne Export.“
„Exakt was ich sag. Und schauenS, in dieses Vakuum g‘hört hinein ge-sprungen ehe England schneller ist“.
Und man beglückwünscht halblaut und Rauchfahnen hochblasend das gastgebende Haus dazu, dass er bereits gesprungen ist. Noch vor den Engländern.
„So erweitert der Napoleon persistant unseren Blick“ springt die Gräfin Auersperg ihr bei, „man kommt gar nicht mehr nach mitm Hin-schaun.“
„Und nicht bloß unsern Blick“ schwärmt die Gräfin Batthiany „er er-weitert die Welt insgesamt, er breitet sie vor uns aus, er legt sie uns zu Füßen“.
„Und macht“ lacht der alte General “den Duft der Havanna zum Odeur der Zukunft“.
Er will Terrain gutmachen, lässt sich von Propodonsky eine Zigarre befeuern. Vor dem Ölgemälde, als wollte er doch noch zur Attacke bla-sen lassen.
„Parole : lasset uns baden darin, in der Wildheit des Urwalds !“
„In Ihrem Fall“ spitz die Gräfin Sedlnitzy „doch mehr die Wildheit des Botanischen Gartens. Mit am Glashaus drumrum, damit Sie sich nicht ewighin eine Influenza einfangen“.
Als ob die Zigarre des Generals just die gewesen wäre, die zu viel an-gezündet wurde, werden jetzt Fächer energisch gegen den Qualm ein-gesetzt. Und da der Qualm sich nur feiner verteilt, nicht verzieht, wenden sich die Fächerschwingerinnen Gmeinwieser zu, der auf der anderen Längswand des Salons von einem Damenflor umgeben ist.
Gmeinwieser, von den Gefahren des neumodischen Impfens zum alt-hergebrachten Volksglauben zur Volksmedizin wechselnd und zurück, ist bei der Leibesfrucht angelangt, und dass er ein unfehlbares Gespür trägt in seinen guten Händen – inzwischen lässt er sie warm auf Scheiteln, Na-cken, Schultern seiner Zuhörerinnen verweilen - ob im Mutterschoß ein Bub heranwächst oder ein Mädchen.
Sogleich echauffieren sich ein paar Damen. Der geistliche Herr, in allen Ehren, soll auf der Stelle eine Probe geben. Aufgeregt sirren Fächer.
„Und Gott der Herr schaut nieder und sagt: was ich geschaffen hab ist in guter Hand. Meine Wenigkeit ist die gute Hand schlecht- hin. Paxvobiscum drauf, und Amen.“
Er bekommt einen Ehering zugesteckt, bindet ihn an einen seidenen Faden. Welche Dame nun ? Zwei, drei stellen sich, ganz ungschamig.
„Ausgrechnet die !“ hechelt in der zweiten Reihe die Gräfin Batt-hiany.
“Die ist ja eh immerfort trächtig.“
Quacksalberei, was der Pfaffe da praktiziere, wird noch weiter hinten gehechelt. Auf der Stelle verschwindet der Ring in Gmeinwie-sers Faust. Der geistliche Herr zürnt. Der Einwand aus dem Hinter-grund, feig anonym, möge laut wiederholt werden, in Christi Namen.
Und schlägt das Kreuzeszeichen über sich.
Niemand wiederholt. Auf Gmeinwiesers Bauerngesicht malt sich die Verbitterung dessen, der seines Glaubens wegen verfolgt wird. Sitze nicht wo die Lästerer sitzen, spricht die Bibel, denn sie sind die verächtlichsten Wesen auf Erden.
Wer also stellt sich dem Auspendeln ? Und drohend : man könne mit diesem Verfahren auch Freimaurer ermitteln. Todsicher. Sodo-miten. Jakobiner. Heimliche Muselmanen. Calvinisten. Sogleich gibt man sich aufgekratzt.
„Oh ja, lassma uns auspendeln, damit der Jakobiner in uns endlich offenbar wird !“
„Das gibt a Hetz !“
Es wird Schlange gestanden, die hinteren gucken den vorderen über die Schulter. Wenn der Ring sich in einen Kreis schwingt, ist der Ausge-pendelte ein sicherer Christkatholischer.
Jedenfalls beim Kreis rechtsherum. Der Kreis linksherum – ausle-gungsbedürftig. Der Ausgependelte könnte es genausogut an der Milz haben, oder die Waage als Tierkreiszeichen die Waage.
„Sind Madame Waage ?“
Madame ist Waage und der Monsignore wird mit Kusshändchen be-dacht. Wie aber, wenn das Pendel gerade schwingt ?
„Auf und nieder, im rechten Winkel zu mir, das ist ein Freimaurerischer. Oder er laboriert an einem Gallenstein.“
Wer also lässt sich auspendeln als gallensteiniger Freimaurer ? Einige riskieren es glucksend und müssen erfahren, dass sie leibseelisch makel-los sind wie ein frisch geworfenes Lamm.
„Und wenn das Pendel quer schwingt ?“
Gmeinwieser schweigt düster.
„Bekennen Sie’s schon, Monsignore. Der is a Jud.“
Er wirft beide Hände abwehrend in die Höhe.
Bewahre, Juden pendelt der Monsignore nicht aus. Er fürchtet ihre Rachgier, vor der ihn auch sein geistliches Gewand nicht schützt. Denn der Jud ist hintertückisch veranlagt vom Alten Testament an. Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis hat schon Lukas gewarnt im Kapitel zweiundzwanzig, Vers dreiundfünfzig.
