Ein Gläschen mit Marx
Nur hinter meinem Rücken wispert Kardinal Marx seinen wenigen Getreuen noch manchmal zu, dass er auch ohne mich ganz gut zurecht kommt. Reinhard Kardinal Marx ist Erzbischof von München & Freising. Ich widerspreche ihm nicht, schon gar nicht öffentlich, nur hinter meinem Rücken. Denn der kugelförmige Kardinal Reinhard hält sich wacker auf seinem Posten. Wie der Präsident eines Fußballklubs, dem der Abstieg in die Kreisliga gewiss ist.

Und nichts anderes ist der Kardinal Marx ja auch.

Reinhard Marx war erst drei Jahre alt, als ich 1966 aus seinem Abstiegsklub ausgetreten bin. Ein solides 50jähriges Jubiläum steht also an ! Soll ich es feiern ? Gar mit dem Kardinal, bei einem Gläschen Trierer Spätburgunder, und darauf anstoßen, dass er mit seinem Wuckelverein noch eine Weile in der Landesliga bleibt , wenigstens ? Oder gar ( aber dazu wäre schon ein Whisky vonnöten ) dass er mich zurück bittet, auf Probe, auf die Reservebank seines Wuckelvereins ?

Eingetreten wurde ich in seine Kirche völlig ungefragt, im Alter von zwei Tagen.

Zum Zeitpunkt der tiefsten Erniedrigung ihres Bestehens. Ihrer selbstgewählten Erniedrigung. Drei Jahre nachdem sie mit dem grausigsten Massenmörder der Menschheitsgeschichte dessen ersten zwischenstaatlichen Vertrag abgeschlossen und ihn damit aufs internationale Parkett geholt hatte. Und 65 Jahre nachdem sie sich beleidigt aus der Gegenwart, der Wirklichkeit, dem "modernismo" geflüchtet hatte unter einen Glassturz voller Weihrauch und Marien-Dogmen. Missgünstige alte Männer in Spitzenhemden ließen fortan ihre Gläubigen mit der Welt jenseits der Spitzenhemden allein und gifteten unter ihrem Glassturz hervor irrwitzige Verbotsregeln, schrieben den Index der verbotenen Bücher voll, Verzeichnisse des Verbotenen überhaupt, erfanden zweckfrei verschröpfte Rituale und die verschärfte Ohrenbeichte. Zur Abwimmelung der unzähligen Feinde da draußen. Zu denen sie den Schicklgruber, diese Spottgeburt aus Dreck und Feuer nicht rechneten.
Und als der Pakt mit der Hitlerei dann gebrochen war, von der Spottgeburt aus Dreck und Feuer selbst - wo blieb da die Rücknahme dieses Teufelspaktes ? Wo zumindest ein PATER PECCAVI -

"in Demut und Reue bekenne ich meine Sünden", wie es uns als Neunjährigen beigebracht worden war ? Die Evangelen hatten immerhin ihr STUTTGARTER SCHULDBEKENNTNIS , aber die katholische Amtskirche, die alle ihre Märtyrer wie Delp und Rupert Mayer im Stich gelassen hatte, schwang weiterhin den Weihwasserwedel in Adenauers Restauratorium, als wäre nichts geschehen. Ihr Papst Pius XII, aus dessen nächster Nachbarschaft die römischen Juden nach Auschwitz ins Gas transportiert wurden, ließ sechs Jahre drauf beim Morgenspaziergang in den vatikanischen Gärten die Muttergottes persönlich erscheinen und erfand, während seine Kurialen mit seinem Wissen Naziverbrecher nach Südamerika verschifften, das Fest Mariae Himmelfahrt. Das im Kalender unserer ( doch wohl eigentlich laizistischen ) Republik seinen festen Platz hat. Als Hochhuth 1963 die Kollaboration dieses unheiligen Vaters mit dem faschistischen Satan offenlegte, wanden sich Amtskirche und Kirchenvolk unter den unwiderleglichen Beweisen weg wie die Mehlwürmer.

Wie der kümmerlichste aller kümmerlichen Kriminellen gab die Amtskirche, in die ich zwangseingemeindet war, ihre Verbrechen erst zu, nachdem sie derer mühsam überführt war. In ihren Schriftständen ( der Auschwitz-Prozess in Frankfurt lief da bereits ) lag nach wie vor die klerikalfaschistische NEUE BILDPOST auf, zwischen Heftchen, die vor jeglichem Sex warnten und die Postkarten der KATHOLISCHEN AKTION mit vorgedruckten Adressen, bei denen die Frommen sich über Unfrommes in Fernsehen und Presse beschweren sollten. Die dörflich-klerikalfaschistische AKTION SAUBERE LEINWAND zog in den Heiligen Krieg gegen die Filme Ingmar Bergmans, des Pfarrerssohns, noch in der hintersten Kleinstadt, und wenn doch einer lief, schwiegen zur Strafe die Glocken. Und die Gemeindesschwester mühte sich die Treppen hoch, als meine Töchter eingeschult werden sollten, um vor der verderblichen Berührung mit den igitt Evangelen in der Grundschule zu warnen.

