Die Nachtübung
1938
Wir befinden uns,die Jahreszahl hat uns bereits darauf vorbereitet,in einer ausgesucht
stockfinsteren Nacht.
„Es lebe der Führer !“
Ah ! Wie wir sogleich heraushören,kommt jetzt endlich –
„Wir sind geboren – „
kommt jetzt endlich der Murnauer selbst zu Wort.
„ – um für Deutschland zu sterben !“
„Deutschland erwache ! Juda verrecke !“
und wie er die Weltläufte philosophisch bewertet seit eh und je,kernig,
bodenständig,erdverbunden –
„Wir werden weiter marschieren
bis alles in Scherben fällt' – „
wobei das mit der Erdverbundenheit vorderhand sonderlich zutreffend scheint,
arbeitet die benannte Auswahl der Murnauer Männerwelt sich doch in dieser ausgesucht
stockfinsteren Nacht auf ihren immerhin deutschen, aber eben doch :Bäuchen mühselig
voran.
„ denn heute gehört uns Deutschland
und morgen die ganze Welt“.
Das nun ist ein Gesang eines weiteren Murnauers,Hans Baumann,man hört ihn allerorten
dargeboten in diesen Zeiten der stockfinstren Nächte –
„Alle Mann Achtung !“
Das ist nun die Stimme des Sonderer Lenz – des Murnauers schlechthin, des schlechthinnigen
Bodenständigen,wie er west in den Ur- und Untiefen der Seelen hierorts,in die keine Münter,
kein Seidl,kein Horvath und nicht einmal der andere Murnauer Siegfried Rauch,lang gedienter
Kapitän des „Traum-Schiffs“ je hinuntersickern werden – ist der Sonderer Lenz doch Scholle
von Scholle,Urscholle von Urscholle –
„Sieg Heil,Manndern !“
„Sieg Heil,Lenz !“
„Was ist,deutsche Manndern,das Ziel unserer heutigen Nachtübung ?“
„Das Russenhaus !“
Das Russenhaus ! Es räkelt sich da oben dreist am Hang mit seinem urgefährlichen
Krüppelwalmdach,zwischen zwei Eisenbahnlinie,und bedroht beide.
„Dieses ist,deutsche Manndern,eine Eiterbeule des Kulturbolschewismus.
Verstanden ?“
Keiner hats verstanden,das mit dem Kulturbuzismus oder so ähnlich, zumal
ihnen der bodenständige Murnauer Schnürl-Regen in die braunen Uniformen
oben hinein- und,angereichert mit ihren urmurnauerisch-muhakligen Körpersäften
unten durch die Wickelgamaschen wieder herausrinnt : so salben sie in magisch
bodenständigem Kreislauf mit ihren Säften die Scholle,die sie bekriechen.
Und von der der Sonderer Lenz ein Teil ist –
„Spähtrupp,Manndern !“
Drei Freiwillige robben voraus ins Stockfinstere und fassen mit gebotener
Vorsicht ( haben sie es doch mit einem Widersacher zu tun,der vor keiner
Heimtücke zurück schreckt ) das feindliche Objekt durch den schützenden
Staketen-Zaun hindurch ins deutsche Auge :
„Meldung,Manndern !“
„Da hockt a Weiwaz drinna.“
( Für Norddeutsche : in dem observierten Objekt befindet sich eine
Frauensperson.)
„Hockt da drinna heimtückisch im Trocknen währendessen dass mir deutsche
Manndern unsre Pflicht leisten gegenüber dem Führer und uns den Unbilden
der deutschen Witterung aussetzen !“
„Deutschland erwache ! „ respondieren die deutschen Manndern,triefend.
„Und was treibt des Weiwaz ? Meldung !“
„Es moid“.
( Für Norddeutsche : Sie beschäftigt sich mit der Anfertigung eines
Ölgemäldes.)
„Dieses ist,Manndern,ein Vergehen gegen die Richtlinien des Führers,
kunstmäßig ! „
Der deutsche Regen sickert in die deutschen Ohrwascheln der deutschen
Manndern und lässt sie mählich ertauben für die Worte des Sonderer Lenz.