Der Jud erzwingt dass die Christen sich impfen lassen damit Krank-heiten in sie einfahren. Und wenn den Arzt ruft, ist der ein Jud in zwei von drei Fällen. Denn der Jud schleicht sich in in die Ärzteschaft, in die Apothekerschaft, in die Wissenschaft. Der Jud ist der Einschleicher in aeternam aeternitats. Der Kaiser, der des Heiligen Römischen Reiches wohlgemerkt, hat darum den Jud in strenger Obhut gehalten. Aber nun ist die Obhut aufgehoben durch den Code Napoleon und die höllische Brut schwärmt aus und errichtet das Reich Zion.
Des Monsignore Hände verkrallen sich. Er pendelt keine Juden aus. Aber beliebig Damen, ob mit Nierensteinen oder gesegneten Leibes.
Die nächste in der Schlange ist die Auersperg.
So ist noch keiner hereingekommen wie der Gast, der jetzt in der weit geöffneten Tür des Salons steht. Er ist nicht einfach nur gekommen, er ist aufgetreten. Er hat die Würde des Türrahmens, durch den die anderen lässig plaudernd geschlendert sind, in lockeren Grüppchen, achtlos und en passent, er hat die Würde dieses Türrahmens bewusst gemacht. Auf einmal nehmen die Gäste wahr, dass die Supraporte darüber stukkiert ist mit Amouretten und mit Lorbeerzweigen.
Und das nur, weil der neue Gast darunter steht. Der Inhaber der Rolle, nach der das Stück heißt. Der sich erst im dritten Drittel des ersten Aktes blicken lässt, damit die Chargen hinreichend Zeit gehabt haben, auf sei-nen Auftritt vorzubereiten. Er steht als Gruppe in der Tür. Als Arrange-ment, einen Arm um die Gattin gelegt. Von hinten fällt das Gaslicht aus dem Stiegenhaus über die beiden, zisiliert sie mit einem scharfen hellen Rand aus dem Dämmer des Vorraums heraus, wie ein Nimbus, wie er vordem den Heiligen zustand.
Er steht wie Marc Anton, der gleich seine Totenrede auf Cäsar beginnen wird.
Nur die höflichsten unter den Gästen bringen noch den Satz zu Ende, den sie eben an ihr Gegenüber gerichtet haben. Der Monsignore hat erkannt dass sein Solo fürs erste beendet ist. Nur fürs erste, denn er hat reichlich Damen-Adressen gesammelt. Er erhebt sich mannhaft, verlässt die Nachbarschaft der beiden Sphinxen und schreitet auf die Neuan-kömmlinge zu. Tous le monde hier im Salon wird jetzt sehen, dass er ihnen gleichrangig ist. Ein Eingeweihter ist, ein Konfident, der Vertraute dieser märchenweißen Erscheinungen.
Der der Dame nun vaterwarm einen Kuss auf die Hand schmatzen darf. Der die Feenweißen in die Saalmitte geleiten darf, in ein Oval im Parkett-boden. Ein Stern markiert das Zentrum des Ovals, niemand hat es be-merkt bisher. Aber nun, da das weiße Paar sich darauf postiert hat, ist es das Zentrum der ganzen Soirée. Hier vollführt der Monsignore etwas, was den Gästen ein überraschtes Hauchen entlockt. Er küsst auch dem Herrn die Hände. Beide Hände, obwohl sie behandschuht sind.
Dann birgt er sie in seinen Pranken wie eine Monstranz.
Die Aufmerksamkeit des Publikums, reimt der angelernte Posa sich zusammen, ist umsichtig geführt worden von der Supraporte zum Gas-licht rückwärts aus dem Treppenhaus hin zum cremigen Weiß der Gattin-nenrobe hin zum ebenso cremigen Weiß der Gattenrobe und endlich hin zu den Handschuhen, die der Monsignore geküsst hat. Um das was in den Handschuhen steckt, ebenso cremig weiß, wird sich das Dramolett, das hier zur Aufführung kommen soll, ohne Zweifel drehen.
Posa sichert sich dafür einen Platz.
Nonchalant aber spitzneugierig gruppieren sich die Gäste um das weiße Paar. Der weiße Arm des Herrn verlässt nicht die weiße Taille der Dame. Der Monsignore übernimmt Einführendes. Mit gedämpfter Stimme, wie im Beichtstuhl. Wer sich nicht hurtig genug darum herum gruppiert hat, muss sich nun durchfragen zu solchen, die schon einen Happen erlauscht haben.
„Zwei Musiker, wird ventiliert“.
Er oder sie oder beide ?
„Er. Ein Pianist. Eine Zelebrität“ wird von links souffliert.
„Aber net bei uns Wien, von weiter her“ wird von rechts souffliert.
„Es soll was so was gewisses Verfolgtes mit dabei sein.“
„Schmerzlicher Bruch in der carrière. “
„Emigrantenschicksal. Verfolgung durchn Napoleon“.
Der Monsignore lässt die Hände dessen nicht los, der ein berühmter Pianist ist. Wer sich enger in die Runde drängt, hört nun auch, dass die weiße Gattin schon mittendrin ist in der Erzählung von seinem Spiel. Dass die Salons des Nordens ihm zu Füßen liegen.
Aber auch den Neid der Mindergefeierten lässt sie nicht aus. Sein Anstachgestacheltsein zu immer größeren Großtaten. Sein Vollkommen-seinwollen, und wie er den schwächelnden vierten Finger der Rechten in einer Schlinge gefesselt hat, weil der beim Tremolieren nicht mithalten konnte. Wie er in der Folge auch den vierten Finger an der Linken diszipliniert hat durch Fesselung. Wie daraus eine Überdehnung der Sehnen entstand. Verschärft durch den Frost des skandinavischen Win-ters, durch den sie gereist sind auf Tourneen von Kopenhagen über Christiania via Stockholm nach Helsingfors. Aufwärmtemperaturen und Grog, an den Kaminen der Gastgeber. Minusgrade auf Pferdeschlitten, die im Schnee stecken geblieben sind.