Extra Ecclesia nulla salus.

Das war die Szenerie, als ich vor fünfzig Jahren weg ging. Sehr leise, für 5 Mark Verwaltungsgebühr. Endlich frische Luft, als ich die Tür hinter mir zugezogen hatte. Ich hab fröhlich durchgeatmet. Und tue es noch immer. Soll ich also feiern ?
Was hab ich nun von meinen ungebetenen Lehrmeistern gelernt, den Kaplänchen meiner Kindheit, in ihren speckglänzigen Soutanen ? Was - großes Wort ! - verdanke ich ihnen. ?
Choreografie hab ich gelernt. Bewusstlose Choreografie. Wann man knien musste und wann wieder aufrecht stehen ohne dass man wusste warum, und dann wieder knien, ohne zu wissen warum. Sinnentleerte Bestätigung immerfortiger Unterwerfung "Händchen falten, Köpfchen senken/nur an Jesus Christus denken".

Wieviel Schritte vom Beichtgitter ( und knien ), wieviel Schritte vor der Kommunionbank ( und knien ), wann die Silberschale unters Kinn halten, damit die Oblate nicht auf den Boden fällt ( und knien ). Knien, knien, knien, Sacher-Masoch war immer dabei, die Spitzenhemden der alten ratlos-bösen Hermaphroditen aus dem eingemauerten Vatikan von 1871ff raschelten stetig herüber.

Aber eine brauchbare Ethik für eine säkularisierte Welt, außerhalb des Glassturzes ? In dem die Klerisei noch immer saß, beleidigt und in Spitzenhemdchen, und verköstigt mit Hitlers Kirchensteuer ? Ich habe keine mitbekommen. Sogar das Bibellesen hab ich mir selber beigebracht. Dass die katholische Kirche zu Beginn dieses Jahrtausends nach und nach einbrach, wegbrach, wie ein nicht mehr bewohntes Wespennest unter der Wucht der Missbrauchsfälle - ich habs weder mit Häme noch mit Bitterkeit vermerkt. Eigentlich überhaupt nicht. Der Fall Hartmut von Hentig hat mich weit mehr erschüttert.

Ich bin abgewogen und weise geworden in den fünfzig Jahren ohne Kirche.

Sind die großen Verbrechen der Katholen nicht auch Konstrukte ihrer Gegner ? Des Antisemiten Luther ? Die spanische Inquisition : ein Konstrukt des protestantischen Kolonial-Konkurrenten England ? Die Hexenverfolgung : ein Konstrukt Heinrich Himmlers ? Wurzeln nicht die antiklerikalen Ressentiments hierzulande bis auf den heutigen Tag in der Hass-Schule Julius Steichers und seines STÜRMERs ? Bis hin zu den antiklerikalen Witzen, die mir auch Linke erzählen, wenn sie gehört haben, dass mein Urgroßvater ein katholisches Kaplänle war ?

Hätte der ADAC oder die Deutsche Bank ( nur als Beispiel ) zweitausend Jahre gelebt - von Lidl ganz zu schweigen - wieviel mehr Verbrechen wären da aufgehäuft worden ! Und wie viel weniger Künstler hätten Auftrage bekommen, von Giotto bis zu Michelangelo und Mozart, von Mathis Grünewald und Balthasar Neumann bis zu Olivier Messiaen.
Aber ohne Matthäus VI ist auch eine agnostische Ethik nicht zu haben. Und ohne Johanni Offenbarung kein aufgeklärter Humanismus was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan worin die Gottestümelei aufgehoben wird und weiter weist zur Erklärung der Menschenrechte und zum KOMMUNISTISCHEN MANIFEST des Dr. Marx ( schon wieder ) aus Trier - das ist halt, so B.B. aus Augsburg "Das Einfache / das schwer zu machen ist" , aber an der Verwirklichung dieses Humanums ist alles gelegen.Und keiner kanns uns besser erklären als der große alte Weise Ernst Bloch . Der eben darum in zweien meiner Bilder erscheint und weiß ( da etwa VOLKSWAGEN AG und KRAUS MAFFEI WEGMANN es nicht wissen wollen ) wie eins zum andern gehört.

Setzen wir uns also zusammen in die Ecke und lesen Blochs ATHEISMUS IM CHRISTENTUM. Diesmal nicht hinter meinem Rücken.

Bloß bewusstlos gekniet wird nie wieder !