Der muss nachbrüllen : „I hab gsagt : a Vergehen gegan Führer !“
„Juda verrecke !“liefern die die Triefenden pflichtschuldigst nach.
„Was für Farben benutzt das Weiwaz ? Meldung !“
„Rot halt.Blau.Gelb…“
„Manndern ! Mitten unter uns werden die künstlerischen Ideale unserers
Führers mit dem Pinsel besudelt ! Weil,was für Farben hat der Führer der
Nation verordnet ?“
„Braun,Lenz,braun !“
„Erwache !“
„Feldgrau !“
„Verrecke !“
„Und was no - ?“
„De Farb von dem Baaz,wo mia drinna kriachn.“
( Für Norddeutsche : das Kolorit der feuchten Scholle,durch welche wir
uns bäuchlings voranbewegen.)
„Was also,Manndern,erfordert die Lage ?“
„Erwache ! Verrecke !“
„Ausmerzen diese Eiterbeule des Kulturbuzismus !“
„Verrecke ! Erwache !“
„Fackeln g’hörn her !“
Flamme empor ! Und mit ihr ein kehliger Murnauer a capella-Gesang :
„Es zittern die morschen Knochen
der Welt vor dem großen Krieg –„
Kernige Männerarme schleudern deutsche Brände auf das Russenhaus –
„Wir haben den Schrecken gebrochen
und unser ist nun der Sieg – „
schon loderts an den Fensterläden –
„wir werden weiter marschieren
bis alles in Scherben fällt – „
die Dachbalken in Glut,der hölzerne Söller eine einzige Stichflamme –
„denn heute gehört uns Deutschland
und morgen die ganze Welt !“
„Erwacheverreckeerwacheverreeeeeee – „
Da hebts den Sonderer Lenz aus seinem Traum,er ist nun kein Ortsgruppenleiter mehr,
dafür weilt er – wie es ihm zusteht – in Walhall,rechter Hand dümpelt der ehedem
Führerbeauftragte für die Arisierung der Mongolei, der zwar nie zum Einsatz gekommen
ist, sich aber mit seinem Parteibuch Nummer 138 ein günstiges Plätzchen in der braunen
Brühe ersessen hat,in der sie alle hier dümpeln.Linker Hand der Zahngoldausbrecher von
Ravensbrück, der seit 59 Jahren beteuert,er habe die ganzen braunen Jahre lang ahnungslos
als Dentist in Altötting praktiziert und von der Degussa nie gehört und auf allen dreien wuchtet
massig Hermann Göring,welcher keinesweg an Umfang verloren hat seit seiner Einweisung
hierher, sondern ganz im Gegenteil,weswegen sie ihn in Treue fest hochstemmen aus ihrer
gemeinsamen Brühe –
Da schaut der Sonderer Lenz plötzlich durch eine Zeitspalte – hinüber ?
Hinunter ? Hinauf ? Jedenfalls auf sein Murnau.SEIN Murnau des Jahres 2004,und sieht
das Russenhaus da oben noch immer sich räkeln mit seinem urgefährlichen Krüppelwalmdach,
zwischen zwei Eisenbahn-linien,die es beide bedroht.
Und er sieht Busse vorfahren vor der Eiterbeule des Kulturbuzismus voller gepflegter alter
Damen,den Prospekt der Wanderung „Mit dem Blauen Reiter durchs Blaue Land in zwei
Tagen“ unter den Arm geklemmt sowie ein eigenes Malgerät,mit dem die gepflegten alten
Damen sich alle auf Gabriele Münters Motive stürzen werden – die Strahdrischen,die
Heustadel – um diese in eigenen Farbsinfonien aufs Neue abzuschildern.
„Wenn das der Führer wüsste…“ stöhnt der Lenz,und beschließt, doch lieber weiterhin
Hermann Göring zu lupfen.
Und wir wissen jetzt endlich,warum es immer im Gully grummelt, wenn wieder ein
Bus vor dem Münterhaus vorfährt.