Im Musikzimmer wartet ein Tafelklavier. Der Deckel ist aufgeschla-gen, die Kerzen brennen bereits. Samtsessel, aufnahmebereit, umstehen erwartungsvoll das Arrangement. Aber Propodonsky muss mit der freien Hand, die nicht das Tablett balanciert, weit ausgreifende Gesten machen.
„Strengstes reservée vorderhand noch, die Herrschaften ! Auf haus-herrlichen Wunsch soll das Instrument allein vorbehalten sein für – „
Nicht dass er hier abbräche, weil er fast den Namen dessen preisge-geben hätte, der hier erwartet wird.
Weit schlimmeres Debakel. Der, dem er kraft seines Amtes verbieten muss, sich ans Klavier zu setzen ist sein vormaliger Erster Held.
Christian Justus Amadé Langebehn.
Langebehn schaut an seinem Prinzipal vorbei. Greift, sehr langsam, ein Glas von dessen Tablett.
„Tragende Rollen nennt man das, wenn ich mich recht erinnere.“
Und nimmt einen langen Schluck.
„Was für ein Gesindel doch auf den Flößen so angeschwemmt wird. Vieh zwischen Vieh .“
Langebehn hat sich ans Klavier gelehnt. Sollen die anderen um ihn kreisen, er bleibt statuarisch. Die Kerzen am Notenhalter leuchten ihn vorteilhaft aus. Er wolle diesem Monsieur Unbekannt, der hier statt seiner wartet werde, den Ruhm nicht nehmen, aber -
„Die Zeit des Pianofortes ist vorbei.“
Die Auersperg fächelt, die Batthiany fächelt, die Lichnowsky fächelt.
„Hab ich das jetzt recht verstanden ?“
„Aber gewiss doch, die Damen. Schon der Name ! Pianoforte . Das erinnert doch an Festungen.“
Fortezza, forteresse, Quadern.Verschanzungen, eingemauertes Dahin-gestorbensein.
„Hinaus ins Offene ist der Weckruf der Zeit, mesdames !“
Im Munde dieses Schönen fühlt sich die Fürstin Lichnowsky bestätigt.
„Meine Rede von vorhin. Vitesse ! Vitesse !“
Langebehn hält mit seiner weißbehandschuhten Hand ein kleines Metallding hoch. Am ausgestreckten Arm, aber mit nur drei Fingern. „Das hier wird das Musikglück der Zukunft sein !“
Man braucht nicht mehr Fingerfertigkeit dafür, Klavierunterricht, Notenständer, ein Orchesterpodium, nur noch den eigenen Atem.
Schweigen, dann tiefgehauchten Oooooohs.
„Es findet Platz in der Faust des Volkes. Noch im Mantelsack des Dragoners, der hinaus reitet aufs Schlachtfeld.“
Auch der alte General ist Feuer und Flamme. Langebehn beklopft das Blechkästchen von allen Seiten, um die Winzigkeit des Wunderkäst-chens zur Geltung zu bringen. Sein Leichtgewicht, seine Schnittigkeit.
„Spielen, Maestro, spielen ! Zu Gehör bringen !“
Mit dem Lächeln des Marc Anton hebt er das Blechding an seine Lippen, den Lippen Marc Antons. Mit der zärtlichen Behutsamkeit des Romeo stülpt er ihm die Lippen entgegen.
„Aaaaaaaah... „
Und alle Damen ziehen Luft ein, wie Langebehn einzieht. Und wenn Langebehn sie wieder ausstößt, möchten alle das Blechding sein.
Eine Glocke schrillt.
„La hôtesse und maitresse de maison erlaubt sich zu bitten zum defi-lee“ schreit ein kleines Stimmchen. Aber das sehr laut.
Ein kleines Kerlchen mit Turban auf dem Kopf, Pumphosen an den Beinen, roter Schärpe um die Bubenhüften. Sein Gesicht schwarz, seine Hände sind auch schwarz. Ob seine Farbe auch nicht abgehe, wird gescherzt, ob es Modell gestanden hat für die Schwarzen auf dem Gemälde wird es gefragt. Dann fragt man nichts mehr, denn er zieht einen Vorhang beiseite, und man erblickt die Gastgeberin.
„Eine süperbe Inszenierung.“
Die Auersperg zeigt sich kennerisch, die Familie besitzt eine Loge im Burgtheater. Die mannshohen Fenstertüren hinter der Gastgeberin stehen offen, die weißen Vorhänge wehen verspielt herein. Die Gastgeberin hält Hof auf einem Fauteuil mit grünem Atlasbezug. Das Grün korrespondiert reizvoll mit dem Grün der Biesen, die auf ihre schwarzen Hosen auf-gesteppt sind.
„Echte Sansculotten“ rühmt der Graf Sedlnitzy „unsere hôtesse ist eine Modische und eine Emanzipierte dazu.“
Ihre obere Hälfte wird umschlossen von einem Fräcklein, ebenso schwarz und eng wie ihre Sansculotten. Es reicht nur bis knapp zum Nabel. Ohne Revers, was ihre eine pikant militärische Anmutung verleiht. Ebenso militärisch ein hoher Stehkragen, in dem sich das Grün der Biesen und der Fauteuilbespannung wiederholt.
Wie auch bei der Weste, die sich zwischen den offenen Flügeln des Fräckleins zeigt, und über das goldenene Knöpfe paradieren wie Liniensoldaten. Nach unten hin, zum Hosenbund, springen die Knöpfe auf einmal lustig weit vor. Denn die hôtesse hat ein stattliches Bäuchlein. Einen Wanst geradezu.
Der unter ihrer weiten Kutte verborgen blieb, als sie, die nun durch ein Lorgnon ihre Gäste betrachtet, noch die Ehrwürdige Mutter war. Quer über ihren Knien liegt ein Pracht- und Musterstück ihrer Zigarren, unan-gezündet, als Szepter und Symbol ihrer geschäftlichen Potenz.
„Es ist der Willen von Erlaucht dass her nicht geraucht wird“ meldet der kleine Turbanschwarze mit einer Verneigung und vor der Brust ge-kreuzten Händen. Manche Zigarre schnell in seinem Turban abgelegt, um unbehindert bei der Gastgeberin die Honneurs zu machen.
„Eine beauté ersten Ranges.“
Das gilt der Schönen neben ihr, in einem weißen Griechenkleid. Ihre Brüstchen sind verwegen hoch geschnürt. Höher geschnürt als die weib-lichen Gäste es sich getraut haben.
„Wo sie die bloß her hat„ zischt die Fürstin Lichnowsky der Auersperg zu, nun erst so recht glücklich, dass ihr Gatte ferngeblieben ist.
„Bei einer beauté ersten Ranges g’hört nicht g‘forscht nach Umstän-den des Erwerbs und diesem ganzen indiskreten frou-frou“ zischt die Au-ersperg zurück „weil sie eh aus nix anderm besteht als wie eben dem frou-frou.“
Das Frou-frou selbst könnte den Damen keine stimmigere Auskunft geben. Der beauté erscheint selbst nur noch sehr ungewiss, dass sie einmal die Demoiselle Pfrenhuber gewesen sein soll.
Wegen des neuen und allerletzten Gastes, der durch die Tür des Sa-lons eintritt, hätte es keine Supraporte über dem Eingang gebraucht. Der letzte Gast ist die Beiläufigkeit in Person. Wenn drei wie er beieinander stehen, fällt einem erst der vierte auf.
„Ist noch Einlass ?“
Der Späte ist ironisch, nicht hiesig und nicht laut. Propodonsky hätte ihm mangels Stimm-Umfang kein Engagement gegeben, nicht einmal Unterricht. Anders als Propodonskys Schüler hat er seiner Bleichheit nicht mit künstlichem Rouge aufgeholfen. Die Bleichheit kommt ihm zupass, eine weitere Maske.
„Wer vom Hofe kommt, genießt das Privileg der Ultimus zu sein.“
Fünf Schritte hinter ihm ein Begleitmensch. Adlatus, Adjutant, was auch immer. Propodonsky offeriert dem Bleichen Gumpoldskirchner. Auch wenn er weiß, dieser hier trinkt nicht. Aber er verkostet.
„Zuviel Säure für einen 1798er Merlot.“
Woher der bleiche Rheinländer das weiß. Aber der bleiche Rheinlän-der weiß alles
„Seine Durchlaucht Clemens Lothar Wenzel Fürst Metternich“ schreit de Kleine mit dem Turban und geht ihm vor zur Gastgeberin.
„Themen der Konversation bisher ?“ fragt Metternichs Begleitmensch Propodonsky, der betont an ihm vorbei schaut und dafür den schwarzen Koffer betrachtet, den der Begleitmensch in der Hand hat.
„Ziehen Sie das Geplauder ab. Geben Sie nur die Kernstimmung.“
Die Kernstimmung, referiert Propodonsky, wird bestimmt vom näch-sten Krieg.
„Dem vierten Koalitionskrieg gegen den Gewissen für den Sie einmal geschwärmt haben, junger Freund.“
„Ich bin nicht Ihr Freund. Weiter.“
„Mit dem Ausbruch wird täglich gerechnet. Mehr Truppen als je, mehr Ausrüstung als je. Das lässt Rendite erwarten. Wer zu spät investiert, ge-hört heute schon zu den Besiegten.“
„Präziser, wenns beliebt.“
„Es wurde die Gründung dreier neuer Aktiengesellschaften verabredet. Die Dame da drüben – die in dem honiggelben Kleid – fiebert sie auf den nächsten Waffengang.seitdem sie Logengast war bei einer Kampfhand-lung zwischen den Österreichern und den Franzosen. Bei der nächsten, sagt sie, feiern die von ihr finanzierten Rüstungsgüter Feuertaufe. Sie will ihrem Reibach zuschauen. Reibach, wörtlich. Und zwar auf beiden Seiten. Auch wörtlich.“
„Name bekannt ?“
„Sehr wohl.“
„Wir wollen wissen wieviel sie anzulegen gedenkt.“
„Schriftlich ?“
„ Schriftlich. Sie handhaben eine höchst kunstvolle Kalligraphie.“
„Mir eine Ehre.“
„Bemerkenswert für einen, mit Verlaub, Lakaien. Die fürstliche Kanzlei ist jedesmal erfreut, wenn sich eine Notiz von Ihnen einstellt.“
„Meine Schönschrift – „ Propodonsky räuspert sich betont – „rührt her vom Abschreiben der Rollenbücher. Wie es üblich ist im Schauspiel-beruf.“
„Schauspielberuf ! Die Zeit der gelernten Komödianten ist abgelaufen. Dilettanten drängen auf die Bühne. Wer vordem Viehtreiber war, ist Corporal geworden. Wer Corporal war, hat Aussicht auf den Othello.“
Der Adlatus scharrt, Metternich verlangt nach seinen Diensten.
„Wenn Sie gestatten, Kunterkasten. Eine Frage meinerseits – „
„Ich höre.“
„Was tragen Sie da in dem Koffer mit sich herum ?“
„Spielzeug, Propodonsky. Nichts weiter als Spielzeug.“
Und beeilt sich, es seinem Herrn, Metternich, hinterher zu tragen in den Thronsaal der Hausherrin. In dem ihr gerade der Monsignore aus Sankt Pölten seine Aufwartung gemacht hat, gefolgt von Graf und Gräfin Sedlnitzy, Ehrwürden Batthiany und den Herrschaften Auersperg.
„Ma biche…mon tresor“ schnaubt die Ehrwürdige Mutter der Demoi-selle ins Ohr in den Verschnaufpausen zwischen den cours. Sie bringt ihr die Koseworte dar wie die Turmaline, Smaragde, böhmischen Granaten, die die Prunkgewänder der Allerheiligsten Jungfrau geschmückt haben. Jetzt ist die Allerheiligste Jungfrau umbesetzt. Zum ersten Mal in ihrer Karriere fühlt sich die Demoiselle so inszeniert wie sie es immer schon herbei geträumt hat, und sie muss nicht einmal mehr Text lernen.
„Wir sind in eine Epoche hineingeschmissen worden, chérie, in der sich alles zuunterst zuoberst umstülpt. Nur du bleibst, was du immer warst… meine Principessa…“
Und küßt der Principessa den Nacken, hinter einem gespreizten Fächer mit Ornamenten aus Tabakblüten.
„Kurios“ zischt die Sedlnitzy, „ich könnt beschwören, wie ich mich verneigt hab vorhin vor der Belleza von der Hausherrin, da hab ich mei-nen linken Ohrring doch noch g‘habt“.
„Und ich meinen Armreif“ zischt die Batthiany.
„Das Ökonomische“ lächelt die Ehrwürdige Mutter derweil der Auers-perg zu „allerdings ist meiner mignon durchweg ein Graus“.
Aber da hat sie sich in ihrem mignon getäuscht.
„Der Mensch da drüben“ hat die aufgeschnappt, „der da mit seinem viel zu vielen Rouge, der geht hausieren mit den appetitanregendsten Kondi-tionen. Er ist gerade eine Filialbank am Einrichten, für den Herrn Papa aus Frankfurt. Hier bei hier uns in Wien.“
„Und die Brüder“ hat die Auersperg erlauscht, „in London, in Neapel, und in Paris.“
„Paris ! Man höre : Paris.“
„Die Dividenden, sagt auch der General, sollen horrend sein.“
„Ah, Sie meinen den mit diesem ornamentigen Französisch in der Aus-sprache.“
Propodonsky genießt die Schmeichelwölkchen, die sich um seinen Schüler verdichten. Der Schüler nimmt Propodonskys Blick auf, zwinkert ihm zu. 2400 Gulden zu acht Prozent, artikuliert mit zierlich fran-zösischer Einfärbung, das ergibt übers Jahr gerechnet…einen Moment s’il vous plait, lassen Sie mich das überschlagen… Propodonsky zwinkert seinem Schüler zurück. Ganz der Theaterdirektor, der beim Solo des Helden in der ersten Kulissengasse steht. So wie Dalberg seinerzeit in der ersten Kulissengasse stand, als Propodonsky den Franz Moor gegeben hat.
Aber Dalberg stand nie in der Gasse, und Propodonsky war nie der Moor. Und nun ist Propodonsky zum Souffleur heruntergekommen. Nein, aufgestiegen, denn er kann seinem Schüler melden „Der Herr mit der grünen Weste da sucht Kapital. Das Produkt dazu hat er schon.“
„Branche ?“
„Schiffsbau, Herr von Rothschild.“
Der Text ist Prosa. Ohne Pathos und ohne Metaphern. Alltagssprache. Aber die Fallhöhe ist gewaltig. Shakespeare und Schiller geraten ins Hin-tertreffen, sogar Sophokles.
„Schiffe neuen Typs für die Donau, Herr von Rothschild. Die Pläne sind fertig“.
Die neuen Schiffe können sowohl Talfahrt wie auch Bergfahrt. Von Wien nach Budapest in zweieinhalb Tagen. Wenn man die Fahrrinne da und dort ausbaggert sogar nur an einem Tag, einem einzigen Tag !
Propodonsky ist donauerfahren.
„Beladen mit Handelsgütern, jawohl auch Tabak ! Und Lustreisenden, versteht sich. Und Truppen, Truppen, Truppen !“
„Und Wallfahrern“ freut sich der Monsignore.
„Auf der Seine in Paris fährt doch seit Jahren so ein Schifferl“ hat auch der General gehört.
„Soll man etwa den Franzosen“ näselt Metternich “schon wieder den Vortritt lassen, auf unserer Donau - ?“
Seine Schleiflaute sind zum Erbarmen, seine Intervalle zwischen den Sätzen viel zu kurz.
„Nicht mehr sklavisch abhängig sein, messieurdames, von der Gunst re-spektive Ungunst der Elemente“ näselt Metternich.
„ Der urgewaltige Antrieb, der schon Ikarus nicht ruhen ließ.“
Propodonsky wird auch Metternich unterrichten, damit wenigstens die Finanzen aus dem Näseln herauskommen.
„Selber kräftige Schwimmstöße vollführen. Oder vielmehr vollführen lassen. Mittels einer Schraube am Heck.“
„Euer Gnaden verzeihen, aber Schrauben sind doch bis immer in a Holz neibohrt worden...“
Metternich lächelt, hebt den Finger.
„Mein Adlatus wird sich sogleich bemühen.“
Kunterkasten bemüht sich, bückt sich zu seinem schwarzen Koffer.
„Eine tragende Rollen nennt man das im Theater“ faucht Propodonsky ihm zu.
„Es verlautet“ faucht Kunterkasten zurück „Sie verhandeln mit dem Kärtnertortheater. Hinter dem Rücken der Herrin.“
Jetzt sind sie quitt. Kunterkastens schwarzer Koffer springt auf.
„Es ist Anschauungsmaterial präpariert worden. Sie werden staunen.“
Kunterkasten räumt aus dem Koffer, was er vorher Spielzeug genannt hat. Dampfschiffe, die wirklich so klein sind wie Spielsachen. Und man staunt.
„Mei, san die herzig…“
„Im Inneren des Rumpfes, ich appelliere an Ihre Vorstellungskraft, ar-beitet eine Dampferzeugungsmaschine.“
Über alle Köpfe hinweg hebt die Hausherrin die Zigarre, die auf ihren Knien gelegen hat, nun doch als Szepter, und dirigiert die Dienerschaft auf Position.
Der Prinzipal zischt dem kleinen Schwarzen Regieanweisungen zu, eine grüne Samtportiere im Rücken, am Kopfende de Tafel, wo die Ehrwürdige Mutter gleich Platz nehmen wird. Und Ihr da werdet hier still zu sitzen haben, Plapperbarone und Wuselmamsells, auf Euren von der Herrin zugewiesenen Plätzen, andachtsam wie im Burgtheater.
Denn Propodonsky wird die Spielfläche ganz allein beherrschen.
„Zum hors-d’oeuvre Trüffelterrine“ wird der schwarze Turbanbub an-sagen, und der histrio primus wird seine Bühne betreten.
Eine Bühne, grandioser als je eine, auf der er früher agiert hat. In den Nebenrollen lauter Originalbesetzungen statt Knattermimen wie die Kun-terkästen und die Langebehns, die sich ausgeben als griechische Göt-ter, römische Helden, schottische Könige.
Hier sitzt Macbeth in Person, Jupiter, Alkmene, Richard III, und an ihren Tischmanieren wird sich erweisen ob sie den Rollen gewachsen sind die sie zu spielen haben.
„Wir geben uns die Ehre die Herrschaften zu Tisch zu bitten“ schreit der kleine Janitschare. Ende des Vorspiels. Die Courtine geht auseinander. Beginn der Aufführung.
In Propodonskys früherem Leben ist der Vorhang für das gesamte Ensemble auseinander gegangen, sogar für Schuff und Kunterkasten. Die grüne Portiere wird allein ihm, Propodonsky, zu Diensten sein. Sie wird sich verheißungsvoll bauschen, dann sich verheißungsvoll teilen und histrio primus in einer tragenden Rolle zeigen. Mit dampfenden Speisen auf dem Tablett, auf die sich aller Augen richten.
Aber der princeps spectaculorum wird die Blicke auf sich selber lenken. Seine Mimik, er ganz zurück nimmt und die umso ausdrucksstärker sprechen wird. Er sie auf die Grazie lenken, mit der er die Arme bewegt, und Spiel seiner Beine. Die Terrine de salmon wird er reichen mit dem sanguinischen Charme des Herzogs aus Wie es euch gefällt, die Beilagen mit dem Schmunzeln des Ritters Götz von Berlichingen mit der eisernen Faust, beim Braten wird man ihn erleben als den Haudegen Lionel aus der Jungfrau von Orleans.
Und wenn er der Fürstin Lichnowsky die Filets vorlegt, wird er dezente Blutrünstigkeit andeuten wie in Shakespeares Titus Andronicus, der doch auch von abgesäbelten Körperteilen handelt. Und wenn Propodonsky schließlich das Ananas-Sorbet aus dem Treibhaus aufträgt, wird er sich ein kleines Extempore um die Demoiselle Pfrenhuber gestatten, wo doch der Schlagobers das Fruchtfleisch umschmeichelt wie die Äbtissin die Ohrläppchen der Demoiselle.
Er wird das Sahnewölkchen dicht an diesem Kinn vorbei schweben lassen, so dass ein Bläschen an ihrer Wange hängen bleibt o pardon quel malheur und ihr mit schnellem Blick bedeuten, dass er es tiefer träufeln lassen möchte in Regionen, die für ihn nun freilich unerreichbar geworden sind.
Alles zunichte.
Die Samtportiere bläht sich, sie faucht wie ein pathetischer Kater, dabei bläht sie die Küchendünste mit herein. Jemand ist in die Falten gerammt, ringt mit der Drapierung, es wird am Samt gerissen, es wird geflucht, aber niemand kommt zum Vorschein. Bis der kleine Schwarze die Portiere auseinanderzieht. Ein Zornroter bricht hervor, halb noch in den Vorhang verheddert, kurzbeinig, krummbeinig, nimmt niemand wahr, ist ganz bei seinen Fingern, von denen er Soße schleckt.
„Der hat sich in der Küche bedient“ erkennt der Graf Auersperg. Er wird von dem Küchenschlecker beiseite geschubst, der Graf Batthiany wird gerempelt.
„Dem gönnt mans dass er für den Napoleon schwärmt“
„Den anderen Dorfhammel.“.
„Und lasst sich auch noch von nennen, wo doch a jeder weiß“ mault die Auersperg, „dass er eigentlich der vom Rübenacker heißt, dabei soll er -“
Die Auersperg schweigt, wie abgeschnitten. Weil der Spätgast einen Finsterblick schweifen lässt. Die Stille ist entsprechend.
Wie auf einen Rübenacker wirft er sich auf das Piano, das ihn stumm-brav erwartet hat. Schwer setzt er die Finger auf die Tasten, wie zehn Krieger. Was für gewaltige Pranken, durchfährt es manche Dame und sie mustert die schmächtigen Hände ihres Gatten, die neben ihr artig gefaltet auf des Gatten artigen Knien liegen. Der am Piano schaut seine Finger genau so wütig an wie eben noch sein Publikum, unter den Nägeln noch Bratensoße.
Seine ersten Noten, allegro assai, rollen düster aus einer f-Moll-To-nika heraus wie Geschützlafetten hinter Pferdegespannen. Es ist eine Lust, die Räder zügig rollen zu hören, das Bedrohliche rollt zügig davon, eine Art optimistischer Gesang rollt hinterher. Ein Depp wer da nicht einstimmt.
„Himmel, was für ein viriler Anschlag.“
Bukolische Sechzehntel lassen die Geschützrohre mit Zweigen über-wachsen, mit freundlichem Laub, als sollten sie vor dem Feind verborgen werden, als sollte die Kanonade doch noch nicht gleich beginnen. Die Damen fühlen sich animiert zu einem Waldspaziergang, vor ihren Füßen schwanken Farnbüsche. In die artig gefalteten Hände der Männer schie-ben sich die Hände ihrer Frauen, wie damals beim Hinaufschlendern hinauf auf den Kahlenberg lange vor der Hochzeit.
Den ersten Satz lässt der Prankenmensch, den Kopf tief auf die Tasten gesenkt und unter tiefem Durchschnaufen, unmittelbar in das Andante con moto des zweiten übergehen. Mit zarten Trillern, die Pranken sausen auf der Klaviatur hinauf und hinunter. Wie das Piano das nur hergibt, das Instrument auf dem er uns das spielt, das gibt’s doch noch gar nicht. Und da singen auch die Kanoniere wieder, die hochgeschnürten Brüste wo-gen, auch und grade die faltigen. Den Damen wird’s feucht im Schritt, Fächer wandern zwischen die Schenkel. In diesen Fingern, in diesem Gesang der Kanoniere, das keinen Widerspruch zulässt, ist die neue Zeit.
Metternich vermerkt mit Missbehagen, wie dem Auditorium die Con-tenance abhanden kommt. Das unwiderstehlich Voraneilende dieser Mu-sik ist ihm ein Graus. Er will nicht dass vorangestürmt wird, wenn er selber nicht vorne dran ist. Jedes con moto ist ihm suspekt, bei Noten wie bei Untertanen. Wechsel der Tonart erst recht, unversehens wächst er sich aus zum Wechsel des Regimes.
Erst auf dem Notenpapier, dann draußen in der Wienstadt und dann in ganz Europa. Er, Metternich, vor der Trikolore geflohen, hat die Ohren offen zu halten für Schwarmgeisterei der Töne wie der Gesinnungen.
Durch die Gardinen der angelehnten Fenstertüren sieht er draußen auf dem Balkon Langebehn. Sieh an, der eine Herr Tonkünstler hält die Nähe des anderen nicht aus. Selbstvergessen bläst er auf seinem blechernen Instrument, das noch keinen Namen hat.
Und Metternich erspäht noch zwei andere Schattenrisse draußen in der Nacht, in aufgeregter Bewegung, vorne am Geländer. Sie wenden ihm und Langebehn die Rücken zu. Metternich schiebt den Vorhang beiseit und erkennt nun das das Paar.
Salomon Baron Rothschild mit der Demoiselle Pfrenhuber. Metternich muss lange seine Augen ans Dunkel gewöhnen, um wahrzunehmen was die beiden da in so flattrige Bewegung bringt. Etwas, das sie auf der Brüstung des Balkons entlang gleiten lassen. Und nun lächelt Metternich doch noch. Die führen sich auf wie letzthin beim Geburtstag der Kinder. Fehlt nur noch dass sie Seil hüpfen.
Die Demoiselle und Rothschild spielen mit den Miniaturen der Dampfschiffe, seiner Dampfschiffe !
Sie hüpfen nicht Seil. Sie spielen Dampfkessel.
„Fffff…..t ! Fffffffffffffffff…t !“
Wie aus einem Munde. Beider Spucke spritzt fröhlich über die Bal-konbrüstung. Sie hören nicht, dass der illustre Küchenchlecker vorzeitig sein Spiel beendet hat. In seine Pianissimo hinein hat ihm Langebehn von draußen ein keckes Gis geblasen. Eine ordinäre Tonfolge, frech und fies, Blechzwerg gegen Pianoforte. Niemand sonst im Saal hat es wahrge-nommen. Allein der am Panoforte. Er ließ sich auf eine Zwiesprache ein, setzte den fiesen Gassenhauer fort mit einem leichten gis-Lauf der linken Hand, lächelte sogar und wartete auf eine Antwort von draußen.
Aber es kam keine Antwort. Langebehn war das Blasen auf der Mund-harmonika langweilig geworden. Stattdessen hörten nun alle drin im Sa-lon die beiden mit den Dampfschiffen.
„Ffffffffffffffffffft !“
Und sogar eine Schiffssirene, nachgemacht :
“Ooooiiiiöööööngwuffwuff !“
Auch der bleiche Metternich lief rot an. Der am Piano hieb mit der rechten Faust auf die tiefen Tasten, als wollte er dem Instrument den Garaus machen. Erzeugte aber nur einen dunklen klagenden Akkord, der noch nachhallte und weiter durch das Gehäuse grollte als der Ehrengast schon hinaus gestürmt war.
„Ffffffffffffffffffffffffffffffft ! Meins hat sogar ein Schaufelrad !“
„Ffffffffffffffffffffffffffffffffffffft ! Meins hat sogar zwei Schau-felräder, eins auf jeder Seite, da bin ich im Nu in Budapest.“
„Wir werden Napoleon überholen, fffft, fffft, wenn er daher gefahren kommt mit seiner Flotte, um Belgrad zu erobern…“
„Er grüßt Sie, Demoiselle, mit seiner Dampftute…“
„Zu spät, ich bin schon in der Walachei, und kein bisschen seekrank dabei, ätsch.“
„Walachei schon vorbei, jetzt kommt das Delta gleich, aufpassen !“
„Und schon ist wer / schaun Sie her / im Schwarzen Meer !“
Bängibängi läutet die Schiffsglocke und fuuuut fuuuut tönt das Nebel-horn. Und da ist auf einmal ein neuer Ton aus Rothschilds Mund –
„Tschindatschingtschingbong“.
„Was soll denn das sein ?“
„Das ist die Janitscharenkapelle an der Hohen Pforte. Sie ist auf-marschiert Ihren zu Ehren, gnädiges Fräulein.“
„Ooohhh…“
„Denn uns empfängt der Sultan von Konstantinopel höchstpersönlich. Da steht er an der Landebrücke, und da…“
Da sind die Dampfschiffchen abgestürzt, hinunter in die Nacht.
Die Janitscharen marschieren, sie marschieren voran und nichts hält sie auf, wie denn auch, sie marschieren mit der Strömung, ihre Welt und Weisung ist das Flussbett wo es am tiefsten eingegraben ist seit Jahr-tausenden, ihre Gesichter sind verschlossen wie Tuffstein und versiegelt von Mollusken, die Manöver der Lastschiffe ihnen zu Häupten beirren sie nicht und auch die Protuberanzen der mächtigen Heckschrauben die die Strömung zerreißen reichen in ihren Abgrund nicht hinab, für das Brüllen der Schiffsmotoren sind sie taub, die Gefallenen haben sich eingereiht in den Zug –
Die Dreimastbark, die auf Kurs auf Genua hielt, wurde von einer bewaffneten französische Caravelle aufgebracht und gezwungen, den Hafen von Catania anzulaufen. Der Schleppzug dorthin wurde von zwei österreichischen Linienbooten vereitelt, die das Feuer auf die Franzosen eröffneten. Durch ein unglückliches Verhol-Manöver geriet die Dreimast-bark in die Feuerlinie und erhielt fünf Treffer backbord. Sie sank schnell, da überladen mit Fracht übersetzt mit Passagieren.
Einer der ersten, die ertranken war Strönebald.
Kunterkasten hat die Ehrwürdige Mutter auch später keinen Blick mehr gegönnt. Das gehört sich nicht, hat sie gefunden, gegenüber jemand den sie einmal angespuckt hat.
- die Gefallenen haben sich eingereiht in den Zug eine Staumauer versperrt ihnen den Weg aber Janitscharen hält kein Widerstand auf, sie berennen den Eisenbeton mit ihren Leibern, gleiten ab an den Moosen die die Mauer überwuchern, die Wucht ihres eigenen Anpralls lässt sie abgleiten und drängt sie dem Ufer zu , den Kai hinauf, enger anein-andergekettet denn je, Schlinggewächse haben sie miteinander verknor-pelt und lianenartig verknotet, wenn einer fällt, wird er von den anderen mitgeschleift, aber ein Janitschar fällt nicht , schwarzer Schlick schlemmt sich als glitschige Spur das Ufer hinauf, die Miesmuscheln die sich auf ihnen angesiedelt haben klappern schwer und eisern wie Rüstungen, der klirrige Rhythmus ihres Marschtrittes ist weithin zu hören ehe noch die Heersäule selbst eine menschliche Ansiedlung erreicht hat, die Bewohner fliehen bereits vor dem nahenden drohenden Ton ohne dass sie wissen dass es Miesmuscheln sind die sie bedrohen aber wenn sie es wüßten würden sie noch halsüberkopfiger fliehen, und jetzt, da das Wasser ihnen nicht mehr die Last abnimmt, beschweren die Janitscharen die Tonnengewichte, die sie mit sich zerren, lassen sie nicht mehr vorankommen, die Signalmasten havarierter Flussboote, die der Tang ihnen angebunden hat, verfangen sich in Gartenzäunen , die Anker-winden untergegangener Flusskähne reißen geparkte Autos mit sich, und dazwischen winden sich gestrandete Aale, aber die verlorenen Anker-ketten längst auf Grund gelaufener Schiffe ziehen sie wieder in den Strom, beglückt plumpsen sie wieder ins Wasser plumpsen unhörbar dem Meer entgegen wo ihre Hoffnung sie erwartet der große Leviathan der sie in sich aufnimmt auf dass sie werden Schlamm zu Algen zu Plankton -
„Was war denn das ?“ ruft die Frau auf dem Beifahrersitz.
„Das war doch ein Stein oder sowas. Wer bewirft uns denn da ?“
Aber es ist kein Stein, es ist das blecherne Modell eines Dampfschiffes.
„Schau dir das an – sogar mit Schaufelrädern ! Das ist ja ein Samm-lerstück. Sowas von fein gearbeitet. Echt eine Antiquität.“
„Untersteh dich und steig aus. Es is grad grün und hinter uns jede Men-ge Verkehr.“
So bleibt das Schiffchen auf dem Asphalt liegen. Eben als der Mercedes anfährt, landet auf dem Dach ein zweites Blechschiffchen. Im Autoradio spielt Alfred Brendel Beethovens Appassionata, opus 57, von 1806.